Er sah sich in der Eingangshalle um. Wo war sie hingegangen? Er hatte keine Ahnung, wo ihre Räume waren. Bei seiner Ankunft hatte er nur den Weg in seine eigenen gezeigt bekommen, und selbst der würde ihm Schwierigkeiten bereiten. Es war so groß und unübersichtlich hier. Die vielen Gänge und Treppen verwirrten ihn.

Er nahm eine Bewegung am oberen Ende der großen Haupttreppe war. Sie hatte schon den Absatz erreicht und wandte sich nach rechts. Mit langen Schritten nahm er die Verfolgung auf.

„Miss Blanchâme! Warten Sie!" Atemlos erreichte er den ersten Treppenabsatz. Sie war schon auf halbem Wege die zweite Treppe hinauf und hielt nun an. Er eilte ihr nach. Als er sie erreicht hatte, sah sie ihn traurig an.

„Was wollen Sie noch?"

Er zögerte einen Augenblick, versuchte einen angemessenen Ton zu finden und seine Überheblichkeit aus der Stimme zu verbannen. „Ich wollte Sie nicht verletzten. Es tut mir leid." Es hörte sich für ihn nicht schlecht an.

Sie sah ihm weiter in diese seltsamen Augen. Was mochte hinter dieser Stirn vor sich gehen? War das jetzt alles gewesen, oder würde er noch etwas sagen? Sie wartete einen Moment. Er sah sie weiter durchdringend an.

„Gute Nacht, Mr. Myotis", sagte sie leise, als ihr das Schweigen zu laut wurde, und wollte sich umwenden.

Wollte sie jetzt etwa gehen, und ihn hier stehen lassen? Was sollte er denn noch tun?

„Warten Sie! Wo wir schon hier sind … würden Sie mich nicht doch ein wenig herumführen?"

Was war er nur für ein Klotz. Sie war nun überhaupt nicht in der Stimmung für so was. Konnte er das nicht sehen?

„Das Schloss ist groß und es ist schon spät", sagte sie, ihre Stimme klang müde und ein wenig entnervt.

„Ich bin immer spät unterwegs. Die Dunkelheit bekommt mir besser ..."

Das war doch wieder mal typisch. Konnte er denn nur an sich denken?

„Aber wenn Sie müde sind … werde ich versuchen, mein Zimmer allein zu finden."

Das klang jetzt so lieb und hilflos, dass sie nicht anders konnte.

„Ich werde Ihnen den Weg zeigen - damit Sie nicht verloren gehen", lächelte sie zaghaft.

„Kein großer Verlust …", erwiderte er mit einem Hauch von Selbstironie. Ihr Lächeln wurde ein wenig breiter, und auch ein wenig schuldbewusst. Sie war gemein zu ihm gewesen und er hatte es nicht vergessen. Er bot ihr tatsächlich seinen Arm an. Soviel Galanterie hatte sie nicht erwartet, aber sie hakte sich dankbar ein. Ein bisschen Körperkontakt konnte sie jetzt gut gebrauchen, es tröstete sie ein wenig und gab ihr das Gefühl, der Streit wäre damit begraben.

„Kommen Sie, Mr. Myotis. Wir müssen wieder hinunter." Gemeinsam stiegen sie die Treppen hinab.

„Als neuer Tränkemeister hat man Ihnen sicher die Räume von Professor Snape zugeteilt." Sie spukte den Namen verächtlich aus. „Die liegen in den Kerkern im Slytherin-Trakt."

„Ja, das hat man", sagte er unbeteiligt.

Snape, dieser Abschaum der Menschheit. Wenn sie an ihn dachte, kam ihr die Galle hoch. Wenn sie ihn je in die Finger bekäme, würde sie Hackfleisch aus ihm machen.

„Snape kannten Sie wohl auch persönlich?", fragte er distanziert.

„Zumindest dachte ich das", erwiderte sie finster. „Er war Hauslehrer bei den Slytherins." Sie hatte Snape nie sonderlich gemocht, denn er war allzeit bereit gewesen, die Gryffindors zu benachteiligen und zu beleidigen, im Unterricht und auch außerhalb. Er hatte keine spezielle Abneigung gegen sie gehabt, daher hatte sie in seinem Unterricht weniger zu leiden gehabt als andere ihrer Mitschüler. Und sie hatte ihn wegen seiner Fähigkeiten geschätzt. Er war wirklich ein Fachmann auf seinem Gebiet. Doch nun hasste sie ihn aus tiefster Seele.

„Wie war das doch gleich? ‚Listig und loyal zu seinesgleichen', das passt doch."

Das sagte er wieder in diesem unbeteiligten Plauderton, als wäre nichts weiter Schlimmes passiert.

Sie konnte es nicht fassen. Da war es wieder, sein unübertroffenes Feingefühl. Der Hals schwoll ihr gerade zu und sie unterdrückte mühsam einen neuen Tränenausbruch. Er würde sich sicher wohlfühlen in Snapes Räumen, mit all den konservierten Abscheulichkeiten in den Wandregalen.

Mühsam schluckte sie den Kloß hinunter und sagte: „Wir müssen da entlang."

Sie zog ihn nach links in Richtung der Kerker. Die erste Treppe verlief ohne Zwischenfälle, am Rand der zweiten jedoch flitzte ihm eine kleine, schattenhafte Kreatur durch die Beine. Er stolperte und wäre fast hinuntergefallen. Calisto konnte ihn gerade noch auffangen.

„Vorsicht, Mr. Myotis!"

„Was war denn das?", fragte er verdutzt.

„Das war Mrs. Norris."

Er sah sie verständnislos an.

„Die Katze von Mr. Filch, dem Hausmeister. Mit der müssen Sie leider überall rechnen. Ganz besonders, wenn Sie Dinge tun, die verboten sind." Dabei grinste sie ihn herausfordernd von der Seite her an. „Sie petzt nämlich."

Sie hielt ihn immer noch am Arm und war ihm im Moment sehr nahe. Ehe sie begreifen konnte, was geschah, nahm er die Gelegenheit wahr und küsste sie sanft auf den Mund.

„Dinge wie diese, zum Beispiel?", sagte er mit leiser Stimme, in der aber immer noch ein wenig Belustigung mitschwang.

Sie war so überrascht, dass sie erst einmal tief Luft holen musste und wie erstarrt stehen blieb. Was war das denn jetzt? Es traf sie völlig unvorbereitet. Sie hätte mit allem gerechnet, aber damit nicht. Eine neue Verbalattacke, eine emotionale Rohheit, das hatte sie erwartet, aber einen Kuss? Noch dazu einen sehr schönen ...

„D-das kommt ganz darauf an, ob man hier Schüler oder Lehrer ist", plapperte sie schließlich los, weil sie ja irgendetwas sagen musste. „W-wenn Schüler so was tun, petzt sie immer."

Das leichte Zittern ihrer Lippen entging ihm nicht. Er lächelte überlegen und sagte mit seiner tiefsten Samtstimme: „Zum Glück bin ich keiner." Sie war wie hypnotisiert und ließ sich einen weiteren Kuss stehlen. Ihr Herz machte seltsame Dinge, es schien auf einmal irgendwo in der Kehle zu schlagen. Und ihr Kopf machte noch seltsamere Dinge. Sie hätte sich gerne an ihn geschmiegt, wenn sie ihn nur nicht so unausstehlich gefunden hätte. Die ganze Situation war vollkommen absurd.

Sie drückte ihn vorsichtig von sich weg, als er versuchte, sie in die Arme zu schließen.

„Netter Versuch, Mr. Myotis. Aber ich bestimme selbst, wann und von wem ich geküsst werden möchte." Dabei versuchte sie verzweifelt, sicherer zu klingen als sie war.

„Ich hatte gerade das Gefühl, dass ich Ihrer Bestimmung sehr nahe kam …", antwortete er mit einem zweideutigen Grinsen.

Das war doch nicht zu fassen. Dieser Mensch war nie um eine unverschämte Antwort verlegen. Calisto spürte, wie ihre Ohren wieder anfingen zu glühen.

„Ich denke, von hier aus finden Sie Ihren Weg allein", sagte sie kühl. Sie wollte ihm keine Gelegenheit bieten, weitere Versuche zu unternehmen.

Er zuckte mit den Schultern. „Wenn Sie meinen? Und Sie sind sicher, dass mir nicht noch mehr Katzen in diesen Gängen auflauern?" Dabei sah er ihr noch einmal in die Augen, der Blick drückte teils Spott, teils Bedauern aus.

„Soweit mir bekannt ist, gibt es hier nur Mrs. Norris", antwortete Calisto. „Aber wenn Sie Glück haben, treffen Sie Peeves, unseren Poltergeist. Der ist genauso charmant wie Sie."

„Nun gut, dann verabschiede ich mich hier", sagte er. „Gute Nacht, Miss Blanchâme." Dabei nahm er ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf. Ohne weiteren Kommentar ließ er sie stehen, ging er die Treppe hinunter und verschwand in der Dunkelheit.

Calisto drehte sich um und ging zurück zu ihrem Zimmer im zweiten Stock. Dieser Mann war ihr ein Rätsel. Es war ein ständiges Wechselbad mit ihm. Mal gefühlskalt und herzlos, dann wieder witzig und geistreich, betörend gutaussehend und grob wie ein Holzklotz, das wandelnde Selbstbewusstsein und hilflos wie ein Kind. Mal ein aufmerksamer Beobachter, und zwei Sekunden später wieder ein hemmungsloser Egoist, der nur die eigenen Bedürfnisse wahrnahm.

Sie wusste jetzt, was McGonagall meinte, als sie sagte, sie traue ihm nicht. Er war sehr schwer einzuordnen. Für ihn musste man eine neue Kategorie erfinden.

Am meisten machte ihr die Herzlosigkeit zu schaffen, mit der er über Dumbledores Tod und Snapes Verrat gesprochen hatte. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Kein Mensch, mit dem sie bisher darüber gesprochen hatte, war derart unbeteiligt gewesen. Er war so neutral, dass es schon wieder verdächtig war. Diese Krise ging schließlich jeden etwas an. Nicht nur die, die ihn gekannt und gemocht hatten und egal, auf welcher Seite man gestanden hatte. Die Zukunft aller stand auf dem Spiel. Nur Mr. Myotis schien seine Zukunft ganz separat davon zu sehen. Für ihn galten die Naturgesetze nicht. Er lebte in seiner eigenen Welt.

Vielleicht war seine Krankheit schuld daran, überlegte sie. Er war immer ein Sonderling gewesen. Ein Wesen der Dunkelheit, bedroht durch das Licht. Hatten die besonderen Bedürfnisse seines Körpers auf seine Seele abgefärbt? Es war schwer zu erraten. Sie würde es herausfinden müssen, und es würde nicht leicht sein. Seufzend ging sie zu Bett, aber der Schlaf wollte lange nicht kommen. Ein gewisser Kollege kreiste ständig in ihren Gedanken herum. Als sie schließlich doch einschlief, träumte sie von weichen Küssen auf nackter Haut.


Er hatte erst eine Weile suchen müssen, bis er sein Zimmer gefunden hatte. Es lag gleich neben dem Klassenraum für Zaubertränke. Deshalb entschied er sich, diesen zunächst zu inspizieren. Wie üblich machte er kein Licht an, sondern ließ den dunklen Raum auf sich wirken. Er war ziemlich hoch gewölbt, dafür aber eng, sodass man sich ein wenig verloren darin vorkam. Fenster gab es keine. Die Bänke standen rechts und links aneinandergereiht. Er ließ seine Hand über das abgenutzte Holz fahren. An einigen Stellen wies es riesige Brandflecken auf, wahrscheinlich von geschmolzenen Kesseln. Die Vorderseite des Raumes nahm eine riesige Tafel ein, davor stand ein großer Tisch, der wohl für ihn gedacht war. Ringsum, an den Wänden standen hohe Regale in denen wohl Zutaten gelagert wurden. In, den Großteil der Fläche nahmen jedoch große Gläser ein, die mit irgendetwas befüllt waren. Er konnte es nicht erkennen, aber Severus hatte ihm erzählt, was sich darin befand. Fenster gab es keine. Trotzdem war der Raum sehr zugig, sodass Albico leicht fröstelte.

„Ein Raum ganz nach seinem Geschmack", dachte er mit einem Lächeln. Es amüsierte ihn, als er sich Severus vorstellte wie er mit zusammengezogenen Brauen die Tafel bekritzelte. Langsam ging er durch die Bankreihen in Richtung Tür. Dort angekommen drehte er sich noch einmal um und schnippte sacht mit dem Zauberstab. Mit leisem Klirren schwebten die Gläser mit den schleimigen Kreaturen aus den Regalen nach hinten in sein Büro, wo er sie sachte hinstellte.

Dann machte er sich auf in Richtung seines Zimmers. Auch hier verzichtete er auf Licht, sondern betrat den dunklen, fast leeren Raum. Im Gegensatz zum Klassenzimmer erinnerte hier nichts mehr an den ehemaligen Zaubertranklehrer. Das mochte wohl daran liegen, dass man alles gründlich durchsucht hatte, nachdem Snape Dumbledore umgebracht hatte. Die Einrichtung war spärlich und zerschlissen. Auf einem großen alten Tisch mit verschnörkelten Holzbeinen sah er einen Brief liegen. Schnell hob er ihn auf und fuhr mit seinem Fingern konzentriert über das Pergament:

23:00 Uhr, folge dem schmalen Pfad hinter dem Schloss in den Verbotenen Wald. Ich warte dort auf dich.

S.

Wie spät war es jetzt? Hastig zog er seine Uhr aus der Tasche und seinen Zwicker aus der Tasche, setzte ihn auf und blickte mit zusammengekniffenen Augen auf das Ziffernblatt. Es war höchste Zeit. Rasch ließ er beides zurück in die Tasche gleiten und verließ das Zimmer.


Dieletzten paar Tage, seit er eine andere Richtung als dieser unverschämte überhebliche Myotis, eingeschlagen hatte waren alles andere als vergnüglich. So hatte Snape sich erst einmal eine sichere und einigermaßen saubere Unterkunft beschaffen müssen. Nun, da er wieder zurück in England war konnte er sich keineswegs sicher sein. Überall lauerten die Leute vom Ministerium; hielten Ausschau nach ihm und taten ihr Menschen möglichstes um ihn endlich zu fangen.

Seine Behausung war eher kläglich, doch Dank seines Zauberstabes und seines Könnens konnte er die zerfallene Hütte, deren Fenster und Türen fehlten und riesige Löcher hoch oben im Dach für ihn bereit hielten, soweit in Ordnung bringen das der Regen der nunmehr seit Tagen anhielt nicht durch dringen konnte. Der Kamin während dessen war im tadellosem Zustand. Severus Snape war zum Glück nie wählerisch und zählte auch nicht zu den verwöhnten reichen Kindern die im Hause Slytherin untergebracht waren. So konnte er seit seiner Flucht gut ein, oder zwei Tage ohne Essen verbringen, bis sich eine günstige Gelegenheit bot etwas „mitzunehmen". So saß er nun hier und hörte wie der wilde Regen Englands mit Zorn an die Fenster trommelte. Dies begünstigte Snapes Missmut über Albico Myotis. Dumbledore musste verrückt gewesen sein diesem Typ den Auftrag zu erteilen. Das, was Albico in der Vergangenheit getan hatte, reichte ihm, um sich eine feste Meinung über diesen Albino zu bilden. Mit einer Handbewegung versuchte Severus vergeblich die trüben Gedanken fort zu wischen. „Unsinn... Eine wahre Katastrophe" murmelte er vor sich hin. Er erhob sich von dem Stuhl, den er kurz zuvor aus einem Brett hervor gezaubert hatte und legte unruhig einen Marsch durch den spärlichen Raum hin. Dabei überlegte er immer und immer wieder ob sich Dumbledores Plan verwirklichen ließe. Ohne Zweifel, ein schweres Stück Arbeit lag vor ihm. Alles musste wohl bedacht sein. Was brauchte er an Tränken und Zutaten? Wo konnte er diese ungestört zubereiten? Und wenn Albicos Teil der Arbeit gelingen würde ,was Snape stark anzweifelte, so musst er sich um ihn kümmern. Aber zuerst musste er sich noch einmal mit diesem Albino heimlich treffen um seine Order zu übermitteln. Da er nicht hoch ins Schloss konnte musste er einen anderen Weg finden diesem Treffpunkt und Uhrzeit mitzuteilen. Dafür eignete sich am besten der „Coloportus" mit dessen Hilfe seine Nachricht nur von Albico selbst gelesen werden konnte. Den Rest würde eine Eule erledigen wenn er sie anwies den Brief direkt in die Kerker zu bringen wo sein altes Zaubertränke Klassenzimmer war. Sicher würde niemand freiwillig dort hinabgehen, aber sicher war sicher. Er durfte sich keinen noch so kleine Fehler erlauben sonst würde das Vorhaben scheitern.

Völlig erschöpft von der langen Reise ließ sich Snape mit Kleidung auf dem alten verschmutzten Bett nieder das hinten in der Ecke stand und erstaunlicherweise alles andere im Raum überdauert hatte... Nicht lange und er sank in tiefen traumlosen Schlaf.


Der Abend des Treffens nahte. Snape hatte Albico die Nachricht zukommen lassen das sie sich im verbotenen Wald auf dem Hogwarts – Gelände treffen wollten. Ganz wohl zumute war ihm nicht aber es musste sein, also nahm er seinen langen Reiseumhang, steckte seinen Zauberstab in die Innenseite seiner Tasche und begab sich auf den Weg.

Er fühlte sich unwohl, als er in die Dunkelheit hineinstarrte, die den verbotenen Wald durchdrang und die schattenhaften Gebilde der alten Bäume, wie grauenvoll verstümmelte Gestalten wirken ließ. Er zog seinen schwarzen Umhang enger um seinen Körper und an sein Gesicht heran, um nicht gesehen zu werden. Dann trat er mit einem großen Schritt in das Dickicht ein. Der Wind, der sich in den Bäumen verfing pfiff eine hohe, klagende Melodie, die ihm einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. Er war aufs Äußerste angespannt und versuchte so leise wie möglich zu gehen, aber unter seinen Füßen knackten die Stränge der Wurzeln, die den gesamten Boden übersäten. Mit jedem Schritt wurde das Geäst um ihn dichter und die Dunkelheit schien zuzunehmen, sodass er bald nicht mehr die Hand vor Augen sehen konnte. Blind stolperte er weiter, in der Hoffnung, den Weg zu finden. Nach schier endlosen Minuten sah er ein Loch im Dickicht, durch welches fahles Licht zu ihm schien. Er zwängte sich hindurch und erreichte aufatmend und zerkratzt die Lichtung, auf der er sich mit Albico treffen wollte. Unruhig sah er sich um, doch er konnte niemanden sehen. Ärger stieg in ihm hoch, schließlich war es höchste Zeit. Er trat in die Mitte der Lichtung und wartete ungeduldig. Aus dem Wald um ihn drangen knackende Geräusche und Rascheln an sein Ohr. Er dachte an die vielen wilden Kreaturen, die hier hausten und zog vorsichtshalber seinen Zauberstab. Unruhig warf er den Kopf in die Richtung aus der die Geräusche kamen. Er meinte irgendetwas fauchend atmen zu hören und stierte höchst konzentriert in die Dunkelheit vor ihm. Plötzlich knurrte etwas dicht hinter ihm. Erschrocken fuhr er herum und blickte in das hämisch grinsende Gesicht Albicos, dessen weiße Haut in der Dunkelheit gespenstig leuchtete.

„Erschrocken?"

Er war wütend, dass er sich so eine Blöße gegeben hatte und auf diesen dämlichen Trick hineingefallen war. Er starrte den Albino einen Moment feindselig an.

„Beim nächsten Mal erscheine, wenn es die Zeit verlangt, Myotis", fauchte er.

Albico lächelte weiterhin: „Hätte ich gewusst, dass du allein Angst hast, wäre ich selbstverständlich eher gekommen."

„Sieh dich vor!", drohte Severus mit grollender Stimme. Einen Moment taxierten sich die beiden Männer wie zwei Gegner, die sogleich in einen Zweikampf gehen würden. Der Albino in aufrechter Haltung und mit einem überlegenen Lächeln, Severus leicht geduckt und mit zu Schlitzen verengten Augen.

„Wieso hat das überhaupt so lange gedauert", zischte er schließlich in einem befehlenden Ton.

Albico antwortete mit lässiger Stimme, den Blick auf seine langen, weißen Finger gerichtet: „Es gibt eine Aurorin im Schloss. Die wollte ich nicht unnötig auf mich aufmerksam machen."

„Eine Aurorin?" Snape wurde hellhörig.

„McGonagall hat sie eingestellt als Lehrerin für Verteidigung gegen die dunklen Künste und sie will wich wohl bei ihr beliebt machen indem sie überall herumschnüffelt und Leute ausfragt. Sie ist ziemlich lästig. Vielleicht kennst du sie ja sogar; Calisto Blanchâme."

„Blachâme? Ja, die kenne ich", erwiderte der Ältere und seine Stimme klang unruhig und ein angewiderter Zug lag um seinen Mund, „sie war ehemalige Schülerin in Hogwarts, eine Gryffindor."

Albico amüsierte sich über den Ekel, der sich beim letzten Wort in Snapes Gesicht zeigte. „Eine ehemalige Rivalin von dir", versetzte er belustigt.

Snape ärgerte sich über diese Reaktion. „Nicht nur das. Eine überaus gefährliche Gegnerin", blaffte er, „Sie hatte exzellente Noten in der Schule und ist eine der besten Auroren des Ministeriums."

Er sah den Albino scharf an. Mit leiser, misstrauischer Stimme fuhr er fort: „Soweit ich mich erinnere ist sie äußerst gutaussehend."

Die Reaktion Albicos hatte er erwartet. Sein Lachen wurde zu einem frechen Grinsen und in seine Augen trat ein Funkeln. „Es verwundert mich, dass du Recht hast, Severus. Was diese Dinge betrifft bist du doch ansonsten blind."

Der schwarzhaarige Mann trat ganz dicht an ihn heran. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, das sich jedoch fast zum Brüllen steigerte als er sagte: „Ich warne dich Myotis. Halte dich von dieser Blanchâme fern. Mit deinem übersteigerten Selbstbewusstsein kannst du all unsere Pläne zerstören."

Albicos Grinsen wurde noch eine Spur breiter. „Keine Sorge", erwiderte er, „ich weiß, wie ich mit ihr umgehen muss..."

„Gar nichts weißt du", fauchte Snape. Er kochte vor Wut. Hatte dieser unverschämte Kerl denn gar nichts aus der Vergangenheit gelernt?

„Du lässt die Finger von dieser Frau, hörst du. Wenn du ihr auch nur den kleinsten Anlass gibst, sich mehr mit dir zu beschäftigen als unbedingt nötig, dann garantiere ich dir..."

„Ich werde meine Arbeit tun, wie ich es für richtig halte", fiel ihm der Jüngere ins Wort und in seiner Stimme schwang ein Anflug von Zorn. Das Lächeln auf seinem Gesicht war verschwunden. Sehr langsam sprach er weiter: „Wenn dir etwas nicht passt, dann zahl mir den versprochenen Preis und ich halte den Mund und bin verschwunden."

Das saß gründlich. Snape wußte ja, dass er Albico nicht entbehren konnte. Er vertraute ihm nicht, aber er brauchte ihn. Dumbledore brauchte ihn. Deshalb versuchte er seinen Ärger aus der Stimme zu verbannen, als er sagte: „Mach deine Arbeit und sonst nichts Albico, dann bekommst du deinen Lohn."

Das unverschämte Lächeln erschien wieder auf dem gesicht Albicos, mit übertrieben demütiger Stimme versetzte er: „Ich erwarte deine Instruktionen."

Erneut steig Snape die Zornesröte ins Gesicht. Wie gern hätte er diesem arroganten Bruschen einen Fluch auf den Hals gehetzt. Aber er riss sich zusammen und versuchte seine Order in einem ruhigen Ton vorzutragen: „Dumbledores Leichnam ist sicher von unzähligen Flüchen umgeben, die das grab schützen. Die meisten davon werden die Lehrer der Schule darauf gelegt haben." Er blickte Albico scharf an. Deser hatte einen gelangweilten Blick aufgesetzt.

„Wie ich dich kenne, unterschätzt du sie gewaltig. Deshalb hör genau zu. Ich nehme an, dass vor allem Flitwick und McGonagall die Versiegelung des Grabes vorgenommen haben."

„Dieser kleine quiekende Kobold?", fragte der Albino amüsiert.

„Das mindert keinesfalls seine Magie, also hör zu", zischte Severus wütend. „Er wird auf jeden Fall einen sehr alten, unbekannten Fluch verwenden. Vielleicht den „Exterro phasma", der allerhand gewaltsam zu Tode gekommene Geister aufruft. Ich würde dir empfehlen, dich auf jeden Fall damit zu beschäftigen. Minerva ist schwer einzuschätzen. Sie kann so gut wie alles genommen haben. Sollte es ein Fluch sein, dann wird er dir schwere Schäden zufügen können, wenn du ihn nicht abwehrst. Wahrscheinlich ein sehr starker Derimentum-Zauber."

Er sah erneut in die Augen des Albinos. Obwohl dieser eine gelangweilte Miene aufgesetzt hatte, wusste Severus, dass er sich jedes Wort genau merken würde, deshalb fuhr er fort: „Es wäre auch noch vorstellbar, dass Professor Sprout irgendeinen Pflanzenzauber über das Grab ausgebreitet hat, einen Mephitis vielleicht. Dann würde die Erde des Grabes in Flammen stehen, wenn du es öffnen willst. Außerdem könnte Professor Edda einige alten Runen verwendet haben, um das Grab zu verschlüsseln. Das klingt nicht besonders gefährlich, aber wenn du dich nicht damit beschäftigst, dann kann es große Probleme geben."

Er schwieg einen Moment um seinen Worten Wirkung zu geben, bevor er mit eindringlicher Stimme fortfuhr: „ich hoffe, du legst ein bisschen mehr Aktivität dabei an den Tag, wie du es jetzt tust. Ich erwarte, dass du deine Arbeit gut machst, ansonsten bin ich nicht bereit, dir den Lohn auszuzahlen."

Albico sah ihn ein wenig befremdet an und sagte dann mit leicht verärgerter Stimme: „Ich bin kein Dilettant. Ich brauche aber Zeit, um alle Flüche zu lösen."

„Die kriegst du", erwiderte Severus. Er hoffte inständig, dass Albico es schaffte. Es war die letzte Hoffnung, die Dumbledore hatte. In diesem Moment wurde ihm wieder schmerzlich bewusst, wie sehr ihm sein Mentor fehlte. Der Direktor hatte ihn immer wieder ermutigen und beruhigen können. Jetzt sah er sich einer fast auswegslosen Situation gegenüber, die er zusammen mit dem Mann meistern musste, den er am liebsten dort gelassen hätte, wo er herkam.

„Was wirst du inzwischen tun?", schaltete sich der Albino in seine Gedanken.

„Ich werde gleich morgen in der Frühe aufbrechen und zu Voldemort gehen, um meinen Platz wieder einzunehmen. Er soll keinen Verdacht schöpfen durch meine zu langen Abwesenheiten." Es widerte ihn zutiefst an, wieder auf den Befehl von Voldemort hören zu müssen, ihm zu dienen als wenn er ihm treu ergeben wäre. "Ich werde in einer Woche wieder zurück sein, dann fange ich an die Zutaten zu sammeln, um alles vorbereiten zu können".

Albico nickte und versetzte nach einem Moment in gewohnt überheblichem Tonfall: „Wirst du mich informieren, wann du mich das nächste Mal zu sehen wünschst. Nicht, dass ich wieder zu spät komme."

„Ich werde nächsten Sonntag zurück sein, allerdings kann ich nicht sagen wann. Deshalb wirst du erneut eine Nachricht vorfinden die dir Instruktionen gibt."

Der junge Mann deutete eine spöttische Verbeugung an: „Ich danke für die Gnade." Bevor Snape ihn zurechtweisen konnte, hatte er sich umgedreht und war so lautlos im Dickicht verschwunden, wie er erschienen war.

Snape ärgerte sich, dass der Albino es wieder geschafft hatte, ihn so zu verärgern. Zornig blickte er noch einen Moment in die Richtung, in die er verschwunden war. Dann machte er sich selbst auf den Rückweg. Missmutig dachte er an den morgigen Aufbruch. Er hatte Angst davor, Voldemort wieder unter die Augen zu treten. Er war ein ausgezeichneter Okklumentiker, allerdings war Voldemort ebenso gut darin Gedanken zu lesen.

Mit diesen schweren Gedanken erreichte er schließlich seinen Unterschlupf. Dort wollte er sicherheitshalber die Nacht verbringen, ehe er ganz früh am Morgen zum Versteck Voldemorts aufbrach. Um diese frühe Uhrzeit würde ihn niemand sehen. Alles würde tief und fest schlafen. Also eine äußerst günstige Gelegenheit wie Severus fand. Trotzdem wuchs eine tiefe Beklemmung in ihm. Er war in großer Gefahr, wenn er sein Versteck verließ und das alles riskierte er, um einem Mann in die Augen zu sehen, dessen Anblick fast unerträglich war. Diese Gesichtszüge, deren stark hervorstechende Wangenknochen, dessen Formen eher an eine kriecherische Schlange erinnerten... Bei diesem Gedanken zuckte Snape innerlich angewidert zusammen. Aber am allerschlimmsten war Voldemorts Augen. Diese schienen fast schon rot zu erglühen wenn sie einem ansahen. Eine Welle der Panik ergriff ihn jedes Mal, wenn sie ihn musterten, als ob sie sich in sein Innerstes brannten und alles vernichteten. Er hatte stets das Gefühl, dass der dunkle Lord alles über ihn wusste und ihn nur mit ihm spielte, bevor er ihm vollends den Gar ausmachte.

Natürlich hoffe Severus inständig, dass er dieses mal keinen Mord, egal ob Muggel oder jemand aus der Gemeinschaft, aufgetragen bekam. Wie lange er da noch mitspielen konnte wusste er nicht, einzig der Gedanke das alles dem „guten" Zweck diente, lies ihn immer wieder zurückkehren. Bald schon, wenn der Plan Dumbledores gelang, würde er sich dafür rächen, was er allen unschuldig Beteiligten angetan hatte. Und er würde endlich die Gelegenheit finden, jene Tat vor 18 Jahren zu sühnen, die sein Leben verändert hatte. Das Bild eines Mädchens tauchte in seinem Kopf aus. Das rabenschwarze Haar umhüllte das zarte, zerbrechliche Gesicht, das fast nur aus den zwei seltsamen Augen zu bestehen schien, die von so einem klaren Blau waren, wie er es noch nie gesehen hatte – Selina. Die Erinnerung versetzte ihm einen Stich und er versuchte sie abzuschütteln, damit sie seine Gedanken nicht lähmen konnte.

Die Zeit war noch nicht gekommen.