Bevor sie am nächsten Morgen die große Halle betrat, blieb Hermine kurz stehen, und atmete ein paar Mal tief durch, in der Hoffnung, damit ihren Herzschlag auf ein einigermaßen normales Tempo zu drosseln.
Sie hoffte inständig, das Severus, der vor einer halben Stunde über die Treppe zu ihrem Büro in den Kerker zurückgekehrt war, um sich umzuziehen, bereits am Frühstückstisch saß, damit sie die Konfrontation mit McGonagall & Co. nicht alleine durchstehen musste.
Gleich als sie die große Flügeltür vorsichtig öffnete, platzte ihre Hoffnung jedoch wie eine Seifenblase, beim Anblick seines leeren Platzes – was ihr Herz sofort wieder in Galopp fallen ließ.
Abgesehen von Severus schien sich allerdings das gesamte Kollegium, nebst Krankenschwester, Bibliothekarin, Hausmeister und Wildhüterin versammelt zu haben, um Hermines Auftritt mitzuerleben.
Der einzige Stuhl, der abgesehen von Snapes Stammplatz noch unbesetzt war, stand direkt neben diesem – es hatte sich in letzter Zeit immer selbstverständlicher ergeben, das Hermine dort saß – aber heute kam es ihr vor, als würde ein unsichtbares Schild mit der Aufschrift: „Anklagebank" darüber schweben.
Gerade als Hermine den Entschluss gefasst hatte, sich zurückzuziehen, um vor dem Eingang auf Severus Eintreffen zu warten, bemerkte sie, dass einige Schüler schon verwundert zu ihr herüberschauten.
Um noch nicht mehr Aufsehen zu erregen, lächelte sie den Schülern unverbindlich zu und betrat innerlich seufzend die große Halle.
Das einzig beruhigende war, dass die Schüler scheinbar noch keinen Wind von der Sache bekommen hatten, denn sie nahmen nicht mehr Notiz von ihr, als sonst auch – diejenigen, die auf sie aufmerksam wurden, nickten ihr freundlich zu, und nicht einer sah sie an, als ob er sie für geisteskrank hielte. Das kommt schon noch – wart's ab flüsterte eine boshafte kleine Stimme in Hermines Hinterkopf, die sie aber beschloss vorerst zu ignorieren, da sie sich nun dem Lehrertisch näherte - wo die echte Gefahr lauerte.
In diesem Kreis hatte die brisante Neuigkeit scheinbar, aufgrund ihrer Skandalträchtigkeit, schon komplett die Runde gemacht, denn als die erste Person am Tisch Hermine erblickte – es war William, der Hausmeister, der sie mit einem vorwurfsvollen Hundeblick anstarrte - ruckten schlagartig alle Köpfe in die Höhe, während gleichzeitig jegliches Tischgespräch erstarb.
Hermine schlich um den Tisch herum, den Blick krampfhaft nach unten gerichtet.
Und noch bevor sie sich setzten und Guten Morgen murmeln konnte war sie schon bis zu den Haarspitzen feuerrot angelaufen.
Aufgrund der Tatsache, dass sie sich weder zur Seite, noch nach vorne schauen traute, sondern nur verkrampft ihren Teller anstarrte, bemerkte sie den wenige Minuten nach ihr eingetroffenen Snape erst, als er sich neben ihr niederließ und seinen üblichen unverständlichen Morgengruß brummte.
Er hantierte zunächst wie gewohnt mit Kaffee und Frühstück, und ließ die anklagenden Blicke ringsum von sich abperlen, ohne sich im geringsten darum zu scheren.
Erst, nachdem er in aller Seelenruhe ein paar Schlucke Kaffee getrunken hatte, warf er einen verwunderten Blick auf seine schweigenden Tischnachbarn.
„Ist jemand gestorben?", fragte er besorgt.
Dumbledore kicherte.
„Nachdem sie schon so früh am Morgen Sinn für Humor zeigen, nehme ich an, sie haben gut geschlafen, Severus?", sagte McGonagall süßlich, aber mit einem so schneidenden Unterton, dass Hermine allein beim Gedanken, an die mögliche Reaktion auf diesen Affront, der Schweiß ausbrach.
„Kurz, aber gut – danke der Nachfrage, Minerva!", sagte Snape glatt und erwiderte ungerührt McGonagalls bohrenden Blick.
Er brachte es zudem noch fertig, dabei fragend die Augenbrauen in die Höhe zu ziehen, als sie nicht aufhörte, ihn zornig anzustarren.
Als McGonagall sich schließlich mit einem entrüsteten Schnauben wieder ihrem Frühstück widmete, warf Snape einen funkelnden Blick in die Runde.
„Sonst noch jemand Fragen?", sagte er genau in dem gefährlich sanften Ton, der gewöhnlich ganze Schulklassen augenblicklich zum Verstummen brachte.
In diesem Fall brachte er die Angesprochenen immerhin dazu, ihr Augenmerk schnellstens auf andere Dinge zu lenken.
„Severus", sagte Dumbledore, „sei doch bitte so gut, und schenk Hermine einen Kaffee ein – ich glaube, den könnte sie jetzt brauchen."
Mit einem erstaunten Seitenblick auf die unberührte Tasse kam Snape der Bitte nach.
„Dir muss ja wirklich etwas ganz schreckliches zugestoßen sein", sagte er mit ironischem Grinsen zu Hermine, „dass dir unser Chef eine Dosis hochgiftigen Koffeins zugesteht."
„Das trifft's ziemlich genau, würde ich mal sagen", giftete McGonagall ihn an.
Der ganze Tisch hielt gespannt den Atem an.
Gerade als Snape zu einer, seinem Gesichtsausdruck nach, ziemlich gehässigen Entgegnung ansetzte, hob Hermine den Kopf und straffte die Schultern.
„Hör bitte auf damit, Minerva!", sagte sie mit leicht zitternder Stimme.
Snape verschränkte die Arme, lehnte sich zurück und beobachtete Hermine mit gespanntem Gesichtsausdruck.
„Das einzig schreckliche, das mir zugestoßen ist", fuhr diese fort," „ist, dass ich angestarrt werde, als hätte ich etwas verbrochen. Abgesehen davon, geht es mir hervorragend", fügte sie trotzig hinzu.
„Wie du meinst", sagte McGonagall spitz, doch ihr Blick zeigte deutlich, dass sie Hermines Meinung absolut nicht teilte.
„So!", sagte Dumbledore, und rieb sich zufrieden die langen, knochigen Finger, „Nachdem der Unterricht gleich beginnt, würde ich vorschlagen, wir kümmern uns alle wieder um unsere eigenen Angelegenheiten, und lassen unsere beiden Turteltäubchen hübsch in Ruhe."
(Bei dem Wort Turteltäubchen kassierte er einen von Snapes Todesblicken, den er lächelnd entgegennahm.)
Nach und nach erhoben sich die Lehrer, um ihre Unterrichtsräume aufzusuchen.
„Hermine, Severus – auf ein Wort", hielt Dumbledore sie zurück, als sie ebenfalls den Tisch verlassen wollten.
„Ich möchte euch beide bitten, heute Nachmittag in meinem Büro vorbeizuschauen", sagte Dumbledore, „zur Teestunde, wenn's euch recht ist."
Snape verdrehte genervt die Augen.
„Du wirst doch wohl keine Moralpredigt ablassen wollen, Albus?", sagte er angewidert.
„Lass dich einfach überraschen, Severus", meinte Dumbledore lächelnd. „Ich wüsche euch einen schönen Tag. Und - Kopf hoch Hermine!", fügte er freundlich zwinkernd hinzu.
„Und – wie fühlst du dich auf dem Präsentierteller?", fragte Snape Hermine, als sie nebeneinander den Saal verließen.
„Fürchterlich!", sagte Hermine schwach. „Was glaubst du – wie lange wird es dauern, bis die Schüler davon Wind bekommen?"
„Bis heute Abend dürfte es sich herumgesprochen haben", sagte Snape sarkastisch, „dass die reizende Professor Granger an erheblicher Geschmacksverirrung leidet."
Es dauerte nur bis Mittag...
Beim Essen wurde an den Schülertischen noch heftiger als sonst getuschelt, und nachdem wenigstens die Lehrer sich etwas gemäßigter benahmen, wurden Hermine und Snape nun von den Schülern hemmungslos angestarrt.
Der Nachmittag wurde zu einem wahren Spießrutenlauf – zumindest für Hermine.
Snape bügelte jeden gnadenlos nieder, der es wagte, ihn länger als den Bruchteil einer Sekunde anzusehen, aber auch er konnte nicht verhindern, dass die Schüler die Köpfe zusammensteckten, sowie er ihnen den Rücken kehrte.
Als sie sich schließlich zur Teezeit vor der Treppe zu Dumbledores Büro trafen, war Snape ungefähr so gereizt, wie eine wütende Klapperschlange.
Hermine dagegen wirkte völlig ausgelaugt und niedergeschlagen.
„Sag bloß, du bist nicht glücklich, dass jetzt jeder im Schloss von deiner unpassenden Liaison weiß", fragte Snape bissig, als sie mit hängenden Schultern vor ihm stand.
„Das einzig unpassende, war die Methode, es den anderen mitzuteilen", sagte Hermine müde, „und die habe, wie du weißt, nicht ich ausgesucht."
„Mach dir doch nichts vor, Hermine", knurrte Snape, „ob du es nun nur einer Person erzählt, oder es in der Halle verkündet hättest, ob du es in schriftlicher Form verteilt, oder vorgesungen hättest – die Reaktion wäre immer die gleiche gewesen."
„Severus – der Tag war sehr anstrengend", seufzte Hermine, „bitte hör auf mit mir zu streiten – ich brauche jetzt nicht noch zusätzlichen Stress."
„Na da kommt doch eine gemütliche Teestunde bei Albus gerade recht", sagte Snape süffisant.
„Kannst du mir versprechen, dich da drin einigermaßen zu beherrschen", bat Hermine.
„Nein!", sagte Snape barsch.
„Toll!", sagte Hermine und verdrehte die Augen. „Wie war noch mal das derzeitige Passwort?"
„Kirschwasserquarkkrapfen!", sagte Snape angewidert.
Der steinerne Wasserspeier setzte sich in Bewegung, und gab die dahinterliegende Treppe frei.
Dumbledore begrüßte sie strahlend, als sie sein Büro betraten.
Nachdem sie platzgenommen hatten, begann eine kleine, bauchige Teekanne selbstständig ihren Inhalt in die bereits vorbereiteten Tassen zu gießen. (Snape stellte seltsam erleichtert fest, dass wenigstens diesmal keine Hoppelhäschen auf den Teetassen zu sehen waren.)
Nachdem der Schulleiter ihnen wie üblich nacheinander Zucker, Milch, Kekse, Schokolade und Bonbons angeboten hatte – was von Hermine dankend und von Snape verbissen abgelehnt wurde – schaute Dumbledore eine Weile stumm und prüfend zwischen ihnen hin und her.
„Euch dürfte ziemlich klar sein, warum ich euch hergebeten habe", sagte er schließlich in sanftem Ton, nachdem Snape schon angefangen hatte ungeduldig mit den Fingerspitzen auf die Armlehne seines Sessels zu trommeln.
„Ja – aber ich befürchte, du wirst es uns trotzdem sagen", knurrte Snape.
„Reg dich ab und trink einen Schluck Tee, Severus", sagte Dumbledore gelassen, was von Snape nur mit einem abfälligen Schnauben gewürdigt wurde.
„Sind sie auch so wütend, dass ich sie herbestellt habe, Hermine", fragte Dumbledore.
„Nein, eigentlich nicht – ich bin nur sehr erledigt", sagte Hermine entschuldigend.
„War's ein sehr schlimmer Tag?", sagte Dumbledore mitfühlend.
„Schrecklich!", sagte Hermine. „Die eine Hälfte der Schüler hat mich nur neugierig angestarrt, ein anderer Teil – entschuldige, Severus - als wäre ich nicht ganz richtig im Kopf. Aber ein paar von den Schülern haben sich ziemlich abfällig geäußert, zwar nicht direkt mir gegenüber, aber absichtlich so, dass ich es hören konnte – das war sehr verletzend."
Sie senkte deprimiert den Kopf.
„Ich weiß ehrlich gesagt nicht genau, wie ich das die nächsten Tage durchstehen soll", seufzte sie.
Dumbledore nickte verständnisvoll.
„War es bei dir auch so extrem", erkundigte er sich bei Snape.
„Sonst noch was", knurrte Snape, „ich hätte ihnen die Stimmbänder weggeflucht – verlass dich drauf. Ich werde den Bälgern deutlich klar machen, wie sie sich dir gegenüber zu benehmen haben – späterstens Ende der Woche hast du deinen Frieden", fügte er an Hermine gewandt hinzu.
„Nein – das möchte ich nicht", sagte Hermine sofort, „du wirst sie in Ruhe lassen."
„Dann setz dich gefälligst durch", fauchte Snape.
„Das werde ich auch tun", sagte Hermine scharf, „aber auf meine Weise."
„Ach und wie sieht dein Plan aus?", fragte Snape abfällig. „Wirst du dich so lange quälen lassen, bis es diesen kleinen Arschlöchern keinen Spaß mehr macht?"
„Severus – bitte mäßige dich!", sagte Dumbledore missbilligend.
„Wie wäre es, Albus, wenn du jetzt endlich sagst, was du zu sagen hast", giftete Snape zurück.
„Schön!", sagte Dumbledore, mit einem nicht mehr ganz so väterlichen Gesichtsausdruck, „Minerva hat mir erzählt, was gestern Abend, an Hermines Türe los war – und was für Schlüsse sie daraus, bezüglich der Vorgänge im Inneren der Wohnung, gezogen hat."
„Na – wer hätte das gedacht!", sagte Snape sarkastisch.
„Ich kann euch allerdings versichern, dass sie für die weitere Verbreitung nicht verantwortlich ist", sagte Dumbledore.
„Dann haben es eben die anderen beiden Schnepfen herumgetratscht", sagte Snape, „was macht das für einen Unterschied?"
„Ich muss dich noch einmal bitten, dich zu mäßigen, Severus!", sagte Dumbledore pikiert. „Der Unterschied liegt in der Motivation – Minerva hat nicht aus Sensationsgier mit mir gesprochen, sondern weil sie sich Sorgen um Hermine macht – und unter diesem Aspekt solltet ihr auch ihr etwas unpassendes Verhalten heute morgen betrachten."
„Wie edelmütig von ihr", schnaubte Snape.
„Was genau macht ihr den solche Sorgen?", fragte Hermine.
„Sie hat sie immer besonders gern gemocht, Hermine, und obwohl sie praktisch vor ihrer Nase erwachsen geworden sind, sieht sie immer noch das kleine Mädchen in ihnen", erklärte Dumbledore. „Erschwerend kommt hinzu, dass sie Severus für einen gefährlichen Irren hält, und sie das Gefühl hat, sie vor ihm beschützen zu müssen."
„Ich werde mit ihr reden", sagte Hermine.
„Oh ja – ich auch", knurrte Snape.
„Bitte nicht – du wirst alles noch schlimmer machen", sagte Hermine genervt.
„Meinst du im Ernst, ich lasse mir von dir vorschreiben, mit wem ich sprechen darf?", fauchte Snape. „Das betrifft schließlich mich genauso wie dich."
„Severus...", sagte Dumbledore streng.
„Nein – ich werde mich nicht mäßigen!", herrschte Snape ihn an. „Es geht Minerva einen Dreck an, was Hermine tut – weil Hermine alt genug ist, selbst Entscheidungen zu treffen, und es geht Minerva einen ganz gewaltigen Dreck an was ich tue, weil ich erst recht alt genug bin. Und wenn sie es noch ein einziges Mal wagen sollte, mich vor versammelter Mannschaft so saublöd anzureden, werde ich dafür sorgen, dass sie es bitter bereut!"
Hermine starrte ihn entsetzt an. Noch nie hatte sie jemanden so mit dem Schulleiter reden hören.
Dumbledore blickte mit kalt funkelnden Augen über den Rand seiner Brille hinweg auf seinen wutentbrannten Freund, der trotzig zurückstarrte.
„Je länger ich dir zuhöre, desto mehr tendiere ich dazu, Minerva zuzustimmen", sagte Dumbledore kalt.
„Dann ist es vielleicht besser, wenn ich jetzt gehe", entgegnete Snape ebenso eisig.
„Ich werde dich wissen lassen, wenn ich fertig bin", sagte Dumbledore scharf.
Snape funkelte ihn wütend an, zog es aber zu Hermines großer Erleichterung vor, zu schweigen.
„Ich wollte euch noch sagen, dass ich absolut keine Vorbehalte gegen eine Verbindung zwischen euch beiden habe", sagte Dumbledore in etwas versöhnlicherem Ton. „Ich freue mich wirklich für euch, und ich bin sicher, ihr könnt viel voneinander lernen."
„Danke!", sagte Hermine und bemühte sich, ein Lächeln zustande zu bringen.
„Ich werde noch mal versuchen, Minerva zu beruhigen, und ich denke sie sollten das auch tun, Hermine", sagte Dumbledore. „Im übrigen solltet ihr das Verhalten eurer Kollegen so gut wie möglich ignorieren – in ein paar Tagen hat sich das sicher auch erledigt. Wie ihr das mit den Schülern regelt, überlasse ich eurem Fingerspitzengefühl."
Er sah Snape einen Augenblick zweifelnd an.
„Was ich auf keinen Fall tolerieren werde, sind Tobsuchtsanfälle, die über dein übliches Maß hinausgehen, Severus", fügte er streng hinzu, „und - es könnte nicht schaden, wenn du dich bemühst, in Zukunft ein bisschen diskreter zu sein."
„Das war auch nie anders geplant", sagte Hermine entschuldigend, „aber Minerva und die anderen beiden, waren so hartnäckig – da blieb uns fast keine andere Wahl."
„Es spricht für sie, Hermine, dass sie Severus in Schutz nehmen", sagte Dumbledore lächelnd.
Snape sah aus, als würde er gleich über den Tisch springen.
„Wenn diese drei neugierigen Weiber ihre Nasen nicht so unanständig weit in anderer Leute Angelegenheiten stecken würden", sagte er heiser vor unterdrücktem Zorn, „wäre die Gefahr auch nicht so groß, dass sie etwas zu sehen bekommen, das ihr Gefühl für Anstand verletzt – so fern sie so etwas überhaupt besitzen."
„Severus – du solltest dich jetzt wirklich langsam beruhigen, und deinen Tee trinken", seufzte Dumbledore.
„Nein danke!", sagte Snape angewidert. (Steck dir doch deinen Tee...)
„Danke, dass ihr gekommen seid", sagte Dumbledore und nickte ihnen abschließend zu.
Als hätte er nur auf dieses Startsignal gewartet, sprang Snape auf und stürmte aus dem Raum.
Dumbledore sah ihn kopfschüttelnd nach.
Als er Hermines deprimierten Blick bemerkte, tätschelte er beruhigend ihren Arm.
„Das wird schon wieder", sagte er sanft, „sie dürfen nur nicht gleich die Flinte ins Korn werfen."
Hermine sah in dankbar, wenn auch leicht zweifelnd an, und machte sich ebenfalls auf den Weg nach unten.
Zu ihrem größten Erstaunen, stand Severus am Fuß der Treppe und wartete auf sie.
Zu Snapes größtem Erstaunen, ging sie jedoch, mit erhobener Nase schnurstracks an ihm vorbei, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen.
Nachdem die erste Überraschung abgeklungen war, und sich übergangslos in Zorn verwandelte, folgte er ihr, mit einigen Metern Abstand.
Als er sie kurz darauf aus den Augen verlor, weil sie eine Abzweigung genommen hatte, vernahm er aus der Richtung, in die sie abgebogen war spöttisches Gelächter, und verlangsamte seine Schritte.
„Die hat's aber eilig, die Granger!", hörte er eine höhnische Stimme, die er sofort als die, eines Sechstklässlers aus Slytherin erkannte.
„Muss wahrscheinlich schnell in den Kerker – das Bett vorwärmen", antwortete ein zweiter prustend.
Als Snape um die Ecke rauschte, und sie an den Krägen packte stieß einer der Jungen einen entsetzten Schrei aus.
Hermine, die schon ein Stück den Flur hinuntergegangen war, drehte sich um - stirnrunzelnd das Szenario betrachtend - gab sich schließlich einen Ruck und kam mit widerwilligem Gesichtsausdruck auf die drei zu.
„Der Spruch war zwar nicht besonders originell", sagte sie gelangweilt, „aber das ist an sich noch kein Grund, die beiden zu misshandeln, Severus."
„Sie begeben sich unverzüglich zu meinem Büro, und warten dort auf mich", sagte Snape in seinem berüchtigten, leisen, aber äußerst bedrohlichen Ton zu den beiden Slytherins, und ließ gleichzeitig die Krägen los, so dass die Burschen im ersten Moment zusammenzuklappen drohten, wie nasse Säcke, bevor sie eingeschüchtert und mit hängenden Schultern davon trotteten.
„Was hast du vor", fragte Hermine sarkastisch, als sie außer Hörweite waren, „Daumenschrauben, Streckbank, oder nur die Peitsche?"
„Alles auf einmal, wenn es sein muss", sagte Snape finster.
„Was soll denn das?", seufzte Hermine frustriert.
„Ich werde nicht dulden, dass Schüler aus meinem Haus sich respektlos dir gegenüber verhalten", sagte Snape finster.
„Mein Held!", sagte Hermine, mit ironietriefender Stimme.
Snape sah sie bissig an.
„Wo gehst du eigentlich hin?", wollte er dann wissen. „Das ist nicht der richtige Weg – vorausgesetzt natürlich, du willst tatsächlich mein Bett wärmen."
„Ich war mir absolut nicht sicher, ob ich dort momentan willkommen bin", sagte Hermine mit der Andeutung eines Lächelns, „aber falls das eine Einladung gewesen sein sollte, komme ich später gerne darauf zurück."
„Mach das!", sagte Snape knapp, „Du hast meine Frage nicht beantwortet!"
„Ich gehe zu Minerva", sagte Hermine, „und, nein – du gehst nicht mit!", fügte sie energisch hinzu.
„Na dann – viel Spaß!", sagte Snape barsch und ließ sie stehen, nicht ohne ihr vorher einen bösen, beleidigten Blick zu schenken.
Zwei Stunden später klopfte Hermine an Snapes Tür.
„Mir war so, als hättest du mich eingeladen", sagte sie lächelnd, als er öffnete.
„Möglich", sagte Snape abschätzend, „aber weißt du – Helden faseln manchmal vor sich hin, und erinnern sich dann nicht mehr, was sie eigentlich gesagt haben."
„Jetzt tu nicht so beleidigt und lass mich rein", sagte Hermine schmunzelnd.
„Dir geht's ja schon wieder blendend", sagte Snape und zog die Augenbrauen hoch, „ich nehme an du warst... erfolgreich... bei Minerva?"
Er öffnete die Türe ein Stück weiter und trat zurück, um sie vorbeizulassen.
„Ja – ich war durchaus erfolgreich", sagte Hermine zufrieden. „Willst du eigentlich rauf gehen zum Essen?"
„Nein, ich bleibe hier – außer, du bestehst darauf, dass ich dich begleite", sagte Snape.
„Ich würde eigentlich auch gerne hier bleiben, wenn es dir recht ist", sagte Hermine, „oder meinst du, das wäre nicht gut, wenn wir beide fehlen?"
„Das ist jetzt auch schon egal", meinte Snape lakonisch.
„Könntest du mich jetzt endlich mal in den Arm nehmen?", sagte Hermine seufzend.
„Wenn's unbedingt sein muss", sagte Snape, steckte grinsend den kleinen Hieb gegen die Rippen ein, und zog sie in seine Arme.
„So – und was hast du Gryffindors böser Oberhexe nun denn erzählt?", frage er, nachdem er sie eine Weile einfach nur festgehalten hatte.
„Erzähl du mir zuerst, was du mit den beiden Schülern angestellt hast", verlangte Hermine.
„Nun – ich habe ihnen deutlich klar gemacht, dass sie schwerwiegende Konsequenzen zu erwarten haben, wenn sie es wagen sollten, sich dir gegenüber je wieder respektlos zu verhalten", sagte Snape, „so wie Helden eben ihre Angebetete zu verteidigen pflegen. Außerdem habe ich sie höflich gebeten, sich einmal auszumalen, wie dumm es für sie ausgehen könnte, sich in mein Privatleben einzumischen."
„Du hast ihnen also gedroht, und sie eingeschüchtert", sagte Hermine vorwurfsvoll, „warum hast du nicht versucht, ihnen das Ganze zu erklären, und an ihr Verständnis appelliert?"
Snape sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren.
„Das sind Schüler!", sagte er, als würde sich allein aufgrund dieser Tatsache jede weitere Erklärung erübrigen.
„Ich war dann übrigens noch im Gemeinschaftsraum von Slytherin, um meinen Hauslehrerpflichten nachzukommen", fuhr er fort.
„Und was hast du dort zu besten gegeben", fragte Hermine, verschränkte die Arme und sah ihn strafend an.
„Ich habe den anwesenden Schülern – und sie waren ziemlich komplett, wenn mich nicht alles täuscht – sehr einfühlsam erörtert, was für ein übles Schicksal sie erwartet, sollten sie sich weiter das Maul zerreißen", sagte Snape, „über gewisse Umstände, die sich in jüngster Zeit gerüchteweise verbreitet haben."
„Ich hatte dich gebeten, das nicht zu tun!", sagte Hermine streng.
„Ich trage schließlich die Verantwortung für mein Haus – also ist das meine Entscheidung", sagte Snape stur, „und ich schätze es reicht auch, wenn du dich von den Hufflepuff-Knallköpfen, den Ravenclaw-Banausen, und natürlich von deinen Herzchen aus Gryffindor dumm anmachen lässt."
„Du bist unmöglich", sagte Hermine gereizt.
„Jep – bist du selbst drauf gekommen, oder hat dich Mrs. McOberwichtig davon überzeugt?", fragte Snape bissig.
„Rede nicht so von Minerva – sie ist ganz in Ordnung", sagte Hermine scharf. „Sie hat sich nur Sorgen um mich gemacht – wie Albus gesagt hat."
„Aber natürlich", sagte Snape und hob übertrieben beschwichtigend die Hände, „und was hat die edelmütige, selbstlose, überaus besorgte Dame dir nun erzählt?"
„Im Großen und Ganzen ging's darum, dass sie dich für schwierig..., na ja..., um genau zu sein..., eher für gefährlich hält – in mehr als einer Beziehung – und mich für zu jung, und zu naiv, um damit fertig zu werden", sagte Hermine vorsichtig.
„Das deckt sich in groben Zügen mit meiner eigenen Meinung, wie du weißt", sagte Snape boshaft, was ihm einen äußerst vorwurfsvollen Blick von Hermine bescherte.
„Ich habe ihr gesagt, ...warum du so wichtig für mich bist", sagte sie leise, „und ... was ich in dir sehe. Ich glaube sie hat mich, zumindest ansatzweise, verstanden – obwohl sie unserer Beziehung natürlich immer noch kritisch gegenübersteht."
„Dann hat die alte Zimtzicke also einen tiefen Blick in meine, von dir freigelegte Seele geworfen – was bin ich glücklich", sagte Snape gehässig.
„Sie hat auch gesagt, dass du ein eiskalter Zyniker bist", fauchte Hermine.
„Da wärst du selber wahrscheinlich nie im Leben drauf gekommen", sagte Snape beeindruckt.
„Kannst du dich wirklich gar nicht darüber freuen, dass Minerva jetzt ein wenig mehr Verständnis für uns zeigt", fragte Hermine vorsichtig und sah in mit großen Augen an.
„Wenn es dir etwas bedeutet, freut mich das natürlich", seufzte Snape.
„Sie will unbedingt mit dir reden", sagte Hermine gequält, „ich konnte sie durch nichts davon abbringen."
„Das kann sie gerne versuchen", sagte Snape angriffslustig, „kommt mir gerade recht."
„Ich halte das für gar keine gute Idee!", sagte Hermine verzweifelt.
„Wo du ihr doch so viel über mein wahres Wesen erzählt hast", sagte Snape zynisch, „da kann doch eigentlich gar nichts mehr schief gehen."
„Bitte versprich mir, dass du dich zurückhältst, wenn ihr miteinander sprecht", bettelte Hermine.
„Nein!", sagte Snape und verdrehte gelangweilt die Augen.
Hermine warf ihm einen kurzen verzweifelten Blick zu, um sich gleich darauf frustriert abzuwenden.
„Ich werd's versuchen – okay?", sagte Snape resignierend und hielt sie zurück.
Aufatmend ließ Hermine ihren Kopf auf seine Schulter sinken.
„Danke!", murmelte sie erleichtert.
„Das heute morgen hat dich ganz schön fertig gemacht, hm?", sagte Snape, während er seine Hände zärtlich in ihren Haaren vergrub.
„Als mich alle so vorwurfsvoll angestarrt haben, das war so erniedrigend", sagte Hermine mit bebender Stimme, „ich habe mich so hilflos und ausgeliefert gefühlt."
„Du hast dich tapfer gehalten", sagte Snape und streichelte beruhigend über ihren Rücken.
„Meinst du Dumbledore hat Recht, und sie werden sich daran gewöhnen?", fragte Hermine zweifelnd.
„Das kommt darauf an, wie viel Angriffsfläche du ihnen bietest", sagte Snape.
„Warum sind die Menschen so?", sagte Hermine und schluchzte leise.
„Ach Hermine!", sagte Snape mitleidig, und nahm sie fester in den Arm, während sie den Tränen, die sie den ganzen Tag zurückgehalten hatte endlich freien Lauf ließ.
„Na – bereust du es nun endlich?", fragte er ironisch, als sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte.
„Niemals!", sagte Hermine trotzig und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
„Dann wird es jetzt Zeit, dass du dich endlich um die Temperatur meines Bettes kümmerst", sagte Snape lächelnd, „sonst beschwere ich mich morgen bei Minerva über deine Nachlässigkeit."
Am nächsten Morgen gingen Snape und Hermine gemeinsam hinauf, um zu frühstücken.
Ein paar Mädchen, die auf dem Flur nicht schnell genug Platz gemacht hatten, kassierten von Snape einen Punkteabzug wegen Lahmarschigkeit, zumal sie auch noch den Sekundenbruchteil an neugierigem Anstarren, den er gerade noch tolerierte, überschritten hatten. Ansonsten verlief der Weg zur Halle relativ ereignislos.
Auch als sie zwischen den Haustischen hindurchgingen, wagten es die wenigsten Schüler offen herüberzusehen, denn Snape ließ einen scharfen Blick über ihre Köpfe schweifen, während in sein Gesicht eine überdeutliche Warnung geschrieben stand.
Am Lehrertisch bemühten sich fast alle, sich weitgehend normal gegenüber den beiden Neuankömmlingen zu benehmen.
Sogar McGonagall brachte es fertig Snape zuzunicken, wenn auch mit einen ziemlich verbissenen Gesichtsausdruck.
Lediglich William war unvorsichtig genug, sie offen anzustarren, und natürlich Pamela, die versuchte mit einem, selbst für ihre Verhältnisse tiefen Ausschnitt, und einem dümmlich schmollenden Gesichtsausdruck, Snapes Aufmerksamkeit zu erregen.
Der Hausmeister verließ den Tisch kurz darauf ziemlich hektisch, nachdem sich aus unerklärlichen Gründen der (dem schmerzverzerrten Gesichtsausdruck nach, noch sehr heiße) Inhalt seiner Tasse auf seine Hose ergossen hatte.
Snape würdigte die Szene keines Blickes, doch Hermine meinte, eine leichte Bewegung unter dem Tisch wahrgenommen zu haben, und sie hätte schwören können, einen Hauch von Zufriedenheit über seine Züge huschen zu sehen.
Sie selbst machte eine Weile später Pamela freundlich darauf aufmerksam, dass sie in der frühmorgendlichen Eile wohl vergessen hätte, ihre Bluse fertig zuzuknöpfen – was nicht nur Snape ein amüsiertes Grinsen entlockte.
Das mürrische, beleidigte Gesicht der Wildhüterin, als sie daraufhin zwei weitere Knöpfe schloss, hob Hermines Stimmung merklich.
Der Vormittag verlief weitgehend ruhig.
Eine Gruppe Fünftklässler, die meinten, in Hermines Unterricht unbedingt noch ein paar dumme Sprüche loswerden zu müssen, stellte sie zur Rede, mit dem Ergebnis, dass sie sich schließlich kleinlaut bei ihr entschuldigten.
In Verteidigung gegen die dunklen Künste hörten die Schüler heute sogar auf, flüsternd die Köpfe hinter Snapes Rücken zusammenzustecken – was daran liegen mochte, dass er gedroht hatte, selbige zusammenwachsen zu lassen, wenn er jemanden dabei erwischen würde.
Als Hermine und Snape nach dem Mittagessen, das ebenfalls relativ entspannt verlaufen war, zusammen die Halle verließen, war Hermine recht zuversichtlich gestimmt, dass sich nun doch alles zum Guten wenden würde.
„Sehen wir uns nach dem Unterricht?", fragte sie Snape, der ihren Optimismus scheinbar nicht teilte, und daher immer noch ziemlich mürrisch drein sah – was aber nicht weiter auffiel, da dies seinem regulären Gesichtsausdruck ohnehin sehr nahe kam.
„Geht nicht – ich bekomme Damenbesuch in meinem Büro", sagte Snape.
„Wer kommt denn? Du gibst doch nicht etwa Peephole Nachhilfe im Zuknöpfen?", fragte Hermine grinsend mit Blick auf seine durchgeknöpfte Vorderfront.
„Sie werden immer unverschämter Miss Granger – ich denke, dagegen werde ich demnächst etwas unternehmen müssen", raunte Snape ihr ins Ohr.
„Welche Dame kommt denn nun?", fragte Hermine neugierig.
„Ihre Majestät, Minerva die erste – Königin der Besserwisserinnen", sagte Snape und verdrehte die Augen. „Sie hat mich heute Vormittag angesprochen, und dabei versucht, mich in ihr Büro zu befehligen."
„Und wieso kommt sie dann nachher zu dir?", fragte Hermine mit misstrauischem Gesichtsausdruck.
„Weil ich ihr geantwortet habe", sagte Snape leichthin, „dass sie - wenn sie schon die Unverschämtheit besitzt, sich ungebeten in mein Privatleben einzumischen – wenigsten soviel Manieren an den Tag legen sollte, das in meinem Büro zu tun."
„Severus – du wirst doch wirklich versuchen dich zu beherrschen", sagte Hermine flehend, „du hast es mir versprochen."
„Ich werde es versuchen", bestätigte Snape, „nicht mehr – und nicht weniger!"
Nachdem sie ihren Nachmittagsunterricht hinter sich gebracht hatte, beschloss Hermine das schöne Wetter zu nutzen, und mit ihrem Hund einen Spaziergang auf den Ländereien zu unternehmen.
Während sie zwischen den Bäumen hindurch schlenderte, deren buntes Blätterkleid im Sonnenlicht strahlte, ließ sie noch einmal die eben zu Ende gegangenen Unterrichtsstunden Revue passieren.
Durch ihr selbstbewusstes Auftreten hatte sie auch den letzten Aufmüpfigen unter den Schülern den Wind aus den Segeln genommen, und die Gewissheit, dass sie auch in Zukunft sicher keine Probleme haben würde, ihre Beziehung mit Severus nach außen hin zu vertreten, versetzte sie in geradezu euphorische Stimmung.
Aus dieser Laune heraus beschloss sie, von ihrem kleinen Ausflug zurückkehrend, bei Snapes Büro vorbeizuschauen, in der Hoffnung, dass die Unterredung zwischen ihm und Minerva schon beendet war.
Kurz darauf stand sie vor seiner Bürotür und lauschte angestrengt, ob sie Stimmen hören konnte, da sie keinesfalls in das Gespräch hineinplatzen wollte, aber wie es schien, herrschte da drinnen Totenstille. Nachdem sie schon die Hand gehoben hatte um anzuklopfen, fiel ihr gerade noch ein, dass Severus vermutlich auch hier, wie an ihrer Wohnungstür, einen Schallschutzzauber verwendet hatte, und sie verharrte, unschlüssig, was sie nun tun sollte.
Sekunden später wurde die Klinke von innen heftigst heruntergedrückt – Hermine sprang erschrocken von der Tür weg – und Minervas Stimme drang durch den Türspalt in voller Lautstärke auf den Flur hinaus.
„DU BIST IMMER NOCH DERSELBE DRECKIGE BASTARD WIE FRÜHER!" kreischte sie mit schriller, sich überschlagender Stimme.
„RAUS HIER, DU VERDAMMTES MISTSTÜCK!", brüllte Snape, der sie an Lautstärke noch bei weitem übertraf. „MACH DASS DU RAUSKOMMST!"
Ein lauter Knall und das Geräusch von zersplitterndem Glas war zu hören, ehe die Tür aufgerissen wurde, und Minerva McGonagall rasend vor Zorn, und mit vor Tränen blinden Augen davon stürmte, ohne überhaupt wahrzunehmen, dass sie von jemandem beobachtet wurde.
Hermine löste sich von der Wand und betrat mit zitternden Knien das Büro.
Snape stand mit dem Rücken zu ihr und stützte sich mit beiden Händen auf seinem Schreibtisch auf.
Als eine Glasscherbe, auf die sie getreten war leise knirschte, fuhr er herum und starrte sie an.
Einen kurzen schrecklichen Augenblick lang, war sie sicher, er würde sie angreifen, denn niemals, auch nicht während ihrer leidvollen Zeit als Zaubertrankschülerin, hatte er so beängstigend ausgesehen, wie in diesem Moment.
„Severus...?", sagte sie unsicher.
„Lass mich allein!", flüsterte er mit rauer Stimme.
„Was ist denn nur passiert?", wisperte Hermine verzweifelt.
„GEH!", sagte Snape kalt.
„Nein! Ich werde nicht gehen!", sagte Hermine leise aber beharrlich.
„VERSCHWINDE!", schrie Snape.
Hermine drehte sich um und ging vorsichtig über die verstreuten Scherben. Anstatt jedoch das Büro zu verlassen, schloss sie die Tür von innen und blieb anschließend mit dem Rücken an die Wand gelehnt stehen.
„Ich gehe nicht!", sagte sie nochmals und sah ihm unverwandt in die Augen.
Als er daraufhin langsam auf sie zukam, schoss ihr ein skurriler Gedanke durch den Kopf: Wenn Severus in dieser Verfassung in einem von Nevilles Alpträumen aufgetaucht wäre, hätte das sicher das Ende des zartbesaiteten jungen Mannes bedeutet.
Als er noch etwa einen Meter von ihr entfernt war, zog er den Zauberstab.
Hermine konnte in seinen Zügen, aufgrund des schwindenden Lichts nicht viel erkennen, doch dass, was sie herauszulesen vermochte, sah verdächtig nach blankem Hass aus.
Sie schloss die Augen, und ergab sich in ihr Schicksal.
„Reparo!", murmelte Snape, und das Glasgefäß, das er gegen die Wand gedonnert hatte setzte sich mit leisem Klirren wieder zusammen.
„Mach die Augen auf!", sagte er sehr nahe vor ihr.
Hermine öffnete die Augen. Sie schnappte nach Luft als sie in seine zornig funkelnden Augen sah, die wie schwarze Kohlenstücke in dem bleichen, zu einer emotionslose Maske erstarrten Gesicht wirkten.
„Und jetzt hör zu!", sagte Snape leise und bedrohlich. „Du solltest nicht nur gehen, sondern laufen – und zwar so weit weg von mir, wie du nur kannst. Der Mann, den du in mir siehst, existiert nicht! Frag deine Freundin Minerva, von der du so eine hohe Meinung hast, wenn du mir nicht glauben willst. Und jetzt geh, bevor es dir leid tut."
Er packte sie am Arm und zog sie zur Tür, die er mit der anderen Hand öffnete.
„Bitte – tu mir das nicht an, Severus!", schluchzte Hermine verzweifelt.
„Geh!", sagte er noch einmal, schob sie hinaus auf den Flur und schloss die Tür hinter ihr.
Als Hermine das Schloss mit einem hässlichen, endgültig wirkenden Laut einschnappen hörte,
gaben ihre Beine unter ihr nach. Langsam rutschte sie mit dem Rücken an der Wand entlang, bis sie auf dem kalten Steinboden zum sitzen kam, und die Arme um ihre angewinkelten Beine schlang.
In ihr breitete sich schleichend eine verzweifelte Leere aus, die sich, je mehr sie durch ihren Körper kroch, in brennenden Schmerz verwandelte, der bald so unerträglich wurde, dass sie unwillkürlich einen erstickten, wimmernden Klagelaut ausstieß.
Um der inneren Qual etwas entgegenzusetzen, begann sie, den Hinterkopf an die Wand zu schlagen, immer heftiger und härter, bis ihre Sinne in einem Meer von Schmerzen ertranken und sie endlich das Bewusstsein verlor.
