Als Hermine am nächsten Nachmittag eine Viertelstunde vor fünf durch das Eichenportal ins Freie trat, war ihr absolut nicht mehr nach Lachen zumute. Sie hatte Snape seit dem gestrigen Vorfall nicht mehr gesehen und somit auch keine Ahnung ob er tatsächlich immer noch so wütend auf sie war, wie es gestern ausgesehen hatte.
Sie ging auf das kleine Grüppchen Schüler zu, das ein Stück vom Eingang entfernt, auf das Eintreffen der anderen wartete. Hermine fiel auf, dass die meisten Mädchen unter den Wartenden noch eine Spur blasser um die Nase waren, als die Jungs. Fast alle waren sie gestern in ihrem Nachmittagsunterricht gewesen, und somit unfreiwillig Zeugen der Auseinandersetzung zwischen Snape und ihr geworden, und mussten aufgrund ihres Gekichers ebenfalls auf Racheaktionen des Verteidigungs-Professors gefasst sein, wenn auch vielleicht nicht im selben Maße wie Hermine.
Sie versuchte, ihren Schülern ein aufmunterndes Lächeln zu schenken, was ihr aber scheinbar gründlich misslang, da die jungen Leute ihrerseits begannen ihrer Lehrerin Mut zuzusprechen. (Er darf ihnen doch eigentlich nichts wirklich Lebensbedrohliches antun, Professor Granger!)
Kurz vor fünf - die Schüler, die aus Erfahrung wussten, was Ihr Lehrer mit Zuspätkommern anstellte, waren bereits vollzählig versammelt – trat Snape aus dem Schloss und steuerte auf die Wartenden zu.
„Mit weniger an hat er irgendwie menschlicher ausgesehen", flüsterte Penelope Lawrence und erntete damit ein paar nervöse Kicherer.
„Ist es nicht egal, wie er aussieht, während er uns foltert?", sagte Felicia Marlow mit einem eindeutig hysterischen Unterton in der Stimme.
„Beruhigt euch! So schlimm wird es schon nicht werden", sagte Hermine, gegen ihre Überzeugung. „Außerdem bin ich schließlich auch noch da." (Fragt sich nur, wie lange noch!)
„Gehen sie alle weiter, bis zu den Bäumen dort drüben", schnauzte Snape sie gleich zur Begrüßung an. „Ich will schließlich nicht, dass man ihre Schreie bis ins Schloss hört."
Zwischen besagten Bäumen wies er sie an, sich in zwei Reihen aufzustellen und dazwischen Platz für die Duellanten zu lassen.
„Ich werde ihnen zunächst mit Professor Granger, die sich freundlicherweise angeboten hat mir zu assistieren, vorführen, wie so ein Duell in etwa auszusehen hat", erklärte Snape. „Dann werden wir das, was von ihrer Zaubertrankprofessorin noch übrig ist, vom Boden kratzen und anschließend sind sie dran", fügte er hinzu und ließ einen düsteren Blick durch die Reihen der bleichen Schüler schweifen.
„Wenn sie nun so nett sein würden...", sagte er zu Hermine, die neben ihm stand, und machte eine einladende Handbewegung zur anderen Seite der freigelassenen Schneise.
„Dumbledore wird es nicht mögen, wenn sie mich umbringen", sagte Hermine mit dem Versuch eines Lächelns.
„Ich werde es aussehen lassen wie einen Unfall", gab Snape kühl zurück ohne sie anzusehen.
In Ermangelung eines Auswegs ging Hermine also zwischen den Reihen der Schüler hindurch, von denen ihr einige aufmunternd zunickten. Nach wenigen Schritten, am anderen Ende angekommen, drehte sie sich langsam um und zog ihren Zauberstab aus dem Umhang.
Sie standen sich einige Sekunden lang schweigend gegenüber, wobei Hermine sich zusammennehmen musste, um nicht schon aufgrund des Blicks, mit dem Snape sich in den ihren bohrte, einen ersten Gegenfluch loszulassen.
„Sie kennen die Regeln?", fragte er und zog gleichfalls den Zauberstab.
„Ja!", sagte Hermine.
„Bereit?", fragte Snape.
„Ja!", sagte Hermine
„Cromwell, zählen sie laut und deutlich bis drei - vorausgesetzt natürlich, sie können das", sagte Snape zu dem, in der Mitte einer der Reihen stehenden Ravenclaw, ohne den Blick von Hermine zu wenden.
Gregory Cromwell tat, wie ihm geheißen, und begann mit leicht zitternder Stimme zu zählen.
„Eins... zwei... drei..."
„EXPELLIARMUS!", donnerte Snape.
„PROTEGO!", schrie Hermine.
Ihre Verteidigung kam Sekundenbruchteile zu spät, um Snapes Fluch gänzlich abwehren zu können. Die Wucht des flammendroten Blitzes, der aus der Spitze seines Zauberstabes geschossen war, traf erst kurz vor Hermines ausgestrecktem Arm auf ihren Schildzauber und riss sie unsanft von den Füßen.
Einige der Schüler eilten sofort zu ihr, um ihr aufzuhelfen.
„Lassen sie das! Gehen sie zurück in die Reihe", bellte Snape. „Professor Granger ist sicher in der Lage alleine aufzustehen."
Snape wartete mit verschränkten Armen, bis sie sich wieder aufgerappelt hatte.
„Fertig?", fragte er ungeduldig.
„Ja, ich glaub´ schon", sagte Hermine.
„Cromwell! Worauf warten sie?", schnauzte Snape.
„Oh..., Entschuldigung...", stammelte Gregory, „eins..., zwei..., drei..."
Diesmal versuchte Hermine es mit „Expelliarmus!", doch es gelang ihr nicht, Snape zu entwaffnen, da er im entscheidenden Moment geschickt auswich. Er hetzte ihr im Gegenzug mit „Serpensortia!" eine Schlange auf den Hals, die sie jedoch mit einem lauten „Reductio!" wegblies. Allerdings nützte Snape den Moment, als sie sich auf die Schlange konzentrierte, um ihr einen Stupor zu verpassen. Der Schockzauber traf sie zwar nicht frontal, da sie im letzten Moment noch auf die Seite gesprungen war, schickte Hermine aber dennoch wieder der Länge nach ins Gras.
Benommen setzte sie sich auf und sah Snape ungeduldig mit dem Fuß wippend am anderen Ende der Schneise stehen. Sie stand mit wackligen Beinen auf und strich sich die Haare aus dem Gesicht.
„Bereit?", fragte Snape wieder.
„So mehr oder weniger", sagte Hermine.
„Cromwell! Haben sie eigentlich ihr Gehirn mit ins Freie genommen? Es kann doch nicht so schwer sein, bis drei zu zählen", fauchte Snape.
„Verzeihung...", krächzte Gregory, „eins..., zwei..., drei..."
„IMPERDIMENTA!", kreischte Hermine. Ihr Lähmfluch wurde jedoch von Snapes Schildzauber, der scheinbar besser funktionierte als ihr eigener vorhin, nur knapp zwei Meter vor ihr zurückgeschleudert und erwischte sie, bevor sie reagieren konnte. Hermine fiel um wie ein nasser Sack und konnte sich eine Weile nicht bewegen.
Als langsam wieder das Gefühl in ihre Glieder zurückkehrte und sie versuchsweise mit den Zehen wackelte, erschien Snapes Kopf über ihr.
„Sie werden doch nicht schon schlapp machen wollen?", fragte er hämisch, bot ihr aber die Hand um ihr hoch zu helfen. Hermine ignorierte sein Hilfsangebot.
„Professor Granger ist sicher immer noch in der Lage allein aufzustehen", sagte sie giftig und rappelte sich hoch.
„Ganz wie sie wünschen, Professor Granger", sagte Snape grinsend und ging auf seinen Platz zurück.
„Sind sie fertig?", fragte er dort angekommen.
„Und wie!", schnaubte Hermine.
„CROMWELL!", brüllte Snape, als dieser wieder seinen Einsatz verpasste.
„Eins, zwei, drei!", zählte Gregory hastig.
Eindeutig zu hastig für Hermine, die bei drei ihren Fluch noch nicht richtig parat hatte. Sie schaffte es gerade noch Snapes Ganzkörperklammer auszuweichen. Dabei erwischte der Tarantallegra, den sie ihrem Gegner gerade hatte verpassen wollen, unglücklicherweise Amanda Lewis, die auch sofort hektisch zu tanzen anfing. Hermine wollte die arme Amanda umgehend von dem Fluch befreien und richtete ihren Zauberstab auf sie.
„Rictusempra!", rief Snape, ohne Rücksicht darauf zu nehmen.
Der Kitzelfluch war wirklich eine gemeine Sache. Hermine lachte bis ihr die Tränen kamen, während sie Snape langsam auf sich zukommen sah.
„Expelliarmus! Accio Zauberstab!", sagte er lässig und Hermines Zauberstab flog aus ihrer Hand in die seine.
Snape stand nun zwischen Hermine und Amanda und blickte erfreut hin und her.
„Ich finde ihre Tanznummer zwar ganz hinreißend, Miss Lewis, aber ich denke Professor Grangers Darbietung ist eine Spur lustiger", sagte er mit amüsiert hochgezogenen Augenbrauen.
Danach erlöste er zuerst Amanda und danach Hermine, die sich wütend vor ihm aufbaute.
„Das war ausgesprochen unfair", keifte sie. „Sie haben doch gesehen, dass ich Amanda helfen wollte."
„Natürlich", sagte Snape und zuckte die Schultern, „aber ist das mein Problem?"
Mit zusammengekniffenen Lippen streckte Hermine die Hand aus und er legte ihren Zauberstab hinein. Danach marschierten sie beide zur Ausgangsposition zurück und drehten sich um.
Snapes Laune hatte sich sichtlich gebessert, was auch das ironische Grinsen bewies, das sich auf seinem Gesicht breit gemacht hatte. Hermines dagegen war jetzt eindeutig in Rage und ihre Augen funkelten zornig.
„BEREIT?", schrie sie.
„Wenn sie es sind!", entgegnete Snape.
„EINS...", begann Gregory Cromwell laut zu zählen.
„CROMWELL!", rief Snape anerkennend. „Sie können ja tatsächlich selber denken – kaum zu glauben!"
„...zwei..., drei..."
„EXPELLIARMUS!", brüllte Hermine und machte einen angriffslustigen Satz nach vorne. Sie verfehlte ihren Gegner, der sich blitzschnell zur Seite drehte, nur um Haaresbreite.
„IMPERIO!", schrie Snape, und Hermine fühlte sich plötzlich wie in Watte gepackt und auf wunderbare, Weise von allen Sorgen erlöst.
„Lassen sie ihren Zauberstab fallen!", sagte Snape.
„Warum?", sagte eine sehr leise Stimme in ihrem Hinterkopf.
„FALLENLASSEN!", sagte Snape. Er zwang ihr seinen Willen dieses mal viel intensiver auf als bei der Demonstration in ihrem Unterrichtsraum.
Sie ließ den Zauberstab fallen.
„Kommen sie her!", sagte Snape.
„Tu es nicht!", sagte die leise Stimme in ihrem Kopf. Sie versuchte, unter Aufbietung ihrer ganzen Willenskraft stehen zu bleiben, wo sie war.
„HERKOMMEN!", sagte Snape.
Ihre Füße fingen an zu laufen, ohne dass sie es beeinflussen konnte.
„So, Professor Granger", sagte er, als sie schließlich vor ihm stand, „und jetzt machen sie einen hübschen kleinen Knicks."
„Ich mag nicht..", sagte die Stimme in Hermines Kopf weinerlich.
Sie machte einen hübschen kleinen Knicks.
„Und weil´s so schön war – gleich noch einen", sagte Snape grinsend, „aber diesmal ein bisschen tiefer, wenn ich bitten darf."
„Ähm...", sagte die Stimme in Hermines Kopf sehr leise und sehr piepsig.
Sie machte einen tiefen Knicks.
„Bleiben sie unten!", sagte Snape.
Sie verharrte in der Verbeugung.
„Enervate!", sagte Snape und trat vorsichtshalber einen Schritt zurück.
Hermine schoss hoch, wie von der Tarantel gestochen.
„SIE MIESER, HINTERHÄLTIGER, GEMEINER KERL!", schrie sie, außer sich vor Zorn und machte einen Schritt auf ihn zu.
Snape blieb wo er war und sah sie amüsiert an.
Die rötlichen Lichter, die durch die Strahlen der Abendsonne in Hermines zerzauster Mähne glitzerten und der bedrohliche Gesichtsausdruck, mit dem sie anstarrte, erinnerten Snape wieder an die wutschnaubende Frau aus seinem Traum. Er rechnete fast schon damit, dass sie versuchen würde ihn zu ohrfeigen.
„Das, meine Damen und Herren, aber vor allem die Herren, ist eine Lektion in Verteidigung gegen wütende Frauen", sagte er, ohne Hermine aus den Augen zu lassen, „das Wichtigste ist, die Ruhe zu bewahren und nicht, wie es einem der Selbsterhaltungstrieb eigentlich eingibt, in Panik zu flüchten."
„Sie haben einen unverzeihlichen Fluch angewandt, und das auch noch ohne Vorwarnung", sagte Hermine anklagend, stemmte wütend die Hände in die Hüften und beugte den Oberkörper leicht nach vorne, als wollte sie ihrer Aussage dadurch mehr Gewicht verleihen..
„Ja, das habe ich getan!", sagte Snape ruhig. „Man soll wütenden Frauen nach Möglichkeit immer Recht geben", fügte er erklärend hinzu.
Hermine ging auf ihn zu bis sie sehr nahe vor ihm stand. Ihre Hände waren jetzt zu Fäusten geballt. Sie sah zu ihm hinauf und er sah herunter.
„Sie haben sich nicht an die Regeln gehalten!", zischte sie, zwei Handbreit von seiner Nase entfernt.
„Warum sollte ich das auch tun?", sagte Snape ungerührt.
„SIE SELBST HABEN MICH VOR DEM KAMPF AUF DIE REGELN HINGEWIESEN!", brüllte Hermine.
Snape wich keinen Zentimeter zurück.
„Ich habe nur gefragt, ob sie die Regeln kennen", berichtigte er sie. „Ich habe mit keinem Wort erwähnt, dass diese Regeln bei unserem Duell Anwendung finden würden."
„SIE..., SIE..., SIE..." Hermine, deren Gesicht vor Wut knallrot angelaufen war, suchte verzweifelt nach einem Wort, das ihrer Empörung gerecht werden würde.
„Contenance, meine Liebe", sagte Snape samtig und sah lächelnd auf sie herab, „Versuchen sie es positiv zu sehen - ihre kleine Vorstellung hat zwar nicht alle hier Anwesenden glücklich gemacht, aber immerhin mich, und das schafft – wie ich ihnen versichern kann – bei weitem nicht jede Frau."
Hermine holte tief Luft und schien etwas sagen zu wollen, das ihr praktisch schon auf der Zunge lag, entschied sich dann jedoch anders, drehte sich um und holte ihren Zauberstab. Danach marschierte sie zu Snape zurück, der immer noch interessiert auf eine Reaktion von ihr zu warten schien.
„So! Mir reicht´s!", sagte sie schroff. „Ich habe meinen Teil der Abmachung erfüllt. Ich gehe jetzt!"
„Wenn sie verantworten können, dass ihre armen Schäfchen mir dann alleine ausgeliefert sind", sagte Snape leise, „speziell die Hühner, die gestern Nachmittag bei ihnen im Labor herumgegackert haben, wirken jetzt schon irgendwie angegriffen."
„Drohen sie mir tatsächlich, dass die Mädchen es ausbaden müssen, wenn ich gehe?", zischte Hermine.
„Wie kommen sie denn auf so was", fragte Snape. „Ich werde sie behandeln wie sonst auch, aber nachdem die jungen Damen so auf freiwilligen Unterricht stehen, werde ich sie vielleicht zusätzlich ein bisschen die Verteidigung gegen die etwas übleren Flüche üben lassen, eher zum Schluss, wenn ich die anderen Schüler schon ins Schloss zurückgeschickt habe. Nachdem ich für den regulären Teil doppelt so lang brauchen werde, wenn sie mir nicht helfen, wird es bis dahin auch sicher schon dunkel sein. Das gibt der Sache auch noch einen interessanten gruseligen Aspekt - finden sie nicht auch?"
„Gut – ich bleibe, sie mieser Erpresser", fauchte Hermine.
„Schön!", sagte Snape und hob den Kopf. „So – jetzt sind sie dran, mit dem Üben", sagte er zu den Schülern, die den Disput ihrer beiden Lehrer gebannt beobachtet hatten. „Damit es nicht gleich am Anfang Verletzte gibt, werden sie nicht gegeneinander antreten, sondern zunächst gegen Professor Granger und mich. Die Hälfte von ihnen geht hier rüber zu Professor Granger – die andere Hälfte zu mir. ...ICH SAGTE DIE HÄLFTE GEHT ZU PROFESSOR GRANGER, NICHT ALLE!"
Snape starrte böse auf die Klasse, die sich geschlossen auf Hermines Seite gesammelt hatte. Unauffällig versuchten sich die Schüler, die vorne standen, hinter die Anderen zu schieben, um nicht auf Snapes Seite wechseln zu müssen.
„Wird's bald?", sagte Snape gereizt.
Kein einziger wagte ihm in die Augen zu sehen, aber es machte auch keiner Anstalten auf die andere Seite zu gehen.
„Wie sie meinen", schnarrte Snape, „wenn sie sich nicht entscheiden können, dann werde ich das für sie übernehmen – Marlow, Lawrence – kommen sie zu mir – Robbins, Osborne, Johnson, Boleyn und McNamara ebenfalls – Verstecken hilft nichts, Woodcock, sie kommen auch her, und dann noch Stevenson und Robbins. Cromwell – sie haben überraschend fehlerfrei gezählt – sie dürfen zur Belohnung bei Professor Granger bleiben. Lewis, Hamilton – sie kommen noch rüber."
Mit hängenden Schultern, und furchtsam gesenkten Köpfen schlichen die Aufgerufenen von den Anderen weg und stellten sich neben Snape auf. Unter den Schülern, die er ausgewählt hatte, waren alle Mädchen, die am Vortag im Labor gewesen waren und die meisten seiner bevorzugten Opfer, mit Ausnahme von Gregory Cromwell, der sein Glück noch gar nicht fassen konnte.
„Sie konnten vorhin genau beobachten, auf was es beim Duellieren ankommt – sie müssen erahnen, was ihr Gegner vorhat, und dann möglichst sofort einen Verteidigungsfluch parat haben", sagte Snape. „Und auch wenn das vielleicht für manche von ihnen nicht so ausgesehen hat – Professor Granger hat das sehr gut hingekriegt."
Hermine sah überrascht zu ihm herüber. Den Schülern in seiner Gruppe wurde allerdings bei diesem unerwarteten Lob noch mulmiger, da sie sich fragten, wie sie selber gleich aussehen würden, wenn die Leistung ihrer Zaubertrankprofessorin tatsächlich gut gewesen war.
„Stellen sie sich in eine Reihe", fuhr Snape fort, „und bitte drängeln sie nicht so, meine Damen – jede von ihnen kommt dran. Ein bisschen mehr Abstand, Miss Boleyn, sonst fallen sie ja mit um, wenn es Miss Osborne gleich erwischt. Wer an zweiter Stelle steht, zählt jeweils bis drei. Und ich sage ihnen in aller Deutlichkeit – ab jetzt gelten die Regeln."
Er zwinkerte Hermine zu, die ihm bei diesen Worten einen kurzen, bösen Seitenblick geschenkt hatte.
Kurze Zeit später lag Ophelia Osborne im Gras und auch Hermine hatte ihren Gegner erfolgreich entwaffnet.
Diejenigen, die an der Reihe waren hatten jeweils drei Versuche, ehe der Nächste antreten musste.
Hermine warf immer wieder einmal einen Blick hinüber zu Snape. Zu ihrer Erleichterung hielt er sich bei den Duellen mit den Schülern ziemlich zurück – seine Flüche kamen lägst nicht so schnell und mit wesentlich weniger Wucht an, wie es vorhin noch bei ihr der Fall gewesen war.
Hermine nahm gerade Aufstellung gegen Jeffrey Valentine aus Slytherin, als sich Amanda Lewis gegenüber Snape aufstellte. Amandas Beine zitterten, was wahrscheinlich noch eine Nachwirkung des Tanzfluchs war.
Hermine, die ein schlechtes Gewissen hatte, weil es ihr Fluch gewesen war, der Amanda getroffen hatte, konzentrierte sich einen kurzen Moment nicht genug auf ihren Kampf. Der kräftige Schockzauber von Jeffrey traf sie daher, bevor sie den Gegenfluch richtig anbringen konnte, und riss sie um. Sie blieb mit geschlossenen Augen bewegungslos liegen.
„Professor Granger?", sagte Jeffrey schuldbewusst.
Als Hermine ihre Augen wieder öffnete, hatten sich die ersten Schüler besorgt um ihre Lehrerin geschart.
„Was ist los? Lassen sie mich durch!" Snape scheuchte die Schüler auf die Seite.
„HERMINE?", rief er als er sie liegen sah, und der besorgte Tonfall erfüllte sie mit einer unheimlichen Genugtuung.
Er beugte sich über sie und strich ihr die Haare aus dem Gesicht. Als er feststellte, dass sie unter den wirren Locken die Augen geöffnet hatte, sah er für einen ganz kurzen Moment erleichtert aus.
„Enervate!", murmelte er und half Hermine, sich aufzurichten.
„Vielleicht sollten sie jetzt doch lieber aufhören", sagte Snape.
„Nein, danke, es geht schon wieder", sagte Hermine und humpelte etwas steif auf ihre Position.
Die weiteren Übungen verliefen ohne Zwischenfälle, wenn man davon absah, dass Snapes Probanden zu guter Letzt allesamt ziemlich unsanft auf dem Rücken landeten.
Felicia Marlow hatte es irgendwie geschafft, sich bis zum Schluss zu drücken. Snapes einladende Handbewegung machte ihr nun jedoch unmissverständlich klar, dass sie jetzt an der Reihe war.
„Miss Marlow – brauchen sie eine Extra-Einladung?", knurrte er.
Felicia war sichtlich nervös. Sie kaute heftig auf ihrer Unterlippe und ihre Augenlieder flatterten.
Sie nahmen Aufstellung und nachdem David Stevenson bis drei gezählt hatte, schossen aus Snapes Zauberstab blitzschnell die bereits allen bekannten Seile und fesselten Felicia, bevor sie auch nur den Ansatz einer Verteidigung gemacht hatte.
„Das kommt mir irgendwie bekannt vor, Miss Marlow", sagte Snape und zog die Augenbrauen hoch. „Ihr Faible für Mumien ist wirklich fatal."
Nachdem er sie wieder befreit hatte, nahmen sie zum zweiten mal Aufstellung. Felicia machte nun einen regelrecht panischen Eindruck.
„Eins...", begann David zu zählen.
Hermine, die schon wieder nicht richtig auf ihren Gegner aufgepasst hatte, weil sie zu sehr von der verzweifelten Felicia abgelenkt war, musste einem Lähmfluch ausweichen und sprang in diesem Moment zur Seite. Dabei knickte sie schmerzhaft mit dem Knöchel um und stieß unwillkürlich einen kleinen Schmerzensschrei aus.
Snapes Kopf schoss ruckartig herum zu ihr.
„STUPOR!", schrie Felicia in der selben Sekunde.
Ihr Fluch raste mit irrer Geschwindigkeit auf Snape zu und erwischt ihn frontal, bevor er auch nur den Blick wieder seiner Gegnerin zuwenden konnte. Er wurde mit voller Wucht von den Füßen gerissen und landete ein paar Meter weiter unsanft auf dem Boden, wo er regungslos liegen blieb.
Alle hielten vor Schreck die Luft an. Felicia schlug entsetzt die Hand vor den Mund.
Hermine lief zu Snape und ging neben ihm in die Knie.
Da er nicht sofort wieder zu Bewusstsein kam, als sie den Fluch aufhob, packte sie ihn an der Schulter und schüttelte ihn leicht. „Severus, hören sie mich?"
Sie legte Ihre Finger an seinen Hals um den Puls zu kontrollieren und erschrak fürchterlich, als er plötzlich ihre Hand packte und die Augen aufschlug.
„Hermine!", murmelte er. „Ich dachte schon Marlow will mir den Rest geben und mich erwürgen."
„Schön, dass sie wieder da sind, Severus", sagte Hermine erleichtert, „Felicia wird mit Sicherheit nicht versuchen, ihnen noch irgendetwas anzutun - sie ist selbst am meisten erschrocken, über das, was sie gerade mit ihnen angestellt hat."
„War das wirklich Marlow ganz alleine – da hat niemand mitgeholfen?", fragte Snape ungläubig, der immer noch ihre Hand festhielt.
Hermine nickte.
„Alle Achtung – das hätte ich der kleinen Kröte gar nicht zugetraut", sagte Snape anerkennend.
„Soll ich ihnen hoch helfen?", fragte Hermine.
„Nein danke – Professor Snape ist sicher auch in der Lage allein aufzustehen", sagte Snape müde grinsend.
„Dann sollten sie jetzt vielleicht meine Hand loslassen", flüsterte Hermine lächelnd.
„Ungern!", sagte er, ließ sie aber dann los und stand mit einer erstaunlich geschmeidigen Bewegung auf.
Felicia hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Sie war leichenblass im Gesicht und hielt ihren Zauberstab mit der rechten Hand so fest umklammert, dass die Knöchel weiß hervortraten. Die linke Hand hatte sie immer noch auf den Mund gepresst.
„...er wird mich umbringen... er wird mich umbringen... er wird mich umbringen...", wiederholte sie unablässig in einem unnatürlich schrillen Ton.
„MARLOW!", bellte Snape, der inzwischen mit Hermine wieder bei der Gruppe angelangt war. „VERDAMMT, KÖNNEN SIE NICHT BIS DREI ZÄHLEN? Sie werden das mit Cromwell bis zum nächsten mal üben - der beherrscht das nämlich perfekt!"
Er baute sich vor der verängstigten Schülerin auf und starrte sie finster an.
„Es..., es..., es tut mir so leid, Professor...", stammelte Felicia und ihre weit aufgerissenen Augen füllten sich mit Tränen.
„Abgesehen davon, dass sie zu früh losgelegt haben war ihr Stupor wirklich hervorragend", sagte Snape. „Ich bin beeindruckt, Miss Marlow. So viel Potential hätte ich ihnen nie und nimmer zugetraut."
Felicia hatte sichtlich Schwierigkeiten, die Tatsache zu verarbeiten, dass sie gerade von Snape gelobt worden war. Sie nahm die Hand vom Mund und sah ihn völlig irritiert an.
„Heißt das..., sie bringen mich nicht um...?", flüsterte sie schließlich ungläubig.
„Heute nicht, Miss Marlow - vielleicht ein anderes Mal", knurrte Snape.
Mittlerweile war die Dämmerung endgültig über die Ländereien von Hogwarts hereingebrochen.
„Der Unterricht ist hiermit beendet – beim nächsten mal werden sie gegeneinander antreten – das dürfte auch sehr unterhaltsam werden", sagte Snape.
„Hat irgendjemand von ihnen das Bedürfnis, die Krankenstation aufzusuchen?", fragte er in die Runde, aber niemand meldete sich.
„Was ist mit ihnen?", fragte er Hermine, die neben ihm stand. „Sie hatten sich doch verletzt, kurz bevor Miss Mumie mich umgenietet hat.
„Oh – das war halb so schlimm und ist schon wieder behoben", sagte Hermine, „aber nett, dass sie sich so um mich sorgen."
„Wer sagt denn, dass ich mir Sorgen mache", schnarrte Snape. „Ich will nur nicht, dass ihr Unterricht ausfällt und die kleinen Monster unnütz in der Gegend herumlungern."
„Oh – vielen Dank auch, Severus – charmant, wie immer!", seufzte Hermine.
Hermines Duelleinlage, und natürlich erst recht Snapes Unfall aufgrund Felicia Marlows Fluch-Frühstart, machten, genau wie am Vortag die Geschichte mit dem Hund im Kerker, in ganz Hogwarts die Runde. Aufgrund der Tatsache, dass bei den Vorfällen Schüler aus allen vier Häusern dabei gewesen waren, verbreiteten sich die Nachrichten äußerst schnell und drangen natürlich auch zu den anderen Lehrern durch.
McGonagall, Madame Pomfrey und Madame Hooch, stürzten sich gleich am nächsten Tag beim Frühstück auf Hermine und nötigten sie, allen drei Vorkommnissen ausführlichst zu erzählen, was diese schließlich tat, wenn auch widerwillig, schon um etwaige Ausschmückungen von Seiten der Schüler-Berichterstattung auszumerzen.
„Die kleine Marlow hat ihn wirklich weggeblasen?", fragte Hooch interessiert nach. „Wie weit, sagten sie, ist er geflogen?"
„Den Imperius-Fluch anzuwenden ist eine Sauerei!", sagte Pomfrey nachdrücklich.
„Hast du das wirklich gesagt, dass mit der feuchten Kleinigkeit?", fragte McGonagall mit anerkennendem Grinsen.
„Zieht ihn aber bloß nicht damit auf", bat Hermine, die diesmal froh war, dass Snape nicht zum Frühstück erschienen war, „sonst muss ich es wieder büßen."
„Ich werde es versuchen, Hermine", meinte McGonagall, „aber versprechen kann ich nichts – das ist einfach zu verlockend."
Auf den Fluren erntete Hermine von den Schülern eher anerkennende oder mitfühlende Blicke, während Felicia von allen Seiten, offen zu ihrer Glanzleistung gratuliert wurde – das hämische Grinsen, zu dem sich die meisten beim Anblick Snapes bemüßigt fühlten, fand jedoch aus Sicherheitsgründen ausschließlich hinter dessen Rücken statt.
Fortsetzung folgt...
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