Ich weiß, das hat leider wieder etwas länger gedauert, als es geplant war. Dieses Mal bin ich (Jenna) krank gewesen. Dabei war das Kapitel vorher schon fast fertig. Naja, auf jeden Fall ist es jetzt komplett, obwohl ich immer noch nicht so wirklich zufrieden bin. Danke noch an Elanor8 (mein Pferd ist wieder kerngesund, aber LC muss umzugsmäßig noch ganz schön ackern), Mink (du kannst dir gar nicht vorstellen, wie glücklich wir über einen Teleporter gewesen wären – natürlich hätt' ein wendiger Elb auch schon was gebracht) und Honey (ganz so lang war die Wartezeit diesmal nicht oder?) für ihre Reviews. Wir brauchen das wirklich! Deshalb: Schreibt uns, schreibt uns, schreibt uns! Dann werden wir vielleicht auch wieder ein bissl schneller. Viel Spass beim Lesen!  Kapitel 17

Der Schmerz war brennend und stechend, so stechend, dass er bis in die wohltuende Schwärze vordrang, in der sich Pippin befand. Er wollte nicht aus dieser wunderbaren Ohnmacht entfliehen, aber das Licht brach unbarmherzig zu ihm durch und riss ihn wieder zurück in die schreckliche, schmerzhafte Realität. Ein verschwommenes, fleckiges Bild enthüllte sich den halbgeöffneten Augen des Hobbits: Äste, ein dichtes Laubwerk und die Umrisse einer hellen Gestalt ganz nah bei ihm – eine leuchtende Gestalt mit goldenem Haar – eine Engelserscheinung, die sich besorgt über ihn beugte.

  „B... bin ich tot?" brachte Pippin krächzend hervor. „Hat das Monster... mich verspeist?"

  Die Gestalt schüttelte den Kopf und lächelte. Ein vertrautes Lächeln. „Hier, trinke das!" sagte eine ebenso vertraute Stimme und Pippin fühlte den rauen Rand einer Holzschale an seinen Lippen. Ohne zu wissen, was da seine Lippen benetzte und in seinen ausgetrockneten Mund floss, schluckte er die Flüssigkeit gehorsam hinunter bis die Schale leer war. Der bittere Nachgeschmack des Sudes ließ ihn erschauern.

  „Das... ist ja widerlich!" stieß er angeekelt hervor.

  Die Gestalt lachte leise und in diesem Moment war Pippin sich sicher, dass es sein elbischer Freund war. Pippin hatte Legolas Lachen immer gemocht, gerade weil der Elb nicht allzu häufig lachte und es so warm und frei von Spott war.

  „Es wird deine Schmerzen ein wenig lindern", setzte Legolas hinzu und legte ihm prüfend eine Hand auf die Stirn.

  „Hat es mich sehr schlimm erwischt?" fragte Pippin zaghaft, obwohl er sich vor der Antwort fürchtete.

  „Du wirst ein paar Narben zurück behalten", antwortete der Elb ausweichend. „Dein Fieber macht mir mehr Sorgen." Er zog seine Hand wieder zurück und betrachtete ihn nachdenklich.

  Pippin blinzelte ein paar Mal. Er konnte jetzt zwar schon wieder die Gesichtszüge seines Freundes erkennen, aber irgendwie war alles noch immer etwas verschwommen. „Ist das der Grund, warum ich so schlecht sehe?" erkundigte er sich.

  „Nein, das werden nur die Nebenwirkungen des Heiltrankes sein."

  „Aber den habe ich doch gerade erst bekommen..."

  Der Elb schüttelte den Kopf. „Ich flöße ihn dir schon eine ganze Weile ein. Das war zwar bis jetzt etwas schwierig, aber dadurch habe ich dich vor schlimmeren Schmerzen bewahren können."

  Pippin schluckte schwer. „Sei' ehrlich", stieß er hervor, „fehlt irgendetwas? Ich meine... hat dieses Vieh mir irgendwas abgebissen?"

  Legolas lächelte sanft. „Nein, da kann ich dich beruhigen. Es ist alles noch dran... bis auf ein paar Haare vielleicht."

   Pippin atmete erleichtert auf. „Und du hast ihn natürlich platt gemacht."

  „Natürlich", schmunzelte der Elb.

  „Gut", sagte Pippin zufrieden und sah sich ein wenig um. So weit er erkennen konnte, hing er mehr oder weniger in Legolas kostbarem Festmantel, den er als eine Art Hängematte zwischen zwei starke Äste gespannt hatte. Und Legolas selbst hockte irgendwie auch in einer überdimensional großen Astgabel. Das konnte irgendwie nur eines bedeuten...

  Pippin sah seinen Freund mit großen, ungläubigen Augen an. „Sitzen wir auf einem..."

  Legolas nickte schon bevor Pippin seine Vermutung ausgesprochen hatte. „So sind wir besser geschützt. Warge können nicht klettern. Selbst wenn sie unsere Spur aufgenommen haben, werden sie uns nicht entdecken. Dasselbe gilt für unsere südländischen Freunde."

  „Aber die können klettern", warf Pippin besorgt ein.

  „Ich glaube nicht, dass sie auf die Idee kommen, dass wir auf einen Baum geklettert sind. Außerdem sind wir so weit oben und durch das Blattwerk so gut geschützt, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass sie und entdecken."

  „Weit oben?" wiederholte Pippin entgeistert und versuchte über den Rand des Mantels einen Blick nach unten zu werfen. Doch das Blattwerk war tatsächlich so dicht, dass er nichts erkennen  konnte.

  „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen", wollte Legolas ihn beruhigen. „Die Bäume, die hier wachsen sind stark und dicht bewachsen. Außerdem liegst du ziemlich sicher in meinem Mantel. Du kannst nicht herunterfallen."

  Pippin schluckte seine Angst hinunter und sah seinen elbischen Freund wieder an. „Wie bist du bloß mit mir im Gepäck hier heraufgekommen?"

  Legolas lächelte. „Ich klettere auf Bäumen herum, seit ich laufen kann und das sind mehr als 2800 Jahre."

  Pippin blinzelte ihn irritiert an. Dann nickte er. „Jetzt fällt es mir wieder ein. Du bist ja ein Waldelb. Bäume sind deine besten Freunde."

  Legolas musste lachen. „Nicht so ganz, aber wenn du damit meinst, dass ich eine besondere Beziehung zu Bäumen habe, dann hast du recht. Der Wald wird dich beschützen, solange du bei mir bist."

  „Wirklich?"

  „Ganz wirklich. Und jetzt solltest du besser schlafen. Dein Körper braucht viel Ruhe."

  Pippin nickt nur und schloss gehorsam die Augen. Er war wirklich schrecklich müde und da die Schmerzen so gut wie verschwunden waren, schlief er schnell ein.

Es war sein eigenes Schreien und das wilde Schlagen seines Herzens, das ihn bald schon wieder aus einem unruhigen Schlaf riss. Er hatte von diesen monströsen Wesen geträumt, die ihn gepackt hatten und zerreißen wollten und als er die Augen aufriss, musste er feststellen, dass ihn tatsächlich jemand umklammert hatte und fesselte.

  Pippin schlug in heller Panik um sich, doch der beißende Schmerz in seiner Schulter ließ ihn schnell erlahmen. Durch das laute Summen seiner Ohren vernahm er schließlich eine Stimme, die leise und beruhigend auf ihn einredete und es dauerte nicht lange und er verstand die Worte, die die Person an ihn richtete.

  „... ich will dich nur von hier herunterbringen. Niemand wird dir etwas tun. Hörst du? Wir brauchen neue Heilpflanzen und ich kann dich in diesem Zustand nicht allein auf dem Baum lassen. Du windest dich zu sehr in deinen Fieberträumen."

  Pippin versuchte angestrengt den Schleier vor seinen Augen wegzublinzeln, aber es gelang ihm nicht so recht. „Legolas?" stieß er müde hervor.

  „Ja. Ich will dich nur an mir festbinden, damit wir von diesem Baum herunterkommen."

  „Die... die Warge wollten... mich fressen...", brachte Pippin schwach hervor.

  „Sie sind weg", hörte er Legolas sanft sagen und der Elb zog ihn vorsichtig mit seinem Mantel an sich fest. „Und sie kommen auch nicht wieder."

  „Bist du sicher?" nuschelte Pippin an seiner Brust.

  „Ganz sicher. Wir können beruhigt von diesem Baum herunterklettern. Bist du bereit?"

  Pippin nickte nur, kniff die Augen zu und biss die Zähne zusammen. Als Legolas begann sich mit ihm zu bewegen und langsam den Baum herunterkletterte, war der Schmerz so stark, dass er ein leises Stöhnen nicht mehr unterdrücken konnte. In seinem Kopf begann es laut zu summen und zu pochen und alles drehte sich um ihn. Doch zu seinem Leidwesen blieb er bei Bewusstsein und mit jeder Bewegung, die der Elb machte ging es ihm schlechter und schlechter. Erst als Legolas den Boden erreicht hatte, wurde es wieder etwas besser, denn dem Elb war es nun möglich sich noch vorsichtiger als zuvor zu bewegen. Pippin ließ seine Augen geschlossen und lehnte erschöpft seinen Kopf gegen die Brust des Elben. Dieser scheußliche Schmerz hatte zwar etwas nachgelassen, aber er pochte immer noch unbarmherzig in seiner Schulter und Pippin fühlte eine furchtbare Übelkeit in sich aufsteigen. Er versuchte möglichst gleichmäßig und ruhig zu atmen und kämpfte tapfer gegen seine Übelkeit an. Auf keinen Fall wollte er sich hier an Legolas Brust übergeben. Das hatte sein Freund einfach nicht verdient.

  Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis Legolas endlich stehen blieb und ihn vorsichtig auf den moosigen Boden bettete. Endlich ließen die körperlichen Qualen nach und der Druck in seinem Magen verschwand. Pippin öffnete müde die Augen. Er sah zwar immer noch etwas verschwommen, aber die Besorgnis in den Augen des Elben entging ihm dennoch nicht. Der Elb legte ihm prüfend eine Hand auf die Stirn und Pippin atmete erleichtert auf. Legolas Hand war so schön kühl und er hatte das Gefühl als würde das Brummen seines Schädels leiser werden. Legolas begann leise elbische Worte zu murmeln und als er seine Hand zurück zog, fühlte sich Pippin plötzlich entspannt und schläfrig. Er atmete erneut tief durch und schloss die Lider. Die Dunkelheit, die ihn nun umgab, war so einladend, dass er in wenigen Sekunden eingeschlafen war.

Legolas Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Obwohl er sein Möglichstes tat, schien es Pippin immer schlechter zu gehen. Das Fieber stieg und er wurde schwächer und schwächer. Die lange Reise durch Gondor und Mordor hatte seinen Körper wohl so geschwächt, dass er dem Stress und Schmerz einer schweren Verletzung nicht gewachsen war. Selbst die Heilkräfte eines Elben schienen hier nicht auszureichen. Zumindest hatten sie seinen Zustand bisher nicht erheblich verbessern können. Zudem befanden sie sich in einem ihm völlig fremden Gebiet, in dem nur wenige der ihm bekannten Pflanzen wuchsen und Legolas wagte es nicht einfach ein paar neue auszuprobieren, von denen zwar eine angenehme Energie ausströmte, die aber Pippin das Leben kosten konnten, wenn er sich irrte. Also sammelte Legolas eiligst nur die Kräuter, die ihm bekannt waren und machte sich auf den Weg zurück zu Pippin.

  Natürlich lag der Hobbit noch auf demselben Platz, an dem er ihn zurückgelassen hatte. Er atmete schwer und unregelmäßig, aber er hatte wenigstens keine Alpträume mehr. Legolas zerrieb die Kräuter in dem großen Stück Baumrinde, das ihm bisher als Schale gedient hatte, und goss ein wenig Quellwasser aus einer anderen hinzu. Dann schob er einen Arm unter den Nacken des Hobbits und flößte ihm mühsam den Sud ein. Pippin sträubte sich zunächst ein wenig, doch dann schluckte er gehorsam alles hinunter. Legolas ließ ihn sanft zurück ins Moos gleiten und atmete tief durch. Er betrachtete besorgt das aschfahle Gesicht seines Freundes und legte ihm behutsam eine Hand auf die Stirn. Fast wäre er erschrocken zurückgefahren. Die Haut des Hobbits glühte nahezu. Also war das Fieber noch weiter gestiegen, trotz der fiebersenkenden Mittel, die er ihm verabreicht hatte.

  Legolas schüttelte resigniert den Kopf. Hätten sie sich in einem elbischen Reich befunden oder zumindest in einem ihm bekannten Gebiet, hätte er mehr für Pippin tun können, doch hier in der Fremde waren auch seine übernatürlichen Kräfte begrenzt. Er konzentrierte sich, schloss die Augen, wie schon viele Male zuvor, und murmelte leise ein paar elbische Heilsprüche. Er fühlte den Energiefluss zwischen sich und dem Hobbit und sorgte dafür, dass ein wenig seiner Energie in dem erschöpften, kleinen Körper zurückblieb. Und gerade als er sich wieder zurückzog, fühlte er sie – eine fremde Energie, die sich ihm näherte.

  Legolas war mit einem Satz auf den Beinen und ergriff Pfeil und Bogen. Mit gespanntem Bogen sah er sich scharf um, doch das Dickicht des Waldes war hier so dicht, dass selbst er nicht hindurchsehen konnte. Doch soweit er es erspüren konnte, war es nur eine Person, die sich ihnen näherte. Bald schon konnte er das zufriedene Schnauben eines Pferdes vernehmen.

  Legolas Gedanken überschlugen sich. Es gab nur zwei Möglichkeiten zu handeln: Entweder er schnappte sich Pippin und floh, möglichst wieder in die Krone eines hohen Baumes, was den Hobbit erneute Schmerzen und Anstrengungen zufügen würde, oder er wartete ab, wer dort auf ihn zukam, und setzte sich zur Wehr, falls dieser ihn angriff.

  Es war seltsam, so vernünftig die erste Möglichkeit auch schien, er konnte sich nicht dazu durchringen sie zu ergreifen. Da war etwas, was ihm sagte, dass es besser war abzuwarten, etwas, das ihm sagte, dass diese Person keiner von ihren Verfolgern war. Es lag ein eigenartiges Prickeln in der Luft, ein Prickeln, das entstand, wenn verschiedene Energien aufeinandertrafen und sich erkundeten. Der Wald reagierte auf diese Person, wie er es zuvor auch bei Legolas getan hatte. Und er war dieser Person genauso zugetan wie ihm.

  Nun ertönte das bekannte Knacken und Rascheln aus dem Unterholz, das das baldige Erscheinen des Fremden ankündigte, und schließlich konnte Legolas durch die Blätter und Äste der Büsche eine Gestalt ausmachen, die ein dunkles Pferd mit sich führte. Sie trug einen dieser südländischen, weiten Mäntel und hatte in der Manier ihres Volkes ein dunkles Tuch um den Kopf gewickelt, das fast ihr ganzes Gesicht verdeckte und nur einen Sichtschlitz freiließ. Der Fremde schien an einen Wald nicht wirklich gewöhnt zu sein, denn er bewegte sich etwas unsicher, achtete sehr darauf, wohin er trat und stolperte auch ein paar Mal. Doch er hatte eindeutig ein Ziel vor Auge, denn während er Bäume und Büsche umging, hielte er dennoch weiterhin genau auf Legolas zu, obwohl Legolas bezweifelte, dass er ihn schon gesehen hatte. Erst als das Pferd mit geblähten Nüstern und einem warnenden Prusten abrupt stoppte, den Blick ängstlich auf den Elben gerichtet, sah auch die Gestalt zum ersten Mal wirklich zu ihm hinüber und blieb erschrocken stehen.

  Für einen Moment starrten sie sich bewegungslos an, dann setzte sich der dunkle Fremde wieder in Bewegung und zog sein sich sträubendes Pferd hinter sich her. Legolas hob seinen Bogen und zielte direkt auf die Brust des Fremden, doch den schien das nicht im Geringsten zu beeindrucken, denn er ging weiter auf ihn zu, bis er nur noch wenige Meter von ihm entfernt aus dem Dickicht trat. Zwei blaugrüne Augen sahen Legolas etwas ängstlich aber auch erstaunt und neugierig an, musterten ihn gründlich, um sich doch noch etwas näher an ihn heranzuwagen. Der Fremde hob die Hände und bedeutete dem Elben mit vorsichtigen Gesten die Waffe herunterzunehmen und merkwürdigerweise kam er dieser unausgesprochenen Bitte nach. Obwohl der weite, dunkle Mantel, den der Fremde trug, sich sehr gut dazu eignete, um etliche Waffen darunter zu verbergen, hatte Legolas das Gefühl, dass keine Gefahr von ihm ausging. Er traute diesen ausdrucksvollen, klugen Augen. Den Bogen jedoch wegzulegen, wagte er nicht. Auch Elben konnten sich täuschen...

  Der Fremde wies mit einer Hand auf Pippin und sah Legolas fragend an.

  „Du... du willst ihn dir ansehen?" fragte der Elb ungläubig auf Westron, ohne zu erwarten, dass der Fremde ihn verstand. Doch zu seiner Überraschung nickte der.

  „Wer bist du?" fragte Legolas misstrauisch und lief langsam zurück zu Pippin, wohl darauf bedacht, diese merkwürdige Person nicht aus den Augen zu lassen, die ihm langsam folgte. Doch dieses Mal schien sie ihn nicht zu verstehen, denn sie sah ihn nur fragend an. Als er nichts Weiteres hinzufügte, wies der Fremde erneut auf Pippin und dann auf seine eigene Brust. Legolas runzelte nachdenklich die Stirn. Wenn er sich nicht täuschte, wollte er ihnen tatsächlich nur helfen. Legolas überlegte nur einen kurzen Moment, dann nickte er. Ganz gleich, wer dieser Mensch war, er war wohl gekommen, um zu helfen. Welchen Grund es auch immer dafür gab, er stammte anscheinend aus diesem Land und vielleicht kannte er tatsächlich bessere Heilmittel. Und schließlich hatten sie nichts zu verlieren, solange Legolas die Kontrolle über alles behielt.

  Der Fremde warf noch einmal einen zögerlichen Blick auf Legolas Bogen und kniete dann neben Pippin nieder. Er legte kurz eine Hand auf Pippins Stirn und wandte sich dann seiner Verwundung zu.

  „Warge", erklärte Legolas knapp, in der Hoffnung, der Fremde würde dies verstehen, und betrachtete die Vorgehensweise des Fremden mit steigendem Interesse. Dies war kein Krieger. Er wusste genau, was er tat. Jeder Handgriff, jeder Blick des Fremden verriet, dass er ein Heiler war. Und diese Hände: viel zu gepflegt, viel zu zart, um die eines Kriegers, um die eines Mannes zu sein. Legolas brauchte nicht lange, um zu begreifen, dass er eine Frau vor sich hatte, die sich wahrscheinlich mit ihrer Stummheit und ihrer Kleidung vor Überfällen schützte. Allein durch dieses Land zu reiten, war für eine Frau wirklich nicht ungefährlich.

  Dennoch hob Legolas drohend den Bogen, als sie unter ihre weiten Kleider griff. Sie verhielt in der Bewegung und schüttelte den Kopf. Dann zog sie ganz langsam und für Legolas deutlich sichtbar einen ledernen Beutel hervor. Der Elb nickte verstehend und senkte den Bogen wieder ab. Er beobachtete interessiert, wie die Heilerin ein merkwürdig riechendes Pulver auf die Wunde streute, dann für einen kurzen Moment ihre Hand darauf legte und schließlich die Verbände, bestehend aus ein paar Stoffstreifen von Legolas Mantel, wieder anlegte. Doch sie schien noch nicht fertig zu sein, denn sie beugte sich plötzlich vor und legte beide Hände an Pippins Schläfen. Legolas verspürte ein merkwürdiges energetisches Knistern in der ganzen Umgebung und eine Gänsehaut kroch von seinen Fußspitzen bis hinauf zu seinen Haarwurzeln. Er rutschte erschrocken von der Heilerin weg und starrte sie ungläubig an. Solch einen Energiefluss hatte er bisher noch nie bei einem Menschen gespürt.

  Die Frau sah irritiert auf und nahm ihre Hände von Pippin zurück, der ein zufriedenes Seufzen von sich gab, sich in Legolas Mantel einkuschelte und selig lächelnd weiterschlief.

  „Hast du das fühlen können?" rutschte es der jungen Frau auf Harad heraus. Sie schien genauso verwirrt zu sein wie Legolas selbst.

  Er antwortete nicht, sondern sah sie nur weiterhin prüfend an, den erhobenen Bogen immer noch auf sie gerichtet. Wen hatte er da bloß vor sich? Sie war keine Elbin, das konnte er fühlen; aber sie war auch kein normaler Mensch – zumindest hatte sie Kräfte, die Menschen normalerweise nicht besaßen.

  Die Heilerin sah ihn immer noch an. Aber sie schien angestrengt darüber nachzudenken, wie sie sich ihm besser verständlich machen konnte. Schließlich stand sie auf und löste etwas an ihrem Kopftuch, sodass sie ihr Gesicht enthüllen konnte. Sie war tatsächlich noch sehr jung. Ihre Haut war glatt und rein und besaß einen recht dunklen Teint, jedoch war er nicht so dunkel wie bei den meisten Südländern. Sie war ganz hübsch, aber keine dieser aparten, südländischen Schönheiten. Vielmehr haftete ihrer Erscheinung etwas sehr gewöhnliches, natürliches an, das im völligen Kontrast zur ihrer energetischen Ausstrahlung stand. Die meisten Menschen würden diese Frau wahrscheinlich übersehen, aber in Legolas keimte so etwas wie jugendliche Neugierde auf, die er immer dann verspürte, wenn er auf etwas traf, das er sich nicht auf Anhieb erklären konnte.

  Sie trat an ihn heran und wies mit  einer Hand auf ihre Brust. „Taliza", sagte sie sanft und sah ihn eindringlich an. 

  Legolas zögerte einen Moment, dann nickte er verstehend. „Legolas", sagte er und wies nun seinerseits auf seine Brust.

  Erleichterung zeigte sich in den Augen der Heilerin und sie lächelte. Dann wies sie auf den friedlich schlafenden Hobbit.

  „Pippin", erklärte Legolas knapp und sie nickte verstehend.

  „Ihm geht es nicht gut", meinte sie in der Sprache ihres Volkes und verzog zur Verdeutlichung ihrer Worte das Gesicht. „Aber er wird gesund werden." Dieses Mal lächelte sie und versuchte fröhlich auszusehen.

  Legolas musste lachen und entschied sich den Bogen doch abzulegen. Irgendetwas sagte ihm, dass von dieser jungen Frau wirklich keine Gefahr ausging, und selbst wenn sie ihn angriff, so war er ihr doch mehr als gewachsen. Taliza sah ihn nachdenklich an. Sie wirkte fast ein wenig verzweifelt, da sie nicht genau wusste, wie sie ihm alles erklären sollte. Und sie schien wirklich noch viel auf dem Herzen zu haben. Sie wies wieder auf Pippin, legte beide Hände an die Wange und schloss für einen Moment die Augen. Dann sah sie Legolas wieder fragend an.

  „Er braucht viel Schlaf, ich weiß", entfuhr es ihm auf Harad, noch ehe er sich dessen bewusst war.

  Taliza riss erstaunt die Augen auf. „Du sprichst meine Sprache?"

  Legolas atmete tief durch. Jetzt noch zu lügen, machte wohl wenig Sinn. Und wem konnte sie schon erzählen, dass er die Sprache des Südens beherrschte. Sie waren allein in diesem Wald. „Ein wenig", gab er leise zu.

  „Aber du verstehst, was ich sage?"

  „Das meiste."

  Sie nickte verstehend und musterte ihn mit unverhohlener Neugierde, während sich in ihren Augen gleichzeitig so etwas wie Misstrauen zeigte. Sie dachte einen Moment nach und holte dann tief Luft.

  „Dieser Junge", sie wies auf Pippin, „hat eine ziemlich schwere Verletzung davongetragen und er hat Wundfieber bekommen. Er braucht sehr viel Ruhe und muss jede Stunde etwas von diesem Pulver eingeflößt bekommen." Sie reichte Legolas einen ledernen Beutel. „Es muss nur in etwas Wasser gegeben werden. Danach wird es ihm bald besser gehen. Aber er sollte nicht transportiert werden."

  „Das muss er aber", erwiderte Legolas. „Wir können nicht hier bleiben. Wir müssen weiter."

  Taliza sah ihn stirnrunzelnd an und erneut glitt ihr Blick über seine Gestalt, dieses Mal noch ein wenig nachdenklicher als zuvor.

   „Woher kommst du?" fragte sie schließlich zögernd und aus ihren Augen sprach dieselbe gefährliche Neugierde, die auch er verspürte.

  Ein kleines Lächeln erschien auf Legolas Lippen. „Von weit her", gab er ausweichend zurück. „Wir haben einen langen Weg vor uns und keine Zeit um uns länger an ein und demselben Ort aufzuhalten."

  „Das wird er nicht durchhalten", warnte Taliza ihn. „Du könntest ihn damit umbringen."

  Legolas sah sie einen Moment nachdenklich an, dann schüttelte er den Kopf. „Das werde ich nicht", sagte er ganz offen, „weil du mit uns gehen wirst." 

  Die junge Frau starrte ihn sprachlos an, dann wich sie ein paar Schritte vor ihm zurück. „Das... das geht nicht", stotterte sie, während sie versuchte sich unauffällig auf ihr Pferd zuzubewegen.. „Ich... ich muss weiter."

  Doch Legolas war schneller als sie und versperrte ihr den Weg. „Ich kann dich nicht gehen lassen", sagte er sanft. „Man sucht nach uns und du könntest verraten, wo wir sind."

 „Ihr seid auf der Flucht?" schloss Taliza sofort und Beunruhigung sprach aus ihrer Stimme. „Vor wem?"

  „Vor Männern deines Volkes", erklärte Legolas ruhig. „Sie wissen, dass wir in diesem Wald sind und sie werden solange suchen, bis sie uns gefunden haben. Deswegen können wir hier nicht bleiben. Ich werde dir nichts antun und du sollst auch nicht meine Geisel sein. Wir brauchen nur deine Hilfe – nicht nur als Heilerin, sondern auch als Führerin."

  Die Furcht, die in Talizas Augen aufgekommen war, verschwand nicht völlig, aber sie nickte verstehend. „Wie lange?"

  „Bis wir ein Dorf oder eine Stadt gefunden haben, das unter der Aufsicht der Truppen Gondors und Rohans steht."

  „Ich war erst vor kurzem in einem solchen Dorf", gab sie nachdenklich zurück. „Aber ich weiß nicht, ob ihr dort wirklich sicher seid. Es ist von südländischen Rebellen überfallen worden und es gibt überall im Land und besonders an den Grenzen große Unruhen. Es ist momentan gefährlich in diese Gegend zu reisen. Besonders wenn man nicht aus diesem Land stammt. Und so wie du aussiehst und gekleidet bist, wird jeder sofort auf euch aufmerksam. In unserem Land gibt es keine Menschen wie dich."

  Sie dachte einen Augenblick nach und gab ihrem Pferd, das bisher friedlich unter einem Baum vor sich hin gedöst hatte, ein kurzes Zeichen. Das Tier sah für einen Moment erstaunt auf und kam dann willig zu ihr hinüber. „Ich habe noch einen Mantel in meinem Gepäck und einen P'jater."

   Legolas runzelte fragend die Stirn und sie wies kurz auf ihren langen Schal, der zuvor ihr Gesicht verhüllt hatte. Er nickte verstehend und schenkte der jungen Frau ein Lächeln. „Das Schicksal hat es wohl gut mit uns gemeint, als es dich zu uns geschickt hat."

  „Ja." Sie sah ihn nachdenklich an. „Es war wohl Bestimmung, dass ich hierher gefunden habe. Manchmal kreuzen sich die Wege des Schicksals auf sehr ungewöhnliche Art und Weise – nur wohin sie führen ist sehr ungewiss."

  Legolas lächelte. „Hoffen wir, dass sie uns alle sicher nach Hause bringen", sagte er und kämpfte gleichzeitig ein unangenehmes Gefühl tief in seinem Inneren nieder – das Gefühl, dass es noch sehr lange dauern würde, bis sie wieder zuhause waren.