*Es tut uns wirklich leid, dass es dieses Mal so furchtbar lange gedauert hat, aber letztendlich sind wir doch noch mit dem Kapitel fertig geworden. (Hurraaa! Applaus, Applaus!) Wir geloben Besserung und hoffen auf viele, viele Reviews. *
11.Kapitel
Als Aragorn zusammen mit seinen Freunden den steinigen, steilen Weg weiter hinein nach Mordor beschritt, warf die Dämmerung gerade ihren eigenartigen goldenen Glanz wie einen durchsichtigen Mantel über die zerklüfteten Felsen des Schattengebirges und verlieh dieser unwirtlichen, zerstörten Landschaft eine befremdliche ja fast verängstigende Schönheit. Sie waren bereits wieder seit einer Stunde unterwegs, nachdem sie spät in der Nacht eine kleine Pause eingelegt hatten, um mit ein wenig Schlaf wieder zu Kräften zu kommen.
Der Pfad, den sie nun beschritten, war nicht gerade breit. Zu ihrer Rechten reckte sich eine steile Felswand in den Himmel und zur ihrer Linken klaffte ein tiefer, ebenso steiler Abhang, auf dessen Grund der Poros seinen verschlungenen Verlauf nahm. Dennoch war ihr Weg breit genug, dass man bequem neben seinem Pferd hergehen konnte, ohne Gefahr zu laufen abzustürzen. Nach einer sanften Kurve stieg er steiler an als zuvor und wurde deutlich schmaler. Aragorn hoffte nur, dass sie dennoch schnell vorwärts kamen. Die Geräusche, die in der Nacht in nicht allzu weiter Ferne erklungen waren, hatten ihn zutiefst beunruhigt. Es hatte sich angehört wie das wütende Grollen von Trollen, die sich auf irgendeine Beute stürzten.
„Mir gefällt der Gedanke nach Mordor zu gehen immer noch nicht", sagte Merry, so als hätten sich Aragorns Ängste irgendwie auf ihn übertragen, und er schüttelte sich, als er sich an die Geschehnisse von damals erinnerte.
„Ich denke, damit kann sich niemand von uns so recht anfreunden", pflichtete Aragorn ihm bei.
„Was denn? Habt ihr etwa Angst vor den blöden Legenden, dass Saurons Geist dort noch herumspukt?" zog Salia sie auf.
Merry sah sie konsterniert an. „Da sind vielleicht Orks?!" erklärte er, so als hätte sie angezweifelt, dass Wasser nass ist.
„Orks kann man töten", erwiderte Salia leichthin, als sei es die einfachste Sache der Welt, sich mal so eben einer Horde dieser wilden Kreaturen entgegenzustellen. Und in diesem Moment wurde Aragorn auch wieder bewusst, was er schon in den ersten Tagen ihrer langen Freundschaft so befremdlich an ihr gefunden hatte; es war die Art, wie sie über das Töten sprach, diese Leichtigkeit, als handle es sich um eine alltägliche Tätigkeit – wie das Essen oder Trinken. Es schien ihr nichts auszumachen. Dabei war es nicht so, dass es ihr Freude bereitete; es war eher wie eine lästige Notwendigkeit, die sie zu erledigen hatte – eine Hose, die man, trotzdem man entschieden zu viel gefuttert hatte um etwas Enges um den Bauch ertragen zu können, dennoch fest zuschnüren musste. Bei diesem absurden Vergleich musste Aragorn unwillkürlich grinsen. Er fing Salias liebevoll-spöttischen Seitenblick auf und lächelte.
Nichtsdestotrotz war sie eher zu einem Kampf bereit als er. Sie war offensiver – aggressiver. Was wiederum nicht bedeutete, dass sie sich völlig sinnlos in irgendein Gemetzel stürzte, nur um ihren vermeintlichen Blutdurst zu stillen. Doch im Gegensatz zu ihm erwog sie nicht erst unbedingt lange friedlichere Möglichkeiten – was sicher auch seine Vorteile hatte.
„Du hast wohl gar keine Angst", brach Merrys Stimme in seine Überlegungen. Ein merkwürdiger Ausdruck trat in Salias Augen, doch er verschwand so schnell wieder, dass der Hobbit nicht sicher war, ihn überhaupt gesehen zu haben.
„Wer sagt denn so was?"
„So, wie du redest, bekommt man zwangsweise diesen Eindruck", sagte er geradeheraus.
„Natürlich habe ich Angst", erwiderte sie ihm ebenso offen. „Es wäre äußerst dumm keine zu haben. Zuviel Angst behindert dich, aber ein wenig macht dich vorsichtig."
„Wovor hast du Angst?" erkundigte sich Boromir, der selbst ein wenig erstaunt war, dass er diese Frage stellte.
Sie hatte bereits die Worte „davor nicht frei zu sein" auf der Zunge, als sie sich eines Besseren besann. Sie wandte sich zu ihm um. „Und du?"
Ein kurzes Grinsen huschte über sein Gesicht. „So gut kennen wir uns noch nicht", entgegnete er.
„Siehst du", konterte sie. Ohne Vorwarnung hielt sie plötzlich an, so dass Boromir fast Merry über den Haufen gerannt hätte.
„Pass doch auf!" schimpfte der. „Eines Tages wirst du mich noch mal mit..."
„Was ist denn los?" unterbrach Boromir ihn und beugte sich ein wenig zur Seite, um an den anderen vor ihm vorbeizusehen.
„Torka", sagte Salia auf Harad und als die anderen das erblickten, was sie sah, bedurfte es keiner Übersetzung mehr.
„Verflucht", pflichtete Boromir ihr bei.
„Warum geht es denn nicht weiter?" Ungeduldig drängelte sich Merry an seinen Freunden vorbei und erstarrte. „Scheiße."
Aragorn und Haldir enthielten sich eines Kommentars. Der Weg vor ihnen war so schmal, dass bereits eine einzelne Person Mühe haben würde, ihn zu begehen – ein Pferd dort entlang zu führen war hingegen vollkommen unmöglich. Der Pfad war ursprünglich ein wenig breiter gewesen, doch nun war auf der Länge von gut zehn Metern ein beträchtlicher Teil nach rechts weggebrochen, und keiner wollte sich so recht vorstellen, welche Kraft nötig war, um solch massives Gestein zu zerstören. Erschwerend kam hinzu, dass der Fels auf der linken Seite eine riesige Ausbuchtung hinaus bis auf den Weg hatte, durch die noch weniger Platz zum Passieren blieb. Es gab nur eine Möglichkeit: sie musste die Pferde zurücklassen und zu Fuß weitergehen.
„Und ich hatte mich schon so darauf gefreut, nachher wieder aufsteigen zu können", maulte Merry. Er zuckte hilflos mit den Schultern. „Sam und Frodo werden sich Sorgen machen, wenn die Pferde und mein Pony so reiterlos zurückkehren."
„Wir heften eine Nachricht an einen der Sättel", versicherte Aragorn.
Doch Merry war noch immer nicht zufrieden. „Wir werden zu langsam sein, ohne die Pferde. So werden wir sie nie einholen. Und dann sind sie nachher weg. Futsch. Einfach so. Und..."
„Der nächste Übergang ist der Morgul-Pass und der liegt einige Meilen hinter uns", unterbrach Aragorn ihn. „Wenn wir umdrehen, verlieren wir noch mehr Zeit."
„Unsere Chancen sie trotz dieses Hindernisses einzuholen, stehen auch jetzt noch gut", mischte sich Haldir ein. „Die Haradrim, die wir suchen, sind nicht über diesen Pass gekommen, da bin ich mir seit geraumer Zeit sicher. Sie haben den Morgul-Pass benutzt und auch sie werden im Gebirge zu Fuß unterwegs sein. Vielleicht gelingt es uns auch jetzt noch ihnen den Weg abzuschneiden."
„Ja, vielleicht - wenn wir nicht weiter herumstehen und diskutieren", knurrte Boromir und begann kurzerhand sein Pferd abzuladen.
Merry lehnte sich ein wenig zur Seite, um nach unten schauen zu können. Sie waren zwar noch nicht besonders lange unterwegs, dennoch waren sie weiter gekommen, als er angenommen hatte – oder zumindest höher. Ein etwa dreihundert Meter tiefer Abhang gähnte ihn an. Und irgendetwas bewegte sich dort unten, zwischen den gezackten Felsen die das Flussufer säumten. Oder hatte er sich das nur eingebildet? Er warf einen Blick zu den anderen, doch die waren mit dem Abladen der Pferde beschäftigt und schienen nichts bemerkt zu haben. Und Haldir hätte dank seiner elbischen Fähigkeiten wohl am Ehesten etwas wahrnehmen müssen. Halt. Da war es schon wieder. Irgendetwas kletterte dort unten herum.
Bildfetzen zogen vor Merrys innerem Auge vorbei: Frodo und Sam, wie sie von dem Wesen Gollum – oder Smeagol, darauf bestand Frodo – verfolgt wurden, schwarze Reiter, die plötzlich unerwartet aus dem Nichts auftauchten, die schrecklichen Fratzen der Uruk-Hais, die allerdings ziemlichen Lärm verursachten. Außerdem waren all diese Geschöpfe schon seit langem tot. Das Einzige, um das sie sich hier am Rande Mordors Sorgen machen mussten, waren Orks. Orks! Die Erkenntnis traf ihn mit der Wucht eines Hammerschlags und er geriet ins Straucheln. Hilflos ruderte er mit den Armen, während er unaufhaltsam nach vorn kippte. Er riss entsetzt den Mund auf.
„Hil -!" schrie er, als er aus dem Augenwinkel bereits jemanden auf sich zustürzen sah. Er wurde unsanft am Arm gepackt und nach hinten gerissen.
„Du hättest aber ruhig erwähnen können, dass du ein wenig selbstmordgefährdet bist", hörte er Salias Stimme über sich. „Hast du dir was getan?"
„- fe", war das Einzige, was er zustande brachte.
„Merry, was machst du denn?!" rief Boromir besorgt und riss ihn in die Höhe. „Wir brauchen dich doch noch!" Er schüttelte ihn ein wenig. „Geht es dir gut?"
„Wenn du aufhören würdest ihn zu schütteln, hätte er vielleicht eine Überlebenschance", kommentierte Aragorn trocken.
Boromir sah irritiert von Aragorn zu Merry, grinste schließlich ein wenig verlegen und stellte den Hobbit wieder auf seine Füße.
„Mein ganzes Leben ist gerade an mir vorbeigezogen", hauchte der Halbling entgeistert. „Ich wusste gar nicht das es so spannend gewesen ist."
„So doll habe ich ihn doch gar nicht geschüttelt", bemerkte Boromir schmunzelnd und zerwuschelte ihm liebevoll rüde das Haar. „Was für zarte Pflanzen Hobbits doch sind."
Merry blinzelte ihn verwirrt an, dann schüttelte er sich kurz, um wieder klar im Kopf zu werden. „Ich habe da unten irgendetwas gesehen."
„Wo?" fragte Aragorn hellhörig und trat sogleich an den Abgrund heran, um misstrauisch hinunterzuspähen.
„Irgendwo da zwischen den Steinen." Merry war wirklich kein Feigling, aber irgendwie wollten ihn seine wackeligen Beine nicht zu Aragorn hinüber tragen. „Ich dachte, es sind vielleicht Orks. Aber vielleicht habe ich mich auch getäuscht und ganz umsonst solch einen Schrecken bekommen."
„Keine Orks", sagte Aragorn mit einem Kopfschütteln. „Ein Pferd."
„Was?" Nun trat der Hobbit doch an ihn heran. Und er war nicht der Einzige. Alle schien zu interessieren, was Aragorn dort tief unter ihnen entdeckt hatte und Merry befürchtete fast von ihnen doch noch aus Versehen hinuntergestoßen zu werden. Doch zwei starke Hände umfassten mit festem Griff seine Schultern und Merry atmete beruhigt durch. Schon bald hatte er das Pferd, das am steinigen Flussufer seinen Durst stillte, entdeckt.
„Tatsächlich", hörte er Boromirs tiefe Stimme über sich. „Und es scheint ganz allein zu sein. Ohne Sattel und Zaumzeug."
„Aber es trägt ein Halfter", wandte Aragorn ein. „Es hat also einen Besitzer."
„Oder hatte", setzte Boromir hinzu.
„Was willst du damit sagen?" fragte Merry besorgt, ohne sich umzudrehen. Seine Kehle schnürte sich ein wenig zu, denn er hatte schon gehofft mit dem Tier eine heiße Spur gefunden zu haben, die sie in kürzester Zeit zu ihren beiden Freunden führte. Nach Boromirs Bemerkung, wünschte er sich nun sehnlichst, dass er falsch lag.
„Dass niemand sein Reittier freiwillig laufen lässt", fügte Boromir unbeirrt hinzu. „Seinem Reiter muss irgendetwas zugestoßen sein. Ist es ein südländisches Pferd?"
„Niemals", sagte Salia mit fester Überzeugung in der Stimme.
„Was lässt dich so sicher sein?" fragte Aragorn überrascht.
„Wir haben eine besondere Beziehung zu unseren Tieren", erwiderte die Südländerin stolz. „Schwer zu erklären. Nur so viel: Ein N'arar würde seinem Besitzer nie von der Seite weichen – es würde mit ihm sterben, wenn es nötig ist."
„Aber wessen Pferd soll das sonst sein?" gab Boromir ungläubig zurück.
„Vielleicht das eines Schmugglers", erwiderte Salia kühl. „Ich denke, wir sind nicht die ersten Menschen, die es seit dem Fall Saurons wagen, die Grenzen nach Mordor zu überschreiten."
„Gewiss nicht – nein", gab Aragorn ihr recht. „Natürlich kann dieses Pferd auch irgendeinem Schmuggler gehören. Aber es ist durchaus auch möglich, dass die Haradrim, die unsere Freunde entführt haben, nicht mit ihren eigenen Pferden nach Gondor gekommen sind – und Gondor daher auch nicht mit ihren eigenen Pferden verlassen."
„Aber..." fing Merry besorgt an, wurde aber sofort von Aragron unterbrochen.
„Mach dir keine Sorgen, Merry. Das Tier kann auch einfach nur entlaufen sein. Und selbst wenn irgendetwas geschehen ist – das heißt nicht, dass unserer Freunde verloren sind. Es ist sogar viel wahrscheinlicher, dass sie die Gelegenheit zur Flucht genutzt haben. Legolas passt gewiss gut auf Pippin auf. Ihm wird nichts geschehen."
„Vielleicht ist es besser, wenn wir uns das Tier einmal ansehen", schlug Boromir vor. „Nur um sicher zu sein."
„Sicher worüber?" Salia sah ihn stirnrunzelnd an. „Dass es ein Pferd ist? Oder glaubst du sein ehemaliger Besitzer hat seinen Namen draufgeschrieben?"
„Können Südländer denn schreiben?" erwiderte Boromir mit einem provokanten Lächeln.
„Können Menschen aus Gondor denn gut schwimmen?" gab Salia mit einem ebenso provokanten Lächeln zurück und machte den Krieger damit darauf aufmerksam, dass er noch gefährlich nahe am Abgrund stand.
„Können wir vielleicht weitergehen?" mischte sich Aragorn energisch ein und schob Boromir aus der Reichweite Salias. Merry folgte ihm verwirrt, während Salia einen verärgerten Blick auf Haldir warf, der mit hochgezogenen Brauen und einem eigenartigen Lächeln auf den Lippen zu ihr hinüber sah. Dann schulterte auch er sein Gepäck und folgte Aragorn.
„Heißt das, wir werden nicht zu dem Pferd hinunterklettern?" wandte sich Merry an Aragorn, als sie sich hintereinander an der gewaltigen Ausbuchtung des Felsens vorbeischoben.
„Hast du dir die Felswand einmal angesehen?" lautete die Gegenfrage.
„Nicht so genau", gab Merry zu und schauderte bei dem Gedanken daran, seinen Blick senken zu müssen und in die tiefe Schlucht zu starren, die nur einen Fuß breit von ihm entfernt klaffte.
„Selbst Haldir würde ein Risiko eingehen, wenn er versuchen würde dort hinunterzukommen", erklärte Aragorn. „Wenn es möglich wäre, hätten wir uns längst an den Abstieg gemacht. Es würde uns ein ganzes Stück Weg ersparen."
„Dann meinte Boromir, dass wir uns das Pferd ansehen sollen, wenn wir später selbst dort unten sind, nachdem wir den langen Weg gegangen sind", schloss der Hobbit.
Aragorn nickte. „Wenn es dann noch da ist, oder wenigstens in der Nähe. Es ist anzunehmen, dass es nach anderen Lebewesen sucht, wenn es seinen Herren nicht wiederfinden kann."
„Und wenn es ihn finden kann?"
„Umso besser. Dann haben wir eine ganz frische Spur."
Eine Weile herrschte Stille zwischen ihnen allen. Nur die Geräusche ihrer Füße auf dem steinigen Grund hallten durch die Schlucht.
„Aragorn", begann Merry schließlich wieder. „Dass wir dieses Pferd gesehen haben... ist das ein gutes Zeichen? Ist es ein Grund sich.... zu freuen?"
Ein sanftes Lächeln erschien auf Aragorns Lippen. „Ja, Merry... zumindest ist es ein Grund zu hoffen."
„... dass wir sie bald finden?" fragte der Hobbit mit vor Aufregung zitternder Stimme.
Aragorn legte eine Hand auf seine Schulter und nickte. „Sie dürften nicht allzu weit entfernt sein. Vielleicht sind sie sogar sehr nah."
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Es war ein eigenartiges Gefühl – als ob sich plötzlich eine Wand neben ihnen aufgetan hatte, die sie von dem Land, das sie hinter sich gelassen hatten, abschottete. Nein, nicht nur von Gondor sondern auch von einem Teil Mordors, einem Teil des Gebirges, zu dem sie jetzt parallel durch die Nurn-Ebene liefen. Es war als ob jemand ein Fenster geschlossen hatte, ein Fenster mit undurchsichtigem Glas.
Legolas hatte sich alarmiert umgewandt, als er es gefühlt hatte, denn zuvor war da noch etwas anderes gewesen, etwas Vertrautes, das sich ihnen näherte – die Gegenwart anderer Wesen, bekannter Wesen. Nur für einen kurzen Moment hatte er es fühlen können, dann war dieser dunkle Vorhang über sie gefallen. Nun waren seine Sinne abgeschirmt, ausgeschaltet, was das Schattengebirge betraf.
„Stimmt irgendetwas nicht?" hörte Legolas Pippin mit Unbehagen fragen und erst in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass er für eine kleine Weile so unbeweglich dagestanden haben musste, den Blick besorgt auf das Schattengebirge gerichtet. Auch die beiden Südländer sahen ihn fragend an, schon den nächsten Angriff monströser Geschöpfe erwartend.
Er schüttelte zögernd den Kopf. „Ich denke, ich habe mich geirrt."
Akimo sah ihn stirnrunzelnd an. „Sicher?"
„Ja. Uns droht im Moment keine weitere Gefahr."
Der Südländer nickte kurz und gab dann das Zeichen zur Fortsetzung ihres Marsches.
„Warum musstest du das so sagen?" brummte Pippin leise und gab einem kleinen Stein, der ihm im Weg lag, einen leichten Tritt.
Legolas sah ihn erstaunt an.
„Na, kannst du nicht in Zukunft solche Wörter wie ‚im Moment' einfach weglassen", meinte der Hobbit. „Ich finde, wir haben schon genug Gefahren bewältigen müssen. Ich versuche gerade zu vergessen, dass wir uns in... na, du weißt schon wo... aufhalten."
Legolas konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Und das funktioniert?"
Pippin entfuhr ein resignierter Seufzer. „Nicht so wirklich", gab er kläglich zu. „Ich bräuchte wenigstens ein paar Bäume und Gras, um mir einzubilden, ich sei in Hobbingen und würde meinen neuen Freunden die Gegend zeigen."
„Neue Freunde?" wiederholte Legolas und aus dem Schmunzeln wurde ein Grinsen. „Dass heißt, du versuchst dir nicht nur die Gegend schön zu denken. Eine schwierige Aufgabe für solch einen anstrengenden Marsch."
Wieder entfuhr dem Hobbit ein schwermütiger Seufzer. „Ich sagte ja auch nur, ich versuche es."
„Oh, ich halte das für eine gute Idee. In einem solch düstren Land sollte man wenigstens erhellende Gedanken haben."
Pippin lächelte ihn an. „Das hast du schön gesagt."
Legolas kam nicht mehr dazu ihm zu antworten, denn plötzlich hatte etwas anderes seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen. Etwas, das sich am Himmel bewegte. Es war nicht groß – wahrscheinlich nur ein Raubvogel – aber es kam direkt auf sie zu.
„Ein Falke", stellte Legolas nach einem kurzen Moment fest und die Südländer hielten inne, während Pippin ihn nur irritiert ansah. Als das Tier ein ganzes Stück näher heran war, erschien plötzlich ein glückliches, fast erleichtertes Strahlen auf Akimos Gesicht und auch Kiato stieß ein kleines, befreites Lachen aus.
„Rani!" rief Akimo dem eleganten Vogel zu, der nun fast im Sturzflug auf sie hernieder schoss, seinen Flug aber schließlich durch das Ausbreiten seiner Schwingen abbremste und erstaunlich sanft und anmutig auf dem ausgestreckten Arm des Südländers Platz nahm. Akimo fuhr zärtlich mit seiner anderen Hand über das glänzende Gefieder des Raubvogels, während das Tier in einem stummen Gruß kurz mit dem Schnabel an der Kapuze seines Mantels zupfte.
„Das ist der größte Falke, den ich je gesehen habe", brachte Pippin staunend hervor und damit hatte er recht. Auch Legolas hatte noch nie einen derart stattlichen Falken erblickt und er war den Anblick von riesigen Raubvögeln gewohnt, schließlich zählten Gwahir, der König aller Adler, und seine Brüder zu den Freunden der Elben.
Akimo öffnete einen schmalen ledernen Behälter, der an eines der Beine des Tieres gebunden war und rollte ein kleines Stück Pergamentpapier aus, um es dann rasch zu lesen. Die ursprüngliche Anspannung, die zuvor in sein Gesicht geschrieben stand, fiel bald von ihm ab und machte einem leichten Erstaunen platz.
„Was schreibt er?" erkundigte sich Kiato ungeduldig.
„Wir sollen sie beide nach Osh'aram bringen", erklärte Akimo und seine Stirn legte sich dabei in grüblerische Falten.
„Nach Osh'aram?" fragte Kiato irritiert. „Was ist aus dem alten Plan geworden?"
Akimo zuckte die Schultern und warf einen misstrauischen Blick auf Legolas, der so tat, als wäre er vollauf damit beschäftigt, die Gegend nach möglichen Feinden abzusuchen.
„Es ist doch viel zu gefährlich sie nach Osh'aram zu schleppen", fuhr Kiato aufgeregt fort. „Was... was denkt er sich dabei? Du musst ihm sofort schreiben, dass wir uns gar nicht mehr sicher sind, dass wir den richtigen König dabei haben – wenn er überhaupt ein König ist."
„Ach, jetzt bezweifelst du sogar das", wandte Akimo sich verärgert seinem Freund zu. „Du warst dir doch so sicher, dass wir große Beute gemacht haben! Wo ist denn jetzt deine Selbstsicherheit hin?"
„Ich konnte ja nicht wissen, dass er plötzlich alle Pläne ändert", brummte Kiato. „Wenn wir sie nach Osh'aram bringen, hätte ein Irrtum vielleicht viel schwerwiegendere Folgen."
„Ein Irrtum hätte für uns so und so schlimme Folgen!" fuhr Akimo ihn an. „Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass dir immer noch nicht klar ist, worum es hier geht! Das Überleben unseres ganzen Stammes hängt davon ab, dass diese ganze Aktion wenigstens in ihren letzten Zügen wie geplant verläuft. Wir können uns keine Irrtümer mehr leisten! Und alles wird wieder an mir hängen bleiben! Ich hätte nicht auf dich hören dürfen – dann wären wir längst wieder in Sicherheit und würden uns hier nicht mit diesen Fremden abplagen!"
Kiato holte tief Luft um etwas zu erwidern, verkniff es sich aber im letzten Moment. Stattdessen starrte er seinen Freund nur mit schwarzen, vor Wut funkelnden Augen an.
„Heute Abend, wenn wir noch einmal eine Rast einlegen, werde ich meinem Vater schreiben", sagte Akimo wieder etwas ruhiger. „Rani muss sich ausruhen. Er hat einen anstrengenden, einsamen Flug hinter sich. Er muss sich stärken und braucht unsere Gesellschaft. Und er hasst Streitigkeiten. Also, kein lautes Wort mehr bis er sich wieder in die Luft erhebt."
Kiato warf einen verächtlichen Blick auf den Raubvogel, der gemächlich seine Flügel streckte, um es sich auf der Schulter Akimos bequem zu machen, und setzte kopfschüttelnd seinen Weg fort. „Wenn nur dieses Mistvieh von Pferd endlich wiederkommen würde", brummte er missmutig und verlagerte sein Gepäck auf die andere Schulter. „Ich bin doch kein Packesel!"
Legolas folgte den beiden Südländern nachdenklich. Es war eine gute Idee gewesen, noch eine Weile in der Gefangenschaft auszuharren. Eine bessere Informationsquelle als diese beiden Streithähne schien es kaum zu geben. Und auch Pippin schien, obwohl er kein Wort der Südländer verstanden hatte, begriffen zu haben, dass sie gerade einige interessante Dinge ungewollt an den Feind verraten hatten, denn er bedachte den Elben mit einem kleinen, schelmischen Grinsen und lief nun gleich viel zügiger hinter den Haradrim her.
Legolas überlegte indes, ob er den Namen Osh'aram irgendwo zuordnen konnte, gab aber nach einer Weile auf. Es gab in Haradwaith nur wenige große Städte und keine davon trug den Namen Osh'aram, da war er sich sicher. Die Einwohner Süderlands waren größtenteils Nomaden, die von Oase zu Oase zogen und alles Hab und Gut mit sich schleppten. Nur wenige Stämme hatten sich eine feste Bleibe an größeren Oasen eingerichtet oder lebten in kleineren Dörfern und Städten an der Küste oder am Grenzfluss Tenath. Der Elb war nie so weit in den Süden gewandert, als dass er jedes einzelne Dorf oder jede Oase mit Namen benennen konnte. Also blieb ihm nichts anderes übrig als Augen und Ohren offen zu halten und bei der nächsten Gelegenheit zu versuchen seinen Freunden eine Nachricht zukommen zu lassen, die ihnen sagte, wohin man sie brachte. Denn er war sich nach wie vor sicher, ihre Gegenwart gespürt zu haben, irgendwo in den scharfkantigen Felsen des Schattengebirges. Man war ihnen auf der Spur und irgendjemand, dem das nicht recht war – hatte es bemerkt. Jemand mit sehr viel Macht, beängstigend viel Macht.
Der Schirm war noch da und verhinderte, dass Legolas genau festlegen konnte, wo ihre Freunde waren, aber er wurde schwächer, so als würden, die Kräfte, die ihn aufrecht hielten, schwinden. Ganz gleich, wer dahinter steckte und von welcher Entfernung aus er agierte – er war zwar eine Bedrohung, mit der sie nicht gerechnet hatten, aber auch seine Kräfte waren begrenzt – auch er war besiegbar. Wichtig war es nur herauszufinden, wer er war und inwieweit er in die ganze Sache verstrickt war. Und Legolas wurde das Gefühl nicht los, dass die beiden Südländer ihm auch in diesem Fall eine große Hilfe sein konnten. Er musste nur jetzt doppelt so aufmerksam und vorsichtig sein wie zuvor.
