Harry Potter und der Kreis der Engel

Kapitel 1 – Die Entführung

Es war in London in den letzten Tagen sehr heiß gewesen, kein Lüftchen hatte sich auch nur geregt. Die Luft war stickig und drückend. Deshalb begrüßten die Bewohner von Englands Hauptstadt den Anblick des Himmels, der sich ihnen jetzt bot.

Ein leichter Wind war aufgekommen. Die Wolken zogen schnell am Himmel vorbei, wurden dichter und verdrängten die Sonne. Merklich kühlte die Luft ab und bald schon fielen einige Tropfen des willkommenen Nass auf den Boden. Sobald die Regentropfen den Boden berührten, verdampften sie auch schon zischend und es bildete sich ein leichter Nebel.

Eilig verließen die Londoner die Straßen, um dem drohenden Unwetter zu entgehen. Bald schon waren die Straßen menschenleer. Nur hin und wieder eilten Geschäftsleute mit wichtigen Terminen über die vom Wasserdampf verdeckten Wege und Straßen.

Währenddessen saß ein Mädchen, gerade mal vierzehn Jahre alt, auf einem Stuhl in ihrem Zimmer im „Tropfenden Kessel". Sie schien aus dem Fenster zu starren und das Wetter zu beobachten, doch in Wirklichkeit sah sie nichts, nicht etwa weil sie blind war, sondern weil sie völlig in Gedanken versunken war.

Es mussten sehr düstere Gedanken sein, denn ihre sonst gletscherblauen Augen wirkten fast schwarz und ihre Stirn lag in Falten. Trauer, Wut und auch ein wenig Angst wechselten sich bei ihr ab.

Ihr gebräuntes wohlgeformtes Gesicht wirkte schmal und ausgezehrt. Ihre Augen hatten ihren Glanz verloren und ihr hellblondes, gewelltes, bis zur Taille reichendes Haar wirkte ungekämmt, fettig und strähnig.

Mit einem Ruck stand das Mädchen auf und warf somit den Stuhl, auf dem sie gerade gesessen hatte, um.

Erschrocken zuckte sie zusammen, starrte den Stuhl an, und murmelte etwas. Der Stuhl bewegte sich langsam und stellte sich wieder aufrecht hin. Das Mädchen gab sich einen Ruck und straffte ihre Schultern, nachdem sie einen Blick auf die Uhr geworfen hatte. Eilig ging sie ins Badezimmer und duschte. Mit einem Zauber trocknete und kämmte sie sich ihre Haare und dann griff sie nach ihrem Umhang und verließ den Raum.

Unten im Gastraum eilte sie zielstrebig zur Tür.

„Miss Dezideria, sie wollen doch bei diesem Wetter nicht wirklich hinausgehen?" fragte Tom, der Wirt.

Sie reagierte jedoch nicht und stand Sekunden später vor dem „Tropfenden Kessel". Mit wehendem Umhang eilte sie durch die Straßen zum Zaubereiministerium, wo sie einen Termin hatte. Dabei schaute sie sich öfter um, befürchtete, dass sie verfolgt werden würde.

Gerade noch rechtzeitig kam sie im Ministerium an und wurde von einem Mann, der sich ihr als Arthur Weasley vorstellte, in einen Raum geführt.

Vorn stand ein langer Tisch, an dem sechs Personen Platz genommen hatten und zu denen sich auch Mr. Weasley setzte, nachdem er Dezideria zu einem Sessel geführt hatte, der in der Mitte des Raumes stand.

Das Mädchen setzte sich und der Mann in der Mitte erhob sich.

„Miss Dezideria, mein Name ist Cornelius Fudge. Wir haben Ihren Antrag auf Volljährigkeit erhalten. Sie sind vierzehn Jahre alt und das erst seit ein paar Tagen. Normalerweise lehnen wir solche Anträge, sofern wir sie bekommen, grundsätzlich ab, doch Sie haben uns mitgeteilt, dass Sie sich in einer ungewöhnlichen Situation befinden, die Sie veranlasste, diesen Antrag zu stellen. Darum haben wir uns zu dieser Anhörung entschlossen. Es wird nicht leicht sein, uns davon zu überzeugen, dass wir Ihnen die Volljährigkeit gewähren."

Fudge setzte sich und Dezideria erhob sich und schilderte kurz und knapp ihre Gründe. Die Männer starrten sie nachdenklich an und als das Mädchen geendet hatte, zogen sie sich zur Beratung zurück.

Es schien eine hitzige Diskussion zu sein, denn es dauerte ziemlich lange, bis sie wieder zurückkamen. Einige schauten miesepetrig drein, aber der Rest schaute sie lächelnd an. Sie wusste sofort, dass man ihrem Antrag stattgegeben hatte und sie jubelte innerlich, ließ sich aber nichts anmerken.

Die Männer setzten sich wieder, nur Fudge blieb stehen.

„Nach reiflicher Überlegung sind wir überein gekommen, dass wir Ihrem Antrag stattgeben. Ihre Gründe sind es wert gewesen, darüber zu diskutieren, allerdings stellen wir Ihnen einige Bedingungen!"

„Und wie lauten diese?"

„Keine unverzeihlichen Flüche, keine schwarze Magie, keine Apparationen mehr, auch wenn es nachgewiesen werden konnte, dass Sie dies beherrschen. Die Prüfung legen sie nach Vollendung ihres siebzehnten Lebensjahres ab. Weiterhin verlangen wir von Ihnen, dass Sie Ihre Ausbildung in Hogwarts, der Schule für Hexerei und Zauberei, fortführen. Der Schulleiter dort heißt Albus Dumbledore. Kontaktieren Sie ihn bitte diesbezüglich... "

Dezideria nickte leicht.

„...Nun dann kann ich Ihnen nur noch zu Ihrer Volljährigkeit gratulieren, Miss...wie lautet eigentlich Ihr Nachname?"

Sie presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf.

„Sie werden verstehen, dass wir ihn benötigen, damit wir ihn in unseren Akten verzeichnen können, sonst ist alles hinfällig."

„Den Namen meiner Mutter kenne ich nicht, und ich möchte den Namen meines Vaters nicht benutzen, denn sein Name ruft nur Abneigung hervor."

„Das kann ich verstehen, aber auch wieder nicht, egal wie der Name lautet, Dezideria, das tut der Ihnen zugestandenen Volljährigkeit keinen Abbruch."

Sie zögerte und presste dann leise heraus: „Der Name meines Vaters ist Lucius Malfroy!"

Sie schaute zu Boden und wagte nicht zu atmen. Es herrschte Totenstille im Raum, bis sie schließlich ein Räuspern hörte und gleich darauf die Stimme von Arthur Weasley vernahm.

„Dann werden wir es in unseren Akten vermerken, Dezideria! Egal wie Sie zu ihm stehen oder zu ihm stehen werden, in Ihrer Vergangenheit haben Sie sich das Recht erkämpft, jetzt schon volljährig zu sein!"

Hörbar atmete sie aus und sah den rothaarigen Minister dankbar an, erhob sich und nickte ihm noch einmal zu, bevor sie leise den Raum verließ, wohl wissend, dass alle ihr hinterher sahen.

Erleichtert verließ Dezideria das Gebäude, blieb kurz am Ausgang stehen und atmete die frische Luft ein. Sie schaute sich aufmerksam um und spazierte dann langsam durch die Straßen. Ihr Blick verschleierte sich wieder und jeder, der sie anschaute, bemerkte, dass sie mit den Gedanken ganz woanders war.

Der Regen war inzwischen heftiger geworden, die Wege waren ausgekühlt und es hatten sich nun Pfützen gebildet. Davon sah sie aber nichts, merkte auch nicht, wie sich das Wasser durch ihre Kleidung und Schuhe einen Weg bahnte. Einen Fuß vor den anderen setzend, marschierte sie voran, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben.

Was für Gedanken sind das, die ein junges Mädchen durch dieses Unwetter laufen ließen? Was ging in ihr vor, dass sie nicht einmal zusammenzuckte, als der Donner über ihr bedrohlich grollte und ein greller Blitz kurz darauf den Himmel teilte?

Doch plötzlich schreckte Dezideria auf, ihre Nackenhaare sträubten sich. Diese Wahrnehmung holte sie sofort in die Realität zurück. Unauffällig schaute sie sich um. Etwas oder jemand, wer oder was auch immer, sie im Visier hatte, musste ganz in der Nähe sein. Aufmerksam scannte ihr Blick die Umgebung, doch durch den Regen reichte dieser nicht weit. Niemand war zu sehen. Vorsichtig näherte sie sich einer Gasse und sie schlüpfte hinein.

Sofort schmiegte sie sich fest an die Häuserwand, nach einem Schutz suchend.

Langsam beruhigte sie sich wieder, doch immer noch schlug ihr das Herz bis zum Hals und sie spürte, dass die Gefahr noch nicht gebannt war. Die Bedrohung war nahezu mit den Händen greifbar.

Vorsichtig lugte sie um die Ecke, doch auf der Straße befand sich keine Menschenseele.

Das Mädchen misstraute dem Frieden und zog sich weiter in die Gasse zurück, sich dabei nach einem Versteck umsehend. Ein paar Mülltonnen standen da, boten aber keinen Schutz, auch musste sie feststellen, dass sie in eine Sackgasse geraten war. Sie fluchte leise vor sich hin, schloss kurz die Augen und dachte über ihre Möglichkeiten nach, stellte aber fest, dass es für sie keine Rettung gab.

Wieder sträubten sich ihre Nackenhaare und eine Gänsehaut überzog ihren ganzen Körper, durch den ein plötzlicher Ruck ging, als sie eine Entscheidung getroffen hatte.

Entschlossen verließ sie die Gasse, stellte sich mitten auf die Straße, verschränkte die Arme. Sie wartete und es dauerte nicht sehr lange bis sich ihr vier schwarzgekleidete Personen näherten.

‚Nur vier und ich darf zaubern!' dachte sie. ‚Das müsste ich schaffen!'

Mehr denken konnte sie nicht mehr, ihr blieb auch keine Zeit mehr zu reagieren, denn ein Schlag traf sie von hinten auf den Kopf und um sie herum wurde alles schwarz.

Eine der Personen trat näher an das Mädchen heran, zog ihre Handschuhe aus und tastete nach ihrem Puls. Als er diesen fühlte, nickte er zufrieden.

„Gut gemacht Rockwood! Gehen wir!"

Kurz darauf war die Straße wieder menschenleer.

Als Dezideria aufwachte, wusste sie sofort, dass etwas geschehen war. Erschrocken setzte sie sich auf, ließ sich aber gleich wieder nach hinten fallen, weil ein Schmerz durch ihren Kopf zog und ihr schwindelig wurde. Sie schloss die Augen und dachte nach. Das Wenige, was sie von ihrem Gefängnis gesehen hatte, ließ sie hoffen. Sie war auf Malfroy-Manor – in ihrem Zimmer. Ihr war schon einmal die Flucht gelungen. Warum sollte es nicht auch ein zweites Mal klappen? Hoffnung keimte in ihr auf.