Als ihr Wecker klingelte, konnte sie es kaum fassen, dass die Nacht schon wieder um sein sollte. Sie hatte ziemlich wenig Schlaf gehabt, aber immerhin war ein recht angenehmer Traum dabei gewesen. Wenn sie sich auf den zurückbesann, kribbelte es immer noch am ganzen Leib.
Sie stand auf, öffnete das Fenster und atmete ein paar Mal tief durch. Dann setzte sie sich auf den Boden und machte ein paar einfache Yoga-Übungen, um die Energie für den neuen Tag in Gang zu bringen. Jetzt fühlte sie sich schon wesentlich frischer.
Rasch war die Morgentoilette erledigt und die Garderobe gewechselt. Mit federnden Schritten eilte sie zum Frühstück.
Am Lehrertisch saßen schon ein paar Kollegen, von den Schülern waren nur vereinzelte Frühaufsteher zu sehen. Weder Trelawney noch Myotis waren anwesend, und so saß sie zunächst alleine da und konnte sich auf ihre Mahlzeit konzentrieren.
Sie war gerade bei ihrem zweiten Croissant angelangt, als Albico, wie üblich in seinen weiten Kapuzenumhang gehüllt, hereinwehte. Oder besser gesagt, hereinschlich. Sein Gang wirkte weit weniger forsch als gestern Abend.
Grußlos setzte er sich neben sie und griff nach der Kaffeekanne. Calisto spürte, wie die freudigen Gefühle, die sie bei seinem Eintreten gehabt hatte, irgendwo zwischen ihren Füßen versickerten. Dieser Mensch hatte wirklich überhaupt keine Manieren.
Er begann gierig, seinen Kaffee zu trinken.
Gut, überlegte sie, ich habe jedenfalls Manieren.
„Guten Morgen, Mr. Myotis!", sagte sie überdeutlich und so laut, dass es auch der letzte in der Reihe noch hören konnte.
Er sah kurz auf, nickte stumm und versank wieder in seiner Tasse.
‚Gestern wollte er mich küssen und heute schafft er nicht einmal ein Guten Morgen', grummelte es in ihrem Kopf herum.
„Sie scheinen sich gestern noch mit Peeves angefreundet zu haben", sagte sie sarkastisch. Er runzelte verständnislos die Stirn.
„Seine Umgangsformen haben Sie jedenfalls schon übernommen."
Hinter sich hörte sie ein Schnauben von unterdrücktem Gelächter. Albico seufzte entnervt auf und stellte seine Tasse ab. Was wollte sie nur von ihm. Konnte diese lästige Frau ihn nicht in Ruhe lassen? Merkte sie nicht, dass er müde und nicht zu Scherzen aufgelegt war? Er warf ihr einen gequälten Blick zu. Sie grinste ihn fröhlich an und freute sich über ihren Witz.
Er griff wieder nach seiner Tasse, verfehlte sie aber und stieß sie um. Der heiße Kaffee ergoss sich über seinen und Calistos Umhang. Er fluchte etwas Unverständliches vor sich hin.
„Ja, das macht Peeves auch immer gerne", neckte sie weiter, zog ohne Umstände ihren Zauberstab und entfernte die Schweinerei mit einem gezielten Putzzauber. Er murmelte ein Dankeschön, allerdings ohne aufzusehen.
„Möchten Sie vielleicht noch eine Tasse zum Um …, äh, Verzeihung, zum Anstoßen?", lächelte sie liebenswürdig und griff nach der Kaffeekanne.
„Halten Sie sich für witzig?", fragte er jetzt ziemlich grantig.
„Ach ja, eigentlich schon", erwiderte sie zuckersüß.
Morgenmuffel zu tyrannisieren war eines ihrer Lieblingsspiele. Damit hatte sie schon ihre Mitschüler immer gerne aus der Fassung gebracht.
Er konnte Menschen nicht ausstehen, die ihn am frühen Morgen schon zu Dialogen zwangen.
„Nun, wie ist es? Noch einen Kaffee?", fragte sie jetzt ernsthaft und er nickte.
Sie schenkte erst ihm und dann sich noch eine Tasse ein. Gerade wollte sie ihn fragen, ob er Milch und Zucker wünsche, da hatte er den Kaffee auch schon genommen und trank erneut in gierigen Zügen.
Sie seufzte und nahm sich selbst davon.
Eben wollte sie wieder in ihr Croissant beißen, da stellte er seine leere Tasse ab und stand auf.
‚Ach nein, bleib noch ein bisschen', dachte sie und überlegte schnell, was sie jetzt sagen könnte.
„Sie haben es heute Morgen aber eilig. Haben Sie vor dem Unterricht noch eine Verabredung?"
„Was geht Sie das an?", antwortete er giftig. Er war jetzt wirklich nicht in der Stimmung für Gespräche. Sie ging ihm inzwischen kräftig auf die Nerven.
Sie merkte es und konnte sich nicht zurückhalten, noch eins draufzulegen.
„Gar nichts, Mr. Myotis, Sie scheinen nur immer recht schnell zu sein." Dabei klimperte sie mit den Wimpern und grinste ihn frech an.
Allmählich erwachten seine Lebensgeister. Sie wollte Konfrontation?
„Da Sie sich gestern Abend ja nicht bereit erklärt haben, muss ich mir eben jemand anderen suchen. Ich sah da gerade ein paar ältere Schülerinnen hinausgehen …", sagte er mit öliger Stimme und lächelte sie aasig an.
„Na, das lassen Sie besser bleiben, das ist garantiert verboten", entgegnete sie schnippisch.
„Werden Sie diese alberne Katze samt Anhang auf mich hetzen?", fragte er zynisch.
„Darauf können Sie sich verlassen!"
„Oder gehen Sie doch gleich zu Ihrer geliebten Direktorin", schlug er vor.
„Ach ja, die Idee ist auch nicht schlecht", erwiderte sie.
„Dann lassen Sie sich nicht aufhalten", sagte er kühl und wollte schon fortgehen.
‚Ach nein', dachte sie, ‚geh noch nicht.'
„Kommen Sie, Mr. Myotis, setzen Sie sich wieder hin. Ich will auch ganz brav sein und nicht mehr sticheln", sagte sie nun in einem bettelnden Ton, und dann etwas fordernder: „Sie müssen etwas essen."
„Nein danke", schnappte er und drehte sich schwungvoll um. Dabei stieß er mit Professor Flitwick zusammen, der sich ihm gerade von hinten genähert hatte. Der kleine Mann purzelte auf den Boden. Mit einer raschen Bewegung bückte sich Albico, packte den Alten nicht gerade sanft am Arm und stellte ihn auf die Füße. Flitwick keuchte ein paar Mal „Danke sehr, vielen Dank, mein Bester." Er war noch völlig durcheinander.
Albico nickte kurz und ging dann forsch aus der Halle, ohne sich weiter um den kleinen Mann zu kümmern, der immer noch etwas derangiert war.
‚Das gibt es doch nicht. So ein Flegel', dachte Calisto erbost.
„Professor Flitwick, ich muss mich vielmals für das unmögliche Verhalten meines Kollegen entschuldigen", sagte sie höflich, während sie aufstand. Sie folgte ihm. Auf halbem Wege zu den Kerkertreppen holte sie ihn ein.
„Mr. Myotis!"
Halbherzig und ohne wirklich stehenzubleiben, drehte er sich nach ihr um.
„Sie sind wirklich der ungehobeltste Klotz, den ich kenne! Wie können Sie nur so mit den Leuten umspringen!"
Er blieb abrupt stehen, schloss die Augen und atmete tief durch. Dann sah er sie an und sagte zuckersüß: „Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden."
„Ach nein!", fragte sie wutentbrannt. „Haben Sie denn keinerlei Kinderstube? Wenn ich jemanden über den Haufen renne, dann entschuldige ich mich wenigstens dafür!"
Zornig blitzte sie ihn an.
Langsam und erstaunt klingend antwortete er: „Wir sind zusammengestoßen, und ich habe ihm doch aufgeholfen."
„Sie haben ihn umgerempelt, und ihm anschließend fast den Arm ausgerissen, Sie Grobian!"
„Da war er anderer Ansicht, glaube ich. Er hat sich doch bedankt. Mehrfach sogar", erwiderte er ausnehmend sanft. Es machte ihm Spaß, sie richtig zum Kochen zu bringen.
„Ich glaube, Sie haben von Manieren wirklich noch nie was gehört", sagte sie kopfschüttelnd.
„Wenn man in einer Gemeinschaft mit anderen Menschen lebt, gibt es gewisse Regeln. Haben Ihre Eltern Ihnen das nicht beigebracht?"
Da hatte sie offenbar seinen wunden Punkt erwischt. Er starrte sie einen Moment lang mit versteinertem Gesicht an.
Dann sagte er gefährlich leise: „Meine Eltern haben sich nicht sonderlich für mich interessiert, solange es nicht um meine für sie vorteilhafte Karriere ging." Er drehte sich um und ging weiter.
„Ja, das merkt man allerdings", rief sie ihm boshaft nach. „Sie besitzen das Gefühlsleben einer Amöbe." Sie merkte sofort, dass sie einen Schritt zu weit gegangen war. Diese letzte beleidigende Äußerung hätte sie sich wirklich sparen können, dachte sie.
Wieder blieb er stehen, drehte sich um und sah sie hasserfüllt an.
„Was wissen Sie schon!", sagte er giftig.
„Ich weiß, was ich sehe", antwortete sie widerborstig. Sie konnte einfach keine Ruhe geben. Die Hand in ihrer Tasche tastete nach dem Zauberstab. Sie spürte instinktiv, dass sie ihn gerade empfindlich getroffen hatte und wollte bereit sein, sich zu verteidigen.
„Nicht jeder hat das Glück, behütet aufzuwachsen, Miss Blanchâme", zischte er.
„Und nicht jeder, der eine traurige Kindheit hatte, benimmt sich wie ein Höhlenmensch", gab sie garstig zurück.
Er richtete sich zu seiner ganzen Größe auf. „Es tut mir Leid, wenn ich Sie enttäuscht habe", beendete er das Gespräch kalt, wandte sich um und ging rasch die Treppe hinunter.
Am frühen Morgen, noch ehe die Sonne ihr Antlitz zeigte, war Severus Snape schon auf den Beinen. Anfangs überlegte er lange, ob er es wagen konnte zu apparieren oder ob er nicht lieber auf Muggelart reisen sollte. Doch es eilte. Er musste wieder zum Versteck der Todesser zurückkehren. Zu lange schon hatte er es hinausgeschoben und wenn er nicht bald dort auftauchte, dann könnte das fatale Folgen haben. Voldemort war immer misstrauisch und wenn er wegen irgendetwas in Verdacht geriet, so könnte alles vorbei sein. Also musste er es wagen zu apparieren. Doch zuerst wollte er sich noch eine Stärkung zukommen lassen, ehe er dem Dunklen Lord gegenüber trat. Sein Magen knurrte schon und er erwischte sich immer wieder dabei, dass er statt an die Pläne an Kürbissaft und an ein riesiges Stück Steak dachte...
Gut, dann konnte es also losgehen. Snape hatte noch einen Vorrat an Vielsafttrank versteckt. Er nahm sich eines der kleinen Fläschchen und trank es. Von einem Moment zum anderen wurde ihm speiübel von der Mischung. Ein sehr unangenehmes Gefühl, wie tausend windende Schlangen in seinem Inneren! Er merkte allmählich, wie sich seine Gesichtshaut verzog, seine Hände dicker wurden und er selbst um ein paar Zentimeter wuchs, sodass ihm seine Kleidung zu klein und zu eng wurde. Als die Umwandlung vollständig war und Snape sich von den Strapazen kurz erholt hatte, warf er sich den Umhang über (ein Glück, so konnte niemand sehen, dass die Kleidung ziemlich eng saß), steckte seinen Zauberstab ein und trat aus der erbärmlichen Hütte. So, als erstes wollte er kurz nach Hogsmeade apparieren und sich dort etwas zum Essen organisieren. Gesagt getan, kurze Zeit später tauchte Severus mitten auf dem Dorfplatz auf. Doch keiner schien ihn zu beachten, was nicht weiter verwunderlich war, da er das Aussehen von einem Landstreicher angenommen hatte. Kurze Zeit später betrat Snape den „Lumpigen Laden". Dort hatte sich während seiner Abwesenheit nichts geändert. Die alte Valeria Springs lungerte immer noch hinter der Ladentheke und schaute äußerst gelangweilt drein. Er schnappte sich ein paar Äpfel, etwas Wurst und Käse, Brot und eine Flasche Butterbier und trat an die Theke. Sofort musterte ihn die Verkäuferin mit offensichtlicher Abneigung und Ekel. Da Severus keinen einzigen Sickel besaß, beschloss er, seine Verwirrungskünste einzusetzen. Alles ging so schnell, dass die Verkäuferin nicht reagieren konnte. Starr und abwesend stand sie da und Snape nutze die Gelegenheit, schnell aus der Ladentür hinauszutreten, mit dem „Einkauf". Ohne sich weiter aufzuhalten, apparierte er in die Nähe von Long Barrow. Dort lag Voldemorts Versteck.
Die alte Grabanlage diente dem dunklen Lord als Zentrale. Hier hielt er seine Versammlungen ab und verteilte seine Aufträge. Doch ehe er sich zum Versteck begab, ließ er sich nieder und packte das Essen aus. Eine große Wohltat, nachdem er so lange zwangsweise gefastet hatte. Unentwegt dachte er darüber nach, was ihn gleich erwartete. Er wusste, dass es äußert schwierig war seine Gedanken vor dem Lord zu verbergen. Also erwartete ihn gleich ein großer Kraftaufwand. Nicht ein Fetzen von seinem Vorhaben oder sonst einer Erinnerung durfte in Voldemorts „Hände" geraten, andernfalls waren alle verloren. Die Todesser hinters Licht zu führen war um vieles leichter und wenn es nur das gewesen wäre, Snape hätte sich nie im Leben Sorgen gemacht. Solange der Dunkle Lord glaubte, dass er ihm ergeben war und tat wie man ihm geheißen, brauchte er die anderen Todesser nicht zu scheuen. Diese waren natürlich äußerst neidisch auf Snape, weil er es war, der Dumbledore mutmaßlich das Leben genommen hatte. Da Dumbledore schon ewig Voldemorts Erzfeind war, war klar, dass er nach der Tat der „Liebling" des Lords sein würde und damit die neidischen und feindlichen Blicke der anderen auf sich zog. Doch wagte es niemand, ihm je ein Haar zu krümmen, denn jeder wusste, was die Folgen davon wären. Voldemort war so böse und kannte Wörter wie „Freundschaft", „Kameradschaft" und „Vertrauen" nicht. Wie viele seiner eigenen Anhänger hatte er schon gerichtet? Snape erinnerte sich mit Schaudern daran. Deswegen nahm er es auch so ernst, seine Gedanken zu verbergen und alles zu tun, damit der Dunkle Lord zufrieden gestellt war.
Wenig später, als er sein Mahl beendet hatte, fühlte Severus, dass es an der Zeit war, sich im Quartier blicken zu lassen. Voldemorts „Heim" glich einer Festung. Das riesige Anwesen war nur für bestimmte Leute sichtbar, nämlich solche, die sich als getreue Anhänger erwiesen. Snape gehörte seit dem Mord an Dumbledore nun auch hinzu. In letzter Zeit ging er öfter ein und aus. Er apparierte zu dem Standpunkt, wo Voldemort sich nieder gelassen hatte. Sofort fing Severus damit an seine Gedanken zu verschließen, als er auf das große Eichenportal zutrat. Zweimal klopfte er an, ehe eine Stimme von drinnen fragte: „Ein großes Ereignis wurde uns vorher gesagt...". Snape räusperte sich und antwortete „Wir des Dunklen Lords Getreue wollen sehen, welch Macht ihm wird zuteil."
Das war das Zeichen für den Wächter das Portal zu öffnen. Flink huschte Snape an diesem vorbei, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen. Innerlich bebte Snape vor Angst. Die Begegnung stand unmittelbar bevor und ab jetzt musste jedes Wort und jede Erklärung stimmig sein. Der kleinste Zweifel und Snape zog sich Voldemorts Zorn und Misstrauen zu.
Er steuerte das Zimmer an, welches der Lord sein eigen nannte. Vor der Tür stand Jugson und starrte ihn gehässig an.
„Ah, Severus, es ist mir eine Freude, dich hier mal wieder zu sehen. Wie es scheint hast du den letzten Auftrag zur vollsten Zufriedenheit unseres Gebieters ausgeführt. Wen musstest du beseitigen? Die McDearns?"
Severus starrte ebenso gehässig zurück, nickte nur und wartete ungduldig, aber der Dummkopf machte keine Anstalten zur Seite zu gehen. „Wenn das alles war, dann sei bitte so freundlich und lass mich vorbei", zischte er kalt, „ansonsten werde ich unleidlich...und seine Lordschaft ebenfalls." Widerwillig trat Jugson zur Seite, sodass Snape endlich eintreten konnte.
Voldemort stand mit dem Gesicht zum Fenster und Snape war froh, dass ihm erst einmal der bohrende Blick erspart blieb. Er verbeugte sich, auch wenn der Lord es nicht sehen konnte. Sicher war sicher.
„Gebieter, wie ihr bestimmt schon erfahren habt, habe ich die McDearns eliminiert."
Nun drehte sich Voldemort zu Snape um und dieser musste sich sehr zusammenreißen, um nicht ein Stück zurückzuweichen. Mit seinen roten durchdringenden Augen sah der Lord ihn nun direkt von Angesicht zu Angesicht an. Snape verschloss seine Gedanken fest und hielt den strengen prüfenden Blicken stand. Unter seinem Umhang fing er jedoch an, erheblich zu schwitzen. Er dachte an sein Verhör der McDearns, wie er sie „zur Strecke" gebracht hatte, um Voldemort nur das preiszugeben, was er erfahren sollte. Nicht mehr und nicht weniger. Trotzdem kostete es Ruhe und Beherrschtheit, um diese Gedanken in seinem Kopf wie ein Film ablaufen zu lassen, ohne zuviel zu verraten . Auch versuchte Snape, seine tiefe Abscheu und seinen Hass gegenüber dem Lord zu verbergen. Doch dieser ekelhafte und widerwärtige Anblick machte es ihm mit jeder Sekunde schwerer. Blieb nur zu hoffen, dass Voldemort keine Lust auf große Unterhaltung hatte.
„Oh Severus, gewiss doch! Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann. Die McDearns werden also zukünftig meinen Plänen keinen Schaden mehr zufügen können. Ich habe schon gehört, dass du sie ohne zu Zögern dem Wahnsinn ausgesetzt hast, einfach grandios. Was haben sie dir verraten?" Das Schnarren in Voldemorts Stimme war genauso abstoßend wie der Rest. Wie bei einer Schlange lag dieser Ton in der Stimme, ein Zischeln von falschen Worten. Es erinnerte Snape stark an Nagini, Voldemorts „Haustierchen", eine riesige Schlange. Er räusperte sich kurz und ging seinen Bericht an, den der Lord eh schon seinem Gedächtnis entnehmen konnte.
„Mein Lord, sie waren sehr störrisch und ich hatte alle Mühe etwas aus ihnen hinaus zu bekommen. Aber letzten Endes habe ich doch ein paar Informationen erhalten, die für Euch vielleicht von Bedeutung sind. Evan McDearn gestand mir, dass sich das Ministerium darum bemüht, alle Auroren zusammenzurufen". Snape setzte kurz zur Pause an, ehe er fortfuhr: „Alle! Aus jedem Land! Sie wollen die Auroren zusammenführen. Den Sinn und Zweck dieses Unterfangens fand ich allerdings nicht in McDearns Gehirn. Er wusste es nicht." Er beendete seinen Bericht.
Nach kurzem Schweigen setzte Voldemort an: „Nun, das ist allerdings schade, sehr schade! Das Ministerium ist anscheinend schlauer, als ich angenommen hatte. Diese törichten Blutsverräter passen also auf, wer welche Geheimnisse erfährt." Snape merkte deutlich, wie die Gelassenheit aus Voldemort wich. Zorn machte sich in seinem Gesicht breit. Seine ganze Haltung verriet Unzufriedenheit, nur mit wem? Snape gegenüber ließ er keinen Hass zukommen, also musste es das Ministerium sein und die Art, wie sie zum „Kampf" rüsteten, wie sie Voldemort auf falsche Spuren brachten und Geheimnisse vor ihm verbargen. Der Lord wandte sich erneut an Snape und der Blick in seine rötlichen, alles vom Hass verzehrenden Augen machten Snape soviel Angst, dass er einen halben Schritt zurückwich! Der Lord allerdings war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass er es nicht zu merken schien.
„Mein treuer Severus, ich werde einen weiteren Auftrag für dich haben. Ich brauche die Information! Ich muss wissen, welchen Zweck diese Auroren -Versammlung hat.
Oh ja, ich bin viel mächtiger und schlauer als dieses Ministerium voll Verräter!" Voldemort hielt kurz inne und begutachtete Snape. Dieser bemerkte diesen prüfenden, alles in sich aufsaugenden Blick und hob seine Bemühungen an, seinen Geist zu verschließen. „Mein Lord, was darf ich für euch tun?" Untertänig deutete Snape eine kleine Verbeugung an, als Zeichen seiner treuen Ergebenheit. Dies schien Voldemort etwas milder zu stimmen, als er fortfuhr: „Gehe zu Dawlish Pinford von der Ministeriumsabteilung zur Anstellung von Auroren. Hol dir die Informationen... und ich will, dass du ihn beseitigst, um die Spuren zu verwischen. Alles andere werde ich nicht tolerieren!" Erneut merkte Snape, wie großer Zorn in Voldemort aufstieg, weil er nicht die anderen Informationen bekommen hatte. Deshalb wandte er mit leichtem Zittern in der Stimme ein: „Mein Gebieter, ich werde alles tun, um an die Informationen zu kommen, egal was es kosten wird! Und ich werde Dawlish Pinford töten, ganz wie es Euch beliebt." Um seine Untertänigkeit zu unterstreichen, sank Snape vor dem Lord auf die Knie und verbeugte sich tief.
„Severus, bringe mir die Informationen und du wirst mit meiner Achtung belohnt. Und nun erhebe dich, mein Diener. Gehe und erledige meine Wünsche!" Bevor Snape sich erheben durfte, musste er zuerst noch den roten Rubinring des Lords küssen. Dann erhob er sich mit gespielter Hochachtung. Für Voldemort war das Gespräch beendet. Er gab Snape ein Zeichen, dass er sich entfernen solle. Dieser wollte sein „Glück" nicht herausfordern und ging mit leisen Schritten und gesperrten Gedanken zur Tür...
Als Snape aus dem Raum trat, stand Jugson wieder an der Tür und bedachte ihn mit überheblichen Blicken. Severus verzog sein Gesicht nur zu einem arroganten Grinsen und lief schnurstracks hinunter in die Eingangshalle. Dort angekommen ließ er seinen Geist wieder etwas freier. Dies alles hatte ihn große Anstrengung gekostet und er war froh, dass das Gespräch mit Voldemort diesmal so gut gelaufen war, was er wohl dem Sieg bei den McDearns verdankte.
Snape ging an dem Portalwächter vorbei und trat hinaus ins Freie. Einerseits fühlte er Erleichterung, unbeschadet die Unterredung mit Voldemort zu Ende gebracht zu haben, aber anderseits wurde ihm äußerst schwer ums Herz, wenn er an Dawlish Pinford dachte. Er hatte inständig gehofft, dass er nicht töten musste und nun lastete dieses schwere Schicksal auf seinen Schultern. Er würde es tun müssen, daran hatte Voldemort keinen Zweifel gelassen. Egal, wie er es drehte und wendete, der Lord erfuhr, wenn er nicht tat, wie ihm geheißen. Mit jedem Mordauftrag mehr, den er bekam, hasste er auch den Lord umso mehr. Warum tat er es nicht selbst? Immer ließ er die anderen die Drecksarbeiten erledigen. Wenn das nicht bald ein Ende hatte, dann wusste Snape nicht, wie lange er es noch durchhalten konnte. Er konnte doch nicht einfach einen Unschuldigen töten! Tat er es nicht, dann war es an ihm zu sterben und das hieße, dass auch Dumbledore keine Chance hatte zurückzukehren. Es war zum Verrücktwerden. Warum hatte Dumbledore diesen Plan wählen müssen? Warum er, Snape? Er, der doch eigentlich nur Frieden wollte. Er, der doch einfach nur in Hogwarts bleiben wollte um dort seine Tage zu verbringen. Snape musste sich erst einmal auf einem Stein niederlassen. Momentan würde er nicht die Kraft aufbringen zu apparieren. Wenn er an den armen, unbekannten Dawlish dachte, wurde ihm speiübel. Hoffentlich hatte er keine Familie, denn dann würde es noch um einiges schwieriger werden. Sein Gewissen war mittlerweile schon zu beladen, als dass er es über sich brachte, einer Familie den Versorger zu nehmen. Er ließ entmutig den Kopf in die Hände sinken und verharrte in der trügerischen Stille. Auch hoffte Severus inständig, dass Dawlish nichts wusste, was sich für den Lord zu wissen lohnte und womit er seine Schreckensherrschaft weiter vorantreiben konnte. „Wenn ich mich doch bloß in Luft auflösen könnte...", dachte Snape, der Verzweiflung nahe. Doch er schalt sich gleich darauf, denn Dumbledore zu retten und Voldemort zu vernichten hatte oberste Priorität.
„Albus, warum bloß? Hilf mir doch! Warum bist du nicht da und gibst mir deine weisen Ratschläge..."
Es war schon ziemlich dunkel, aber Calisto brauchte unbedingt noch ein bisschen Bewegung an der frischen Luft. Das half ihr immer beim Denken. Der erste Schultag war herumgegangen. Sie hatte ihre Sache ganz gut gemacht, fand sie. Für den ersten Versuch war ihr Unterricht gar nicht so schlecht gewesen, und die meisten Schüler hatten ihr interessiert zugehört und sich bemüht, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Nur eine unverbesserlichere Slytherin aus der sechsten Klasse war etwas aufmüpfig gewesen und ein neunmalkluger Ravenclaw aus der vierten hatte ein paar hinterhältige Fragen gestellt, deren Beantwortung sie ein bisschen Grips gekostet hatte. Doch nach der zweiten Querfrage war ihr klar geworden, dass er diese Fragen nicht aus Interesse, sondern aus Profilierungsgründen stellte. Sie hatte ihn mit der Empfehlung auf ein sehr dickes Buch zum weiteren gründlichen Studium dieser Fragestellung ruhiggestellt.
Sie hatte mit zügigen Schritten das Quidditch-Gelände umwandert. Wie gern sie sich jetzt einfach auf ihren Besen schwingen und eine Runde drehen würde. Quidditch hatte sie schmerzlich vermisst, seit sie aus der Schule draußen war. Es hatte ihr immer eine Menge bedeutet. Beim Quidditch konnte sie alles andere vergessen. Doch aus diesem Alter war sie wohl raus.
Dieser idiotische Streit mit Albico nach dem Frühstück ging ihr immer noch im Kopf herum. Sie hatten sich seitdem nicht wieder gesehen. Er war weder zum Mittagessen noch zum Abendessen erschienen, zumindest nicht, solange sie da war. Sie merkte kaum, wo sie langging, die Wege waren ihr von früher so vertraut, dass ihre Füße sich allein zurechtfanden, während ihr Kopf Probleme wälzte. Eben bog sie um die Ecke des Gewächshauses, als sie unversehens auf jemanden prallte. Sie wäre fast gestürzt, doch der jemand fing sie sanft auf.
„Oh, Verzeihung", setzte sie automatisch an, dann er kannte sie, dass es Albico war, dem sie da in den Armen lag. ‚Mist', dachte sie, ‚ausgerechnet er.' Sie war noch nicht fertig gewesen mit ihren Gedanken über ihn. Der Plan, wie sie strategisch mit ihm umgehen sollte, war noch nicht ausgereift.
„Alles in Ordnung?", fragte er erstaunlich sanft und stellte sie wieder auf ihre Füße.
„Oh, äh, ja, danke - und danke auch dafür, dass sie mich aufgefangen haben", erwiderte sie und grinste ihn schüchtern an. Diese Sanftheit verwirrte sie ein wenig, seine Stimme klang dabei so merkwürdig weich, dass sie sich fast davon gestreichelt fühlte.
„Ich … ich war so in Gedanken, ich hab Sie gar nicht gesehen."
„Nun, dann sind wir wohl quitt", entgegnete er. Einen Moment lang wusste sie nicht, was sie damit anfangen sollte. Er beugte sich zum Boden und zupfte vorsichtig ein paar Blätter von einer Pflanze.
„Quitt?"
„Sie haben mich doch gestern auch vor dieser Katze gerettet".
„Ach so, die Katze … ja, wenn man es so sieht, sind wir jetzt quitt."
Er hielt die Blätter hoch und betrachtete sie prüfend im Mondlicht.
„Was pflücken Sie denn da?", fragte sie neugierig. „Ist das Eisenkraut?" Der schwache Zitronenduft der Pflanze wehte ihr in die Nase.
„Ja." Er war wieder mal nicht sehr mitteilsam und sie hatte das Gefühl, dass er sie loswerden wollte. Trotzdem wollte sie noch nicht aufgeben. Wenn sie es schaffte, ein Gespräch auf freundlicher Basis herzustellen, wäre es vielleicht doch noch möglich, diese unerfreuliche Geschichte von heute Morgen aus der Welt zu schaffen.
„Was machen Sie damit?", fragte sie weiter.
„Liebestränke", erwiderte er todernst.
‚Er nimmt mich auf den Arm', dachte sie.
„Ich hätte es wissen müssen, mit Ihnen kann man einfach kein vernünftiges Gespräch führen", murmelte sie leicht angesäuert. Er tat so, als habe er es nicht gehört. Das machte sie nur noch fuchsiger.
„Wozu brauchen Sie denn Liebestränke, bei dem Charme, den Sie versprühen?", fragte sie nun etwas lauter. Fast im selben Moment bedauerte sie schon, dass sie das gesagt hatte. Warum nur konnte sie ihre Klappe nicht halten! Sie hatte ein freundliches Gespräch führen wollen, nicht einen neuen Streit vom Zaun brechen.
Er hob die Augenbrauen und erwiderte kühl und sachlich: „Anschauungsmaterial. Ich brauche ihn, um die Gegenmittel zu demonstrieren."
Gott sei Dank war er nicht beleidigt, dachte sie.
„Und Gegenmittel wogegen?" Er hatte ihre Neugierde erweckt. Jetzt wollte sie es genau wissen.
‚Du meine Güte', dachte er, ‚heute steht sie aber wirklich auf dem Schlauch.'
„Gegen den Liebestrank natürlich. Ich lasse einen meiner Schüler davon kosten, und bevor sich der arme Kerl ganz zum Idioten macht, gebe ich ihm das Gegenmittel."
„Sehr löblich", nickte sie. Ja, das konnte sie gut nachvollziehen. Eine sehr einprägsame Demonstration. Er verstand anscheinend etwas vom Unterrichten.
„Das wirkt meistens, vor allem bei den männlichen Schülern. Die passen beim Brauen des Gegenmittels richtig gut auf", fuhr er fort.
Logisch, dachte sie, es gab kaum etwas, das Männer mehr fürchteten, als durch das Offenbaren von Gefühlen ihr Gesicht zu verlieren.
„Ich hatte keine Ahnung, dass das auf dem Lehrplan steht", sinnierte sie, „aber es erscheint mir sinnvoll zu sein."
„Warum nicht? Liebestränke sind die am häufigsten eingesetzten, auch wenn es verboten ist", argumentierte er.
„Ja, da haben Sie durchaus Recht. Sie erscheinen so harmlos, aber man kann eine Menge Unheil damit anrichten. Ein verliebter Mensch ist meistens absolut unzurechnungsfähig." Das Potential dieser Tränke war ihr bisher nie so richtig bewusst gewesen.
Er schnippte mit dem Zauberstab, und eine dünne schimmernde Schnur wickelte sich um die Eisenkrautstengel in seiner Hand.
„Einen verliebten Menschen kann man sehr leicht manipulieren und zu Taten treiben, die ihm in normalem Zustand niemals in den Sinn kämen", überlegte sie weiter.
„Liebestränke verstärken das Verliebtsein noch. Die Betroffenen würden so ziemlich alles tun für ihren Angebeteten", erklärte er sachlich. Er verstand eine ganze Menge davon.
„Ja, das kann ich nachvollziehen", sagte sie, und fügte leise hinzu: „Ich hatte auch mal einen, für den ich alles getan hätte."
Was soll das werden, dachte er. Ein kleiner Plausch aus dem Nähkästchen? Ein Seelenstriptease? Bitte nicht! Keine Gefühlsduseleien in seiner Gegenwart, so etwas hasste er wie die Pest. Er ging weiter am Gewächshaus entlang und sah sich suchend um. Sie kam sich etwas dumm vor, wie er sie so stehen ließ.
„Dann will ich sie mal nicht länger stören, Sie sind wohl sehr beschäftigt", sagte sie und wollte sich schon zum Gehen wenden.
„Sie stören nicht", sagte er sanft. Eigentlich wollte er nicht, dass sie jetzt ging. Er mochte ihre Gesellschaft. Sie war attraktiv und leidenschaftlich, zwei Eigenschaften, die er außerordentlich schätzte. Nun gut, wenn es sein musste, würde er sich auch ihre Geschichten anhören, Hauptsache, sie ging nicht gleich fort.
„Sie wollten mir gerade von Ihrem Freund erzählen?"
„Nein, … das wollte ich eigentlich nicht", dementierte sie. „Es kam mir nur gerade so in den Sinn – weil wir vom Verliebtsein sprachen …"
Plötzlich brach es aus ihr heraus: „Darf ich Sie etwas Persönliches fragen?"
Er antwortete nicht, sondern bückte sich nach einer Pflanze mit dünnen Stengeln und großen, herzförmigen Blättern. Sie nahm es als Zustimmung.
„Waren Sie schon einmal richtig verliebt?"
„Würden Sie antworten, wenn ich Ihnen diese Frage gestellt hätte?", fragte er zurück, und es klang abweisend.
„Das habe ich bereits, auch ohne ihre Frage. Was ist denn dabei, es einzugestehen?"
Warum mussten Männer immer so ein großes Geheimnis aus ihren Gefühlen machen!
„Was nützt es Ihnen, wenn Sie es wissen", sagte er mürrisch.
„Nun, es würde mich beruhigen zu wissen, dass Sie …" Während sie sprach, merkte sie, dass es sehr grob klingen würde, wenn sie ausgesprochen hätte, was sie geplant hatte zu sagen.
Er hob interessiert den Kopf und sah sie an.
Sie schüttelte den Kopf. „Vergessen Sie es. Tut mir Leid. Es war unhöflich von mir zu fragen."
Er öffnete seine Hand und zählte die kleinen ovalen Samen, die er von der Pflanze gesammelt hatte. Er schien das Gespräch wohl für beendet zu halten und sie wollte nicht länger hier dumm neben ihm stehen. Er war offensichtlich beschäftigt.
„Ich werde wohl besser gehen", sagte sie, während er die Samen in einen kleinen Lederbeutel schüttete, der an seinem Gürtel hing. Nein, das sollte sie nicht, dachte er. Dann sah er sie an, trat entschlossen auf sie zu und küsste sie unvermittelt auf den Mund.
Das zweite Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden überraschte er sie mit diesem unerwarteten Verhalten. Sie war ein wenig benommen davon. Es fühlte sich so verdammt gut an. Aber hatten sie das nicht gestern Abend geklärt?
„Ich dachte, das hätten wir schon einmal gehabt", sagte sie leise, und ihre Stimme klang streng. Sofort ließ er sie los. „Tut mir Leid", murmelte er.
Sie musste grinsen. Er war so herrlich unbeholfen. Was um aller Welt ging in seinem Kopf vor sich?
„Mir nicht", antwortete sie mit einem warmen Schnurren in der Stimme und küsste ihn wieder. Es war ein schöner, sinnlicher Kuss und ihn überlief eine Gänsehaut vom Scheitel bis zur Sohle dabei. Ihr Herz schlug ihr wild und unvernünftig kurz unter dem Kehlkopf. Er legte seine Hände auf ihren Rücken und zog sie näher zu sich heran, ihre Hände glitten über seine Schultern zu seinem Nacken. Seine weichen Lippen lösten sich von ihren und streichelten ihr über die Wange, sie legte genießerisch den Kopf zur Seite und erschauerte leicht. Es war ein wundervolles Gefühl, und sie hatte schon lange nichts Derartiges mehr gefühlt. Einen Moment lang vergaß sie, wer sie war, wer er war, wo sie waren. Sie gab sich ganz diesem zärtlichen Moment hin. Langsam streichelten seine Lippen an ihrem Hals hinab, sie seufzte leise. Ihre Finger wanderten in seinen Haaransatz und kraulten ihn dort.
Er zog sie jetzt ganz nah an sich, so dass nur noch zwei dünne Lagen Stoff zwischen ihnen waren. Seine Hand wanderte an ihrer Wirbelsäule hinauf bis ins Genick. Nun hatte sie die Gänsehaut. Sie spürte auf einmal ein schreckliches Verlangen nach körperlicher Liebe. Am liebsten hätte sie sich die Kleider vom Leib gerissen und sich mit ihm auf die Wiese geworfen. Seine Berührungen brachten ihren Körper zum Brennen vor Verlangen nach ihm. Sie streichelte mit ihren Händen seine Brust hinab, über seine Seiten bis zum Hosenbund. Dann fuhr sie mit den Fingerspitzen dort entlang zum Rücken hin. Er atmete heftig und gab ihr einen weiteren leidenschaftlichen Kuss auf den Mund, der sehr fordernd wurde. Seine Hände streichelten ihren Rücken wieder hinab, bis sie die Rundungen ihres Hinterteils ertasten konnten. Sanft drückte er sie ein wenig, sie spannte ihre Muskeln an und presste ihr Becken etwas fester gegen seines, so dass sie auch seine wachsende Erregung deutlich spüren konnte. Sie knöpfte ihm das Hemd ein wenig weiter auf und ließ ihre Nase an seinem Hals entlang wandern. Er duftete einfach unwiderstehlich, es war eine Mischung aus einem warmen, holzigen Herrenduft und seinem eigenen Körpergeruch. Er knabberte an ihrem rechten Ohrläppchen, ließ seine Zunge ganz langsam am Rand ihrer Ohrmuschel entlang gleiten, es machte sie schier verrückt. Sie schmuste mit Nase und Lippen an seinen Schlüsselbeinen entlang. Er wand sich ein bisschen, denn es kitzelte ihn. Dann fing er an, zärtliche Bisse auf ihren Schultern zu verteilen, die von dem großzügig ausgeschnittenen T-Shirt weitgehend unbedeckt blieben. Seine Hände strichen von ihrem Bauch her nach oben, während sich sein Mund aus der anderen Richtung derselben Stelle näherte.
Ganz langsam begann ihr Gehirn wieder zu arbeiten. Ihr kam zu Bewusstsein, was sie da gerade im Begriff war zu tun. Sie kannte diesen Mann seit ungefähr einem Tag, und sie konnte ihn nicht einmal richtig gut leiden. Sie benahm sich hier völlig unpassend und unprofessionell. Einfach unmöglich, um es genau zu sagen.
Er war gerade dabei, den Saum des T-Shirts nach oben zu schieben und ihren Bauch freizulegen. Es kostete sie all ihre Willenskraft, ihn jetzt zu stoppen.
„Albico", seufzte sie, „bitte …" Er hielt kurz inne und sah sie an. „Was tun wir hier nur? "
Er lächelte sie spöttisch an. „Wonach sieht es denn aus?" Verschämt senkte sie den Kopf. Genau das hatte sie sich auch gerade gefragt. Er legte ihr den Zeigefinger ans Kinn, hob ihr Gesicht sanft an und küsste sie wieder. Er wollte sie weiter streicheln, doch sie gebot ihm Einhalt und hielt seine Hände fest.
„Ich … ich kann das nicht. Das geht mir zu schnell." Er ließ beide Hände sinken und sah sie ungläubig an. Das konnte doch wohl nicht ihr Ernst sein. Sie war heiß wie ein Vulkan und wollte jetzt aufhören? Sie ließ verschämt den Kopf hängen.
„Es ... tut mir Leid", sagte sie leise, löste sich von ihm und zog ihr verrutschtes T-Shirt wieder zurecht. Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Mühsam beherrschte er seinen Drang, ihr etwas Verletzendes zu sagen und schwieg.
„Ich werde jetzt besser gehen", sagte sie entschlossen.
Er starrte sie einen Moment lang regungslos an.
„Gute Nacht, Albico." Damit drehte sie sich um und ging mit raschen Schritten davon, sie rannte fast. Er sah ihr nach. Ein leises Lächeln huschte über sein Gesicht. Das war doch gar nicht so schlecht gelaufen, fand er. Okay, er hatte sich ein anderes Ende dieses Zusammentreffens gewünscht, aber man durfte nicht zuviel auf einmal erwarten. Er war sich sicher, dass er die Festung sturmreif geschossen hatte. Lässig und mit einem triumphalen Lächeln auf den Lippen schlenderte er zum Schloss zurück. Er freute sich diebisch auf ihr Gesicht beim Frühstück am nächsten Morgen.
‚Oh mein Gott', dachte sie, ‚was habe ich nur getan? Ich habe mich komplett zum Deppen gemacht. Was er jetzt von mir denken muss! Ich habe mich benommen wie eine läufige Hündin.' Am liebsten hätte sie sich selbst geohrfeigt oder den Kopf an die nächste Wand gestoßen. Wie hatte ihr nur so etwas passieren können. Mit einem Fremden gewissermaßen, von dem sie gerade mal den Namen kannte. Einem Typen, dem sie nicht trauen konnte, und den sie im Auge behalten sollte. Ihn derart nahe an sich heran zu lassen war ebenso unklug wie unschicklich.
Sie stürmte auf ihr Zimmer und warf sich aufs Bett, wo sie den Kopf unter dem Kissen vergrub. Es widersprach allen Grundsätzen ihres Berufes und ihren persönlichen Moralvorstellungen, was sie da gerade getan hatte. Und morgen früh würde sie wieder neben ihm sitzen und sein hämisches Grinsen ertragen müssen. Sie überlegte schon, ob sie auf das Frühstück verzichten sollte. Darauf brauchte sie dringend einen Schnaps. Das war das einzige, was jetzt noch helfen konnte. Ein Gläschen besten schottischen Whiskeys. Sie öffnete die Tür ihres rechten Schreibtischfaches, holte die Flasche für dringende Notfälle heraus und beruhigte ihre Nerven mit Alkohol. Um noch ein Glas hervorzuholen, war der Notstand zu groß, sie trank ihn direkt aus der Flasche.
Ab sofort würde sie sehr stark an ihrer Selbstbeherrschung arbeiten müssen, nahm sie sich vor. Ihre Impulsivität war ihr schon immer im Weg gewesen. So manche Stunde bei Filch hatte sie nur ihrer großen Klappe zu verdanken, und der Unfähigkeit, im rechten Moment zu schweigen. Nach einem weiteren Schluck verschloss sie die Flasche wieder und stellte sie zurück.
Wenn er so weitermachte, würde sie in kürzester Zeit zur Alkoholikerin werden. Nein, sie wollte nicht wie Sybill Trelawney enden, die in den letzten Jahren mehr Visionen dem Sherry zu verdanken hatte als ihrem inneren Auge. Sie nahm eine eiskalte Dusche und ging dann zu Bett. Sie schlief wie ein Stein und erwachte am nächsten Morgen trotzdem mit einem Brummschädel. Müde und gerädert begab sie sich nach unten. Ohne Kaffee konnte sie den Morgen keinesfalls überstehen, mochte er grinsen, wie er wollte.
