Kapitel 13

Als Hermine am nächsten Tag verschlafen durch die Flügeltüren der großen Halle schlurfte, war sie erstaunt, Snape bereits am Tisch sitzen zu sehen.

Nach den Vorfällen von gestern Abend hatte sie fest damit gerechnet, dass er, wie es sonst seine Art war, die nächsten Tage nicht zu den Mahlzeiten erscheinen würde.

Außer Dumbledore befanden sich heute noch McGonagall und ungewöhnlicherweise auch Pomfrey, Hooch und Sprout an diesem Ende des Lehrertisches.

Sie hatten einen Platz, nämlich den gegenüber Snape freigelassen und die unvermeidliche Miss Peephole scheinbar von dort ferngehalten, denn selbige saß schmollend auf der anderen Seite, durch Madame Hooch von ihrem bevorzugten Tischnachbarn getrennt.

Es kam Hermine so vor, als würden alle auf sie warten, um mitzubekommen, wie sie und Snape heute miteinander umgingen, denn der gestrige Vorfall im Kerker und ihre Vorladung in Snapes Büro hatten sich mit Sicherheit wieder einmal in Windeseile im ganzen Schloss verbreitet.

Da Hermine durch die Aussicht auf das unverhofft frühe Wiedersehen mit Snape ohnehin nervös war, und überhaupt nicht darauf erpicht, diese Konfrontation auch noch vor großem Publikum meistern zu müssen, beschloss sie, den Saal unauffällig wieder zu verlassen. In diesem Moment wurde sie jedoch von Dumbledore entdeckt, der zwar in ihre Richtung sah, aber die anderen durch nichts darauf aufmerksam machte, dass er Hermine gesehen hatte. Erst als sie sich entschloss, doch lieber nicht davonzulaufen, und auf den Tisch zuging, nickte er ihr freundlich und anerkennend zu.

„Guten Morgen!", sagte Hermine. „Dieser Stuhl ist noch frei, ja? So ein Zufall!"

Zufrieden stellte sie fest, dass ihre Kolleginnen wenigstens den Anstand besaßen, ein bisschen schuldbewusst zu klingen als sie ihr ebenfalls einen guten Morgen wünschten.

Snape, der wie sie schon von weitem gesehen hatte, ziemlich genervt zu sein schien, sah sie kurz belustigt an, bevor er wieder seinen biestigen Gesichtsausdruck aufsetzte.

„Wie geht es dir heute, Hermine? Du siehst müde aus", sagte McGonagall beiläufig.

„Danke, gut!", sagte Hermine. „Ich habe nur ein bisschen schlecht geschlafen."

Die drei älteren Lehrerinnen und die Krankenschwester sahen sich vielsagend an - danach warfen sie Snape strafende Blicke zu, die er jedoch völlig ignorierte. Er hob nur kurz den Kopf um Hermine prüfend anzusehen, was bei dieser ein leichtes Kribbeln in der Magengegend hervorrief.

„Woran lag das - hat dir die gestrige Audienz bei unserem geschätzten Meister der Verteidigung so zugesetzt", fragte McGonagall weiter.

„Zugesetzt ist nicht das richtige Wort", sagte Hermine zögernd, nach dem sie einen Blick auf Snape geworfen hatte, auf dessen Gesicht jetzt eindeutig Gewitterstimmung aufzog, „aber es stimmt – wir hatten gestern ein sehr... aufschlussreiches Gespräch und ich habe noch lange darüber nachgedacht."

„Und du, Severus? Hast du auch nachgedacht?", fragte Dumbledore neugierig, als Hermine zum Bedauern ihrer Kolleginnen dieses Thema nicht weiter ausführte.

„Grmpf...", antwortete Snape und sah die Kaffeetasse, die er gerade in der Hand hielt so böse an, als hätte sie ihm diese ungebührliche Frage gestellt.

"Ich habe den armen Timothy vorhin gesehen", sagte Poppy Pomfrey spitz. „Es sah so aus, als würden ihm alle Knochen im Leib weh tun." Sie sah Snape auffordernd an.

„Ich werde ihn bitten, nachher auf die Krankenstation zu kommen" sagte sie etwas schriller als Snape nicht reagierte „man weiß ja nie.."

„Wenn sie irgendeine Medizin gegen Unverschämtheit da haben, geben sie ihm bitte einen großen Löffel davon", sagte Snape ohne sie anzusehen und widmete sich weiter seinem Frühstück.

„Was hast du mit Timothy angestellt", fragte Dumbledore nun direkt.

„Ich habe dafür gesorgt, dass er seine überschüssige Energie los wird", sagte Snape gelassen. „Der Boden in meinem Büro sieht nun wieder aus wie neu."

„Wenigstens können sie ihren Schülern keine so perversen Strafarbeiten mehr aufbrummen, wie Schnecken entschleimen, oder Lurchleber passieren, oder was immer es da auch an ekligen Tätigkeiten geben mag, seit sie den Arbeitsbereich gewechselt haben", sagte McGonagall angewidert.

„Ich bin sicher, Hermine würde mir ihre Schnecken ausleihen, wenn ich sie höflich genug darum bitte", sagte Snape ungerührt und ließ seine Augen für einen Moment auf ihr ruhen.

Nun sahen wieder alle Hermine abwartend an, die sich das Grinsen verkneifen musste, aber energisch weiter ihr Brötchen mit dem Messer bearbeitete und ihnen nicht den Gefallen tat, Snape zu widersprechen.

„Ich kann ihnen auch Schnecken besorgen, Professor Snape", meldete sich Peephole zu Wort.

„Danke, Miss Peephole, nicht nötig – das war nur eine rein hypothetische Überlegung", sagte Snape eilig.

„Hypo-was?", fragte Peephoole verständnislos.

„Ich brauche keine Schnecken!", sagte Snape genervt.

„Lurche vielleicht?", fragte Peephole, in der Hoffnung, doch noch etwas für ihn tun zu können.

„Nein - auch keine Lurche!", knurrte Snape.

„Weil wir gerade bei Tieren sind - hat Hermines süßer kleiner Hund eigentlich in letzter Zeit mal wieder etwas vor ihrer Wohnungstür hinterlassen, Severus", fragte McGonagall grinsend, die es heute extrem darauf anzulegen schien, ihren Kollegen auf die Palme zu bringen.

„Nein – und falls er einmal wieder auf die Idee kommen sollte eines seiner süßen kleinen Hinterbeine in meinem Kerker zu heben", sagte Snape bissig, „wird ihn schlagartig das zwingende Bedürfnis überkommen hoch zu rasen und exakt vor ihre Tür zu pinkeln, Minerva – dafür habe ich gesorgt."

„Was kann ich denn dafür...", begann McGonagall entrüstet.

„Ich glaube mich zu erinnern, dass du von uns allen am lautesten gelacht hast, als du von der Geschichte mit dem Hund erfahren hast, Minerva", sagte Dumbledore schmunzelnd.

„Verräter!", murmelte McGonagall, konnte sich jedoch das Lächeln nicht verkneifen, als sie ihren alten Freund ansah.

„Severus", sagte Madame Hooch, die es für eine gute Idee zu halten schien, ihren Kollegen noch etwas mehr aus der Reserve zu locken, „wie weit sind sie eigentlich ihrer Meinung nach neulich geflogen, als die kleine Marlow sie aus den Latschen gepustet hat – die Berichte gehen von ungefähr vier bis mindestens zwanzig Meter?"

„Leider habe ich vergessen, beim Vorbeifliegen mitzuzählen", sagte Snape und verdrehte die Augen. „Fragen sie Hermine, die stand daneben."

„Nicht nötig", sagte Hooch enttäuscht, „die vier Meter waren von ihr."

„Ach Hermine", sagte McGonagall, „was ich dich schon längst fragen wollte – was ist eigentlich aus der zusätzlichen Hausaufgabe deiner Abschlussklasse geworden? Du weißt schon – die, über unseren netten Kollegen hier", sie machte eine Kopfbewegung zu Snape.

„Oh – das würde mich auch sehr interessieren, was unsere lieben Schüler Positives an dir entdeckt haben", sagte Dumbledore vergnügt, „dich nicht auch Severus?"

„Brennend!", sagte Snape ätzend und warf Hermine einen warnenden Blick zu.

„Die Auswertung war wirklich spannend", sagte Hermine. „Ist es ihnen recht, wenn ich davon erzähle, Severus?"

„Nein!", sagte Snape mit Nachdruck.

„Jetzt zier dich nicht so!", sagte Dumbledore grinsend, was ihm einen giftigen Blick einbrachte.

„Wie kommt es eigentlich, dass sich das Ergebnis nicht herumgesprochen hat", fragte McGonagall verwundert, „sonst verbreiten sich doch die Neuigkeiten immer viel schneller."

„Ich habe die Schüler gebeten, nichts davon weiterzuerzählen", sagte Hermine, „um Professor Snapes Privatsphäre nicht zu verletzen. Dann habe ich ihnen noch einen kleinen Gedächtniszauber verpasst, damit sie, wenn sie doch versehentlich versuchen etwas auszuplaudern, sofort vergessen, was sie sagen wollten – nur zur Sicherheit", fügte sie lächelnd hinzu.

Snape sah sie erstaunt an.

„Nun kommen sie schon, Severus", sagte Madame Hooch ungeduldig", lassen sie Hermine doch erzählen – so schlimm wird´s schon nicht werden."

„Genau!", setzte McGonagall nach. „Sie haben doch ohnehin nicht viel zu verlieren – bei dem grottenschlechten Ruf den sie haben."

„Richtig!", fügte Madame Pomfrey hinzu. „Und sollte es doch so niederschmetternd sein, das es sie vom Stuhl haut, werde ich sie natürlich umgehend medizinisch versorgen."

„Ach bitte, Professor Snape!", sagte Madame Peephole schmollend und klimperte mit ihren Wimpern.

Snape schüttelte fassungslos den Kopf.

„Habe ich eigentlich schon erwähnt, meine Damen", sagte er schneidend, „wie gewaltig sie mir heute morgen auf die Nerven gehen?"

„Ach bitte, Severus!", sagte nun auch Dumbledore und sah ihn mit einem übertriebenen Hundeblick an.

„Und du auch, Albus!", sagte Snape gereizt.

„Unsere Kollegen werden mich wahrscheinlich demnächst kidnappen und mir Veritaserum verpassen, damit ich es ihnen verrate", sagte Hermine grinsend. „Wollen sie mir das wirklich zumuten, Severus?

„Na schön - dann spucken sie´s schon aus", keifte Snape, verschränkte trotzig die Arme und schickte einen bitterbösen Blick in die Runde.

„Also", begann Hermine vergnügt, und die vier anderen Frauen sowie Dumbledore beugten sich interessiert vor, „was am öftesten genannt wurde ist, das der Unterricht bei Professor Snape einen abhärtet. Einer der Schüler hat sogar behauptet, das ihm, seit er sie kennt, Severus, andere bösartige Mitmenschen gar nicht mehr so schlimm vorkommen.

„Tja – seine herzliche Art ist halt nicht so leicht zu übertreffen", meinte McGonagall naserümpfend in Richtung Snape, der daraufhin noch eine Spur finsterer vor sich hin stierte.

„Fast genauso oft wurde angeführt, dass Severus über immenses Wissen verfügt, beziehungsweise, dass er genau weiß, wovon er spricht, was in Verteidigung gegen die dunklen Künste in den vergangenen Jahren nicht immer so selbstverständlich war", fuhr Hermine fort.

Dumbledore seufzte und nickte zustimmend. Snape saß immer noch mit verschränkten Armen und genervtem Gesicht da und schwieg.

„Ein paar der Schüler fanden es positiv, dass man sich auf sie verlassen kann", sagte Hermine zu Snape, „genauer gesagt darauf, dass sie immer schlecht gelaunt und gereizt sind."

„Aber das stimmt doch gar nicht", sagte Peephole piepsig.

„Doch, das stimmt", knurrte Snape. „Sie sind nur die Einzige, die das noch nicht gemerkt hat."

„Severus!", sagte Dumbledore beschwichtigend und zwinkerte der beleidigt dreinschauenden Miss Peephole aufmunternd zu. Berichten sie doch bitte weiter, Hermine!"

„Zwei Schülerinnen haben den Umstand positiv gewertet, dass sie jedes Mal, wenn der Unterricht bei Professor Snape vorbei wäre, so ein unbeschreibliches Glücksgefühl hätten und ein anderer Schüler beschreibt dieses Phänomen mit den Worten: ich fühle mich dann jedes mal wie neu geboren – so als wäre ich gerade noch mal davongekommen. Und eine Schülerin hat berichtet, dass sie neuerdings ihr Gewicht mühelos halten kann, da sie schon am Vorabend vor Nervosität nichts mehr essen kann, wenn Verteidigung auf dem Stundenplan steht.

Die drei älteren Frauen, die schon während Hermines Ausführungen vergnügt vor sich hingegrinst hatten fingen nun an amüsiert zu kichern. Snape sah immer noch genauso angenervt wie vorher aus.

„Das war wirklich sehr interessant – kluge Kinder, diese Siebtklässler", gluckste Dumbledore. „Nun – was sagst du dazu, Severus?"

„Ich bin gerührt!", knurrte Snape und verzog angewidert das Gesicht.

„Ich muss dann los", sagte Madame Hooch und stand auf. „Schönen Tag ihnen allen!"

Während sie beschwingt zwischen den Schülertischen auf den Ausgang zu marschierte, dachte sie daran, dass sie Professor Sprout bei nächster Gelegenheit von dem eben Gehörten erzählen würde, doch als sie Sekunden später durch die Türe ging wusste sie plötzlich nicht mehr, was sie ihrer Kollegin erzählen wollte – sie konnte sich partout nicht erinnern, dass es irgendwelche Neuigkeiten gäbe.

McGonagall, Pomfrey und Peephole ging es genauso, als sie kurz darauf alle den Saal verließen und Dumbledore, der als einziger seinen Geist gegen diese kleine Manipulation verschließen konnte, grinste auf dem Weg in sein Büro vor sich hin während er darüber nachdachte, ob es Severus gewesen war, der da etwas gedreht hatte, oder Hermine.

Hermine verlangsamte ihre Schritte beim Verlassen der Halle ein wenig, um neben Snape gehen zu können, der etwas Abstand zu den anderen hielt.

„Und – war´s schlimm?", fragte sie leise.

Als Antwort erhielt sie nur ein gereiztes Schnauben.

„Ich bin stolz auf meine Schüler – ich finde, sie waren ziemlich kreativ", sagte Hermine trotzig.

„Sie haben sie für diesen Mist sicher auch noch gelobt", sagte Snape.

„Natürlich, ich musste sie schließlich ein bisschen aufbauen, bevor ich ihnen die nächste schlechte Nachricht servierte", sagte Hermine angriffslustig. „Die Ärmsten wussten nämlich noch gar nicht, dass sie uns auf unserem Ausflug nach Edinburgh begleiten werden, Severus, und das hat sie, trotz der ganzen positiven Seiten, die sie an ihnen entdeckt haben, ziemlich hart getroffen."

„Das freut mich zu hören", sagte Snape giftig.

„Übrigens hat, Frank, mein Studienkollege, mir eine Eule geschickt, ob es möglich wäre, dass wir schon morgen zu ihm ins Labor kommen, weil Samstags dort nicht so viel los ist, und er uns dann alles in Ruhe erklären kann", sagte Hermine beiläufig. „Ich hatte ganz vergessen, ihnen das zu sagen. Aber wenn sie schon etwas anderes vorhaben – kein Problem – ich schaffe das auch alleine."

„Netter Versuch", schnarrte Snape, aber so leicht werden sie mich nicht los. Um welche Uhrzeit soll es losgehen und wie gedenken sie nach Edinburgh zu gelangen?"

„Neun Uhr und ich dachte daran zu apparieren", meinte Hermine resigniert.

„Sie wollen apparieren – mit zwanzig Schülern?", fragte Snape ungläubig. „Wenn sie viel Glück haben, schafft es die Hälfte, an der vereinbarten Stelle anzukommen und sie können den restlichen Vormittag die Stadt durchkämmen um die anderen zu finden."

„Warum müssen sie immer alles so schwarz sehen", seufzte Hermine.

„Weil ich es schon ausprobiert habe, Madame Superschlau", sagte Snape gereizt.

„Tatsächlich? Oh – das wusste ich nicht", sagte Hermine betreten. „Was ist dabei passiert?"

„Von zehn Schülern, die ich zu betreuen hatte, sind vier an falschen Stellen appariert", erzählte Snape, „zwei davon habe ich relativ schnell gefunden, der dritte hing in einem Baum fest und der vierte, besser gesagt die vierte, saß heulend auf einem Hausdach. Sie können sich sicher vorstellen, dass so was bei den Muggeln mehr Aufmerksamkeit erregt, als uns lieb sein kann."

„Okay", sagte Hermine, „sie haben mich überzeugt. Ich werde Portschlüssel bereithalten – zwei müssten genügen. Ach und noch was – ich habe den Schülern versprochen, nach der Laborbesichtigung mit ihnen in eines meiner Lieblingscafés zu gehen. Sie können ja dann schon vorher zurückapparieren."

„Warum sollte ich das denn tun?", fragte Snape ungehalten.

„Es ist ein Muggel-Café", erklärte Hermine.

„Und?", sagte Snape barsch.

„Ähm – sie müssten, wenn sie da mit hingehen wollen, etwas... äh... weniger auffällige Kleidung tragen", sagte sie vorsichtig und warf einen Seitenblick auf seine schwarze Montur.

„Und wo ist das Problem dabei", sagte Snape ungeduldig und rollte mit den Augen.

„Ich dachte nur...", begann Hermine.

„Sie denken zuviel!", sagte Snape schneidend.

Sie waren an der Treppe angekommen und Snape wandte sich ab um hinaufzugehen.

„Sehen sie, Severus, jetzt sind sie doch wieder gemein zu mir", sagte Hermine leise hinter seinem Rücken. „Gestern Abend..."

Er drehte sich um. „Es ist jetzt absolut nicht der Richtige Zeitpunkt um über den gestrigen Abend zu sprechen", sagte er und sah sie eindringlich an.

„Sie sind heute wohl besonders mies gelaunt", sagte Hermine enttäuscht, über sein abweisendes Verhalten.

„Ich habe auch schlecht geschlafen!", sagte Snape und das erste Mal an diesem Morgen lächelte er sie an.