Kapitel 10
Am Tag nach der Geburtstagsfeier begab sich Hermine auf normalem Wege – Albus Treppe war ihrem Kopf heute auch ohne Turbo entschieden zu rasant – hinunter in den Kerker zu ihrem Büro.
Nachdem die letzten ihrer Gäste im Morgengrauen den Heimweg angetreten hatten, war Hermine nur noch erschöpft in ihr Bett gefallen und hatte bis in den späten Vormittag hinein geschlafen.
Nach dem Aufwachen hatte sie ihr erstes Frühstück zu sich genommen – einen scheußlich schmeckenden Trank gegen Kopfschmerzen. Danach hatte sie sich eine ausgiebige Dusche gegönnt und war, nachdem ihr Normalzustand wieder einigermaßen hergestellt zu sein schien, in die große Halle gegangen, um richtig zu frühstücken.
Von den wenigen Lehrerkollegen, die sie dort angetroffen hatte, wirkten die meisten etwas angeschlagenen.
Snape hatte sie, zu ihrem Bedauern nicht gesehen, was aber nicht weiter ungewöhnlich war, da am Wochenende die Regelung der Frühstückszeit von allen sehr großzügig ausgelegt wurde.
Hermine überlegte kurz, ob sie auf einen Sprung bei ihm vorbeischauen sollte, als sie nun die Treppen zum Kerker hinabstieg, verwarf den Gedanken jedoch sofort wieder. Auch wenn Snape sich gestern, bei dem Fest, von einer ganz anderen Seite gezeigt hatte, war er doch immer noch der selbe reservierte, eigenbrötlerische Mensch wie früher und würde vermutlich ziemlich gereizt reagieren, wenn sie ihm jetzt schon wieder auf die Pelle rückte. Andererseits war ihm, als sie miteinander getanzt hatten, ihre Nähe scheinbar ganz und gar nicht unangenehm gewesen.
Vor sich hingrinsend, und in Gedanken eng umschlungen mit Snape auf der Tanzfläche, kam Hermine vor ihrem Büro an. Als sie gerade den Zauberstab hob, um den Eingang zu entriegeln, vernahm sie das Geräusch einer sich öffnenden Türe, weiter hinten, am Ende des Korridors.
Erfreut, dass sie ihren Tanzpartner doch so bald wieder treffen sollte und in Erwartung eines, für beide Seiten amüsanten, ironischen Wortgeplänkels über die gestrige Feier, hob Hermine lächelnd den Kopf.
Schon Sekunden später verwandelte sich dieses Lächeln jedoch in einen äußerst fassungslosen Gesichtsausdruck.
Wer da leise vor sich hinpfeifend den Gang herunterkam, war nicht der einzige reguläre Bewohner des Kerkers, sondern Tonks.
Die Aurorin hatte Hermine noch nicht bemerkt, da sie vollauf damit beschäftigt war ihr Oberteil, unter dem man einen schwarzen BH herausblitzen sah, zuzuknöpfen.
Ihr Aussehen hatte sich seit der letzten Nacht etwas verändert. Die Frisur war immer noch die Gleiche, doch die Haare waren jetzt rabenschwarz mit grünen Strähnen und an ihren Ohren baumelten silberne Anhänger in Form von Schlangen, kurz - sie hatte farblich gewisse Ähnlichkeit mit einem Slytherin-Maskottchen.
Als sie es schließlich geschafft hatte ihre Knöpfe zu schließen, zumindest so weit, dass man sie wieder als halbwegs angezogen bezeichnen konnte, wurde Tonks auf Hermine aufmerksam, die immer noch mit weit aufgerissenen Augen vor ihrer Bürotüre stand.
„HERMIIINE!", rief Tonks erfreut und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Supi, dass ich dich noch treffe! Wollen wir noch einen Kaffee miteinander trinken, bevor ich abrausche? Den könnt´ ich nämlich dringend brauchen! War ´ne echt geile Fete, gestern! Voll cool! Haben sich alle prächtig amüsiert! Und Lupin hat sich mal wieder den Wolf getanzt - hihi!"
„Tonks!", keuchte Hermine, die endlich ihre Sprache wieder gefunden hatte. „Wo kommst du..., ich meine wo hast du... geschlafen..., du musst doch irgendwo..."
„Oh – ich hab´ bei Severus gepennt", sagte Tonks mit einem verschmitzten Lächeln. „Geschlafen hab´ ich allerdings nicht so fürchterlich viel", fügte sie kichernd hinzu und zwinkerte Hermine verschwörerisch zu.
Hermine fiel bei dieser offensichtlichen Anspielung regelrecht die Kinnlade herunter.
„Darum brauch´ ich ja unbedingt einen Kaffee", erklärte Tonks fröhlich weiter. „Hab´ den Kerl nicht richtig wachgebracht, gerade eben. Der hat nur irgendwas gemurmelt wie - verschwinde und zaubere dir selbst einen – als ich nach Kaffee gefragt hab´ und weil ich nicht wirklich gut bin im Herzaubern von so was, dachte ich mir, ich geh´ mal in die Halle rauf – da steht das Zeug ja sowieso rum."
Hermine starrte die aufgekratzte Aurorin an und schluckte.
„Du..., du hast…, du warst die ganze Nacht bei ihm?", krächzte sie mühsam.
„Jep!", sagte Tonks. „Na ja - was halt davon noch übrig war."
„Ich meine, wo warst du..., wo hast du...", stammelte Hermine.
„Ach so! Der gute alte Sevi - dass mag er übrigens gar nicht, wenn man ihn so nennt – hat ein großes, sehr bequemes Himmelbett", sagte Tonks.
Sie schenkte Hermine ein entwaffnendes Lächeln, die daraufhin gequält zurücklächelte.
„Was ist los, Hermine?", sagte Tonks, der das Verhalten ihrer Freundin allmählich seltsam vorkam. „Ist doch nichts dabei, wenn eine erwachsene Frau das Leben genießt, wenn sich die Gelegenheit bietet, oder?
Sie sah Hermine fragend an, die jedoch nicht den Eindruck machte, darauf antworten zu wollen.
„Ich will ihn ja nicht heiraten oder so", versuchte Tonks ihrem stummen Gegenüber die Sache weiter zu erklären. „Ist eben so passiert – einfach weil´s Spaß macht - verstehst du? Weißt du, Hermine, seit ich beim großen Finale gegen den dunklen Voldi beinahe den Löffel abgeben musste, ist mir klar, wie schnell das Leben vorbei sein kann und ich habe mir damals geschworen, keine Minute mehr zu vergeuden."
Das Hermine daraufhin immer noch nichts erwiderte, machte Tonks langsam nervös.
„Da ist doch wirklich nichts dabei, wenn zwei erwachsene Menschen beschließen, miteinander in die Koje zu steigen", sagte sie etwas lauter, in der Hoffnung, dadurch zu Hermine vordringen zu können. „Er ist alleine, ich bin alleine – wir tun doch niemandem weh..."
Tonks hielt mitten im Satz inne und sah Hermine an, als wäre ihr gerade eine Erleuchtung zu Teil geworden.
„OH HEILIGE SCHEIßE!", rief sie laut. „Ich bin DIR in die Quere gekommen! Oh was bin ich blöd! Ich könnte mich glatt in den Arsch beißen! Hermine – es tut mir sooo leid! Ich will ihn ja gar nicht, so für ganz – und er mich doch auch nicht! Wir sind eigentlich nur gute Freunde! Das war nur ein Ausrutscher – um der alten Zeiten willen! Ein rein nostalgischer Akt, sozusagen! Oh Mann, ist mir das jetzt unangenehm. Mensch, Hermine! Hättest ja auch was sagen können – oder er, der sture Bock! Oder weiß er vielleicht gar nichts von seinem Glück? Männer sind ja manchmal ziemlich blöd in solchen Angelegenheiten! Da muss man dann etwas nachhelfen!"
Bevor Hermine auch nur erahnte, was die durchgeknallte Aurorin vorhatte, drehte Tonks sich um und legte die Hände wie einen Trichter an den Mund.
„HEY, DU ALTE MIEßMUSCHEL - HERMINE STEHT AUF DICH!", schrie sie aus vollem Hals.
Hermine blieb fast das Herz stehen vor Schreck. Der Gedanke an die Szene, die sich abspielen würde, wenn jetzt noch der unausgeschlafene, mit Sicherheit übelgelaunte Snape auf den Flur gerannt käme, um eine Erklärung für dieses Geschrei zu fordern, trieb ihr den kalten Schweiß auf die Stirn.
„Schschsch..., nicht so laut, Tonks", zischte sie, „komm hier rein!"
Sie öffnete die Bürotür und zog die Aurorin schnell in den Raum hinein.
Drinnen ließ sich Tonks seufzend in den nächstbesten Sessel plumpsen, doch Hermine, die urplötzlich das dringende Bedürfnis verspürte, mehr Abstand zwischen sich und den Kerker zu bringen, scheuchte sie umgehend wider hoch. Unter dem Vorwand, oben in ihrer Wohnung sei es viel gemütlicher, bugsierte sie Tonks zur Treppe und benutzte sogar ausnahmsweise Dumbledores Turbo-Spruch um schnell nach oben zu gelangen, was ihren Gast zu waren Begeisterungsstürmen hinriss. (WOW! VOLL GEIL! Die hat Albus erfunden? Das sieht ihm ähnlich, dem verrückten alten Zausel!)
Oben, in Hermines Wohnung angekommen wurden die beiden äußerst stürmisch von etwas kleinem, schwarzem, haarigem begrüßt, das heftig winselnd um ihre Beine herumwuselte.
„Ist der aber süß", rief Tonks und hob den jungen Hund hoch, der ihr sofort begeistert das Gesicht abzuschlecken versuchte.
„Das", sagte Hermine seufzend, „ist ein Geburtstagsgeschenk von Ron und Rosie. Als ich heute morgen, nach der Feier, völlig fertig hier rein kam und nur noch schlafen wollte, bin ich auch so toll begrüßt worden und obendrein musste ich nicht weniger als drei Pfützen beseitigen. Aber du hast recht – süß ist er wirklich."
„Wie heißt er denn?", fragte Tonks.
„Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, mir einen Namen zu überlegen", sagte Hermine und sah den Hund nachdenklich an.
Plötzlich erschien ein boshaftes kleines Grinsen auf ihrem Gesicht.
„Lass mich doch mal überlegen", sagte sie und legte dem Hündchen die Hand unter die Schnauze um seinen Kopf ein wenig zu heben. „schwarze Haare, dunkle traurige Augen, dieser ernste Ausdruck, wenn er die Stirn so in Falten legt und obendrein, ein noch stark erziehungsbedürftiges Benehmen – ich glaube ich werde ihn Severus nennen."
Tonks schien, dem herzhaften Gelächter nach, das sie von sich gab, diese Idee ausgesprochen witzig zu finden.
„Snape wird Amok laufen, wenn so etwas völlig harmloses, ungefährliches nach ihm benannt wird", gluckste sie vergnügt.
„Severus! Wage es nicht, noch einmal in Hermines Wohnzimmer zu pinkeln"; sagte sie streng und schaute dem kleinen Hund dabei tief in die Augen, um gleich darauf wieder in fröhliches Gewieher auszubrechen.
Als die Frauen es sich dann mit Kaffee und ein paar Sandwichs auf dem Sofa bequem gemacht hatten, und der kleine Hund sich friedlich zwischen ihnen eingerollt hatte, brachte Hermine vorsichtig das ursprüngliche Thema wieder zur Sprache.
„Wegen vorhin..., Tonks..", sagte sie, bemüht die richtigen Worte zu finden, damit ihre impulsive Freundin nicht wieder voreilige Schlüsse zog, „du bist mir letzte Nacht durchaus nicht in die Quere gekommen und ich will dir auch absolut keine moralischen Vorhaltungen machen – ich war einfach nur überrascht, das ist alles."
„Was genau findest du denn so überraschend?", fragte Tonks und sah sie aufmerksam an.
„Dass er..., dass du..., das ihr beide...", kam Hermine jetzt wieder ins Stottern, „...was hast du gemeint mit um der - alten Zeiten Willen - und - rein nostalgischer Akt - heißt das etwa dass ihr...?"
„Hör zu Hermine", wurde sie von Tonks unterbrochen, die sie mit ungewohnt ernstem Gesicht ansah, „es war so – in diesem letzten Kampf gegen Voldemort waren wir alle extremen Emotionen ausgesetzt: Die permanente Todesangst, der verzweifelte Wille zu überleben, obwohl die Situation ausweglos erschien, dann diese unglaubliche Gewissheit doch noch gesiegt zu haben, als wir schon fast alle Hoffnungen begraben hatten, die Erleichterung, noch mal davon gekommen zu sein und schließlich die unbändige Freude, wenn einem dann klar wird, dass diese ganze Scheiße endlich für immer vorbei ist. Das alles zusammen, diese überwältigenden Gefühle sind - wie soll ich es erklären...", sie grinste Hermine nun wieder an, „...äußerst stimulierend! Das Weitere hat sich irgendwie fast von selbst ergeben und ich war angenehm überrascht, als ich herausfand, dass Snape verdammt viel Ahnung davon hat, was man mit einer Frau alles anstellen kann."
Das war die Gelegenheit, endlich mehr über den finalen Kampf zu erfahren, soviel war Hermine klar, und obwohl sie aufgrund der letzten, eindeutig zweideutigen Aussage von Tonks mit einer Reihe widersprüchlicher, teils undefinierbarer Gefühle zu kämpfen hatte, gewann die ihr angeborene Neugier die Oberhand.
„Harry spricht nie über dieses letzte Gefecht und Dumbledore gibt nur rätselhaft Verschleiertes von sich, wenn man das Thema andeutet", sagte sie und sah die Aurorin erwartungsvoll an.
„War sicher schwer zu verdauen, für Harry", sagte Tonks und starrte auf einen imaginären Punkt an der Wand. Sie schien in Gedanken zurückzukehren in die Vergangenheit. „Er war der Jüngste, der dabei war, aber er ist über sich hinausgewachsen – das kannst du mir glauben. Ich fürchte nur, er hat seine Jugend auf dem Schlachtfeld zurückgelassen – danach konntest du keine Spur von Kindlichkeit mehr bei ihm finden. Es ist tragisch, wenn jemand auf diese Weise erwachsen werden muss."
Sie machte eine kurze Pause und kraulte, wie um sich selbst zu beruhigen, den Hund hinter den Ohren.
„Na, und Dumbledore war schlicht überwältigend. Wer den nur als netten, älteren, und etwas unkonventionellen Schulleiter kennt, kann sich wahrscheinlich nicht im Traum vorstellen, was für ein mächtiger Zauberer er ist. Allein schon die Aura, die er ausstrahlt ist einfach gigantisch."
„Und Severus?", fragte Hermine vorsichtig um den Erzählfluss der Aurorin nicht zu stören.
„Snape war echt der Knaller!", sagte Tonks. „Er kam zwar nicht ganz so gewaltig rüber wie Dumbledore, aber er hat gekämpft wie ein absolut Wahnsinniger, als ob es ihm egal wäre, ob er dabei draufgeht – und ich bin mir ziemlich sicher, dass es ihm tatsächlich egal war. Er hat einigen von uns den Arsch gerettet, manchen davon mehrmals - sogar Mad-Eye war beeindruckt und das will schon was heißen. Letztendlich konnte Harry Voldemort nur vernichten, weil ihm Dumbledore und Snape den Weg freigeflucht haben."
Tonks lehnte ihren Kopf in die Polster zurück, schloss für einen Moment die Augen und lächelte dann.
„Kurze Zeit später, als allen klar wurde, dass wir tatsächlich gewonnen hatten, brach ein unvergleichlicher Jubel los und die Überlebenden fielen sich in die Arme. Da habe ich Severus zum ersten Mal wirklich lachen gesehen und das hat mich auf der Stelle dazu gebracht in seine Arme zu fallen."
Hermine sah Tonks immer noch erwartungsvoll an, doch diese zeigte keine Ambitionen, noch mehr zu erzählen.
„Genug von alten Zeiten palavert!", sagte sie energisch und lächelte Hermine an. „Jetzt erzähl du mal!"
„Was meinst du?", fragte Hermine.
„Was läuft da, zwischen dir und Snape?", fragte Tonks.
„Nichts..., gar nichts! Das habe ich dir doch gesagt", sagte Hermine hastig.
„Aber du magst ihn! Das hat man gestern deutlich gemerkt, zum Beilspiel beim Tanzen", sagte Tonks schmunzelnd.
„Ich habe natürlich keine Angst mehr vor ihm, so wie früher und manchmal und wenn er sich mal nicht vollkommen unmöglich benimmt, empfinde ich sogar hin und wieder ein bisschen Sympathie", sagte Hermine beiläufig und unterzog dabei die Ohren ihres Hundes einer gründlichen Inspektion.
„Er mag dich auch Hermine, da bin ich absolut sicher", sagte Tonks.
„Unsinn...", murmelte Hermine. (Wirklich?)
„Ungefähr das gleiche Gespräch habe ich gestern mit Severus über dich geführt", sagte Tonks grinsend. „Ihr seid einfach zwei Sturschädel."
Hermine sah sie überrascht an.
„Schon dass er zu deinem Fest überhaupt gekommen ist, spricht dafür, dass er dich sehr gerne hat – normalerweise erscheint er zu privaten Feiern gar nicht erst", sagte Tonks, „aber wenn ihr beide besser mit der Überzeugung leben könnt, euch nicht zu mögen – bitte sehr – steckt nur weiter den Kopf in den Sand."
Nachdem Tonks sich verabschiedet hatte, saß Hermine noch eine ganze Weile da und versuchte ihre Gefühle zu sortieren. Die Tatsache, dass sie selber nicht genau benennen konnte, was sie empfand, machte sie mehr und mehr ungeduldig und ärgerlich.
Auf der einen Seite hatte sie durchaus Verständnis für Tonks gestrige Eskapade. Sie selbst hatte während ihrer Studienzeit einige kurze Beziehungen zu Männern gehabt, die allesamt an Hermines gigantischen Lerneifer scheiterten. Mit einem ihrer ehemaligen Partner hatte sie auch schon mal um der guten alten Zeiten Willen... und es war durchaus keine unangenehme Erfahrung gewesen.
Auf der anderen Seite war sie stinkend sauer auf Snape, dass er nach IHRER Geburtstagsfeier mit einer anderen ins Bett gestiegen war. Hermine war klar, dass das ein völlig irrationales und unangebrachtes Gefühl war, da er ihr natürlich keinerlei Rechenschaft schuldig war. Diese Erkenntnis macht sie noch wütender – mit der eigenen Unzulänglichkeit hatte sie schon immer schlecht umgehen können.
Bei dem Gespräch mit Tonks war ihr klargeworden, dass sie in Snape nicht einfach nur einen Kollegen sah, mit dem sie sich gerne auf verbaler Ebene fetzte, andererseits war der Gedanke, dass da mehr sein könnte, und die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu beängstigend, um sich eingehender damit zu befassen.
Einen kurzen Moment lang war sie versucht, das Abendessen ausfallen zu lassen, um eine mögliche Begegnung mit Snape hinauszuschieben, kam aber umgehend zu dem Schluss, dass das feige wäre und daher gar nicht in Frage kam.
Snape allerdings erschien weder an diesem Abend, noch am gesamten nächsten Tag zum Essen, ganz so als hätte er von der Gesellschaft seiner Kollegen erst einmal die Nase voll.
Am darauffolgenden Tag erschien er, schlecht gelaunt wie immer, zum Frühstück.
Hermine hatte ihren bevorzugten Platz bei Dumbledore heute noch vor Miss Peephole ergattern können und kam so in den unvergleichlichen Genuss, als erste einen Blick auf Snapes verbiesterte Miene zu werfen, nachdem er sich mit einem undefinierbaren Laut, der wohl Guten Morgen heißen sollte, ihr gegenüber niederließ.
„Ich wünsche ihnen auch einen wunderschönen guten Morgen, Severus", sagte Hermine, in einem Ton, der verdächtig an eine Krankenschwester erinnerte, die mit einem Geistesgestörten redete.
Der Blick, mit dem sie daraufhin belohnt wurde, war einer der krasseren aus Snapes Repertoire.
„Wie geht es uns den heute so, an diesem strahlend sonnigen Tag?", setzte sie noch einen drauf.
„Wie es UNS geht? Ich würde sagen, SIE sind unerträglich gut gelaunt, wie immer", fauchte er, „und ICH muss mir dieses Gesülze auch noch anhören."
„Ja, ja, schon gut, so ein Extrem-Morgenmuffel hat´s nicht leicht", sagte Hermine grinsend. „Ich verspreche, erst dann weiterzusülzen, wenn sie ihre erste Tasse Kaffee intus haben – ist das ein Angebot?"
„Grmpf", machte der Morgenmuffel und versenkte sich in seiner Kaffeetasse. Nachdem er diese gelehrt und sie umgehend wieder aufgefüllt hatte, schienen tatsächlich seine Lebensgeister zurückgekehrt zu sein.
„Übrigens – ich erwarte sie morgen Nachmittag um fünf vor dem Schloss, um ihre Schulden einzulösen, Frau Kollegin", sagte er mit mehr als einem Hauch Genugtuung in der Stimme. "Ich habe den Nachmittagsunterricht der Siebten extra um zwei Stunden verschoben, da sie ja vorher selber unterrichten", fügte er hinzu.
„Schon vergessen?", fuhr er fort, als sie ihn nur fragend ansah. „Sie versprachen, sich als Duell-Partnerin zur Verfügung zu stellen, als Ausgleich für die Sache mit Longbottom."
„Oh..., ja natürlich – ich werde da sein", sagte Hermine wenig begeistert.
Dumbledore beugte sich interessiert vor. „Was war denn mit Neville?", fragte er neugierig.
„Ich habe Mr. Longbottom, nach Anweisung von Prof. Dr. Psych. H. Granger, mit seiner größten Angst konfrontiert, nämlich mit mir selbst, um ihn von ebendieser zu heilen", sagte Snape.
„Oh – das finde ich wirklich sehr interessant", wandte sich Dumbledore an Hermine, die ihm sofort begeistert ihren Behandlungsansatz erläuterte. Als Snape sein Frühstück beendet hatte und die Halle verließ, waren sie immer noch in ein angeregtes Gespräch vertieft.
Hermine hatte Recht gehabt – der Tag war wirklich sonnig und für September ungewöhnlich heiß.
Als Snape nach den letzten Unterrichtsstunden am Nachmittag das Verteidigungsklassenzimmer verließ hatte er es eilig, in seinen, an einem solchen Tag angenehm kühlen Kerker zu kommen.
Die vergangenen zwei Stunden, in denen er die Erstklässler von Hufflepuff und Ravenclaw unterrichten musste, hatten ihn seine letzten Nerven gekostet. Die kleinen Bälger hatten heute allesamt sehr nah am Wasser gebaut und um sie durch seine Gereiztheit nicht völlig lahm zu legen, hatte er sich enorm zusammenreißen müssen.
In seinem Wohnzimmer angekommen, nahm er seinen Umhang ab, entledigte er sich seiner Schuhe und Strümpfe, öffnete sein Hemd bis zum Bauchnabel und krempelte die Ärmel hoch. Danach ließ er sich erleichtert auf das Sofa fallen, legte die Füße hoch, genoss die kühle Luft des Kerkers auf der Haut, hexte sich ein Glas eiskalten Weißweins herbei und erfreute sich an dem Umstand, den Rest des Tages keiner Menschenseele mehr begegnen zu müssen, wenn er es nicht wollte.
Wenig später hatte er das Glas gelehrt und schloss entspannt die Augen. Die Katze, die auf seinen Bauch gesprungen war, schnurrte gleichmäßig und einschläfernd...
Die scharfen Krallen ebendieser Katze rissen Snape schon kurz darauf wieder aus dem wohlverdienten Schlaf, als sie sich in seine Bauchdecke bohrten. Leise fluchend riss er die Augen auf und starrte das Tier an, das auf den Boden gesprungen war, mit gesträubtem Fell und einem Schwanz, der an eine überdimensionale Flaschenbürste erinnerte, zur Eingangstüre lief und dabei heisere Kampflaute von sich gab.
Von diesem ungewöhnlichen Verhalten alarmiert schnappte Snape sich seinen Zauberstab und folgte der Katze.
Er riss die Tür mit einem Ruck auf, bereit, einen etwaigen Angreifer umgehend zu erledigen.
Vor der Tür stand schwanzwedelnd, ein kleiner schwarzer Hund mit langen Ohren und einer in viele Falten gelegte Stirn, was ihm ein seltsam ernstes Aussehen gab, und sah die fauchende Katze zwar ängstlich aber dennoch fasziniert an.
Hermine hatte also beschlossen, dieses lebende Geburtstagsgeschenk, dass er Weasley hatte überreichen sehen, zu behalten und nun trieb sich die kleine Töle doch tatsächlich in seinem Kerker herum.
„Zisch ab – du Flohquaste!", knurrte Snape und der Hund, der den feindseligen Tonfall wohl wahrgenommen hatte, zog den Schwanz ein und winselte, konnte sich aber nicht vom Anblick der Katze lösen.
Das änderte sich schlagartig als diese nun doch zum Angriff überging und wild fauchend einen Satz auf den Eindringling zu machte.
So schnell seine kurzen Beine ihn trugen, sauste der junge Hund den Korridor hinunter und die Katze flitzte hinterher.
Snape, der einen Schritt aus der Tür getreten war, überlegte gerade, ob es der Katze schaden könnte, wenn er ihr einen Lähmfluch hinterherschickte, um sie von der Jagd abzuhalten, als er bemerkte, dass er mit seinen nackten Füßen in etwas Warmes, Feuchtes gestiegen war.
Die blitzschnelle Schlussfolgerung, die er aus der Pfütze, in der er stand, in Kombination mit dem ungebetenen Besucher zog, ließ seinen Zornpegel umgehend gewaltig in die Höhe schnellen und er marschierte, so wie er war los, um die Besitzerin des Pfützenverursachers für dieses unmögliche Benehmen sofort zur Rechenschaft zu ziehen.
Schon von weitem sah er Hermine durch die offene Labortüre, den Hund auf dem Arm, die Katze zu ihren Füßen. Sie schien beruhigend auf die beiden Tiere einzureden und streichelte dem Welpen dabei über den Kopf.
Snape stürmte in den Raum und baute sich drohend vor Hermine auf.
Ihm entging völlig die Anwesenheit der Sechst- und Siebtklässlerinnen aus Hermines freiwilligem Nachmittagsunterricht, die auf der anderen Seite des Labors beieinander standen und ihn mit offenen Mündern anstarrten.
Den Mädchen, die ihren Lehrer noch niemals anders als in voller Montur einschließlich Umhang gesehen hatten, kam Snape geradezu unanständig leicht bekleidet und daher fast unrealistisch vor.
„Sorgen sie gefälligst dafür, dass ihr Köter nicht in meinem Kerker herumstreunt, Granger", bellte Snape.
„Tut mir leid, Severus – er ist mir vorher entwischt, als ich schnell etwas aus meinem Büro geholt habe", sagte Hermine ruhig, da sie die letzte Konfrontation vor der Klasse noch gut in Erinnerung hatte, und ihn nicht noch mehr provozieren wollte.
„Das Mistvieh hat vor meine Türe gepinkelt – ich stand gerade bis zu den Knöcheln in HUNDEPISSE", schrie Snape, den ihre Ruhe noch mehr aufzustacheln schien, aufgebracht.
Die ersten Mädchen pressten sich panisch die Hand auf den Mund um ihr Kichern zu unterdrücken.
„Das tut mir wirklich leid", sagte Hermine, die unter Aufbietung all ihres Willens ein Grinsen unterdrückte, „aber der Kleine ist halt noch sehr jung und muss manches noch lernen."
„Wenn sie nicht einmal einen Hund erziehen können, wie wollen sie es dann erst bei ihren Schülern hinkriegen", giftete Snape sie an.
Aufgrund dieser rüden Beleidigung beschloss Hermine nun doch zum Angriff überzugehen.
„Ich sagte doch bereits, dass es mir leid tut – was wollen sie noch hören?", fauchte sie. „Soll ich schwören, dass es nicht wieder vorkommt?" Sie riss die rechte Hand in die Höhe. „Okay, ich schwöre!" Sie hob die rechte Pfote des Hündchens. „Und auch Sevi schwört feierlich, dass er nie mehr vor ihre Tür pinkelt."
Snape fielen fast die Augen aus dem Kopf.
Die Mädchen im Hintergrund pressten sich nun ohne Ausnahme beide Hände auf den Mund.
„Wie haben sie den Hund genannt?", sagte Snape bedrohlich. Der Welpe steckte ängstlich den Kopf in Hermines Haare.
„Eigentlich heißt er ja Severus – ich entdeckte da nämlich gewisse Parallelen zwischen ihnen und dem Tier – ich hoffe sie haben nichts dagegen", sagte Hermine mit einem kurzen Seitenblick auf die Katze, „aber weil das so streng klingt und der Kleine so niedlich ist, nenne ich ihn Sevi."
Hermine sah aus den Augenwinkeln, dass einige ihrer Schülerinnen nun bereits knallrot im Gesicht waren, von dem verzweifelten Bemühen sich das Lachen zu verbeißen.
„Haben sie eigentlich völlig den Verstand verloren", sagte Snape fassungslos.
„Wenn ich wirklich den Verstand verloren hätte, würde ich sie Sevi nennen", sagte Hermine ernst, „und sie sind ja nun beim besten Willen nicht niedlich."
Diese Bemerkung hatte das Fass scheinbar zum Überlaufen gebracht – die ersten Schülerinnen gaben erstickte, glucksende Laute von sich.
Snape fuhr herum, wie von der Tarantel gestochen.
Dass einige der Mädchen daraufhin hinter dem Labortisch, an dem sie standen, in Deckung gingen gab Hermine eine ungefähre Vorstellung von dem Blick, den er ihnen zugeworfen haben musste. Andererseits ließ sich diese Vorsichtsmaßnahme eventuell auch auf den Umstand zurückführen, dass er den Zauberstab immer noch kampfbereit in der Hand hielt.
Als er sich schließlich langsam wieder zu ihr herumdrehte, musste Hermine sich sehr beherrschen nicht ebenfalls in Deckung zu gehen.
„Ich kann nichts dafür", sagte sie leise. „SIE sind einfach in meinen Unterricht geplatzt, in diesem Aufzug..."
Snape sah langsam an sich herunter, als wäre im gar nicht klar, welchen Anblick er bot. Als er den Kopf wieder hob, stand ihm diese Erkenntnis allerdings deutlich ins Gesicht geschrieben.
„Versuchen sie, es positiv zu sehen", sagte Hermine, „immerhin schafft es nicht jeder Mann", sie sah auf seine Füße, „mit einer feuchten Kleinigkeit...", ihr Blick schweifte zu den jetzt wieder verstärkt glucksenden Mädchen, „...so viele junge Damen gleichzeitig glücklich zu machen."
Als sie ihr Augenmerk wieder auf Snape richtete war ihr klar, dass sie das würde büßen müssen.
„Wir sehen uns morgen um fünf", sagte er barsch, packte seine Katze, die erschrocken maunzte, und rauschte aus dem Zimmer. In dem Moment, als sie hörten, dass Snape seine Wohnungstür hinter sich zudonnerte, entlud sich die Anspannung der Mädchen endlich in einem erlösenden Gelächter.
„Glaubt irgendjemand von euch ernsthaft daran, dass ich morgen Abend noch lebe?", fragte Hermine, nachdem sie selbst und ihre Schülerinnen sich endlich wieder beruhigt hatten.
