London, Haus der Familie Lovegood
Gegenwart

Luna hatte Recht gehabt. Dieses Mal tat es nicht weh. Es war ein einfacher Kuss, auch wenn er sich liebevoller und hingebungsvoller anfüllte, als jeder Kuss, den Lucius bisher bekommen hatte. Er hatte davon geträumt in den langen schrecklichen Nächten in Askaban und seit dem ersten Tag dort, war es Luna gewesen, die ihn geküsst hatte.

Das Wasser plätscherte leise, als Luna mit dem Rücken den Beckenrand berührte. Ihre Lippen lösten sich voneinander und Lunas Hand glitt vorsichtig über Lucius Schulter die Brust hinunter und verschwand im Wasser.

Lucius stieß den angehaltenen Atem aus, als die Hand weiter wanderte. Er sah die Lichtflecken des Wassers über Lunas Körper wandern. Schneeweiße Haut, die sich sanft und warm anfühlte, die sanft geschwungenen Brüste eines jungen Mädchens.

Lucius' linke Hand griff gegen den Beckenrand, um sich an ihm förmlich festzuklammern. Sein Herz schlug wie wild in seiner Brust. Sein Körper fühlte sich an, wie zum Zerbersten gefüllt mit Schmerz und einem unbändigen Verlagen. Es war da gewesen all die Tage in Askaban, aber jetzt, da sie sich direkt vor ihm befand, nackt, umspielt von kleinen Wellen und Lichtreflexen...

Einen kurzen Augenblick noch hielt Lucius gewohnte Schutzbarriere aus kühler Beherrschung und jahrelang geübter Vernunft. Dann brachen alle Dämme und er gab dem Verlangen impulsiv nach.

Liebe war für ihn bisher nicht mehr gewesen als ein Wort für einen verwirrten Geisteszustand schwacher Menschen. Körperliche Liebe nicht mehr als eine lästige Notwendigkeit um für Stammhalter zu sorgen.

Doch das, was Lucius jetzt spürte, was ihn wie eine heiße Welle tobender Gefühle mit sich riss, war vollkommen unvergleichlich und unverständlich, jenseits aller Worte, die er je dafür zu besitzen gedacht hatte. Woher wusste sie, wie sie ihn zu berühren hatte, wo sie mit ihren Fingerspitzen entlangzufahren zu hatte, wie ihn zu küssen? Sie war doch noch fast ein Kind. Er sollte...er sollte...

Lunas Atem kam stoßweise, als sie es einfach geschehen ließ. Sie hatte gewusst, dass alles gut werden würde, noch bevor sie es gefühlt hatte. Als ihre Hände sich in Lucius' Rücken krallten und in seine Haaren, sah sie für einen Augenblick wieder das Schwarz in seinen Augen tanzen, die violetten Schatten. Sie sahen aus als würden sie zittern, als würden sie versuchen zu fliehen, als würden sie ausbrechen wollen und genau das taten sie auch gleich darauf.

Lucius war nicht darauf vorbereitet, als die dunkle Magie auf dem Höhepunkt gewaltsam aus seinem Körper schoss. Hätte Luna sich nicht so an ihn geklammert, wären sie auseinander gerissen worden. Das Wasser schien um sie herum zu brodeln als würde es kochen. Schwarze Funken zuckten umher und fanden zielstrebig ihren Weg zu Luna, die von einem gebündelten Strahl violetter Dunkelheit getroffen wurde.

Die Schwärze wurde von Lunas Körper verschluckt und das Mädchen griff nach dem Beckenrand. Sie drehte sich, Lucius noch halb umarmt zur Seite, so dass nun er mit dem Rücken gegen den Rand des Beckens gedrückt wurde.

Er sah fassungslos in ihre Augen, in welchen ein goldener Funke schimmerte und plötzlich schien ihr ganzer Körper in glitzernden Flammen zu stehen. Blinkend aufleuchtende Sternchen und Funken schlugen auf Lucius über. Als sich das goldene Licht von Luna auf ihn ergoss, riss es den letzten klaren Gedanken hinweg, den Lucius noch hatte fassen können.

Er überließ alles ihr, unfähig irgend etwas zu tun. Er war fortgerissen in einem Strudel aus Gefühlen, die ihm bisher vollkommen unbekannt gewesen waren. Lucius ließ sich darin treiben, weil es das einzige war, was er noch tun konnte.

Als das goldene Licht verebbte, sank sein Kopf gegen Lunas Schulter. Sein Atem brachte ein leises Wimmern hervor und sein Körper zitterte kraftlos. Luna hielt ihn vorsichtig über Wasser und strich ihm über die Haare.

"Ist doch gut", murmelte sie und küsste ihn liebevoll auf die Schläfe. "Jetzt ist es fort."

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London, Haus der Familie Lovegood,
acht Jahre zuvor

"Ich verstehe", sage Samuel Lovegood. Der hochgewachsene blonde Mann stand mit verschränkten Armen ein wenig verloren im Wohnzimmer, während ein Heiler bei der Leiche seiner Frau kniete.

"Mit Zaubersprüchen zu experimentieren ist nicht ungefährlich", sagte der Heiler ein wenig vorwurfsvoll. "Sie können froh sein, dass ihrer Tochter nichts passiert ist."

Samuel Lovegood sah zu der kleinen Luna, die in eine Decke gehüllt auf dem Sessel saß und zu ihnen herüber sah. Sie hatte nicht gehen wollen und er hatte sie nicht wegschicken wollen. Der Tod gehörte zum Leben und Samuel Lovegood hielt nichts davon, Tabus zu erschaffen.

Luna hatte ihre Beine an den Körper gezogen, so dass die Füße auf der Sitzfläche des Sessels standen und unter der Decke hervorlugten. Ihre Haare wirkten merkwürdig golden und schienen leicht verfilzt zu sein, so als hätte sie sie tagelang nicht gebürstet.

In ihren Augen konnte man, wenn man ganz genau hinsah, einen goldenen Schimmer sehen, der wie ein Abdruck einer Fotografie auf einem Stück Papier wirkte. Luna hatte die Augen weit geöffnet und blinzelte kaum. Sie sah zum Fenster mit seiner gebrochenen Scheibe.

"Nichts passiert", murmelte Samuel Lovegood ironisch. Vielleicht war Luna körperlich unversehrt, aber sie wirkte anders.

"Den Tod eines Elternteils mitansehen zu müssen", sagte der Heiler, dessen Blick dem von Samuel Lovegood gefolgt war, "ist ein traumatisches Erlebnis. Sie braucht viel Ruhe, um das Geschehene zu verarbeiten."

Samuel Lovegood fühlte sich nicht in der Lage, mit dem Heiler jetzt darüber zu diskutieren. Er war sich sicher, dass es nicht wieder so werden würde, wie vorher. Er sah es in Lunas Augen und die Haare...die Haare...Irgend etwas stimmte nicht.

"Seltsam, dass sich Liebe und Hass so ähnlich sind", sagte er und sah zu seiner toten Frau hinunter, über die man ein weißes Tuch gedeckt hatte, als ob es an der Tatsache ihres Todes etwas ändern würde.

Der Heiler zuckte verständnislos mit den Schultern. "Ich schicke Ihnen jemand, der sich um alles kümmert", sagte er.

Samuel Lovegood nickte mechanisch. Während der Heiler das Haus verließ, ging er langsam zu Luna hinüber.

Sie sah ihn aus großen grauen Augen fast ein wenig verträumt an. "Sie hat mich so doll lieb gehabt", sagte Luna.

"Ja", sagte Samuel Lovegood und setzte sich auf die Armlehne.

"So doll."

"Ja."

"Es war so böse."

"Ja."

"Ist es weg?"

"Ja."

"Aber das andere ist noch da."

"Ja."

"Wird es weggehen?" Luna sah auf. "Ich will nicht, dass es weggeht. Es ist alles Liebe von Mama."

"Ich weiß. Vielleicht bleibt es auch für immer." Samuel Lovegood zögerte. "Wenn Du es nicht weggibst, bleibt es für immer."

"Ich passe darauf auf."

"Mach das." Samuel Lovegood strich Luna über ihr Haar, das so unwirklich golden wirkte und so stumpf.

Luna rutschte von dem Sessel, die Decke glitt zu Boden. Sie ging ein paar Schritte und setzte sich dann hin. Ihre Hand griff nach einer Schere. "Papa, wieviele Beine haben eigentlich Schrumpfhörnige Schnarchkackler?"

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Hinweis: Ich weiß, ich habe im ersten Kapitel gesagt, dass es drei Kapitel werden. Es fehlt allerdings noch eins, womit es also vier werden werden. Ich bitte noch um ein kleines wenig Geduld.