Gedämpft und wie aus weiter Entfernung nahm Hermine eine tiefe, vertraute Stimme wahr, die heftig fluchte.
Sie versuchte zu ergründen, was vor sich ging - ihr war so, als hätte die Stimme auch mehrmals ihren Namen gerufen – brachte es jedoch nicht fertig, die Augen zu öffnen.
Irgendwie war sie schrecklich müde – mehr als je zuvor in ihrem Leben.
Das nächste, was sie spürte, war ein leichtes Schaukeln, das ihr irgendwie vertraut vorkam – bis ihr einfiel, das sie dieses Gefühl aus ihrer Kindheit kannte: Sie wurde getragen.
Wieder versuchte sie die Augen zu öffnen, doch bei aller Willensanstrengung wollte es ihr nicht gelingen, genauso wenig wie der Versuch, zu sprechen – es war, als ob der kleine vernebelte Rest von Verstand das einzige war, das in ihrem ansonsten leblosen Körper noch halbwegs funktionierte.
Sie hörte die Stimme, die nun ganz nah bei ihr war, etwas rufen, dessen Bedeutung sie jedoch nicht erfassen konnte, obwohl sie ganz tief in ihrem Innern wusste, dass sie es hätte können müssen.
Verzweifelt darüber, dass die Erinnerung nicht wieder kam, ließ sie sich in die sanfte, stille Dunkelheit zurückgleiten, die am anderen Ende ihres Bewusstseins auf sie gewartet hatte.
Das Geräusch, von dem sie aufwachte war ein unmelodisches Pfeifen in Verbindung mit leisem Klirren, und einem anschließenden sanften Blubbern.
Langsam und vorsichtig versuchte sie die Augen zu öffnen, voller Angst, das sie es wieder nicht schaffen könnte.
Das helle Licht, das sie gleich darauf blendete, und das ihr umgehend die Tränen in die Augen trieb, kam ihr vor, wie ein wertvolles Geschenk.
„Na, wen haben wir denn da?", sagte Poppys mütterliche Stimme, und das dazugehörige Gesicht beugte sich freundlich lächelnd über Hermine.
„Poppy...", krächzte Hermine heiser.
Die Krankenschwester hielt ihr ein Glas an die Lippen, und Hermine trank gierig das kühle Wasser.
„Wie lange bin ich schon hier", fragte sie dann.
„Seit gestern Abend", sagte Poppy, „Severus hat dich hergebracht. Hat einen ganz schönen Aufstand veranstaltet, der Gute. Hat sogar gedroht, mir alles mögliche an den Hals zu fluchen, wenn ich dich nicht auf der Stelle behandle – nur weil ich seiner Meinung nach nicht schnell genug angelaufen kam, als er dich reingetragen hat.
„Er hat mich getragen...?", murmelte Hermine nachdenklich.
Sie versuchte sich aufzusetzen, was ihr unerwartet leicht gelang – das einzig Unangenehme war ein leichtes Brummen im Hinterkopf.
„Brauchst dir keine Sorgen machen, Schätzchen, das wird alles wieder", sagte Poppy.
Vorsichtig tastete Hermine mit beiden Händen ihren Kopf ab, der mit dicken Verbandschichten umwickelt war, und damit etwa die Ausmaße einer Wassermelone hatte.
„Was ist passiert...?", sagte Hermine verwirrt, und im selben Moment fiel es ihr plötzlich wieder ein.
Poppy, der ihr verzweifelter Gesichtsausdruck nicht entgangen war, tätschelte beruhigend ihre Hand.
„Auch das heilt wieder, Kindchen", sagte sie mitfühlend.
Hermine sah sie überrascht an.
„Die offizielle Version lautet: Du hattest einen Unfall – bist gestürzt, und mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen", sagte die Krankenschwester, „aber ich habe in meiner Laufbahn schon mehr als eine Selbstverstümmelung gesehen – dein Kopf hätte mehrmals wie ein Gummiball an die Wand und wieder zurück hüpfen müssen, um diese Verletzung zu verursachen", fügte sie mit strenger Mine hinzu.
Hermine senkte beschämt den Kopf. „Ich hatte einfach das übermächtige Gefühl, das tun zu müssen", sagte sie leise.
„Hermine – kein Mann ist es wert, das du dir so was antust", sagte Poppy.
„Wo ist er?", flüsterte Hermine.
„Im Unterricht – es ist fast Mittag", sagte Poppy. „Aber er war die ganze Nacht hier – und ich schwör' dir, er ist mir mächtig auf die Nerven gegangen. Hat mich mit Argusaugen überwacht, als ob ich nachlässig mit dir umgehen würde", fügte sie mit entrüstetem Schnauben hinzu.
„Er war die ganze Nacht hier...?", flüsterte Hermine versonnen.
„Ja – und heute Morgen, hat er noch mal eine ganze Ladung verschiedenster Zaubertränke vorbeigebracht", sagte Poppy, „die musst du dann nachher sofort nehmen, sonst gibt er mir wieder die Schuld."
„Was fehlt mir eigentlich genau?", fragte Hermine.
„Ach – nichts tragisches! Zugegeben – eine nicht allzu kleine Platzwunde und eine ziemlich saftige Gehirnerschütterung – aber nichts, was ich nicht im Handumdrehen wieder hinbekommen würde", sagte Poppy lässig. „Da habe ich nach den Quidditch-Spielen schon wesentlich üblere Verletzungen hier gehabt. Das habe ich auch Severus erklärt", fügte sie mürrisch hinzu, „aber der hat mich nur angeschnauzt, wenn ich es wagen sollte, bei dir irgendwas zu verpfuschen, würde er mich unwiederbringlich in ein Schwein verwandeln – und das traue ich ihm glatt zu, diesem ungehobelten Kerl."
Die Empörung in Poppys gutmütigem Gesicht verwandelte sich umgehend in Mitleid, als sie Hermine in die Augen sah.
„Also – ich weiß ja nicht, was zwischen euch beiden vorgefallen ist", sagte sie leise, „aber gleichgültig bist du ihm ganz sicher nicht."
„Hat er gesagt, wann er wieder kommt?", fragte Hermine.
„Ich befürchte, er wird hier reinschneien, sobald die Mittagspause beginnt", seufzte Poppy, „also tu mir den Gefallen, und trink das Zeug hier aus – es sei denn, du willst mich in Zukunft nur noch quieken hören."
Hermine schluckte gehorsam, nach Anweisung der Krankenschwester, die Inhalte all der Reagenzgläser, die neben ihrem Bett deponiert waren, bis auf eines, das sie, nachdem sie daran gerochen hatte, wieder verkorkte und zurücklegte.
„Den hier nehme ich nicht", sagte sie, während sie sich angewidert von dem bitteren Geschmack der verabreichten Arzneien schüttelte. „Ich kenne diesen Trank - er wäre eher für meine seelischen Schmerzen geeignet – zumindest scheint Severus das zu meinen. Das könnte ihm so passen – mich ruhig zu stellen", fügte sie trotzig hinzu.
„Oink – Oink!", sagte Poppy, ehe sie Hermine ein Tablett mit Suppe auf den Schoß stellte.
„Er wird dich deswegen bestimmt nicht in ein Schwein verwandeln", sagte Hermine, „und - ich habe gar keinen Hunger", fügte sie entschuldigend hinzu.
„OIIINK!", sagte Poppy energisch, und Hermine ergriff resignierend den Löffel.
„Okay – ich esse die Suppe, wenn du mir auch einen Gefallen tust", sagte sie.
„Nämlich welchen?", fragte Poppy.
„Wenn Severus kommt – sag ihm bitte nicht, dass ich aufgewacht bin und dass es mir gut geht", bat Hermine, „sonst verschwindet er womöglich gleich wieder – und ich möchte unbedingt mit ihm reden."
„Gut – das lässt sich machen", sagte Poppy bereitwillig.
Nachdem sie die Suppe folgsam ausgelöffelt hatte lehnte sich Hermine in die Kissen zurück und schloss die Augen. Nicht, weil sie besonders erschöpft gewesen wäre, sondern mehr, um einem weiteren Gespräch mit Poppy vorzubeugen, die zwar sehr lieb und verständnisvoll gewesen war, aber mit Sicherheit auch noch einige neugierige Fragen parat hatte.
Ihre Gedanken kreisten beständig um den gestrigen Abend – sie rief sich noch einmal jedes einzelne Wort das gefallen war ins Gedächtnis, was sie allerdings innerlich derart in Aufruhr versetzte, dass sie befürchtete, sich übergeben zu müssen.
Flach atmend zwang sie sich mühsam, an etwas positiveres zu denken – und mit der leisen Hoffnung, dass Severus heute vielleicht gar nicht mehr wollte, dass sie ihn verließ, sank sie letztendlich doch noch in einen leichten, unruhigen Schlaf.
Sie erwachte sofort als der Stuhl vor neben ihrem Bett leise knarrte.
Als sie die Augen öffnete, fiel ihr Blick auf Snape, der gerade mit deutlichem Missfallen das eine, noch gefüllte Reagenzglas in die Hand nahm, das zwischen den restlichen, leeren gelegen hatte.
„Das wollte ich nicht", sagte Hermine leise.
Langsam drehte er den Kopf in ihre Richtung, und sah sie mit einem unergründlichen Blick an.
„Das hoffe ich doch!", sagte er mit Nachdruck.
„Ich meine diesen Trank – den werde ich nicht nehmen", sagte Hermine. „Ich weiß, was er bewirkt."
Snape fixierte zunächst das Reagenzglas mit der dunklen Flüssigkeit, das er in der Hand hin und her drehte, und danach Hermine.
„Wie du meinst", sagte er schließlich und warf das Glas auf den Nachttisch.
Es vergingen ein paar Minuten, in denen keiner von ihnen etwas sagte – sie sahen sich nur an, wobei Hermine sich vergeblich bemühte, bei ihm Anzeichen eines ähnlichen Gefühlsaufruhrs zu entdecken, wie sie ihn selber empfand.
„Warum?", fragte sie, und sah ihn eindringlich an, um auch ja nicht die kleinste Regung zu verpassen.
„Dasselbe wollte ich dich auch gerade fragen", sagte Snape und nickte mit dem Kopf in Richtung ihres turbanähnlichen Verbandes.
Hermine schluckte. „Es hat so wehgetan...", flüsterte sie.
„Das ist normal, wenn man den Kopf gegen die Wand haut", sagte Snape trocken.
„Vorher!", sagte Hermine tonlos. „Du hast mir wehgetan..."
Snape senkte den Kopf. „Ich weiß!", sagte er leise. „Aber das ist noch lange kein Grund..."
„Ich konnte nicht anders!", sagte Hermine eindringlich.
„Das riecht ein wenig nach Erpressung", sagte Snape, und sah sie mit einem lauernden Ausdruck an.
„Wenn du das von mir denkst, dann geh", sagte Hermine hart, die seinem prüfenden Blick vehement standhielt.
„Es tut mit leid", sagte Snape, der schließlich als erster die Augen abwandte. „Aber das Ganze hat keinen Sinn – das musst du einsehen."
„Warum?", fragte Hermine verzweifelt.
Seine einzige Antwort war ein tiefer gequälter Seufzer.
„WARUM?", schrie Hermine.
„Weil ich nicht gut für dich bin!", sagte Snape.
„UND DAS HAST DU ENTSCHIEDEN? GANZ ALLEINE? ZÄHLT DENN MEINE MEINUNG DAZU GAR NICHT?", brüllte Hermine.
Sie bot einen seltsamen Anblick, mit ihrem wutverzerrten, geröteten Gesicht, unter dem dicken, weißen Verband, aus dem die Haare oben und unten wild hervorquollen.
„Du hast einen verhängnisvollen Hang zum Optimismus", sagte Snape vorsichtig, „und bist noch viel zu jung um..."
Er konnte Hermines Hand gerade noch packen, bevor sie in sein Gesicht klatschte.
„Das ist keine so gute Idee", sagte er drohend.
„DAS IST MIR SCHEIßEGAL!", tobte Hermine, und zog mit der andern Hand aus, die er jedoch ebenfalls rechtzeitig erwischte.
„Beruhig dich endlich!", sagte er scharf.
„Lass mich los!", fauchte Hermine.
„Du solltest diesen letzten Zaubertrank vielleicht doch nehmen", sagte er skeptisch, bevor er ihre Hände freigab.
„Weißt du was", sagte Hermine aufgebracht, „brau dir selber einen Trank, der dir hilft, deine Gefühle endlich zuzulassen, und dann gleich noch einen, der dir die Angst nimmt - davor, dass ich etwas für dich empfinden könnte."
„Es geht nicht um mich, sondern um dich", sagte Snape steif.
„Wenn du glaubst, dass ich mich mit so einem Dreck abspeisen lasse, hast du dich getäuscht", keifte Hermine.
„Hermine, versuch doch zu verstehen...", sagte Snape beschwichtigend.
„Was hat Minerva dir gesagt?", unterbrach ihn Hermine.
„Das tut nichts zur Sache", sagte Snape ausweichend.
„Lüg mich nicht an!", fauchte Hermine.
„Frag sie selber", sagte Snape mit versteinerter Mine.
„Das werde ich tun – verlass dich drauf!", sagte Hermine wütend.
„Ich muss jetzt wieder zum Unterricht", sagte Snape sichtlich erleichtert, dass er einen Grund hatte wieder zu gehen. „Versuch, dich ein bisschen auszuruhen. Möchtest du, dass ich heute noch mal vorbeischaue?", fügte er zögernd hinzu.
„Ich habe vor, heute Abend die Krankenstation zu verlassen", sagte Hermine. „Komm nach dem Abendessen her, dann kannst du mich zu meiner Wohnung begleiten – nur für den Fall, dass ich wieder auf die Idee komme, dich zu erpressen, und zu diesem Zweck vielleicht aus dem Fenster springe, oder so."
„Du bist eindeutig auf dem Wege der Besserung", sagte Snape kopfschüttelnd. „Bis heute Abend!"
Er stand auf und ging zur Tür.
„Severus!", rief Hermine ihm hinterher.
Er drehte sich zu ihr um.
„So leicht wirst du mich nicht los – ich werde kämpfen!", sagte Hermine rebellisch.
„Ich bin beeindruckt – aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich es für einen Fehler halte", sagte Snape nüchtern, bevor er den Raum verließ.
Kaum dass er die Tür hinter sich geschlossen hatte, kam Poppy Pomfrey auf Snape zugeschossen.
„Oink?", fragte sie zaghaft, und sah ihn mit schräggelegtem Kopf an.
Snape musterte die Krankenschwester ungeduldig.
„Darf ich ihnen noch etwas mitteilen, bevor sie mich in ein Schwein verwandeln, Severus?", fragte Poppy, und lächelte ihn freundlich an.
„Was gibt's?", fragte Snape misstrauisch.
„Hermine! Ich kann zwar nicht so ganz nachvollziehen, wie so was möglich ist", sagte Pomfrey nachdenklich, „aber sie scheint sie tatsächlich gern zu haben!"
Snape sah sie finster an.
„Übrigens wäre ich gerne eines dieser furchtbar putzigen kleinen Hängebauchschweine, wenn es schon sein muss", sagte Pomfrey schicksalsergeben.
„Ach – Poppy!", sagte Snape, tätschelte der erstaunten Krankenschwester kurz den Arm, und eilte mit großen Schritten aus dem Zimmer.
Am Nachmittag kam McGonagall um Hermine zu besuchen.
Sie war leichenblass, und ihre Gesichtszüge wirkten angespannt und übermüdet.
„Wie konntest du das nur tun, Hermine?", fragte sie vorwurfsvoll, gleich nachdem sie sich gesetzt hatte.
„Wer glaubt denn überhaupt an diese offizielle Version – dass ich mir die Verletzung durch einen Sturz zugezogen habe", fragte Hermine Poppy, die gerade ein Tablett mit Tee und Keksen auf Hermines Nachttisch abstellte.
„Oh – alle außer Minerva, Albus, Severus und mir", sagte Poppy.
„Man bringt doch sein Leben nicht in Gefahr wegen so einem..., so einem...", sagte McGonagall entrüstet.
„Dreckigen Bastard?", sagte Hermine kalt.
McGonagall sah sie entsetzt an. „Du warst dort, als ich...?", sagte sie flüsternd.
„Ja – du bist direkt an mir vorbei gerauscht", sagte Hermine.
„Ich habe noch eine Menge Arzneimittel zu sortieren, Verbände aufzurollen, und Krankenblätter zu schreiben, sozusagen den gesamten Saustall aufzuräumen ", murmelte Poppy und eilte überstürzt aus dem Zimmer.
„Was hat er dir erzählt?", fragte McGonagall bestürzt.
„Er sagte, ich solle so weit von ihm weglaufen, wie ich nur kann, weil er nicht der sei, für den ich ihn halte – und dann hat er mich rausgeschmissen", sagte Hermine mit zitternder Stimme, „hast du irgendeine Erklärung hierfür?"
„Hermine...", sagte McGonagall bittend.
„Du hat mich nach unserem letzten Gespräch in dem Glauben gehen lassen, dass du verstanden hättest, was er mir bedeutet", sagte Hermine leise, „und dass du zwar nicht begeistert, aber dennoch bereit wärst, unsere Beziehung zu akzeptieren. Du hast gesagt, du würdest noch mal mit Severus reden – und ich dachte, du wolltest dich mit ihm aussprechen. Aber das Ergebnis von euerem Gespräch war, dass er mich weggejagt hat!"
Hermine sah ihrer früheren Hauslehrerin anklagend in die Augen.
„Was hast du zu ihm gesagt, Minerva?", fragte sie mit leiser, klarer Stimme.
Minerva McGonagall senkte den Kopf.
„Und ich dachte, du wärst meine Freundin!", sagte Hermine bitter.
„Aber das bin ich doch auch!", sagte Minerva verzweifelt.
„Freunde vertrauen einander!", sagte Hermine eisig.
„Hermine, ich kann nicht..., du würdest es nicht verstehen..., du bist noch so...", rang Minerva nach Worten.
„SAG MIR BLOS NICHT, DASS ICH ZU JUNG BIN!", brüllte Hermine plötzlich los.
„Hermine!", keuchte Minerva entsetzt, die so einen Ton von ihrer ehemaligen Musterschülerin absolut nicht gewohnt war.
„Entweder sagst du mir jetzt, was los ist, oder du gehst", sagte Hermine schneidend, „und wenn du dich fürs Gehen entscheidest, dann lass mich in Zukunft bitte ganz in Frieden!"
„Hermine – ich will dir doch nur helfen", sagte Minerva mit erstickter Stimme, „und dich beschützen."
„Warum meinst du, mich vor Severus beschützen zu müssen, Minerva?", sagte Hermine eindringlich. „Was verschweigst du mir?"
„Er ist nicht gut für dich, Hermine, glaub mir! Du musst ihn aufgeben!", flehte Minerva.
„Ich entscheide selbst, was gut für mich ist - und ich werde ihn nicht aufgeben!", sagte Hermine.
„Aber ich kann doch nicht zulassen, dass er dir das antut", wisperte Minerva mit Tränen in den Augen. „Ich kann doch nicht einfach zusehen – nicht noch einmal...", wimmerte sie so leise, dass sie kaum noch zu verstehen war, und vergrub verzweifelt das Gesicht in den Händen.
„Was meinst du mit nicht noch einmal und was soll er mir antun?", fragte Hermine unerbittlich. Sie packte McGonagall mit beiden Händen an den Schultern und schüttelte sie leicht.
„Rede mit mir, Minerva!", rief sie.
„Es ist schon mehr als zwanzig Jahre her...", sagte McGonagall zögernd, „da hat eine andere junge Frau mir auch nicht glauben wollen, dass er ihr nur Unglück bringt."
„Wer war sie – und was ist passiert?", fragte Hermine ungeduldig, als McGonagall nicht weitersprach. „Du wirst mir schon die ganze Geschichte erzählen müssen!"
„Sie war eine Schülerin", sagte Minerva mit einem Blick, der weit in Ferne gerichtet zu sein schien. „Als sie mit der siebten Klasse fertig war, ist sie in Hogwarts geblieben, als Assistentin der Kräuterkundelehrerin. Sie war eine Vollwaise, und Hogwarts war das einzige Zuhause, dass sie je gekannt hatte. Ihr Name war Isabella – sie war ein sanftes, liebes Mädchen, und jeder hatte sie gerne. Wir haben viel zusammen unternommen, und mit der Zeit wurde sie fast wie eine Tochter für mich. Aber als sie ungefähr ein halbes Jahr hier gearbeitet hatte, hat sie sich verändert. Sie ist praktisch in jeder freien Minute, die sie hatte, verschwunden - an den Wochenenden hat man sie im Schloss so gut wie gar nicht mehr zu Gesicht bekommen. Wir haben alle vermutet, dass ein Mann dahinter steckt, aber sie hat keinem von uns auch nur ein Sterbenswörtchen verraten – hat nur gesagt, es wäre alles in Ordnung, und sie wäre sehr glücklich. Ein paar Monate später, kurz bevor die Sache mit den Potters passierte, holte Dumbledore Severus Snape als Lehrer nach Hogwarts. Das verursachte damals einigen Aufruhr unter den Lehrern, denn es war ein offenes Geheimnis, das Severus einer von Voldemorts Anhängern gewesen war. Außerdem hatten viele der Lehrer ihn als Schüler erlebt, und waren nicht gerade erfreut, ihn zum Kollegen zu bekommen. Die einzige, die völlig begeistert über diesen Neuzugang war, war Isabella. Sie gestand mir nach einer Weile, das er der Mann war, mit dem sie sich schon seit Monaten traf. Es war erschreckend, wie sehr sie ihn anhimmelte – sie war ihm regelrecht hörig. Als ich mit Albus darüber sprach, hat er durchblicken lassen, dass Severus ihm gestanden hätte, Isabella nur benutzt zu haben – um an Informationen über die Vorgänge in Hogwarts zu kommen, die er dann an Voldemort weitergegeben hat. Vermutlich war es ein leichtes für ihn, in ihren Geist einzudringen – sie war so vertrauensselig und so verliebt. Albus hatte Severus das Versprechen abgenommen, die Sache behutsam und mit Anstand zu beenden. Ich habe versucht, Isabella schonend die Wahrheit beizubringen – ihr die Augen zu öffnen, was für einen Menschen sie da liebte. Aber sie wollte nichts hören – sie hat ihm blind vertraut. Dabei behandelte er sie wie Dreck. Aber nach einiger Zeit hat sie dann doch gemerkt, dass etwas nicht stimmte, und muss ihn wohl zur Rede gestellt haben. Danach war sie nicht mehr dieselbe – sie hat nichts mehr gegessen, kaum noch geredet, und sich völlig von allen anderen zurückgezogen."
Minerva verstummte.
„Was ist dann passiert?", fragte Hermine leise, und streichelte beruhigend Minervas Hand.
„Sie hat sich erhängt...", wimmerte Minerva, „im Gewächshaus – Sprout hat sie gefunden, als sie Sonntagmorgen zum Gießen hineinging."
Hermine schlug entsetzt die Hand vor den Mund.
„Es tut mir so leid", sagte sie, nahm ihre schluchzende, ältere Freundin in die Arme, und wiegte sie sanft hin und her.
„Versprich mir, dass du dich von ihm trennst", wisperte Minerva.
„Nein – das kann ich nicht", sagte Hermine.
„Selbst nachdem du nun weißt, was er für ein Mensch ist?", sagte Minerva schrill.
„Ich habe gewusst, das er ein Todesser war", sagte Hermine, „und es ist mir klar, dass das kein Kegelclub war."
„Wie kannst du nur so reden", sagte Minerva ungläubig, „weißt du eigentlich wie viel Schrecken die Todesser damals verbreitet haben? Sie haben tausende von Menschen ermordet - Männer wie Frauen, Greise und sogar Kinder, sie haben gefoltert und vergewaltigt. Wie kannst du einem Menschen vertrauen, der bei so etwas mitgemacht hat. Er hat seine Seele verkauft – unwiederbringlich – verstehst du das nicht?"
„Albus vertraut ihm", sagte Hermine ruhig, „und ich möchte Severus' Version dieser Geschichte hören, ehe ich mir ein Urteil erlaube."
Resigniert ließ Minerva den Kopf auf die Brust sinken.
„Danke, dass du ehrlich zu mir warst", sagte Hermine leise.
Hermine kam kaum dazu, über dass, was sie gerade gehört hatte nachzudenken, denn bald nachdem Minerva die Krankenstation verlassen hatte, saß schon Dumbledore an ihrem Bett.
„Hermine – wie geht es ihnen", fragte er und sah sie mit seinen durchdringenden blauen Augen aufmerksam an.
„Na ja – seit ich diesen blöden Kopfverband wieder los bin – ganz gut", sagte Hermine etwas verlegen. „Es tut mir wirklich leid, dass ich so viel Aufruhr verursacht habe."
„Das waren ja wohl eher die beiden anderen Sturköpfe", sagte Dumbledore beschwichtigend, „die rasseln schon seit Jahren immer wieder mal mit den Säbeln – es war nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder aneinander geraten."
„Minerva hat mir von Isabella erzählt", sagte Hermine.
„Ja – das war eine schreckliche Sache damals", sagte Dumbledore mit leiser Stimme.
„Denken sie auch, dass Severus Schuld ist, an ihrem Tod", fragte Hermine zögernd.
„Nein – das tue ich nicht", sagte Dumbledore, „zumindest nicht in dem Maße wie Minerva. Wissen sie Hermine – mit der Schuld ist das so eine Sache. Wieviel Einfluss nimmt man, wenn man in das Leben eines Menschen eingreift? Wo beginnt, und wo endet die Verantwortung für die Folgen die daraus entstehen, und die zunächst oft unabsehbar sind? Natürlich hat Severus einen schwerwiegenden Fehler begangen, als er sich Voldemort anschloss. Und natürlich hat er auch Schuld auf sich geladen, als er Isabella als unfreiwillige Spionin missbrauchte - aber ich glaube, er konnte nicht abschätzen, dass sie so extreme Gefühle für ihn entwickeln würde. Nachdem er zu uns übergelaufen war, hat er mir die Sache gebeichtet – und ich weiß, das er alles versucht hat, ihr das Ganze schonend beizubringen. Sie war natürlich trotzdem völlig am Boden zerstört, aber nach einer Weile sah es so aus, als würde sie damit fertig werden – wenngleich ich den Eindruck hatte, dass sie die Hoffnung nie aufgegeben hatte, dass er ihre Zuneigung doch irgendwann erwidern würde. Ich hätte niemals gedacht, dass sie sich umbringen würde."
Dumbledore seufzte. „Danach musste ich Severus mit all meiner Überzeugungskraft davon abbringen, sich selbst zu vergiften – und das war nicht leicht, denn er war ja ständig von dem dafür geeigneten Equipment umgeben - und Minerva musste ich mit Gewalt davon abhalten, ihm an die Gurgel zu gehen, sowie sich die Gelegenheit dazu ergab. Erst nach vielen, langen Gesprächen hatte ich beide soweit, dass sie wieder einigermaßen normal miteinander umgingen."
Dumbledore warf Hermine einen prüfenden Blick zu.
„Als Minerva Verdacht schöpfte, dass zwischen ihnen und Severus etwas laufen könnte", fuhr er fort, „ist sie mächtig nervös geworden – was ja in Anbetracht der Vorgeschichte auch verständlich ist. Aber sie hat sich da wohl zu sehr hineingesteigert – und der provokante Auftritt vorgestern, an ihrer Tür, hat sie endgültig in Alarmbereitschaft versetzt. Sie muss gestern Abend, in Severus Büro ziemlich ausgerastet sein. Und Hermine – es tut mir leid, ihnen das sagen zu müssen", sagte Dumbledore etwas vorwurfsvoll, „aber dass sie mit ihrem Kopf die Wand einschlagen wollten, hat natürlich Minervas Befürchtungen noch gesteigert."
Beschämt senkte Hermine den Blick.
„Es tut mir leid – ich weiß auch nicht, was da in mich gefahren ist", sagte sie leise. „Ich weiß nur, das ich das Gefühl hatte, ich müsse das tun."
„Severus hat mir heute Mittag seine Kündigung überreicht", sagte Dumbledore.
Hermine wurde leichenblass.
„Aber das kann er doch nicht tun", hauchte sie verzweifelt, „er kann doch nicht einfach davonlaufen."
„Das kann er in der Tat nicht", meinte Dumbledore „Ich habe die Kündigung nicht angenommen – allerdings kann ich ihn auf Dauer nicht hier halten, wenn er weg möchte. Bis zum Ende dieses Schuljahres haben sie Zeit, ihn zu überzeugen, Hermine, und ich wünsche ihnen wirklich sehr viel Glück dabei."
„Werden sie mir dabei helfen, Albus, indem sie Minerva ein wenig im Zaum halten?", fragte Hermine. „Sie läuft ziemlich neben der Spur, im Moment, und wenn sie und Severus das nächste mal aufeinandertreffen, ist die Katastrophe praktisch schon vorprogrammiert."
„Oh – sie sind schon aufeinandergetroffen", sagte Dumbledore grimmig, „hat keiner von beiden es ihnen gegenüber erwähnt?"
Hermine schüttelte den Kopf, und sah ihn gespannt an.
„Gleich nachdem Severus sie gestern Abend hierher gebracht hat, wurden Minerva und ich durch Hauselfen, die Poppy uns geschickt hatte, von dem Vorfall informiert", berichtete Dumbledore. „Minerva war vor mir hier, und als ich eintraf, waren sie und Severus kurz davor, sich gegenseitig Flüche auf den Hals zu hetzen. Sie haben sich angeschrieen wie die Wahnsinnigen – Poppy war schon völlig verzweifelt. Nachdem geklärt war, dass ihre Verletzungen nicht weiter gefährlich sind, und dass Poppy die Sache voll im Griff hatte, habe ich mir die beiden im Nebenzimmer vorgeknöpft. Und glauben sie mir Hermine – ich habe ihnen gewaltig die Leviten gelesen. Minerva läuft seitdem nur noch mit feuchten Augen herum – sie ist mit den Nerven völlig am Ende, die Ärmste, und Severus hat sich wieder einmal hinter einer Mauer schweigender Emotionslosigkeit verschanzt – was vielleicht noch schlimmer ist. Ich habe beide eindringlich davor gewarnt, sie Hermine, als Spielball in ihrem Zwist zu missbrauchen."
„Aber es ist doch eigentlich nur Minerva, die sich einmischt", gab Hermine zu bedenken. „Für Severus habe ich mich schließlich selber entschieden."
„Das schon – aber er genießt es, Minerva eins auszuwischen – das war schon immer so – und da ist ihm leider jedes Mittel recht", sagte Dumbledore und erhob beschwichtigend die Hände, als Hermine ihn entrüstet ansah.
„Das soll nicht heißen, dass er sich nur mit ihnen eingelassen hat, um Minerva zu ärgern", fuhr er fort, „aber er tut auch nichts, um ihre Sorgen zu mildern, im Gegenteil, er streut noch Salz in ihre Wunden – und das kann er sehr gut, wie sie vielleicht selber wissen."
„Ja, ich weiß es", seufzte Hermine.
„Wir werden mit Sicherheit ein bisschen aufpassen müssen, auf die beiden in den nächsten Tagen", sagte Dumbledore und zwinkerte Hermine zu.
Am Abend kam Snape wie versprochen, um sie abzuholen.
Er wartete schweigend an der Türe, bis sie fertig war, und sich bei Poppy bedankt hatte.
Auch den Weg zu ihrer Wohnung legten sie zurück, ohne auch nur ein Wort miteinander zu wechseln.
Als sie dort angekommen waren, öffnete Hermine die Türe und drehte sich zu ihm um.
„Komm rein!", sagte sie in einem Ton, der gefährlich nach einem Befehl klang.
Snape blieb draußen stehen, verschränkte demonstrativ die Arme und starrte sie böse an.
„Meinst du nicht auch, dass du mir eine Erklärung schuldest?", fragte Hermine herrisch. „Kommst du jetzt rein, oder ziehst du es vor, mir auf dem Gang zu erklären, warum du mich gestern so eiskalt abserviert hast?"
Wütend marschierte Snape in die Wohnung, wobei er Hermine auch gleich mit hineinschob, und knallte in gewohnter Manier die Tür hinter sich zu.
„Sonst noch Befehle, Madam?", knurrte er.
„Ja! Sag mir endlich, was in deinem sturen Schädel vorgeht", fauchte Hermine zurück, „ich meine hinter dieser Maske von eiserner Beherrschung, die du vor dir herträgst, wie einen Schutzschild."
Snape sah sie an, ohne eine Miene zu verziehen, lediglich die zornig funkelnden Augen gaben Auskunft über seinen Gemütszustand.
„Ich denke nicht, dass ich das tun sollte", sagte er kalt, „denn vielleicht schlägst du sonst DEINEN sturen Schädel wieder an die nächste Wand, und eventuell geht es dann nicht so glimpflich ab, wie beim letzten mal - möglicherweise erreichst du beim nächsten Versuch dein Ziel."
„Das wird nicht wieder vorkommen!", versprach Hermine.
„Dir ist doch wohl klar, wie das hätte ausgehen können, wenn ich dich nicht gleich gefunden hätte?", fragte Snape scharf.
„Ich wollte mir nichts antun!", sagte Hermine. „Ich wollte mich nicht einmal absichtlich verletzen."
„Sondern?", knurrte Snape.
„Ich habe nur versucht, diese entsetzliche, quälende Leere in mir zu vertreiben", flüsterte Hermine.
Snape sah sie zweifelnd an.
„Ich bin nicht Isabella!", sagte Hermine mit Nachdruck.
Er senkte den Kopf.
„Sie hat es dir also erzählt", sagte er leise. „Warum bin ich dann noch hier?"
„Weil ich deine Version dieser Geschichte gerne hören würde", sagte Hermine.
„Wozu soll das gut sein?", sagte Snape rau, „ich habe dieses Mädchen für meine Zwecke benutzt, und sie hat sich deswegen das Leben genommen – da gibt es nichts zu beschönigen."
„Selbst wenn deine Sicht der Dinge mit dem, was ich von Minerva und Albus gehört habe übereinstimmt, wäre das noch lange kein Grund, mich von dir fern zu halten", sagte Hermine eindringlich.
„Das ist ja wohl nicht dein Ernst...", sagte Snape ungläubig.
„Severus – warst du mit mir zusammen, um Minerva zu demütigen?", fragte Hermine.
„Bist du verrückt? Natürlich nicht!", schnaubte Snape.
„Und hast du mich auf irgendeine Weise ausgenützt?", bohrte Hermine ungeduldig weiter.
„In gewisser Hinsicht schon", sagte Snape stur. „Wenn ein Mann in meinem Alter sich wider besseren Wissens mit einer so jungen Frau einlässt, die sich noch sämtliche jugendliche Illusionen bewahrt hat, kann man schon von Ausnutzen sprechen."
„Red kein solches Blech, Severus Snape", fauchte Hermine. „Ich bin freiwillig bei dir – du hast mich weder verführt, noch sonst irgend etwas getan, um mich zu ermutigen. Im Gegenteil, du hast dich mit Händen und Füßen gewehrt, gegen meine Versuche, dir näher zu kommen. Es kann gar keine Rede davon sein, dass du mich ausnützt."
„Nachdem du weißt, wozu ich fähig bin, kannst du unmöglich bei mir bleiben wollen", sagte Snape, „selbst wenn ich mich an dir noch nicht schuldig gemacht habe."
„Albus sagt, du hättest alles getan, um deine Schuld gegenüber Isabella wieder gutzumachen", sagte Hermine.
„Hat nicht viel genützt, wie's aussieht", zischte Snape.
„Minerva sagt allerdings, du hättest Isabella wie Dreck behandelt, und du hättest deine Seele unwiederbringlich an die dunkle Seite verkauft", sagte Hermine.
„Na wenn Minerva das sagt...", meinte Snape sarkastisch.
„Sie sagt alle Todesser hätten Menschen gemordet, gefoltert und vergewaltigt, und ich könne unmöglich etwas für einen Mann empfinden, der da mitgemacht hätte", fuhr Hermine unbeirrt fort.
Snape schwieg.
„Hast du das auch getan?", fragte Hermine flüsternd.
„Wenn ich jetzt ja sage, gibst du dann auf?", fragte Snape.
„Nein!", sagte Hermine. „Ich will die Wahrheit, Severus!"
„Das läuft auf dasselbe hinaus", sagte Snape leise, kehrte Hermine den Rücken und ging zum Fenster, wo er, beide Hände auf das Fensterbrett gestützt stehen blieb, und in die Nacht hinaus starrte. „Sie hat recht – ich habe meine Seele verkauft."
Hermine ging ihm nach, und stellte sich neben ihn.
„Hast du Menschen ermordet?", fragte sie mit zitternder Stimme.
„Ja!", sagte Snape.
„Gefoltert...?"
„Ja!"
„Vergewaltigt...?"
„Ja!"
Hermine hielt entsetzt den Atem an.
Das Schweigen, das sich daraufhin zwischen ihnen ausbreitete, hing wie ein kalter Nebel im Raum.
„Bereust du es?", fragte sie nach einer Weile zittrig.
„Ja!", sagte Snape leise. „Aber was bringt das schon..."
„Hast du das alles getan, weil du es tun musstest?", fragte Hermine.
„Damit könnte ich mich natürlich herausreden", sagte Snape, „doch in Wirklichkeit hat man immer eine Wahl, auch wenn die zweite Möglichkeit den eigenen Tod bedeutet."
„Aber...", sagte Hermine zögernd.
„Tatsache ist, dass ich nicht nur ein Verbrecher, sondern auch ein Feigling gewesen bin", sagte Snape hart.
„Aber du hast die Seite gewechselt, und dich Dumbledore als Spion zur Verfügung gestellt, unter Einsatz deines eigenen Lebens – so was tut kein Feigling", sagte Hermine eindringlich.
„Das gibt den Menschen, die ich getötet habe ihr Leben nicht zurück", sagte Snape.
„Du hast so viele Menschen gerettet – ohne dich wäre es vielleicht gar nicht gelungen, Voldemort zu besiegen", sagte Hermine, trat hinter Snape und umarmte ihn.
Er erstarrte.
„Lass mich, Hermine, bitte - ich bin es nicht wert", sagte er hilflos.
„Ich glaube an die Vergebung, Severus", sagte Hermine und verstärkte den Druck ihrer Berührung, „und ich bin ganz sicher, dass die Waage der Gerechtigkeit mittlerweile zu deinen Gunsten ausschlägt."
„Du bist viel zu gut für mich, Hermine", flüsterte Snape.
„Das ist Unsinn, Severus", sagte Hermine, „und jetzt dreh dich endlich um, und nimm mich in den Arm – es ist zwei Tage her, dass du das getan hast, und ich habe Entzugserscheinungen."
„Warum tust du dir das an?", fragte Snape während er sich umdrehte und zögernd die Arme um sie legte.
„Weil ich dich liebe", sagte Hermine ruhig.
„Womit habe ich das nur verdient?", sagte Snape ungläubig.
„Das ist nicht wichtig", sagte Hermine, „lass es mich einfach tun!"
„Du bist das Beste, was mir je in meinem Leben passiert ist, Hermine – weißt du das", sagte Snape leise.
Lange Zeit blieben sie einfach so stehen, eng umschlungen, dem Atem und dem Herzschlag des anderen lauschend und mit dem verzweifelten Wunsch, diesen Moment für alle Ewigkeit festzuhalten.
Als sie sich schließlich voneinander lösten, war die Dunkelheit völlig über das Schloss hereingebrochen.
Nachdem sie das Feuer im Kamin entfacht hatten, ließen sie sich auf dem dicken Teppich davor nieder, auf dem Hermine einige voluminöse Kissen drapiert hatte.
„Erzähl mir von Isabella", bat Hermine.
Snape berichtete, wie er auf die junge Frau angesetzt worden war, und wie leicht es gewesen war, sie zu täuschen und von der schwierigen Situation, als er den Lehrerposten in Hogwarts angenommen hatte. Sein Bericht deckte sich in groben Zügen mit dem, was Hermine bereits von McGonagall und Dumbledore erfahren hatte. Sie begann an der Stelle nachzufragen, wo die beiden sich widersprochen hatten.
„Wie hast du Isabella beigebracht, was du getan hast?", fragte sie.
„Ich habe ihr so schonend wie ich konnte die Wahrheit gesagt, und dass ich sie zwar mag, aber alles andere nur Mittel zum Zweck war, um an Informationen zu kommen", sagte Snape.
„Du hast sie gern gehabt?", fragte Hermine.
„Ja – sie war ein durch und durch liebenswerter Mensch", sagte Snape, „Minerva war ganz vernarrt in sie, und hat sie bemuttert bis zum Gehtnichtmehr.
„Was meint Minerva damit, du hättest Isabella wie Dreck behandelt?", wollte Hermine wissen.
„Als ich nach Hogwarts kam, bin ich ihr zunächst aus dem Weg gegangen", sagte Snape, „darunter hat sie natürlich sehr gelitten, und schließlich kam ich nicht mehr umhin, ihr mein Verhalten zu erklären."
„Wie hat sie reagiert, nachdem du ihr alles gebeichtet hattest?", fragte Hermine.
„Sie war sehr verstört", seufzte Snape, „das hat ihr völlig den Boden unter den Füßen weggezogen. Nachdem der erste Schock sich nach ein paar Tagen gelegt hatte, hat sie jedoch immer wieder versucht mich davon zu überzeugen, dass wir noch mal von Vorne anfangen könnten – und da wurde Minerva erst so richtig zur Furie. Sie hat mit allen Mitteln versucht, eine erneute Beziehung zwischen uns zu verhindern, und wie du weißt, ist es ihr letztendlich ja auch gelungen, wenn auch mit einem schrecklichen Ergebnis."
„Wie meinst du das?", fragte Hermine verwirrt.
„Ach – sie hat diesen Teil ausgelassen...", sagte Snape grimmig, „das hätte ich mir eigentlich denken können."
„Albus hat auch nichts weiter erwähnt", sagte Hermine.
„Er weiß nichts von dem vorletzten Akt, in diesem Drama", sagte Snape. „Minerva hat vorgezogen, ihm nichts davon zu erzählen, und ich habe es vorsichtshalber auch bleiben lassen."
„Was ist passiert?", fragte Hermine.
„Es war am Abend eines dieser grausam-kitschigen Halloweenfeste, die unser Schulleiter so gerne inszeniert", erzählte Snape. „Er hat mich gezwungen teilzunehmen, und ich muss gestehen, ich habe mich ziemlich vollaufen lassen, um die ganze Sache einigermaßen durchzuhalten, zumal Isabella mich nicht aus den Augen ließ, und auch McGonagall mich den ganzen Abend bösartig anstarrte. Sie hat mich dann, als Dumbledore Isabella in ein längeres Gespräch verwickelte, in ihr Büro beordert, und ich bin ihrer Aufforderung nachgekommen. Immerhin war sie die stellvertretende Schulleiterin, und ich als Lehrer ein Frischling. In ihrem Büro hat sie mir die Hölle heiß gemacht. Sie hat mich angeschrieen, wie eine Irre, sie würde mich umbringen, wenn ich noch einmal wagen sollte ihrem Schützling zu nahe zu kommen – und ich habe zurückgebrüllt, was zum Großteil auf meinen alkoholisierten Zustand zurückzuführen war, denn damals hatte ich schon noch ein bisschen Respekt vor ihr – schließlich hatte ich schon als Schüler mit ihrer unerbittlichen Strenge Bekanntschaft gemacht."
Snape machte eine Pause und sah etwas verlegen drein.
„Und dann...?", fragte Hermine ungeduldig.
„Ja und dann ist das Ganze irgendwie entgleist...", sagte Snape vage.
„Was soll das heißen?", fragte Hermine.
„Na ja – diese Auseinandersetzung hat sich ganz anders entwickelt, als es vorauszusehen war...", sagte Snape vorsichtig, „...obwohl – vielleicht hatte sie es ja auch so geplant..., wer weiß das schon..."
„Wovon sprichst du, Severus?", sagte Hermine entnervt.
„Manchmal entwickeln sich Aggressionen anders als man meint", sagte Snape, der es nun vermied Hermine in die Augen zu sehen, „sie verwandeln sich plötzlich in etwas anderes..., ich war betrunken, und Minerva war damals zwar schon Ende vierzig, aber dennoch eine nicht unattraktive Frau, und da es ist einfach so passiert..."
„Du hast mit ihr geschlafen?", rief Hermine mit weit aufgerissenen Augen.
„Ja...", sagte Snape betreten.
„Sie ist über zwanzig Jahre älter als du", japste Hermine.
„Ich bin auch über zwanzig Jahre älter als du", gab Snape zu bedenken.
„Das ist etwas anderes", polterte Hermine.
„Ach so...", meinte Snape mit der Andeutung eines Lächelns.
„Lenk jetzt nicht ab Severus!", sagte Hermine streng. „Du und Minerva, ihr habt also an diesem Abend in ihrem Büro..."
„Ja!", sagte Snape.
„Wo genau?", fragte Hermine.
„Warum willst du das denn wissen?", fragte Snape leicht verzweifelt.
„Darum!", sagte Hermine barsch.
„Auf dem Tisch...", murmelte Snape.
„Und – wie ging's dann weiter?", fragte Hermine mit etwas schriller Stimme.
„Gleich nach Beendigung dieser fünf Minuten-Aktion hörten wir ein Geräusch an der Tür, und da stand sie – Isabella – und wir hatten keine Ahnung, wie lange sie schon da stand. Minerva hatte wohl in ihrem Ärger vergessen, die Tür zu verriegeln – oder sie hat es absichtlich nicht getan, weil sie erwischt werden wollte – ich weiß es nicht. Es wäre ihr zuzutrauen, dass sie das Ganze vorsätzlich inszeniert hatte, um Isabella endgültig davon zu überzeugen, was für ein mieses Schwein ich bin – aber das streitet sie natürlich ab. Sie stellt es im Nachhinein auch so dar, als wäre ich über sie hergefallen, und nicht umgekehrt, was aber keinesfalls den Tatsachen entspricht."
Er macht eine kleine Pause und strich sich fahrig die Haare aus dem Gesicht.
„Isabella hat kein Wort gesagt – sie stand nur da, und starrte uns völlig fassungslos an", fuhr er fort. „Als Minerva auf sie zuging, und begann irgendwelche Erklärungen zu stammeln, ist sie davongelaufen. Am Tag darauf hat man sie im Gewächshaus gefunden."
Snape vergrub für einen kurzen Moment das Gesicht in den Händen.
„In der Reihe derer, die ihr Leben wegen mir verloren, ist ihr Tod der sinnloseste", sagte er verzweifelt. „Wenn ich nicht zu betrunken gewesen wäre, hätte ich ihr nachlaufen können, und sie davon abhalten", fügte er hinzu, „aber so habe ich nichts getan."
„Du konntest nicht wissen, dass sie sich gleich umbringen würde", sagte Hermine energisch, „und außerdem hätte Minerva zu ihr gehen müssen, wenn sie sich so nahe standen."
„Und was sagst du nun zu diesem neuen Detail", fragte Snape unsicher.
„Das du auf ältere Frauen stehst, stimmt mich leicht nachdenklich", sagte Hermine, „aber ansonsten finde ich, wirft die Sache eher ein schlechtes Licht auf Minerva.
„Sie war damals nicht viel älter, als ich jetzt", sagte Snape leicht beleidigt.
„Schon gut – so war's nicht gemeint", sagte Hermine und verkniff sich ein Grinsen.
„Ach nein...?", sagte Snape zweifelnd.
„Nein!", sagte Hermine.
„Gut!"
„Severus?"
„Hm?"
„In meinem Büro steht auch ein sehr schöner, stabiler Tisch", sagte Hermine lächelnd.
„Du verrücktes Weib!", sagte Snape.
Fortsetzung folgt...
Ich hoffe, das war Euch nicht zu heftig...!
(...auch das mit McM. Auf dem Tisch nicht...°lol°)
