*Tausend Dank an unseren ersten Reviewer, TENEL KA OF DATHOMIR! Und so schnell! Als die Story gestern hochgeladen wurde, hätten wir nie erwartet bereits nach so kurzer Zeit einen zu bekommen! Hier ist also das nächste Kapitel, viel Spaß beim Lesen und einen guten Rutsch ins Neue Jahr!*

2. Kapitel

Der Geruch war himmlisch. Pippin benötigte nichts weiter als seine Nase, um den Weg in die Küche zu finden. Selbst wenn diese in einem Irrgarten versteckt gewesen wäre, hätte er sie gefunden. Eine Hobbitnase ließ sich nicht in die Irre führen.

  „Pfannkuchen mit Himbeersoße", überlegte Pippin laut.

  „Nein, das sind Waffeln", widersprach Merry, der neben ihm lief und beleckte sich aufgeregt die Lippen, „saftige Waffeln mit Erdbeersoße."

  Pippin schnupperte noch einmal lautstark, überlegte einen Moment und nickte schließlich. „Ja, das sind Waffeln, aber mit Himbeersoße."

  Merry schüttelte den Kopf. „Erdbeeren. Himbeeren riechen anders, glaub' mir."

  „Nein, die riechen genau so", sagte Pippin bestimmt. „Erdbeeren haben so einen ... äh ... zuckrigen Geruch."

  „Ja, wenn man sie zuckert", „warf Merry ein, „aber wenn man sie zu einer Soße verarbeitet, hab- " Merrys Worte wurden erstickt als er in den Bauch einer Person lief, die gerade um die Ecke bog.

  „Hey hey, nicht so stürmisch", brummte die Person, die einen Moment um ihr Gleichgewicht kämpfen musste, sich dann aber doch schnell fing.

  Pippin blieb für einen Moment der Mund offen stehen, während Merry ein erfreutes Lachen von sich gab.

  „Boromir!" rief er begeistert und ließ sich von dem großen Krieger kurz aber herzhaft drücken.

  Pippin tat es ihm nach, nahm dann aber wieder einen gewissen Abstand zu ihm ein, um ihn von oben bis unten zu mustern. „Dir scheint es wieder richtig gut zu gehen", stellte er fröhlich fest.

  „Mir ging es letztes Jahr auch schon gut, Pippin", schmunzelte Boromir. „Und das Jahr davor und das davor."

  „Ja, und ich erfreu mich jedes Jahr daran", erwiderte der Hobbit zufrieden und Merry nickte zustimmend.

  Boromir lachte nur. „Ich denke mal, ihr seid auf dem Weg dorthin, wo ich gerade hergekommen bin", sagte er schließlich.

  „Die Küche?" hakte Pippin nach.

  „Nein", meinte Boromir ohne eine Miene zu verziehen, „die Folterkammer."

  Pippin machte ein entsetztes Gesicht und der Krieger lachte wieder.

  „Natürlich die Küche", setzte er hinzu. „Ihr wollt bestimmt nachsehen, was für die Feierlichkeiten hergerichtet wurde, das sehe ich euch doch an der Nasenspitze an."

  Merry schüttelte den Kopf. „Nicht nachsehen – nachschmecken!"

  „Und was hast du dort gemacht?" erkundigte sich Pippin neugierig.

  „Oh, ich habe mich nur verlaufen", erklärte Boromir schmunzelnd. „Ich habe nach Aragorn gesucht. Also, lasst's euch schmecken, ihr zwei! Aber nicht zu lange, die Feier muss in Kürze anfangen. Wir sehen uns!"

  Mit großen Schritten entfernte sich der Krieger wieder von den Hobbits. Pippin sah ihm noch eine Weile nach. Es war wirklich ein Wunder, dass Boromir noch unter ihnen weilte. Damals, im Krieg gegen Sauron, war Boromir von drei Pfeilen durchbohrt worden und dem Tode nur knapp entronnen. Aragorns Heilkünste allein hätten ihn nicht retten können, wenn nicht ein kleiner Trupp von Elben, die Galadriel zu ihrem Schutz hinterhergeschickt hatte, gerade rechtzeitig aufgetaucht wäre. In Lothlorien hatte man den Krieger schließlich gesund gepflegt. Wie das alles genau vonstatten gegangen war, wusste Pippin natürlich nicht. Er und Merry waren von den Uruk-Hai entführt worden, in der Gewissheit den tapferen Boromir nie mehr wiederzusehen.

  Pippin schüttelte sich kurz. Selbst nach den fünf Jahren, die nun verstrichen waren, war dies alles noch zu nah, als das es nicht mehr seine Gefühlswelt erschüttern konnte.

  „Pippin, wo bleibst du denn?!" riss Merrys Stimme den jungen Hobbit aus seinen Gedanken. Pippin wandte sich um und erstarrte für einen Moment. Ihm war, als wäre ein Stück weit hinter Merry eine düstere Gestalt den Flur entlanggehuscht.

  Merry kam stirnrunzelnd auf ihn zu. „Was ist denn?"

  Pippin blinzelte zweimal. „Ich... ich weiß nicht", stotterte er. „Da war irgendwas im Flur."

  Merry sah sich um und wandte sich dann wieder seinem Freund zu. „Wir sind in einer Burg, Pip, hier gibt es viele Menschen und ein paar Tierchen..."

  „... die vorsichtig durch die Flure huschen?" ergänzte Pippin seinen Satz.

  Merry zuckte mit den Schultern. „Vielleicht war es jemand, der in der Küche genascht hat und nicht erwischt werden wollte."

  „Und wenn dort nicht die Küche ist?"

  „Das werden wir ja gleich sehen", meinte Merry und ging eiligen Schrittes auf die einzige Tür zu, die es in diesem Teil des Flures gab.

  Gerade als er am Türknauf ziehen wollte, öffnete sich die Tür und ein riesiges Tablett mit gebratenem Truthahn, Klößen und verschiedenen Gemüsesorten schob sich direkt vor seine Nase. Merrys Augen quollen buchstäblich aus den Höhlen und er fuhr sich fast zwanghaft mit der Zunge über die Lippen.

  Pippin hatte innerhalb von Sekunden die unheimliche Erscheinung vergessen und war mit wenigen Schritten bei seinem Freund, um die Köstlichkeiten zu bestaunen, die nach und nach an ihnen vorüberzogen. Für eine kleine Weile fiel kein Wort zwischen ihnen. Ihre Augen folgten gierig jeder einzelnen Speise, die herausgetragen wurde, bis sie von der nächsten abgelenkt wurden. Doch schließlich brach der Strom der Köstlichkeiten ab und den beiden Hobbits wurde zum ersten Mal gewahr, dass da auch Menschen waren, die die Tabletts trugen, als der letzte von ihnen die Tür hinter sich schloss und fragend auf sie hinabsah.

  „Kann ich euch irgendwie helfen?" erkundigte sich der junge Mann freundlich.

  „Ja,... äh... nein", stammelte Pippin. „Wir wollten nur nachsehen, wann wohl alles fertig sein wird."

  „In einer viertel Stunde beginnt das große Festmahl", antwortete der Küchenjunge. „Und die Herren sollten vielleicht ein wenig früher im Festsaal sein, um der Ansprache des Königs beizuwohnen."

  „Oh, das haben wir fast vergessen", gab Pippin peinlich berührt zu und auch Merry wurde ein wenig rot um die Ohren. „Wir machen uns sofort auf den Weg."

  Er ergriff Merrys Arm, dessen Blick sich schon wieder an den köstlichen Nachspeisen auf dem Tablett des Burschen festgefressen hatte, und zog ihn mit sich.

  „Sag ich' s doch: Erdbeeren", bemerkte Merry, während er Pippin widerstrebend folgte.

  „Aragorn wird bestimmt nicht begeistert sein, wenn wir in seine Rede hereinplatzen", murmelte Pippin und musste sich zwingen nicht auf die Speisen zu starren, an denen sie nun vorbeieilten. „Du weißt doch wie schwer es ihm fällt, sich den Vorschriften des Hofes gemäß zu verhalten."

  „Ja", brummte Merry unwillig und sträubte sich ein wenig gegen das Tempo, das Pippin vorlegte und somit verhinderte, das Essen noch einmal ausgiebig zu bestaunen, „aber das verschiebt sich doch meistens um fast zehn Minuten. Wir haben bisher nie pünktlich angefangen."

  „Ja und wir sind trotzdem noch nie pünktlich erschienen!" erwiderte Pippin und bog in einen kleinen Nebengang ein.

  „Wo willst du hin?" erkundigte sich Merry erstaunt und machte sich von Pippin los, um stehen zu bleiben.

  „Das ist eine Abkürzung", erklärte der Hobbit ungeduldig. „Vertrau mir. Ich hab den Weg gestern entdeckt, als ich mich verlaufen hatte."

  „Wenn du dich verlaufen hast, wie willst du dann wissen, wohin der Gang führt?" hakte Merry misstrauisch nach.

  „Weil ich hier reingegangen und in der Nähe des Festsaals wieder rausgekommen bin", erwiderte Pippin. „Komm jetzt."

  Merry schüttelte zögernd den Kopf. „Ich glaube, ich folge lieber den Speisen. Dann komme ich wenigstens pünktlich zum Essen."

  Er wandte sich um und ging langsam zurück. Pippin dachte einen Moment nach. Vielleicht hatte Merry gar nicht so Unrecht. Wenn er sich irrte, konnte er sich hier wirklich schlimm verlaufen. Das Schloss von Minas Tirith hatte einfach zu viele Gänge, als dass man sich dort zurechtfinden konnte. Selbst Aragorn hatte zugegeben, dass er manchmal in ganz schöne Schwierigkeiten geriet, wenn er bestimmte Räume aufsuchen sollte. Doch gerade als Pippin sich entschlossen hatte seinem Freund zu folgen, ertönte ein merkwürdiges Geräusch im Flur, nicht weit von ihm entfernt. Der Flur war dunkel aber nicht zu dunkel um etwas zu erkennen. Dort bewegte sich etwas – eine Gestalt die sich fast lautlos von ihm fortbewegte, der leichten Biegung des Flures folgend. Es war dieselbe Gestalt, die Pippin schon vorhin gesehen hatte und irgendetwas an ihr war merkwürdig, merkwürdig und gefährlich.

  Eine Gänsehaut rieselte über Pippins Rücken und sein Herz begann schneller zu schlagen, als er sich in Bewegung setzte. Es war vielleicht nicht vernünftig dieser Gestalt folgen, aber irgendetwas sagte ihm, dass es seine Pflicht war es zu tun. Doch dies war leichter gesagt als getan. Die Gestalt bewegte sich schnell und der Flur wurde dunkler, sodass sie schließlich kaum noch zu erkennen war. Zudem fiel der Gang auch noch schräg nach unten ab und Pippin musste sich zusätzlich noch darauf konzentrieren nicht zu stolpern und schlimm zu stürzen. Er hörte seinen eigenen Atem unnatürlich laut in seinen Ohren wiederhallen und bald hatte er das Gefühl keine anderen Geräusche mehr zu hören als die, die er selber machte.

  Plötzlich war der Gang zuende und die Gestalt verschwunden. Irritiert sah er sich nach rechts und links in den großen Flur, in den der Gang mündete und dann wieder zurück in die Dunkelheit aus der er gekommen war. Er schrie entsetzt auf, als ihm jemand daraus entgegentrat.

  „Mein Güte, Pippin!" stieß Merry entgeistert aus. „Was ist denn mit dir los?!"

  Pippins Hand hatte sich in den seidenen Stoff seines Hemdes direkt über seinem Herzen gekrallt, das schmerzhaft in seiner Brust hämmerte. Doch er war erleichtert, dass sein Freund ihm doch noch gefolgt war.

  „Du schleichst hier herum wie ein Gespenst", fuhr Merry rügend fort, „und bist schreckhaft wie nie zuvor!"

  „Ich hab' sie schon wieder gesehen!" brachte Pippin mit zitternder Stimme hervor.

  „Wen?"

  „Diese Gestalt mit dem Umhang!"

  „Pip, wir sind in Minas Tirith", entgegnete Merry ruhig, doch ihm war anzumerken, dass sich Pippins Anspannung auf ihn übertrug. „Diese Stadt hat sieben Mauern und es wimmelt hier nur so von Soldaten und Wachleuten. Hier kommt keiner herein, den niemand hier haben will. Vielleicht war es sogar Frodo, der in der Küche genascht hat."

  „Frodo hat sich bei unserem kleinen Wettrennen mit den Ponys das Bein gebrochen", meinte Pippin. „Du erinnerst dich?"

  „Dann war es vielleicht Sam", erwiderte Merry. „Er hat unserem Freund was zu essen geholt."

  „Du hast doch selber vorhin gehört, dass Frodo sich nicht davon abhalten lassen wird, an den Feierlichkeiten teilzunehmen", hielt Pippin dagegen. „Sam ist bestimmt gerade angestrengt damit beschäftigt ihn irgendwie in den Festsaal zu bringen, wenn sie nicht schon längst dort sind. Außerdem war die Gestalt viel zu groß."

  „Na, vielleicht war es dann dieser jemand dort", meinte Merry und wies an ihm vorbei.

  Pippin wandte sich um und sah eine hochgewachsene Person, mit langem seidigblondem Haar auf sich zukommen. Sie bewegte sich geschmeidig und so gut wie lautlos und ein weicher, schimmernder Umhang wehte um ihre Beine. Pippin runzelte nachdenklich die Stirn. Vielleicht hatte Merry ja Recht, aber es fehlte irgendwie diese Aura von Gefährlichkeit, die er zuvor verspürt hatte. Obwohl auch Elben manchmal sehr unheimlich sein konnten. Der Elb lächelte, als er die beiden Hobbits erreicht hatte.

  „Habt ihr euch verlaufen?" fragte er amüsiert. „Das Fest wird jede Minute beginnen."

  „Und was machst du dann noch hier, Haldir?" erkundigte sich Merry keck. „Schleichst in dunklen Gängen herum und erschreckt kleine Halblinge."

  Zu Pippins Unbehagen zeigte sich Erstaunen auf den ebenmäßigen Gesichtszügen des Elben. „Ich treffe gerade erst hier ein", sagte er. „Wovon sprichst du?"

  „Pippin hat irgendeine mysteriöse Gestalt hier herumschleichen sehen", erklärte Merry. „Aber hier kann doch niemand Gefährliches hereinkommen, oder?"

  Haldir sagte für einen Moment gar nichts. Sorgenfalten bildeten sich auf seiner Stirn und Pippin wurde das Gefühl nicht los, das sie nicht zum ersten Mal an diesem Tag dort entstanden. „Wo hast du sie gesehen?" fragte er schließlich angespannt. Sein Blick wurde von etwas anderem abgelenkt und er gab irgendjemandem hinter ihnen einen kurzen Wink.

  „Was macht ihr denn noch hier?" ertönte eine Stimme, die die Hobbits mehr als gut kannten. Irgendwie fühlte sich Pippin sofort besser, als er in Legolas kluge Augen sah, obwohl auch er etwas angespannt schien.

  „Sie haben eine Gestalt verfolgt, die ihnen verdächtig erschien", erklärte Haldir knapp. Sie tauschten einen Blick, den Pippin nicht zu deuten vermochte; dann wandte sich Legolas ihm wieder zu. „Wo war das?"

  „Dort in dem Gang", erklärte Pippin und wies mit dem Finger in die Dunkelheit, die hinter ihm lag. „Aber als ich heraus kam, war niemand mehr zu sehen. Dabei war ich relativ dicht hinter ihr."

  „Ihr macht mir langsam Angst", bemerkte Merry, als die Elben erneut einen dieser merkwürdigen Blicke austauschten. „Jetzt sagt bloß, dass ihr irgendeinen Meuchelmörder sucht."

  Legolas Mund verzog sich zu einem kleinen Lächeln. „Ich hoffe so schlimm ist es nicht."

  „Du hoffst?" wiederholte Pippin nervös. „Was hat das zu bedeuten?"

  „Es ist nicht so, dass bisher irgendetwas passiert ist", gab Legolas zögernd zu. „Es ist nur..." Er brach ab, wohl weil er nicht die richtigen Worte zu finden schien, oder weil er sie nicht weiter beunruhigen wollte.

  „Du fühlst etwas", sprach Merry für ihn weiter. Die Hobbits hatten diese Worte schon einmal  gehört, vor nicht allzu langer Zeit. Und Legolas Vorahnung hatte sich damals als richtig erwiesen. „Eine Bedrohung... einen Schatten..."

  „Nicht nur ich", musste der Elb gestehen. „Einige Elben haben gefühlt, dass etwas nicht stimmt. Wir sind zugegebenermaßen ein wenig beunruhigt."

  „Deswegen seid ihr nicht im Festsaal und schleicht stattdessen auf den Fluren herum", stellte Pippin erregt fest. „Ich hatte also Recht! Diese Gestalt ist möglicherweise gefährlich!" Er sah Merry triumphierend an. „Siehst du!!"

  „Jaja, möglicherweise. Aber was machen wir jetzt?"

  Die beiden Freunde sahen sich ratlos an und blickten dann fragend zu den Elben hoch.

  „Wir sollten erst einmal Aragorn warnen und zwar schnell", schlug Haldir vor. „Sollte ein Anschlag geplant sein, muss die königliche Familie sofort in Sicherheit gebracht werden."

  Legolas nickte dem Elben zu und Haldir eilte sofort von dannen.

  „Man will Aragorn töten?" fragte Merry entsetzt.

  „Das ist nicht sicher", meinte Legolas. „Aber es gab in letzter Zeit einige politische Unruhen. Es ist besser, wenn wir vorsichtig sind." Der Elb überlegte einen Moment. „Vielleicht solltest du auch den anderen bescheid sagen, Merry, damit sie die Augen aufhalten."

  „Und was macht ihr?"

  „Ich werde mir mit Pippin zusammen noch einmal den Gang ansehen, dann kommen wir nach."

  Merry zögerte einen Moment. Die beiden Hobbits fühlten sich einfach nicht wohl, wenn sie in gefährlichen Situationen voneinander getrennt wurden. Schließlich hatten sie bisher fast alles gemeinsam durchgestanden, bis auf diese schreckliche Zeit der Trennung im Krieg vor den Toren von Minas Tirith. Sie waren nicht bereit so etwas noch einmal durchzumachen. Doch schließlich nickte Merry. Was sollte im Schloss von Minas Tirith schon passieren, wodurch sie für längere Zeit voneinander getrennt würden?

  „Pass mir gut auf ihn auf, Legolas!" ermahnte Merry den Elben ernsthaft und sah seinen Freund eindringlich an. „Und fass' ja nichts an, von dem du nicht weißt, was es ist, Pip!"

  Pippin nickte brav. „Wir sehen uns im Festsaal, Merry. Mach' dir keine Sorgen!" Nun war es an Merry zu nicken und er machte sich schnell auf den Weg.

  Pippin sah fragend zu Legolas hoch. Der Elb lächelte dem Hobbit aufmunternd zu. „Na, los – machen wir uns einen schönen Abend", sagte er und zog eine der Fackeln, die den Flur erhellten, aus ihrer Verankerung, um dann damit voran zu gehen.

  Pippin bemerkte mit Erleichterung, dass Legolas eines seiner langen Messer unter dem Mantel trug. Der Schneide, die durch den langen Schlitz des Gewandes zum Teil zu sehen war, reflektierte das Licht der Fackel und warf helle Flecken auf die grauen Mauern des ansteigenden Ganges. Pippin konnte sich nicht daran erinnern seinen Freund jemals im Schloss von Minas Tirith bewaffnet herumlaufen gesehen zu haben, doch es beunruhigte ihn nicht allzu sehr. Er hatte Legolas schon oft genug mit diesen Messern kämpfen gesehen, um zu wissen, dass es so gut wie unmöglich war, ihn in einem direkten Angriff ohne eine große Übermacht auch nur zu verletzen. Und da Elben ausgesprochen gute Augen und Ohren hatten und zudem noch ein ausgeprägtes Gespür für Gefahren besaßen, war es wohl auch sehr unwahrscheinlich, dass sie in einen Hinterhalt gerieten.

  Die Fackel spendete genug Licht, um jeden einzelnen Stein in den Mauern des Ganges sichtbar zu machen und Pippin war sich bald sicher, dass sich hier keine Menschenseele mehr verbarg. Umso erstaunter war er, als Legolas plötzlich ruckartig stehen blieb, so als habe er irgendetwas gehört. Der Elb drehte sich zur Wand und fuhr mit einer Hand über die glatten Steine. Er hatte nichts gehört – er hatte etwas gespürt; einen Luftzug, der das Feuer der Fackel kaum merklich flackern ließ. Wieder hielt Legolas inne und blieb für einen Moment reglos stehen, während Pippin ihn mit großen Augen ansah. Dann hob der Elb den Blick und trat ein wenig von der Mauer zurück, um sie aus einem gewissen Abstand zu betrachten.

  Pippin tat es ihm nach und versuchte nun auch angestrengt das zu entdecken, was Legolas suchte, was immer es auch war. Er war so in die Suche vertieft, dass er erschrocken zusammenzuckte, als Legolas ihn sanft an der Schulter berührte.  „Siehst du das?" fragte er leise,  hob die Fackel ein wenig höher und wies auf einer Stelle der Wand ein ganzes Stück über ihnen.

  Pippin kniff die Augen zusammen und schließlich entdeckte er, was der Elb mit seinen scharfen Augen schon viel früher bemerkt hatte: eine dunkles Loch in der Wand, das man im Vorübergehen kaum entdecken konnte.

  „Ein Geheimgang!" stieß Pippin aufgeregt hervor. „Meinst du die Gestalt ist dort hinaufgeklettert?"

  „Wenn sie so groß war wie ich, hat sie nicht viel klettern müssen", erwiderte Legolas und trat wieder an die Wand heran und Pippin bemerkte sofort, das der Elb den Eingang gewiss problemlos erreichen konnte, ohne sich auch nur zu strecken. Legolas sah auf ihn hinab. Ein fragender Ausdruck lag in seinen Augen.

  „Natürlich komme ich mit!" brach es sofort aus Pippin heraus. „Ich lasse dich doch nicht allein da hineinklettern."

  Legolas lächelte. „Du gehst vor", sagte er grinsend und dem Hobbit blieb keine Zeit mehr zum Protestieren, denn der Elb hatte ihn im Nu ergriffen und heraufgehoben, so dass er gezwungen war in die unheimliche Dunkelheit vor ihm zu kriechen. Obwohl Legolas ihm sofort folgte, fing sein Herz wieder an hart in seiner Brust zu pochen. Er kroch noch ein Stück weiter in den engen Gang hinein und wollte sich gerade zu Legolas umdrehen, als er mit Schrecken feststellen musste, dass der Boden plötzlich steil abfiel. Er unterdrückte einen Schrei als er ins Rutschen geriet und landete schließlich hart auf dem Boden eines weiteren, engen, aber wieder mannshohen Ganges. Pippin blinzelte verstört und stand auf, um sich den Dreck von seiner kostbaren Festkleidung zu klopfen. Wenige Sekunden später landete auch Legolas in der für Elben typischen eleganten Art und Weise neben ihm und zwar ohne sich zuvor in den Dreck zu setzen. Elben waren irgendwie wie Katzen, überlegte Pippin, sie landeten immer auf ihren Füßen.

  „Wo hast du die Fackel gelassen?" fragte er schließlich leise, denn die düstere Atmosphäre in diesem Gang war schon beängstigend, obwohl es hier erstaunlicherweise nicht restlos dunkel war. Pippin konnte sowohl seinen Freund als auch den weiteren Verlauf des Ganges, der einige Treppenstufen hinaufführte, recht gut erkennen. 

  Legolas schüttelte den Kopf und legte den Finger an die Lippen und Pippin verstand sofort. Wenn sich hier tatsächlich ein Feind aufhielt, war es wohl besser nicht zuerst von ihm entdeckt zu werden. Pippin sah sich vorsichtig um. Der Gang schien schon lange nicht mehr benutzt worden zu sein, denn überall hingen Spinnenweben von den Wänden. Bald schon konnte Pippin die Ursache für die eigenartigen Lichtverhältnisse ausmachen. Die linke Wand besaß in ihrem weiteren Verlauf schmale Einlässe, durch die von irgendwoher Licht drang. Legolas trat dichter zu ihm heran, zog etwas unter seinem Mantel hervor und ging vor ihm in die Hocke. „Nimm das zu Sicherheit", flüsterte er ihm zu und überreichte ihm einen schmalen Dolch. „Falls es doch gefährlich werden sollte..."

  Pippin schluckte schwer und nahm die scharfe Waffe schnell an sich. Ein dumpfes Gefühl in seinem Bauch sagte ihm, dass er sie bald dringend brauchen würde. Er hoffte so, dass er sich irrte. Legolas erhob sich wieder und gab ihm mit ein paar kurzen Handzeichen zu verstehen, dass er ihm leise folgen sollte.

  Im Laufe der Jahre hatte sich einiges an Sand und Staub am Boden des Ganges und auf den schmalen Treppenstufen, die sie immer wieder erklimmen mussten, abgesetzt und obwohl sowohl Hobbits als auch Elben wahre Meister darin waren sich fast lautlos fortzubewegen, ließ es sich doch nicht vermeiden, dass sie ab und zu ein Geräusch verursachten, das unnatürlich laut in ihren Ohren widerhallte. Pippin versuchte sich darauf zu konzentrieren möglichst leise zu schleichen, doch der Drang herauszufinden, woher das mysteriöse Licht kam, wurde nach einer Weile so stark, dass er schließlich stehen blieb und neugierig durch einen Spalt in der Wand lugte. Er riss erstaunt die Augen auf, als er direkt hinunter in den Festsaal sehen konnte. Der Saal hatte sich bereits gefüllt und er erkannte einige bekannte Gesichter. Und dort in einer Ecke stand Aragorn zusammen mit seiner schönen Frau, umgeben von seinen engsten Vertrauten: Boromir, Faramir, Gandalf, Eomer und auch Haldir. Der Elb hatte ihn also noch rechtzeitig erreicht. Und da war ja auch Merry, der sich aufgeregt mit Sam und dem auf Krücken gehenden Frodo unterhielt. Niemand sonst schien Notiz davon zu nehmen, dass der König und seine Freunde immer angespannter wurden je länger sie sich mit Haldir unterhielten. Einzig die anwesenden Elben sahen sich immer wieder aufmerksam nach allen Seiten um und versuchten so sich einen Überblick über alles zu verschaffen. Nichts konnte ihren scharfen Augen entgehen – bis auf Pippin, der sich hinter einer Mauer aus Stein verbarg. Dies war das ideale Versteck, der ideale Standort eines Attentäters.

  Pippin schluckte schwer. Wenn irgendjemand einen Anschlag geplant hatte, dann verbarg er sich hier und er musste jetzt zuschlagen, sonst standen die Chancen, dass er den König noch erwischte ziemlich schlecht, denn den wenigen Eingeweihten dort unten, war anzusehen, dass sie damit rechneten, dass etwas passierte.

  Ein lautes Geräusch hinter ihm ließ Pippin erschrocken herumfahren. Es war ein Zuruf gewesen in einer anderen Sprache, die der Hobbit nicht kannte. Er hatte gar nicht die Zeit, um in Panik zu geraten, als eine dunkle Gestalt geduckt auf ihn zugerannt kam. Instinktiv zog er seinen Dolch, obwohl die Person keine Anstalten machte, ihn anzugreifen. Anscheinend hielt sie ihn in der Dunkelheit für jemand anderen. Nur wenige Schritte vor ihm bremste sie plötzlich ab, riss die dunklen Augen, die zwischen Kopftuch und Schleier zu sehen waren, entsetzt auf und griff unter ihren Umhang, um in aller Eile einen riesigen Krummsäbel hervorzuziehen. Pippin blickte auf den nahezu lächerlich wirkenden Dolch in seiner Hand, schüttelte verzweifelt den Kopf und stürzte sich mit einem markerschütternden Schrei auf seinen Gegner. Der Fremde wich erschrocken zurück und stieß unsanft gegen die Wand, besann sich dann aber schnell und fegte Pippin mit einem Schlag seine Waffe aus der Hand. Der Hobbit sah kurz von seiner nun leeren Hand  auf den Krummsäbel direkt vor seiner Nase, war sich herum und stürzte los. Flucht war für ihn wohl doch die bessere Verteidigung, obwohl er nicht wusste, wohin er floh. Aber irgendwo musste der verfluchte Elb doch stecken; er musste doch bemerkt haben, dass er jemanden verloren hatte. Warum war er nicht umgekehrt?

  Die Frage beantwortete sich von selbst, als Pippin über eine am Boden liegende Gestalt springen musste, um nicht böse zu stürzen. Nicht weit von ihm entfernt ertönte das Klirren von Schwertern und als Pippin seine Augen etwas anstrengte, konnte er zwei kämpfende Silhouetten entdecken, von denen eine ganz gewiss Legolas war. Pippin war die Art, wie sich der Elb bewegte wohl bekannt.

  „Legolas!" schrie er aus Leibeskräften. „Da ist noch einer!!"

  Der Elb streckte seinen Gegner in einer halben Drehung nieder und war in wenigen Schritten bei ihm. „Wo?" stieß er ein wenig außer Atem hervor.

  „Er war direkt hinter mir", erklärte Pippin und starrte angespannt in die Dunkelheit. „Vielleicht hat er es sich auch anders überlegt", setzte er kleinlaut hinzu, als sich niemand zeigte.

  Legolas nickte knapp. „Komm!" sagte er nur und zog den Hobbit mit sich. Obwohl der Flur sich nun gabelte, zögerte er nicht eine Sekunde. Irgendetwas musste ihm wohl sagen, welcher Weg zu wählen war und Pippin folgte ihm widerspruchslos. „Wo ist dein Dolch?" fragte er, als er noch einmal einen prüfenden Blick auf den Hobbit geworfen hatte.

  „Er wurde mir aus der Hand geschlagen", gab Pippin zu und wagte es nicht ihn dabei anzusehen. „Und ich hatte nicht die Zeit ihn wieder an mich zu nehmen."

  Der Elb nickte nur. „Bleib einfach dicht bei mir."

  „Das werde ich", versprach Pippin beherzt. So ein dummer Fehler würde ihm nicht noch einmal passieren. „Aber wer sind die denn?" erkundigte er sich sogleich, während er neben dem Elben hertrabte.

  „Südländer", war die knappe Antwort.

  „Und was wollen die?"

  Legolas zuckte die Schultern. „Vermutlich Aragorn töten."

  Pippin schluckte schwer. „Wie viele waren es?"

  „Dort im Gang nur vier", erklärte der Elb. „Zwei sind entkommen."

  „Du meinst also, es sind noch mehr hier?"

  Legolas kam nicht dazu zu antworten, denn schon sprang ihm jemand aus der Dunkelheit entgegen. Der Elb reagierte so schnell, dass der Angreifer erst gar nicht dazu kam den angefangenen Hieb mit dem Schwert zu Ende zu führen. Die Gestalt stieß ein entsetztes Gurgeln aus, als die Klinge des Elbenschwertes durch ihre Kehle schnitt und stürzte ungebremst auf Pippin hinab. Der Hobbit wurde buchstäblich unter ihrem Körper begraben. Er strampelte wie wild um wieder frei zu kommen, denn irgendwie hatte sich der schwere Mantel des Fremden um seinen Kopf gewickelt und er hatte das Gefühl zu ersticken, doch schließlich gelang es ihm wenigstens seinen Oberkörper frei zu bekommen und sich den schweren Stoff vom Gesicht zu ziehen. Erst als er ein paar Atemzüge genommen hatte, war er wieder fähig, alles andere um sich herum wahrzunehmen.

  Ihr Angreifer war nicht allein gewesen. Legolas hatte mit zwei weiteren zu kämpfen, die ihn auf das Heftigste attackierten und aus der Dunkelheit des Gangendes, aus dem sie gekommen waren, konnte er eine weitere Person auf sie zueilen sehen. Mit allergrößter Mühe zog Pippin seine Beine unter dem schweren Körper hervor, sprang auf die Füße und riss das Schwert des Toten hoch, um sich dem nahenden Gegner entgegenzustürzen; dass heißt er wollte es hochreißen, denn der verfluchte Säbel schien aus reinem Blei zu bestehen und Pippin brachte ihn nur wenige Zentimeter über den Boden. Er ließ ihn erschrocken fallen, als er bemerkte, wie nah der Feind wirklich schon war. Die Waffe fiel schwer auf die Füße des Angreifers. Der Fremde stieß einen unterdrückten Schmerzenslaut aus und sprang auf einem Bein zurück in die Dunkelheit des Ganges, während Pippin schnell Deckung hinter Legolas suchte, der im selben Moment seinen letzten Gegner niedergestreckt hatte. Der Elb wollte dem Fliehenden nachsetzen, als laute Geräusche aus einer anderen Richtung ertönten: Aufgeregte Schreie von vielen Personen und das Sirren von Pfeilen.

  Pippin und Legolas setzten sich zeitgleich in Bewegung und stürmten den Gang entlang. Bald schon erreichten sie eine kleine Tür, die von ihnen nahezu aus den Angeln gehoben wurde, und stürmten überrascht auf einen der Balkone des Festsaals. Doch sie hatten nicht die Zeit sich lange zu wundern, denn fast direkt vor ihnen saßen, von der Balustrade geschützt, drei der schwarzgekleideten Attentäter. Sie waren mit Armbrüsten bewaffnet, die sie sofort auf die Störenfriede richteten. Geistesgegenwärtig stieß Legolas Pippin zu Boden und wich selber im letzten Moment den Pfeilen aus, die auf ihn zuschossen. Dann sprang er vor und stieß einem der Männer sein Schwert in die Brust, während er einen der anderen beiden mit einem gezielten Fußtritt zu Boden beförderte. Der dritte Südländer hob erneut die Armbrust, doch sank er im nächsten Moment tot in sich zusammen. Ein Elbenpfeil steckte in seinem Rücken und als Pippin durch eine Lücke zwischen des Säulen des Balkons spähte, entdeckte er Haldir in dem aufgeregten Durcheinander unter ihnen, der Legolas einen kurzen Wink gab.

  Pippin beobachtete mit großen Augen, wie Legolas auf die Balustrade sprang und mit einem unglaublichen Satz auf dem nächsten Balkon landete mitten in einer Gruppe weiterer Südländer, die bisher auf die Elben und Soldaten im Festsaal geschossen hatten. Zwei der Feinde stürzten sogleich mit gellenden Schreien hinab in den Festsaal, während ein weiterer röchelnd zusammenbrach.

  Der Hobbit blinzelte zweimal. Um Legolas brauchte er sich gewiss keine Sorgen zu machen und helfen konnte er ihm dort drüben auch nicht. Also stand er auf und blickte hinab in die Schlacht, die unter ihm tobte. Welch ein heilloses Chaos. Es waren zwar nicht mehr sehr viele unbescholtene Gäste anwesend, aber die, die noch da waren, rannten kreischend durch die Gegend oder suchten, ebenfalls kreischend, Schutz hinter den Säulen der Halle oder umgekippten Tischen, während die Elben und die Krieger Gondors dabei waren, einen Feind zu bekämpfen, der im  ersten Moment gar nicht sichtbar war. Soweit Pippin die Lage überblicken konnte, gab es zwei Gruppen von Angreifern: die Armbrustschützen, die sich auf den Balkonen versteckt hatten, und die Schwertkämpfer, die unten im Saal einen direkten Kampf wagten.

  Aber was zum Teufel bezweckten diese Menschen nur? Ein Attentat führte man ja wohl kaum auf diese Weise durch. Und was sollte eine direkter Angriff mitten im Schloss von Minas Tirith wohl bewirken, außer, dass diese Menschen alle starben? Und wo war Aragorn? Pippin hatte schon Faramir und Eomer entdeckt; sogar Merry kämpfte dort unten wacker an der Seite von Gimli. Von Boromir fehlte auch jede Spur.

  Der Blick des Hobbits fiel wieder auf Haldir, der die Armbrustschützen vom Boden aus unter Beschuss nahm. Der Elb sah zu ihm hoch und gab ihm aufgeregt ein Zeichen. Pippin sah hinüber zu Legolas, der sich schon auf dem dritten Balkon befand und bemerkte nun auch, worauf Haldir ihn aufmerksam hatte machen wollen: Einer der Südländer versuchte hinter Legolas zu fliehen. Pippin ergriff eine der Armbrüste und ein paar Pfeile, die vor ihm lagen und stürzte los. Wenn es eine Geheimtür zu einem Balkon gab, dann gab es gewiss auch welche zu den anderen. Heute würde keiner von diesen feigen Attentätern entkommen.