Das ehemals weiße Tuch hatte einen rosafarbenen Ton angenommen, als es nun zum wiederholten Male in einen Behälter mit Wasser getaucht wurde, um dann erneut grob über die leicht gerötete Haut ihrer Hand zu fahren. Doch die feinen übriggebliebenen Spuren von getrocknetem Blut wollten einfach nicht verschwinden.
Talizas Augen füllten sich mit Tränen der Verzweiflung und das hohle Gefühl, das sich in ihrem Körper breit gemacht hatte, begann nun auch ihre Kehle hinaufzukriechen und diese zuzuschnüren. Sie rubbelte noch fester über ihre Handinnenfläche, bis die Haut brannte und sie mit einem leisen Schluchzer resigniert beide Hände in den Schoß sinken ließ. Sie wollte, dass diese Bilder verschwanden, diese Bilder von schreienden, stöhnenden und blutenden Menschen – sterbenden Menschen; Bilder, die nicht aus ihren Visionen stammten, sondern sich direkt vor ihren Augen aufgetan hatten.
Sie hatte nicht nach Hanur kommen wollen, aber sie war schließlich dem inneren Zwang erlegen, dem Gefühl, dass es ihre Pflicht war dorthin zu gehen. Aber sie hatte nicht gewusst, was sie dort erwarten würde. Sie war nicht vorbereitet gewesen auf dieses Leid, den furchtbaren Anblick von Menschen, die sich gegenseitig niedergemetzelt hatten ohne Erbarmen.
Man hatte sie in T'erash Asruk dazu ausgebildet, andere Menschen zu heilen, aber bisher, hatte sie nur Knochenbrüche, gewöhnliche Krankheiten und Arbeitsverletzungen versorgen und heilen müssen. Niemals waren Menschen zu ihr gekommen, die aus einem Kampf zurückgekehrt waren, niemals hatte sie mit eigenen Augen sehen können, zu welchen Grausamkeiten Menschen fähig waren, was sie anderen Menschen antun konnten. Sie waren nicht besser als wilde Raubtiere – nein, wahrscheinlich waren sie sogar schlimmer.
Taliza hatte so gut geholfen, wie sie nur konnte. Sie war stark, aber dennoch hatte sie die meisten gehen lassen müssen, hatte ihnen den Weg ins Jenseits nur erleichtern können. Und sie hatte für sie die Götter gnädig gestimmt, für ihre Seelen gebetet, obwohl viele von ihnen Männer mit weißer Haut gewesen waren, Männer in eigenartigen Rüstungen, mit Bärten und langen, blonden Haaren. Sie hatten versucht mit ihr zu sprechen in dieser eigenartigen Sprache, die Augen voller Angst vor dem nahenden Tod. Und Taliza hatte sie verstanden, obwohl sie nur wenige dieser Worte kannte. Sie hatte ihre Hand auf ihre Stirnen gelegt und ihnen die nötige Kraft gegeben, um in Frieden und ohne Furcht die Grenze zum Totenreich zu überschreiten. Und mit jedem Sterbenden war ein Teil von Talizas eigener Zuversicht, von ihrer Stärke gegangen. Nun forderte die Erschöpfung und die unglaubliche Trauer, die sich in ihr angestaut hatte, ihr Tribut. Ihre Hände zitterten und Tränen liefen unaufhörlich über ihre Wangen, während ihr Körper von leisen Schluchzern geschüttelt wurde.
„Nicht weinen", vernahm sie nach einer Weile eine matte Stimme vom Eingang des kleinen Raumes, in den sie sich zurückgezogen hatte, und der sonst nur zum stillen Gebet diente.
Sie wandte sich erschrocken um und blinzelte den Schleier von Tränen von ihren Augen weg. Es war einer der weißen Männer, der dort im Türrahmen stand und mitleidig auf sie hinab sah. Er war nicht mehr ganz so jung und sein blondes Haar war von grauen Strähnen durchzogen. Ein dichter Vollbart verdeckte große Partien seines Gesichtes, aber sein Mund hatte sich zu einem milden Lächeln verzogen. Sein linker Arm hing in einer Schlinge, die sie selbst vor nur wenigen Stunden für ihn gemacht hatte, nachdem sie seine Verletzungen versorgt hatte. Er war einer der wenigen gewesen, dem sie wirklich noch hatte helfen können.
„Ihr könnt meine Sprache?" fragte sie mit zittriger Stimme und wischte sich mit einem Ärmel ihres Gewandes über das tränennasse Gesicht.
„Nur ein wenig", gab er zu und kam etwas näher. „Ich musste etwas lernen, weil ich hier seit viel Zeit lebe."
Taliza brachte ein kleines Lächeln zustande und stand auf. „Unsere Sprache ist nicht leicht", sagte sie. „Ihr macht das gut."
Er erwiderte ihr Lächeln. „Ich wollte mich bedanken. Du hast sehr geholfen."
Sie antwortete nicht, denn die Tränen wollten schon wieder in ihr heraufdrängen.
„Wie ist das eigentlich alles passiert?" fragte sie schnell, um nicht wieder ihrem Schwächeanfall zu erliegen und vor einem völlig Fremden zusammenzubrechen. Sie war noch stark genug, um sich zusammenzureißen.
Der Fremde stieß einen schweren Seufzer aus und ließ sich auf einer schmalen Bank an der Wand nieder. Er schien noch nicht genug Kraft zu haben, um für längere Zeit auf den Beinen zu bleiben. Er hatte viel Blut verloren, soweit sie sich erinnern konnte.
„Ich weiß nicht genau", sagte er müde. „Es gab einen Aufstand in Baakim und ein großer Teil von den Truppen hier ist nach dorthin gegangen um Ruhe zu machen. Dann kamen die Männer in den schwarzen Kleidern. Hier waren zu wenige um sie aufzuhalten. Und Bewohner von Hanur haben gegen uns gekämpft. Ich weiß nicht warum. Wir konnten sie aber vertreiben mit hohen Verlusten."
„Männer in schwarzen Mänteln?" hakte Taliza irritiert nach. „Hatten sie rot angemalte Gesichter?"
„Ja", stieß der Mann überrascht hervor. „Woher weißt du das?"
„Es gab vor langer Zeit, als Könige aus Gondor Teile Haradwaith für sich beanspruchten, eine Gruppe von Rebellen die Attentate und Angriffe auf die einrückenden Armeen und besetzte Dörfer und Gebiete verübten", erklärte Taliza nachdenklich. „Man nannte sie die Ranaiy. Die Männer kamen aus vielen Wüstenstämmen, aber auch aus der Dorf- und Stadtbevölkerung und ihre Herzen waren voller Hass. Sie waren furchtbar blutrünstig, gnadenlos und gefährliche Krieger, die niemals verhandelten. Aber sie wurden schließlich vernichtet durch Verrat und Bestechung in ihren eigenen Reihen. Sie existieren eigentlich nicht mehr." Sie dachte einen Moment nach, während der Fremde sie mit einem eigenartigen Blick betrachtete.
„Konntet ihr keinen von ihnen töten?" fragte sie schließlich, denn keiner der Verletzten oder Toten, die sie gefunden hatte, war so gekleidet oder bemalt gewesen wie ein Ranaiy.
„Doch", überraschte sie der Fremde, „aber sie haben ihre Toten und Verletzten mitgenommen."
Das war eigenartig. Irgendetwas an dieser ganzen Geschichte stimmte nicht, da war sich Taliza sicher, aber sie sagte nichts mehr dazu.
„Warum hast du uns geholfen", fragte der Fremde nach einem Moment des Schweigens zwischen ihnen. „Du bist von diesem Volk hier in Haradwaith. Sie hassen uns alle. Niemand würde uns helfen."
„Das ist nicht wahr", erwiderte sie etwas hitzig. Sie hasste es, wenn man ihr Volk immer als böse und unbarmherzig darstellte. Aber diese Menschen waren gerade erst angegriffen worden, also wollte sie nachsichtig sein. „Es gibt viele, die voller Hass gegen euch sind und euch daher keine Freundlichkeit entgegenbringen – das gebe ich zu", fuhr sie ruhiger fort. „Aber es gibt auch einige, die anders denken. Und ein Heiler unseres Volkes macht keine Unterschiede zwischen den Menschen verschiedener Rassen. Er wurde von den Göttern dazu berufen, denen, denen es schlecht geht, zu helfen und zwar allen Lebewesen dieser Welt. Wenn es in dieser Stadt noch mehr Heiler geben würde, hätten auch sie geholfen."
Wieder bedachte sie der Fremde mit diesem eigenartigen Blick. „Haben alle Heiler deine Fähigkeiten?"
Taliza blinzelte ihn irritiert an und ihr wurde ganz unbehaglich zumute. „Wie?"
„Du bist kein normaler Mensch", fuhr der Mann fort. „Meine Verletzung war sehr... stark. Jetzt nicht mehr. Du hast heilende Hände. Wo kommst du her?"
„Von weit her", antwortete sie ausweichend und wandte sich von ihm ab, um ihr Bündel zu nehmen, das sie mit nach Hanur gebracht hatte. Der Mann hatte sie, ohne es zu wollen, daran erinnert, dass sie weiter musste – und zwar dringend, bevor er sie mit seinen Fragen noch weiterlöcherte und Dinge erfahren wollte, die ihn nichts angingen.
„Du willst gehen?" fragte er enttäuscht, als sie auf den Eingang zuging, und erhob sich. Er stand nun halb im Weg und irgendwie machte er einen viel bedrohlicheren Eindruck als zuvor. Er war wirklich groß und kräftig und er hatte ein sehr hartes, markantes Gesicht. Er war gewiss kein besonders barmherziger Mensch. Das erklärte auch, warum ihn ihre Hilfsbereitschaft so verwunderte.
Sie nickte schnell und schob sich an ihm vorbei, doch er hielt sie plötzlich am Arm fest und zog sie wieder zu sich heran. Sie überlegte einen Moment um sich zu schlagen, verwarf den Gedanken aber sofort wieder, als sie in sein Gesicht sah. Er sah traurig und etwas hilflos aus, so wie ein Kind, das man allein zurücklassen wollte. Und dann zeigte sich noch eine andere Empfindung in seinem Gesicht: Sorge.
„Du hast mir geholfen – ich helfe dir", sagte er eindringlich und beugte sich noch dichter an sie heran. „Da sind Männer, die nach der Heilerin suchen, die geholfen hat. Du musst vorsichtig sein."
Sie blickte ihn erschrocken an und ihr Mund formte ein lautloses „Wo?".
„Im Süden von Hanur", war die erleichternde Antwort. „Aber sie kommen wieder. Du musst dich beeilen."
Wieder nickte sie und ein kleines Lächeln erschien auf dem müden Gesicht des Mannes. „Rohan steht in deiner Schuld", sagte er leise. „Wenn du seine Hilfe brauchst, komm hierher."
„Das werde ich", sagte sie und schenkte ihm ein dankbares Lächeln zurück. Er ließ sie widerwillig los und sie eilte davon. Während sie sich eiligst die Kapuze über den Kopf zog und das Mundtuch ein paar Mal um ihr Gesicht schlang, so dass nur noch die Augen zu sehen waren, betete sie zu den Göttern, dass ihre Verfolger Zarishar nicht entdeckt hatten, die sie in einem der größeren Ställe des Dorfes untergebracht hatte. Es befanden sich nicht viele Menschen auf den Straßen. Die meisten Bewohner des Dorfes hatten sich während und nach der Schlacht verstört in ihre Häuser zurückgezogen. So fiel sie zwar etwas auf, während sie durch die kleine Gasse eilte, die sie zu ihrem Pferd führte, aber es würde auch wenigstens keiner versuchen sie aufzuhalten. Als sie schließlich das freudige Wiehern ihrer Stute vernahm, nachdem sie das schwere Holztor des Stalles aufgerissen hatte, fiel ihr ein ganzer Felsen vom Herzen.
Sie warf dem Tier schnell die Decke über, die ihr den Ritt etwas komfortabler machte, und schwang sich schnell auf den Rücken der Stute, um sogleich aus dem Stall zu traben. Dann galoppierte sie die Straße hinunter und hinaus aus der kleinen Stadt. Als sie schließlich eine Erhöhung in einiger Entfernung des Dorfes erreicht hatte, wandte sie sich noch einmal um. Die Stadt sah vom Weiten so friedlich und ruhig aus, dass man kaum glauben konnte, welch ein Grauen sich nur wenige Stunden zuvor dort abgespielt hatte. Aber dennoch verspürte Taliza ein merkwürdiges Kribbeln in ihrem Nacken, während sie Hanur so betrachtete – ein Kribbeln, dass ihr sagte, dass dies alles erst der Anfang gewesen war; der Anfang eines Schreckens der schließlich ganz Haradwaith erschüttern würde, wenn nicht noch irgendetwas geschah.
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„Ist es jetzt Tag oder Nacht? Oder früher Morgen oder Abend? Ich werd' noch verrückt, wenn wir hier nicht bald rauskommen!" Pippin trat wütend nach einem kleinen Stein und schrie im nächsten Moment schmerzerfüllt auf. Im Dunkeln hatte der Stein wirklich klein ausgesehen, aber er war wohl nur die Spitze eines größeren Felsen, der unter der Erde vergraben war. Der Hobbit sprang fluchend auf einem Bein weiter, stolperte und fiel der Länge nach hin.
„Raaaaaaaaaaah!" brüllte er und schlug mit der Faust auf den sandigen Boden. „Ich halte das nicht mehr aus!!"
„Pippin, bleib ruhig", brachte Legolas sanft hervor und half ihm wieder auf die Beine, während auch Akimo und Kiato näher herantraten. Vor allem Kiato bedachte den Hobbit mit einem Blick, der ausdrückte, dass er ihn nicht mehr für ganz bei Sinnen hielt.
„Er ist gebrochen! Er ist bestimmt gebrochen!" jammerte Pippin und ließ sich auf einen größeren Felsen in ihrer Nähe nieder. Akimo hielt die Fackel, die ihnen mit der von Kiato das einzige Licht in diesem schier endlosen Gang spendete, näher an den Hobbit heran, während dieser eingehend seinen lädierten Fuß betrachtete. Legolas kniete sich vor ihn und nahm den Fuß zwischen seine gefesselten Hände, um ihn genauer in Augenschein zu nehmen. Der große Zeh blutete stark, weil der Zehnagel zur Hälfte abgerissen war, aber es war keine schwere Verletzung.
„Bitte vorsichtig", brachte Pippin ängstlich hervor als Legolas begann den Zeh zu betasten. Der Hobbit zuckte ein paar Mal und verzog das Gesicht, aber zu stark schienen die Schmerzen nicht zu sein und Legolas konnte auch keinen gebrochenen Knochen fühlen.
„Und? Kann er laufen?" erkundigte sich Akimo ungeduldig.
Legolas zuckte die Schultern. „Es wird eine Weile ziemlich wehtun. Ich denke, der Zeh ist verstaucht. Vielleicht sollten wir ihn auf das Pferd setzen, solange die Decke des Ganges es zulässt."
Pippins Gesicht erhellte sich bei der Aussicht sich für eine Weile ausruhen zu können und er nickte sofort begeistert. Doch Akimo zögerte.
„Ich weiß nicht, dann müssten wir wieder einen Teil des Gepäckes tragen."
Sie hatten das Pferd tatsächlich in der Nähe des Poros gefunden und waren seitdem etwas schneller vorwärts gekommen. Außerdem schien sich der Südländer den Komfort eines Gepäckträgers nicht nehmen lassen zu wollen.
„Ich kann auch einen Teil tragen", bot sich Legolas an. „Mir macht es nichts aus und ich denke, wir werden langsamer sein, wenn wir Pippin laufen lassen."
„Humpeln", warf Pippin ein. „Ich kann nur humpeln. Und das ist wirklich langsam!"
Akimo atmete tief durch, wandte sich an Kiato und erklärte ihm alles. Der Haradrim war alles andere als begeistert, doch schließlich nickte er brummig, mit seinen Augen Blitze auf den Hobbit abschießend.
„V... vielleicht sollte ich doch lieber laufen", brachte Pippin eingeschüchtert hervor und sah Legolas mit großen, ängstlichern Augen an. Doch der schüttelte vehement den Kopf. „Du reitest. Wenn es dir wieder besser geht, kannst du wieder laufen, aber bis dahin..."
Akimo drückte Kiato auch seine Fackel in die Hand und begann ein paar Decken und Beutel vom Pferd zu laden, um dann schließlich an Pippin heranzutreten. Der Hobbit wich unsicher ein Stück vor ihm zurück, doch der Haradrim packte ihn einfach und hob ihn ohne Umschweife auf den Rücken des Pferdes.
„D.. danke", stotterte Pippin und hielt sich schnell an einem der Gurte fest, die Teile des Gepäcks auf dem Tier hielten, da Kiato das Tier sogleich vorwärts führte.
Legolas ließ sich von Akimo einiges an Gepäck aufladen und schloss wieder zu seinem Freund auf, der sich schon unruhig nach ihm umsah.
„Und? Besser?" fragte er mit einem halben Lächeln.
Pippin erwiderte sein Lächeln zaghaft. „Ja, etwas." Er seufzte. „Tut mir leid, dass du das da jetzt schleppen musst. Ich ... ich hätte nicht so ausflippen dürfen. Schließlich ist es ja nicht das erste Mal, dass wir unter der Erde herumwandern."
„Aber es ist eine andere Situation", meinte Legolas. „Wir sind nicht mit unseren Freunden zusammen."
Pippin nickte traurig. „Ja, das ist wahr."
„Und du bist nicht der Einzige, der sich hier nicht sehr wohl in seiner Haut fühlt", gab der Elb zu. Elben waren wirklich nicht gern unter der Erde. Obwohl der Palast seines Vaters, in dem er aufgewachsen war, in einen Berg eingelassen war, fühlte sich Legolas nur wirklich wohl, wenn er an der frischen Luft war, wenn er Bäume und Tiere um sich herum hatte und ein lauer Wind über seine Haut strich. Dieser schier unendliche Marsch unter dem Gebirge Mordors hindurch zerrte auch an seinen Nerven. Außerdem war der schmale Gang hier unter der Erde kein Vergleich zu den riesigen, hohen Höhlen Morias. Man fühlte sich hier so eingeengt, so eingesperrt.
„Wirklich?" fragte Pippin getröstet. „Willst du auch endlich wieder raus?"
„Wer will das nicht?" fragte Akimo gereizt, der mit seinem Teil an Gepäck zu ihnen aufgeschlossen hatte und Kiato unwirsch die zweite Fackel aus der Hand riss. „Ich habe wirklich genug von diesem ständigen in dunklen Gängen herumschleichen. Und ich kann es mir nicht schön auf einem Pferd gemütlich machen."
„Was brabbeln die da?" wandte sich Kiato auf Harad an seinen Freund.
„Sie jammern", brummte Akimo missgestimmt. „Sie denken, wir fühlen uns in diesem stickigen Gang wohl."
Kiato ließ ein verächtliches Schnauben vernehmen. „Eins sag' ich dir, für diese Strapazen ist uns Bariak aber einen ziemlich großen Gefallen schuldig!"
„Einen Gefallen?" wiederholte Akimo gereizt. „Wir können froh sein, wenn er uns am Leben lässt, wenn er sieht, wen wir mitgebracht haben."
„Elessar wird uns folgen, Akimo. Wir müssen nur die richtige Gelegenheit abpassen in zu überwältigen. Geraesh wird mit seinen Männern schon in der Haram-Ebene auf uns warten", erinnerte Kiato seinen Freund. „Im Endeffekt bringen wir Bariak doch denjenigen, den er haben wollte – nur auf einem anderen Weg. Was immer er auch mit ihm vorhat, er wird in der Lage sein es zu tun. Und aus O'sharam wird Elessar wohl kaum wieder fliehen können. Das ist so gut wie unmöglich. Wenn die Krieger deines Vaters ihn nicht wieder einfangen, wird die Wüste ihn töten. Dieses Risiko wird kein kluger Mann eingehen. Und Elessar soll doch so klug sein."
„Was reden die da?" raunte Pippin Legolas zu, der ihm sofort mit einem eindringlichen Blick zu verstehen gab, still zu sein.
„Es ist schön, dass du so optimistisch bist", gab Akimo spitz zurück. „Aber solange ich den Mann noch nicht gefesselt und geknebelt vor mir habe, glaube ich noch nicht daran, dass alles gut ausgeht. Wir haben ihn bisher noch nicht einmal gesehen!"
„Aber Salia macht jetzt mit!" erinnerte ihn Kiato. „Wenn sie dabei ist, kann gar nichts mehr schief gehen. Sie kennt diesen König. Sie wird ihn uns bringen, wenn wir erst einmal in Haradwaith sind."
„Ich wusste es", brummte Akimo missmutig.
„Was?!" Kiato blieb abrupt stehen und sah seinen Freund mit funkelnden Augen an.
„Dass du immer noch in sie verliebt bist", war die sachliche Antwort.
„Das ist nicht wahr!" fauchte Kiato und machte einen drohenden Schritt auf Akimo zu.
„Na, gut, dann himmelst du sie halt nur noch an", erwiderte Akimo gänzlich unbeeindruckt.
„Ich himmle sie nicht an!" knurrte Kiato. „Ich sehe sie nur als das, was sie ist: Eine tapfere, kluge Kriegerin, die zu denen hält, die sie liebt und für sie alles tun würde. Menschen wie sie gibt es nicht so oft."
„Menschen, die sie liebt..." wiederholte Akimo spöttisch.
„Ja, wie dich zum Beispiel", meinte Kiato etwas ruhiger.
„Davon hat man aber gestern nur sehr wenig gemerkt", bemerkte der Südländer trocken. „Und sie meldet sich nur, wenn es irgendetwas Amtliches zu besprechen gibt, irgendetwas Weltbewegendes da draußen in Gondor. Nennst du das vielleicht Liebe?!"
„Du verstehst das nicht", murmelte Kiato und ging wieder weiter.
„Aber du, ja?" Für Akimo schien das Thema noch nicht erledigt zu sein. „Du meinst, sie zu kennen, nur weil sie einmal deine Frau werden sollte. Dabei hat sie dich noch nicht einmal gewollt!"
Kiato fuhr wutentbrannt herum. „Was willst du von mir?! Dass ich sie hasse – nur weil du es manchmal tust? Es ist nicht allein ihre Schuld, dass ihr solche Probleme miteinander habt! Sieh das endlich ein! Und lass mich gefälligst in Ruhe!"
Für einen Moment starrten sich die beiden voller Wut an, dann wandte sich Kiato wieder um und lief mit einem solchen Tempo los, dass das Pferd ein paar Trabschritte machen musste, um mitzuhalten und Pippin fast von seinem Rücken rutschte.
Legolas schob ihn schnell wieder hinauf und sagte ihm mit einem Blick, dass sie für die nächste Zeit besser möglichst ruhig blieben, um nicht Opfer der Wut beider Südländer zu werden. Noch ein anderer Gedanke hatte sich in Legolas Hinterkopf gebildet: Es war an der Zeit zu fliehen, sobald sich ein Möglichkeit ergab. Er besaß jetzt genug Informationen, um Aragorn zu helfen, länger in Gefangenschaft zu bleiben barg das Risiko, nicht so schnell wieder frei zu kommen. Und bald schon würden sie die Grenze nach Süden erreicht haben. Die Verstärkung für die beiden Südländer war nah. Und dann gab es da noch diese junge, wütende Frau in ihrem Rücken. Legolas musste Kiato zustimmen: Sie machte den Eindruck einer erfahrenen und sehr intelligenten Kämpferin. Die Gefahr, die von ihr ausging war nicht zu unterschätzen und Legolas hatte wirklich keine Lust, auch noch ihr entgegenzutreten.
