3.Kapitel

  „Kommt er wieder zu sich?"

  „Ja, ich glaube es hat ihn nicht allzu schwer erwischt."

  „Also, doch kein Gift?"

  „Jedenfalls keines, das ihn töten sollte."

  Das Licht brannte in Aragorns Augen, als er blinzelnd versuchte wieder etwas um sich herum zu erkennen. Undeutlich sah er die Umrisse einiger Gestalten, die sich um ihn versammelt hatte. Ihre Stimmern klangen merkwürdig hallend in seinen Ohren, aber er glaubte die markanten Stimmen von Gandalf und Boromir herauszuhören. Er brauchte einen Moment um sich zu erinnern, was geschehen war. Bilder zogen im Eiltempo vor seinem inneren Auge vorbei: Schwarzgekleidete Südländer, die plötzlich überall auftauchten, gerade als er sich unauffällig zurückziehen hatte wollen; ein Pfeil, der sich in seinen Arm bohrte; Boromir, der sich kampfesmutig den herannahenden Feinden entgegenwarf; Eomer der seine Schwester und die Kinder gegen ihren Willen in Sicherheit bringen ließ. Aragorn hatte selber versucht zu kämpfen, aber bald schon war es dunkel um ihn herum geworden.

  „Was... ist passiert?" brachte er mit Anstrengung hervor und setzte sich mühsam auf.

  „Ein Attentat", erklärte Boromir knapp. „Wir wissen auch nicht, wo sie plötzlich hergekommen sind."

  Aragorn sah sich irritiert um. Sie befanden sich wohl auf einem der Flure und um sie herum herrschte große Aufregung, ein sicheres Zeichen dafür, dass der Kampf noch nicht vorüber war.

  „Wo ist mein Schwert ?" stieß Aragorn hervor und ließ sich von Boromir auf die Beine helfen.

  „Ich dachte mir schon, dass du nicht so vernünftig sein wirst, dich zurückzuziehen", bemerkte Gandalf schmunzelnd und reichte ihm seine Waffe. „Deswegen war ich auch nicht allzu angetan von dem Gedanken dich aus deinem erzwungenen Schlaf zu erwecken, nachdem ich festgestellt hatte, dass du nicht vergiftet worden bist."

  „Also ein Betäubungsmittel", schloss Aragorn, froh darüber, den alten Mann wieder so gut erkennen zu können, dass ihm ein Kopfnicken als Antwort genügte.

  „Ich nehme es an", setzte der Zauberer dennoch hinzu.

  „Was macht das für einen Sinn?" murmelte Aragorn, kam aber nicht dazu, sich weiter darüber Gedanken zu machen, da in diesem Moment drei Südländer auf sie zugestürmt kamen. Der König hob sein Schwert und atmete tief durch, in der Hoffnung wieder völlig Herr seiner Kräfte zu sein.

  „Lasst sie am Leben, wenn es möglich ist!" reif er seinen Freunden und den beiden Männer seiner Leibgarde zu, die bei ihm ausgeharrt hatten. Funken stoben, als die Klingen gegeneinander schlugen und als Aragorn in die Augen seines Gegners sah, wusste er, dass seine Forderung kaum zu erfüllen war. Diese Männer würden lieber sterben, als sich auch nur in irgendeiner Weise geschlagen zu geben. Aus den Augen seines Gegenübers sprach ein Fanatismus und Hass, der selbst einen gestandenen Mann wie Aragorn erschütterte. Wollten die Südländer ihn vorher nicht töten, so war es jetzt ganz sicher anders. Ihr Plan war fehlgeschlagen, nun hieß es für sie entkommen oder sterben, ganz gleich, wer sich ihnen in den Weg stellte.

  Es war ein harter aber kurzer Kampf. Aragorns Gegner war stark, aber nicht wendig genug, um ihm ebenbürtig zu sein und schließlich sank er tot in sich zusammen. Aragorn kümmerte sich nicht weiter um ihn, sondern stürmte los, zurück in den Festsaal. Er wollte sich selbst ein Bild über die momentane Lage machen. Als er schließlich in den Saal stürzte, schien schon fast alles wieder unter Kontrolle zu sein. Die Krieger Gondors hatten mit Hilfe der Elben den Kampf so gut wie gewonnen. Es wurde nur noch vereinzelt gekämpft und auch von den Balkonen ging keine Gefahr mehr aus. Haldir kam mit einem erleichterten Lächeln auf ihn zu.

  „Dem Himmel sei Dank, du bist unversehrt!" stieß er atemlos hervor, doch sogleich verfinsterte sich sein ebenmäßiges Gesicht wieder. „Du solltest nicht hier sein."

  „Mein Platz war und wird immer an der Seite meiner Freunde sein", erwiderte Aragorn und legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Und ich denke sie haben schon ganze Arbeit geleistet. Es sieht nicht so aus als würde mir hier noch irgendwo eine Gefahr drohen."

  „Noch sind nicht alle Feinde besiegt", mahnte der Elb ihn. „Einige sind geflohen. Ich wollte mich gerade an ihre Fersen heften. Legolas und Pippin werden das nicht alleine schaffen. Aber du solltest dich wirklich an einen sicheren Ort begeben. Wenigstens um deine Freunde und dein Volk zu beruhigen. Und vor allen Dingen deine Familie. "

  „Das sehe ich genauso", hörte Aragorn Boromir neben sich sagen. Der König nickte ohne ihn anzusehen.

  „Vielleicht habt ihr Recht", gab er zu und warf einen nachdenklichen Blick auf die Balkone. „Es gibt hier eindeutig zu viele unbekannte Geheimgänge. Eine böse Überraschung am Tag wird wohl reichen."

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~* ~*~*~*~*~*~

Pippin war stolz auf sich. Es gab wohl nicht viele Hobbits, die derart treffsicher mit einer Armbrust waren, einer menschlichen Armbrust wohlgemerkt. Zwei dieser unheimlichen Gestalten hatte er jetzt schon niedergestreckt und das ganz allein in der Dunkelheit dieser unglaublich zahlreichen Gänge. Dennoch war er sich sicher, dass in den Geheimgängen noch mehr von diesen Haradrim umherirrten, nach einem Weg in die Freiheit suchend. Aber er würde ihnen einen Strich durch die Rechnung machen. Niemand bedrohte ungestraft das Leben seiner Freunde. Er besaß zwar nur noch zwei Pfeile, aber wenn diese verschossen waren, konnte er ja immer noch umkehren. Er war einfach zu wütend, um vernünftig zu sein und jetzt schon aufzugeben.

  Er bleib stehen, als er an eine erneute Gabelung kam und zögerte. Sich zwei bis drei Biegungen zu merken war bisher kein großes Problem gewesen, aber dies war jetzt schon die vierte und die Gänge waren dunkel und sahen alle gleich aus. Es war schon jetzt anstrengend sich den Weg zu merken. Wenn er sich verirrte, konnte es Stunden dauern, bis er aus diesem Irrgarten wieder herausfand. Und Legolas war in diesen Gängen auch schon unterwegs. Pippin hatte gesehen, wie er kurz vor ihm in einen der Gänge gestürmt war um einen Fliehenden zu verfolgen. Er würde die restlichen Feinde schon erwischen.

  Pippin atmete tief durch und wollte sich schon auf den Rückweg machen, als er einen erstickten Schrei und darauf aufgeregte Stimmen ganz in seiner Nähe vernahm. Er zögerte nur einen kurzen Moment, dann lief er schnell in die Richtung, aus der die Stimmen kamen. Ein Lichtschein, der aus einer seitlichen schmalen Tür kam, erhellte den Gang und Pippin verlangsamte seine Schritte, um sich leise an die Tür heranzuschleichen. Vorsichtig lugte er um die Ecke und erschrak. Gar nicht weit von ihm entfernt stand einer der Südländer mit dem Rücken zu ihm und hielt mit einem Arm eine Person um den Hals gefasst. Pippin konnte das leise Wimmern einer Frau vernehmen, das eindeutig von der Geisel kam. Und dann sah er Legolas. Der Elb befand sich direkt gegenüber von ihm und hatte sein kurzes Schwert gesenkt. Pippin wusste nicht, ob sein Freund ihn gesehen hatte, da er sich ja noch im Dunkeln verbarg, aber er vermutete es. Die Sehkraft der Elben war legendär.

  „Legt das Messer weg", sagte Legolas mit sanfter Stimme. „Dann werde ich auch euch verschonen."

  Der Haradrim keuchte irgendetwas in einer fremden Sprache und bewegte sich weiter rückwärts genau auf Pippin zu. Der Hobbit sah das Zeichen des Elben sofort, obwohl es nur ein leichtes Bewegen seiner linken Hand war, doch irgendwie wusste er, was er tun sollte, so als spräche eine innere Stimme zu ihm: Schieß ihm in die rechte Schulter!

  Pippin hob lautlos die Armbrust; doch plötzlich war da etwas – ein Windhauch, ein Prickeln in seinem Nacken. Aus einem Reflex heraus warf er sich herum und ließ den Pfeil von der Sehne schnellen, ohne zu wissen, auf wen er überhaupt schoss.

  Zwei schwarze Augen starrten entsetzt auf ihn hinab und die dunkle Gestalt, in deren Hand ein Dolch aufblitzte, sank stumm in sich zusammen. Im nächsten Moment schlangen sich zwei Arme um Pippins Leib und rissen ihn in die Höhe. Der entsetzte Schrei erstarb ihm in der Kehle, als er den kalten Stahl eine weiteren Dolches an seinem Hals fühlte. Dann blickte er in die vor Wut funkelnden Augen von Legolas, der kaum einen halben Meter von ihm entfernt verharrt war. An seine Seite hatte sich die Magd geklammert, die nun frei war.

  „Lasst ihn los, wenn euch euer Leben lieb ist", knurrte der Elb. Kalte Entschlossenheit stand in sein Gesicht geschrieben und Pippin war sich sicher, dass sein Geiselnehmer sein Leben verwirkt hatte, ganz gleich, was er jetzt noch tat.

  „Eure Hoheit, bitte, bitte, lasst ihn ziehen", flehte die Magd, die vor Angst ganz weiß war. „Herr, er wird euren Freund töten, wenn ihr ihn so bedrängt. Ich habe das gefühlt."

  Legolas antwortete nicht, sondern starrte seinen Gegner nur weiterhin mordlustig an. Pippins Herz schlug ihm bis zum Hals. Er wagte es nicht, sich zu regen, ja noch nicht einmal zu schlucken, zu fest war der Griff des Mannes, zu schmerzhaft der Druck des Dolches. Schon wieder spürte er diesen Luftzug und dann sah er aus dem Augenwinkel eine weitere verhüllte Gestalt neben sie treten. Die beiden Südländer tauschten ein paar Worte miteinander, dann trat der andere weiter in den Raum heran. Er war ein gutes Stück größer als sein Freund, in etwa so groß wie Legolas und machte einen weitaus bedrohlicheren Eindruck, was wohl daran lag, dass er keine Angst zu haben schien. Pippins Herz machte eine abenteuerliche Umdrehung, als er bemerkte, wie Legolas sein Schwert hob. Das konnte doch gar nicht gut gehen! Die Magd begann wieder zu wimmern und stolperte in eine Ecke des Raumes, um sich dort ängstlich an die Wand zu pressen.

  „Du solltest vorsichtig sein, wenn du den Jungen lebend wiederhaben willst", sagte der Fremde in der Sprache Mittelerdes. „Du solltest dich lieber unserem Willen fügen."

  Legolas Augen verengten sich, als der Haradrim eine etwas merkwürdig aussehende Armbrust hob. Sie war kleiner und schmaler als die meisten und eigenartig verziert. Der Fremde legte seelenruhig einen Pfeil ein. Pippin bekam es mit der Angst zu tun. Das erinnerte ihn ganz übel an ein ähnliches Erlebnis, an das er nur ungern zurückdachte.

  „Legolas!" stieß er hervor. „Lass das nicht zu! Nicht wegen mir!"

  Die Klinge des Dolches drückte sich noch stärker gegen seinen Hals und Pippin brachte keinen Ton mehr hervor. Er musste hilflos mit ansehen, wie der Haradrim die Armbrust spannte. Legolas stand noch immer an derselben Stell wie zuvor, aber seine Körperhaltung hatte sich für Fremde kaum merklich verändert. Sämtliche Muskeln seines Körpers waren angespannt, sprungbereit wie ein Raubtier, das auf den richtigen Moment wartetet.

  „Was wollt ihr?!" stieß er leise hervor.

  „Das du nichts weiter tust als stillzuhalten", erwiderte der Südländer. „Dann wird niemandem etwas geschehen."

  Im selben Moment löste er die Halterung der Armbrust und der Pfeil schoss auf Legolas zu. Der Elb warf sich mit katzenhafter Geschmeidigkeit zur Seite und sprang den Haradrim nahezu an. Der wiederum hatte wohl damit gerechnet, wich gekonnt seinem Hieb mit dem Schwert aus und stieß ihm die Faust in den Bauch. Zu Pippins Entsetzen verlor Legolas das Gleichgewicht und stürzte. Doch er rollte sich elegant ab und kam sofort wieder auf die Beine. Pippin stockte der Atem, als der Elb einen Pfeil aus seinem Bauch zog. Dieser feige Südländer hatte ihm also nicht seine Faust in den Magen gerammt, sondern einen Pfeil, den er in der Hand versteckt gehalten hatte.

  Legolas schien nicht allzu schwer verletzt zu sein, doch hatte er während seines Sturzes sein Schwert verloren und sein Gegner war schon dabei hektisch einen neuen Pfeil in seine Armbrust einzulegen. Warum zögerte Legolas nur so lange? Er musste sein Schwert holen oder sich wenigstens auf seinen Angreifer stürzen, solange die Armbrust noch nicht einsatzbereit war. Stattdessen stand er nur da und wankte ein wenig. Irgendetwas war nicht in Ordnung.

  „Legolas!" brüllte Pippin aus Leibeskräften und stemmte sich gegen seinen Geiselnehmer, da dieser während des Kampfes seinen Griff etwas gelockert hatte. Sein Schrei riss den Elben tatsächlich aus seiner Erstarrung und er sprang genau in dem Moment erneut auf seinen Gegner zu, als der seine Armbrust hob. Der Pfeil schoss haarscharf an ihm vorbei und die beiden Männer stürzten zu Boden. Der Griff um Pippins Hals und Brust war so fest geworden, dass es ihm schwer fiel Luft zu holen. Dennoch stemmte er sich vehement gegen seinen Peiniger und reckte den Hals, um weiter verfolgen zu können, was mit Legolas geschah. Und was er sah, gefiel ihm ganz und gar nicht. Es war eindeutig, dass irgendetwas die Kampffähigkeit seines Freundes beeinträchtigte. Obwohl ihm gelang dem Fremden die Armbrust zu entwinden und ihn zu Boden zu drücken, war deutlich sichtbar, dass er Probleme hatte, die Kontrolle über seinen eigenen Körper zu behalten. Seine Bewegungen waren kraftloser und langsamer als sonst und dem Haradrim  gelang es tatsächlich seine Arme frei zu bekommen. Pippin sah, wie er eine Hand unter seinen Mantel schob und etwas hervorzog. Der Hobbit wollte schreien, aber der Südländer, die ihn hielt, drückte ihm die Kehle zu, dass nur ein Gurgeln aus seinem Mund quoll. Er musste hilflos mit ansehen, wie der andere Haradrim einen weiteren Pfeil in Legolas Oberarm rammte. Dann wurde es schwarz um ihn herum.