7. Teil

"Mein liebes Kind, habt Ihr Euch gut in Euer neues zu hause eingefunden?" erkundigte sich der Direktor, als seine Wege sich mit Hermines kreuzten.

Sie zögerte einen Augenblick, dann nickte sie leicht mit dem Kopfe. "Ja - in der Tat, das habe ich", erwiderte sie leise.

"Wohlan", murmelte der Direktor zufrieden, "ich glaubte schon, es könne unüberwindbare Hindernisse geben."

Hermine überdachte ihre Erwiderung sorgfältig, doch schließlich sagte sie: "Hindernisse kann man ebensogut umgehen, nicht wahr?"

Dumbledore lächelte sie herzlich an, "Ich kenne Euch zu gut. Ihr würdet nicht eher ruhen, bis Ihr auch das letzte Hindernis bewältigt habt."

Als er sie nun verließ, stimmte sie ihm in Gedanken zu. Vor ihrem geistigen Auge hatte sich ein Hindernis aufgetürmt, welches ihr den Blick auf die Wahrheit zu verstellen drohte. Wahrheit musste sie jedoch um jeden Preis erringen. Daher würde sie sich noch heute bemühen das Hindernis zu meistern und ihre Neugierde zu befriedigen.

Als sie ihre Studien mittags beendet hatte, suchte sie abermals die Vorratsräume des Schlosses auf, um sich mit Verpflegung zu versorgen. Bis der Abend hereinbrach würde keine Menschenseele sie im Schlosse vermissen. Snape hatte seine Pflichten als Betreuer bei den Hausarbeiten an diesem Tage zu erfüllen und würde nicht vor dem frühen Abend in die Kerker zurückkehren. Bis dahin würde sie längst ins Schloss zurückgekehrt sein. Sie eilte sich dennoch und sah sich prüfend um, damit niemand ihr Verschwinden bemerkte.

Als sie sich außerhalb des Schlossgeländes begeben hatte, nahm sie all ihre geistigen Kräfte beisammen und brachte sich an jenen Ort, der in ihren Gedanken herumgegeistert war, seit Snape ihn am Abend zuvor erwähnt hatte.

Schnell schaute sie sich um, voller Sorge ob jemand sie erblicken würde, der sie aus dem Schlosse kannte. Die Straße war von einem matten Grau. Es hatte wohl soeben in London geregnet, denn in kleinen Rinnsalen floss der Schmutz über das Kopfsteinpflaster der Nokturngasse.

Hermine zog den Umhang fester um sich und wich den Blicken zweier Männer aus, die offenkundig dem Alkohol zu sehr gefrönt hatten. Der eine stieß den anderen unsanft in die Seite und raunte ihm Worte zu, die Hermines Ohr dennoch erreichten und sie erstarren ließen. Wie konnte dieser Kerl nur solche Anzüglichkeiten über sie erzählen? Der andere Mann lachte nicht nur über die Bemerkung seines Freundes, sondern auch über Hermines angewiderte Miene.

"Ihr seid in der falschen Gegend unterwegs, wenn Euch die Worte meines Freundes derart ans Gemüt gehen", warnte sie der größere der beiden Männer lallend.

Hermine eilte weiter, ohne den beiden Trunkenbolden noch mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Hastig blickte sie zu den Gebäuden, die die Straße säumten. Sie schienen heruntergekommen und feindselig.

Ein Weib mit schiefen Zähnen lächelte sie hintertrieben an. "Oh, solch ein schönes Fräulein", höhnte sie, dann folgte sie Hermine dicht auf den Fersen, und machte dabei deren schnellen Schritt mit einiger Übertreibung nach. "Ich bin so schön - viel zu schön für hier - was mach ich nur - was mach ich nur - schnell, schnell, schnell", äffte sie hinter ihrem Rücken. Hermine hielt inne, so dass die Frau sie unsanft anstieß.

"Wo ist das Freudenhaus?" erkundigte sich Hermine mit fester Stimme.

Für einen Augenblick schien ihre Verfolgerin verwirrt, dann brach sie in schallendes Gelächter aus, das bald darauf von einem erbärmlichen Hustenanfall abgelöst wurde.

"Das ist also Euer Ziel, edles Fräulein. Siehst aus wie eine Prinzessin und bist doch in Wahrheit eine HURE!" schrie sie so laut sie es vermochte.

"WO?" erinnerte Hermine ebenso laut an ihre Frage.

Die Frau lachte immerfort, während sie mit einem gelben Finger ein Stück die Straße hinunter deutete.

"Dort. So wünsche ich Euch denn gute Geschäfte", mit einer gespielten Verbeugung und einem hämischen Grinsen entfernte die Frau sich wieder. Einige Männer mit geiferndem Blick hatten das Schauspiel verfolgt und harrten gebannt darauf, ob die junge Dame den Weg zum Bordell einschlagen würde.

Hermines Beine fühlten sich an als lagere Blei in ihnen, dennoch setzte sie ihren Weg unbeirrt fort.

Als sie vor dem Portal des Hauses stand, drohte ihr Magen sich herumzudrehen. Mit zitternden Knien nahm sie die Stufen und zog an dem Seil, das eine Glocke zum Läuten brachte.

Wie von unsichtbarer Hand öffnete sich die Türe und gab ihr den Blick in einen langen Flur frei.

Zögerlich trat sie ein und sah sich um. Die Türe schloss sich augenblicklich hinter ihrem Rücken, als auch schon eine laute Stimme durch den Flur tönte: "Was wollt Ihr hier? Wir benötigen keine neuen Mädchen zur Zeit. Lasst Euren Namen und Eure Adresse da - wenn ich jemanden brauche, so könnt Ihr erneut bei mir vorstellig werden."

Hermine benötigte einen Moment um zu erfassen, dass die Besitzerin der Stimme offensichtlich glaubte, sie wolle sich hier verdingen.

"Ich suche keine Arbeit", sagte sie mit vibrierender Stimme, "ich suche jemanden, der mir eine Frage beantwortet."

Die Stimme klang nun hart und unbeugsam: "Dies ist ein Ort, an dem jegliche Fragen unerwünscht sind. Verschwindet von hier!"

Hermine schüttelte den Kopf: "Nein! Ich bleibe bis ich eine Antwort erhalten habe."

"So wisst Ihr sicher nicht wo Euer Gemahl ist und wähnt ihn in einem dieser Zimmer? Ihr unterliegt einer falschen Vorstellung, wenn Ihr glaubt hier das eifersüchtige Eheweib spielen zu können. Kehrt heim und wartet bis er wiederkommt. Dann könnt Ihr ihm immer noch eine Szene machen, doch in diesem Hause habt Ihr nichts verloren. Raus mit Euch!"

"Ich suche nicht nach meinen Manne! Es liegt mir auch fern eine Szene zu machen. Ich bin lediglich um das Wohlergehen eines Eurer...Mädchen besorgt."

Stille folgte auf ihre Worte.

Nun trat ihr eine Frau gegenüber, die bis dahin ihre Stimme magisch in den Flur verstärkt hatte.

Ohne die Magie klang sie nun wesentlich leiser, jedoch nicht minder misstrauisch.

"Ich verstehe kein Wort, doch Ihr habt meine Neugierde geweckt. Tretet ein." Damit wies sie mit der Hand auf einen Raum, der durchaus gemütlich wirkte, jedoch mit einigem Plunder ausgestattet war.

Hermine nahm auf einem Canapé Platz und beäugte die eindrucksvolle Erscheinung der Frau, die sie hereingebeten hatte. Ihre blonden Haare waren auf dem Kopfe aufgetürmt und ihre Wimpern unnatürlich lang. Die Augen funkelten in einem Grün, wie es die Natur ebenfalls nicht zu erschaffen vermochte. Ihre Fingernägel, von tiefem Blutrot, klickten in einem ungeduldigen Takt auf das Holz des kleinen Tischchens neben ihr, nachdem sie sich ihrem Gast gegenüber ebenfalls niedergelassen hatte.

An den Wänden hingen Gemälde von leichtbekleideten Weibern, die von Männern umgeben waren, die ihren Reizen augenscheinlich große Aufmerksamkeit schenkten. Der Raum war angefüllt mit Kunstwerken aus unterschiedlichen Materialien gefertigt, doch fast alle zeigten anzügliche Szenen.

Hermine konnte kaum glauben, dass es Menschen gab, die sich in einer solchen Umgebung wohl fühlten.

"Ich gebe Euch nur wenige Augenblicke. Sprecht!" ließ sich die Frau nun vernehmen.

"Ich hörte, dass eines Eurer Mädchen kürzlich geschlagen wurde, ist dem so?"

Das Gesicht der anderen spiegelte mit einem Male ein Erkennen wieder, das Hermine nicht einzuordnen wusste. "Ihr könnt Euch glücklich schätzen diesem Manne entkommen zu sein", sagte ihr Gegenüber nun ernst jedoch mit überraschend weicher Stimme.

Hermines Mund öffnete sich verblüfft ob des Wissens, das diese Frau augenscheinlich über sie besaß.

Die Blonde lächelte jetzt sacht. "Severus hat mir von Euch erzählt. Er kam vorgestern her, um mir den Namen des Mannes zu übermitteln, der Miranda dies angetan hat. Severus war sehr besorgt, dass er es wieder tun könnte, und er warnte mich inständig davor, diesen Kerl je wieder einzulassen. Als hätte ich diesen Fehler ein zweites mal begangen. Doch ich bin ihm dankbar für seine Besorgnis und für seinen Hinweis - denn ich habe Freunde, die diesem Schwein einen Besuch abstatten werden und ihn hoffentlich lehren, sich nicht noch einmal einer Frau gegenüber so aufzuführen."

Hermine war nun völlig verwirrt. Sowohl darüber, dass diese Frau Snape als so fürsorglich beschrieb, als auch darüber, dass er von ihr erzählt hatte.

"Miranda", hauchte Hermine ohne sich selbst darüber gewahr zu sein.

Die blonde Frau lächelte plötzlich mitleidig. "Das arme Mädchen hat diese Woche gleich zwei Dinge zu verschmerzen. Zum einen die Attacke des Mannes, der mit seinen schönen Augen seinen krankhaften Trieb zu verbergen weiß - und zum anderen die Botschaft ihres Lieblingskunden, dass er sie nicht mehr aufsuchen wird. Ihr solltet Euch glücklich schätzen. Nicht viele Männer, die einmal die Annehmlichkeiten unserer Dienste kennengelernt haben, geben diese wieder auf, nur weil sie zu heiraten gedenken."

Hermine war nicht in der Lage diese Worte zu verarbeiten. Alles schwirrte durcheinander, als plötzlich eine zarte Stimme an der Tür erklang: "Madam Valerie, darf ich das Haus verlassen um meine Schwester zu besuchen?"

Eine junge Frau mit wallendem rotem Haar betrat den Raum. Ihr Gesicht war durch blutige Ergüsse verquollen. Über ihrem Auge war eine Wunde in Heilung begriffen.

Die Angesprochene erhob sich und ging zu der jungen Frau hinüber. "Ah - wir sprachen gerade noch von dir, Miranda. Darf ich vorstellen, dies ist die Frau, die dir Severus abspenstig gemacht hat." Damit deutete sie auf Hermine, die immer noch von den Vorgängen überfordert war.

Miranda streckte ihr artig die Hand entgegen und musterte sie dann ausgiebig. "Er ist ein guter Mann - Ihr könnt Euch sicher sein, dass er Euch treu sein wird. Als er mich vorgestern aufsuchte, wollte ich ihn am liebsten nicht gehen lassen, doch er überzeugte mich davon, dass dies der einzige Weg für ihn sei. Ich hoffe Ihr werft ihm nicht vor, dass er mich früher aufsuchte, denn wenn ich Euer Gesicht nun sehe, so spricht es von Zorn und Eifersucht - doch bedenkt, dies war vor Eurer Zeit. Zürnt ihm nicht, er hat mir entsagt - auch wenn ich es am liebsten immer noch nicht glauben möchte."

"Mir fällt es ebenfalls schwer all dies zu glauben", erwiderte Hermine zutiefst verwirrt.

"So sollte es einer glücklichen Braut ergehen, nicht wahr?" sagte Madam Valerie melancholisch.

Hermine schüttelte mit dem Kopfe. Sie musste fort von hier. Sie hatte sich erhofft zu erfahren, dass Snape gelogen hatte was den Mann mit dem gelockten Haar und den blauen Augen anging. Sie hatte gehofft, dass es eine Lüge war, dass der Mann, der um sie angehalten hatte derartige Widerwärtigkeiten beging. Doch Snape hatte diesbezüglich nicht gelogen, soviel war ihr bewusst geworden. Er hatte ihr jedoch eine ganz andere Lüge aufgetischt. Die Lüge, weiterhin diesen Ort und diese Frau aufzusuchen - die Lüge, sie nicht heiraten zu wollen - die Lüge, all dies nur zu seinem eigenen Zwecke getan zu haben.

Immer mehr fragte sich Hermine was in diesem Manne vorging. Wie gerne hätte sie ihm heute Abend ins Gesicht geschleudert, dass er ein elendiger Schuft sei. Doch nun war alles so völlig undurchschaubar für sie, dass sie sich unbedingt erst sammeln musste, bevor sie sich in einen erneuten Disput mit ihm stürzen konnte.

So verabschiedete sie sich, so höflich es ihr in ihrer Verwirrung möglich war, von den beiden Frauen und verließ den Ort der Sünde mit gänzlich neuen Gedanken, auf die sie nicht gefasst gewesen war.

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"Wir sollten einen neuen Versuch sobald als möglich wagen", ließ sich Snape vernehmen, nachdem er den Kerker betreten hatte und seine Nase tief in Notizen steckte, die er eingehend studierte.

Hermine hatte keine Ahnung wovon er sprach. In ihrem Kopfe drehte sich immer noch unablässig das Karussell.

"Welcher Versuch?" erkundigte sie sich mit matter Stimme.

Er blickte sie unwirsch an. "Das Drachenei. Wenn es erst zu sehr herangereift ist, dann wird es uns nicht mehr von Nutzen sein. Ihr wisst doch um die Besonderheit der halbentwickelten Zellen des Drachentieres."

Hermine nickte abwesend mit dem Kopfe.

Er hielt inne und warf die Notizen auf den Tisch. "Was ist mit Euch? Wollt Ihr mich nicht mehr begleiten? So soll es mir recht sein. Ein Weib hält mich ohnehin nur auf. Ich sagte es dem Direktor schon zu Beginn und ich bleibe dabei - so ein Unternehmen ist zu anstrengend für Euch."

"Also wollt Ihr Euch alleine auf den Weg machen?" erkundigte sie sich.

Er nickte bestimmt.

Sie lächelte ihn vielsagend an, dann schüttelte sie mit dem Kopfe. "Richtet alles zum Aufbruch. Sorgt jedoch für genug Proviant, denn ich werde Euch begleiten, ob Ihr wollt oder nicht!"

Sein Blick wanderte zur Decke und er legte seine Hand über die Augen, als habe er grässliche Schmerzen hinter seiner Stirne.

"Ihr seid ein unverbesserlicher Dickschädel. In was für Gefahren wollt Ihr Euch diesmal begeben? Reichen Euch nicht die Erfahrungen mit Drachen, Wölfen und Schlangen? Wollt Ihr Euch mit Gewalt ums Leben bringen?"
"Nicht mehr als Ihr selbst", gab sie liebenswürdig aber bestimmt zurück.

"Einfältiges Weib", knurrte er.

"Sturer Ochse", erwiderte sie sofort.

Er funkelte sie warnend an.

Hermine verbeugte sie in gespielter Demut und sagte: "Für den Fall, dass diesmal der Drache seine Klauen durch Euren Körper bohrt, so versichere ich Euch, nicht Euer Leben zu retten. Für den Fall, dass Ihr sterbt, so werdet Ihr mir sicherlich verzeihen wenn ich nicht die übliche Trauerzeit einhalte, sondern mich unverzüglich auf die Suche nach einem anderen Manne begebe."

Der kurze Schmerz in seinen Augen wich sofort der Wut: "Glaubt Ihr ernsthaft, dass ein anderer Mann Euch bei sich Unterkunft geben würde, ohne die Freuden Eures Körpers genießen zu wollen?"

"Nun, wenn mein Neuerwählter mir gefallen sollte, so liegt es im Bereich des Möglichen, dass ich mich ihm gerne anbieten werde. Doch Euch reize ich ja ohnehin nicht, so dass Ihr lieber Frauen aufsucht, die Euch willig dienen, nachdem Ihr ihnen den entsprechenden Preis gezahlt habt."

Aufmerksam beobachtete sie seine Reaktion.

Sie konnte lediglich feststellen, dass seine Kiefer heftig aufeinander mahlten, bevor er erwiderte: "Für eine Frau, die weiß wie sie mit einem Manne umzugehen hat, lohnt es sich einen hohen Preis zu zahlen. Wenn ein Mann Euch einst erwählt, so wünsche ich ihm, dass er Euch in diese Kunst einzuweisen vermag, denn ich bezweifle sehr, dass Ihr von Natur aus mit dieser Gabe gesegnet seid."

Hermine spürte wie seine Worte sie tief im Inneren trafen. Er sprach ihr ab, eine sinnliche Geliebte sein zu können. Eine Stimme in ihr verlangte danach ihm das Gegenteil zu beweisen. Sie wollte ihm entgegenschleudern, dass sie wusste, dass er seine Gespielin für sie aufgegeben hatte. Doch warum nur hatte er das getan, wo er doch glaubte, dass sie niemals die körperliche Liebe zu seiner Zufriedenheit zu beherrschen vermochte?

Dann schalt sie sich selbst eine Närrin für diese Gedanken. Wollte sie doch niemals diesen Platze in seinem Leben einnehmen.

tbc

Auf den nächsten Teil dürft Ihr gespannt sein ;)

Ach, hinterlasst mir doch ein Review, dann weiß ich, ob Ihr ihn überhaupt möchtet!