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Kapitel 5: Zurück

Akime war Sesshoumaru über alle Maße dankbar. Er hatte zwar ihre Heimat zerstört, doch er hatte sie vor den Banditen gerettet, er hatte sich um sie gekümmert und war für einen Youkai immer freundlich zu ihr und er hatte sie getröstet, als sie ganz verzweifelt gewesen war und den Willen zu leben aufgegeben hatte. Doch das Wichtigste war, dass es ihm ganz egal war, ob sie nun entehrt war oder nicht. Er liebte sie ganz wie sie war und sie erwiderte seine Gefühle. Obwohl er nur ihr gegenüber seine warme Seite zeigte, war sie sich sicher, dass er eines Tages damit aufhören würde, sich Schichten aus Eis anzulegen und sich wie ein Molluske in seiner Muschel zu verkapseln.

Am Tag nach jener Nacht am Flussufer hatten sie die Meeresküste erreicht und versuchten, bis zu den Knien im Wasser stehend, das andere Ufer zu erspähen. Vergeblich. Doch etwas Anderes hatten sie auch nicht erwartet. Zumindest nicht vom normalen Blick. Die beiden bemühten sich, ihr drittes Auge zu öffnen und einen Anblick zu Gesicht zu bekommen, den sie noch nie erlebt hatten. Ob sie es schließlich geschafft hatten, wussten selbst sie nicht zu sagen, doch sie erinnerten sich später noch gerne an dieses Erlebnis. Der Wind spielte mit ihrem Haar und als er bemerkt zu haben schien, was diese so verschiedenen Wesen für einander empfanden, vermischte er die weißen und schwarzen Strähnen zu einem unergründlichen Grau, zu sich immer wieder aufbäumenden Wogen, als wolle er somit die See nachahmen. Akimes Hand ruhte in der warmen Klaue von Sesshoumaru und sie wünschte sich vom ganzen Herzen, dass dieser Augenblick niemals enden möge. Die Hime war nun frisch und erfüllt von neuem Leben und lachte hell, als ein besonders starker Windhauch ihr ins Gesicht bließ und ihr kurz den Atem raubte. Der Youkai schaute sie an und lächelte. Dieser Moment war auch für ihn der glücklichste in seinem Leben.

"Sesshoumaru", wandte sich das Mädchen an ihren mächtigen Beschützer, "du wirst doch immer bei mir bleiben, oder?"

"Jaah...", antwortete er. "Und du?"

"Ich auch, selbst wenn der Tod mich hinwegrafft", sagte sie glücklich. "Meine Seele bleibt bei dir. Für immer und ewig."

"Danke für deine Worte", murmelte Sesshoumaru, jedoch nicht laut genug, um das Heulen des Windes und das Getose der Wellen zu übertönen. Er wusste, dass sie viele Jahrhunderte vor ihm sterben würde und diese Worte würden ihm helfen, über ihren Tod hinwegzukommen, einen ihm noch unbekannten Schmerz zu verkraften.

Sie hätten noch lange so dastehen können, doch die scharfen Augen des Youkai entdeckten in der Ferne grimmige Gewitterwolken, die der Wind von der Unendlichkeit der See zum Festland trieb. Ein schwacher Geruch von Regen lag bereits in der Luft. Sesshoumaru seufzte. Dieses wunderschöne Erlebnis würde also schon bald sein Ende finden. Er sah wieder zu Akime und schlug ihr vor, aufzubrechen, um vor dem Gewitter noch eine sichere Zuflucht finden zu können. Die junge Frau nickte, wenn auch widerwillig, und die beiden gingen Hand in Hand weiter nach Norden.

Schon bald löste sich die Hime aus dem Griff des Daiyoukai und begann, im Gehen verträumt zu tänzeln. Sesshoumaru schaute ihr gerne zu und vergaß dabei beinahe, nach einem Schutz vor dem Gewitter Ausschau zu halten.

"Hachi!", machte Akime unvermittelt und schlug sich eine Hand vor die Nase. Sesshoumaru war bei diesem plötzlichen Geräusch kaum merklich zusammengezuckt und musterte seine Gefährtin nun aufmerksam. Zufällig wusste er, was das Niesen bei Menschen zu bedeuten hatte.

"Hast du dich erkältet?", fragte er halb fürsorglich, halb kühl, denn er wollte sich nur ungern durch eine Krankheit aufhalten lassen.

"Es geht schon", meinte Akime. "Ich habe nur ein bisschen Schnupfen."

Doch Sesshoumaru ließ sich von diesen Worten nicht einlullen, denn er hatte schon eine gewisse Vorahnung, die am Abend auch bestätigt wurde: Akimes Nase triefte und sie versuchte vergebnich, den Schleim wieder einzusaugen. Der Youkai bemühte sich darum, sich an alles, was er über diese Krankheit wusste, zu entsinnen. Es fiel ihm nicht besonders viel ein, nur dass Menschen bei einer Erklätung Fieber bekommen könnten. Ohne viel Umschweife drückte er seine Hand gegen ihre Stirn und merkte, dass sie ungewöhnlich warm war. Das brachte ihn dazu, nur noch tüchtiger nach einem Unterschlupf zu suchen. Und bald fand er es: eine hübsche, saubere Höhle mit einem schönen Ausblick auf das Meer.

Während Akime sich in der Höhle häuslich einrichtete, stellte sich der Youkai einer weiteren Herausforderung: Obwohl er von Heilmitteln nichts verstand, suchte er nach irgendwelchen Kräutern, die der Hime helfen könnten, wieder gesund zu werden. Dabei entdeckte er einige heilsam riechende Blätter, aber da er nicht wusste, was man mit ihnen anstellen sollte, ließ er sie liegen.

Als er mit leeren Händen wieder zurück kam, fand er Akime, in ihre Decke gehüllt, an einem gemütlichen Feuer vor. Sie fröstelte ein wenig, doch ansonsten wirkte sie ganz munter. Er befühlte wieder ihre Stirn und stellte fest, dass das Fieber gestiegen war.

"Wo warst du?", wollte sie neugierig wissen, als er die Hand wieder wegnahm.

"Ich habe nach einem Heilmittel für dich gesucht, aber leider nichts gefunden", sagte er beiläufig, während seine Augen ihr Gesicht nach weiteren Krankheitsanzeichen absuchten.

"Das wäre doch gar nicht nötig gewesen!", rief sie und errötete leicht. Sie mochte es, wenn der Youkai so fürsorglich war. Das machte ihn irgendwie menschlicher. Doch sie beschloss, es für sich zu behalten, denn sonst könnte er es sich ja anders überlegen und seine gute Seite auch vor ihr verbergen.

"Du bist krank und das hält mich auf meinem Weg auf", erwiderte Sesshoumaru, ein wenig kühler als er es eigentlich wollte.

"Oh." In Akimes Stimme schwankte ein kleines bisschen Enttäuschung mit. "Das... das war aber trotzdem lieb von dir." Die Röte, die kurz verschwunden war, machte sich wieder auf ihrem Gesicht breit. Sesshoumaru biss sich verlegen auf die Lippe. Was waren das denn für Neuigkeiten! Ein Mensch wagte es, ihm gegenüber so etwas auszusprechen? 'Aber egal', dachte er. Ihre sanften Worte klangen einfach zu angehem in seinen Ohren.

Er stand auf ging zum Höhleneingang, um dort für alle Fälle Wache zu halten. Er kannte dieses Gebiet nicht und wusste deshalb auch nicht, was für Gefahren hier lauerten. Akime wünschte ihm noch eine gute Nacht und machte es sich unter ihrer Decke gemütlich. Sie war ganz zuversichtlich bezüglich ihrer Erkältung und war sich sicher, dass sie nicht schlimm war und am nächsten Tag wieder weg sein würde. Doch sie hatte sich getäuscht: Als sie aufwachte, konnte sie vor Schnupfen kaum atmen und ihre Nase schien jeden Moment platzen zu müssen. Sie fühlte sich merkwürdig schwach und sehnte sich nur noch danach, wieder einzuschlafen und diesen halbwachen Albtraum hinter sich zu lassen.

Sesshoumaru, der ihren Zustand witterte und spürte, kniehte sich neben sie hin und prüfte ihr Fieber. Es war gestiegen und ihre Stirn schien zu glühen. In ihrem Gesicht glitzerten unzählige Schweißperlen. Irgendwo hatte der Youkai gehört, dass man Erkältete gut warmhalten muss und da er keine zweite Decke für sie hatte und es nicht wagte, sie in einem solchen Zustand ohne Aufsicht zu lassen, um eine weitere Decke zu besorgen, beschloss er, ihr von seiner eigenen Körperwärme so viel wie er nur konnte abzugeben. Dazu legte er seine harte und abweisende Rüstung ab und platzierte die Hime an seiner Seite, seinen hellen Pelz und den rechten Arm um sie geschlungen. Halb schlafend kuschelte sie sich an ihn. Um mögliche Feinde machte sich Sesshoumaru keine Gedanken mehr. Die ganze Nacht über hatte niemand die beiden gestört und er glaubte nicht, dass jemand sie noch überfallen würde.

Eine halbe Ewigkeit schien verstrichen zu sein, als Akime ihre müden Augen wieder öffnete. Sesshoumaru nahm eine Frucht von ihren Vorräten, die sie in der Nähe abgelegt hatte und rechte sie ihr.

"Ich habe keinen Hunger", sagte sie schwach und lächelte matt.

"Du hast den ganzen Tag lang nichts gegessen", widersprach er und schob ihr die Frucht in den Mund.

Für eine Weile herrschte Stille, während Akime gehorsam an ihrem Essen kaute. Sobald sie es endlich runtergeschluckt hatte, lächelte sie dankbar und nuschelte: "Du bist echt süß, wenn du dich um mich sorgst, weißt du?"

"Youkai sind nicht süß", brummte Sesshoumaru und lief bis zu den weißen Haarwurzeln rot an, sodass seine Streifen im Gesicht kaum noch zu erkennen waren. Es war zwar ein liebes Kompliment, aber er flehte zu allem, was heilig ist, dass es niemals an die Öffentlichkeit dringen möge.

"Doch", beharrte das Mädchen und sank wieder ins Reich der Träume, sodass er darauf nichts erwidern konnte und diese Tatsache hinnehmen musste, ob er es wollte oder nicht.

Am nächsten Morgen ging es Akime wieder besser und da sie Sesshoumaru nicht noch länger aufhalten wollte, meinte sie, sie sei gesund genug, um die Reise fortzusetzen. Der Youkai schien das auch so zu sehen und die beiden brachen gegen Mittag auf. Das Meer ließen sie schon bald hinter sich, als sie nach Westen abbogen.

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Die Rückreise zum Lager von Inutaishous Heer verlief gut und schnell. Je näher sie sich dem Kriegsgebiet näherten, desto mehr Youkai liefen ihnen über den Weg. Sie alle verbeugten sich ehrfürchtig vor den ältesten Sohn ihres Herrn, der für sie nur tiefgefrorene Blicke übrig hatte. Akime wurde dagegen mit großer Neugier betrachtet. Sesshoumarus Untertanen konnten es nämlich nicht verstehen, wie ein so hochrangiger Youkai wie er sich mit einem Menschenmädchen abgab. Die meisten kamen deshalb zu dem Schluss, sie sei für ihn entweder eine Art "Spielzeug" oder ein lebender Essensvorrat, für den Fall, dass er Lust auf Frischfleisch bekäme und keins da wäre. Sesshoumaru waren diese Theorien nur recht. Keiner durfte von seinen Gefühlen für sie erfahren.

Er fand nebenbei auch heraus, dass der Krieg vor kurzem beendet wurde und Inutaishou der Sieger war und Oyakata, den Anführer des Hyouneko-Stamms, eigenhändig in einem Zweikampf getötet hatte. Sesshoumaru war sehr stolz auf seinen Vater und stolzierte würdevoller denn je.

Für Akime war das Ganze weniger vergnüglich. Ihr entging es nicht, dass viele der unbekannten Youkai sie hungrig anstarrten. Sie lief möglichst nah an Sesshoumaru und hielt sich nur mit Mühe davon ab, sich an ihn zu klammern. Das hatte er ihr nämlich strengstens verboten, damit die Wahrheit nicht ans Licht gebracht wurde.

Als sie nun endlich das Lager erreichten, begab sich Sesshoumaru sofort zu Inutaishous Zelt. Akime, die ihm gehorsam hinterhertrottete, staunte über die Größe des Lagers, das jetzt abgeräumt wurde. Wie schon bei den früheren Begegnungen mit fremden Youkai fühlte sie sich recht unbehaglich, obwohl sie zugleich genau wusste, dass jeder, der es wagte, seine Klauen nach ihr auszustrecken, Sesshoumarus Dokkaso zu schmecken bekommen würde. Er hatte laut verkündet, sie sei seine Beute und dürfe nicht ohne seine ausdrückliche Erlaubnis angefasst werden.

Sobald sie am Zelt des Heerführers angekommen waren, vor dem das Banner des wetlichen Hundeclans wehte, traten sie ein. Sesshoumaru bedeutete seiner Gefährtin, am Eingang stehen zu bleiben. Er selbst ging auf seinen Vater zu und verbeugte sich. Inutaishou hatte seinen Sohn bereits erwartet und hieß ihn herzlich willkommen. Nach einem höflichen Wortwechsel, wie die Etikette es verlangten, erklärte Sesshoumaru, Akime sei seine Beute, die er gern am Leben lassen und mit ins Schloss seines Vaters nehmen würde. Was den Grund dafür betraf, so sagte er, könne der Youkailord ihn sich denken. Die einen anwesenden Youkai interpretierten das als eine Bestätigung für die Gespielin-Theorie, denn schließlich lief ein so schönes Mädchen einem nicht jeden Tag über den Weg. Die anderen waren ganz ratlos und konnten sich keinen Grund dafür ersinnen. Was Inutaishou betraf, so war es schwer zu sagen, was er darüber dachte. Sesshoumaru hatte den leisen Verdacht, sein Vater habe ihn durchschaut.

Von nun an lebte Akime im Schloss des großen Inutaishou. Sie hatte vollkommene Bewegungsfreiheit und es mangelte ihr an nichts, dennoch fühlte sie sich unwohl. Obwohl die Youkai, die dort lebten, den Befehl hatten, sie gut zu behandeln, entgingen ihr deren Veracht und Argwohn nicht. Außerdem fühlte sie sich dort gefangen und angekettet und vermisste ihre Familie und ihr Zuhause immer mehr. Am liebsten hielt sie sich mit Sesshoumaru im Garten auf, wo sie meistens schweigsam spazierten. Doch das kam äußerst selten vor, denn der Youkaiprinz distanzierte sich von ihr, um keinen Verdacht zu erwecken, er würde für sie tatsächlich etwas empfinden. Deshalb bekam sie ihn nicht mehr so oft zu Gesicht, wie sie es sich wünschte.

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Eines Tages, genaugesagt zwei oder drei Monate nach ihrer Ankunft, suchte sie Sesshoumaru in seinen Privatgemächern auf. Dieser war gerade in irgendwelche Studien vertieft. Er trug einen schlichten, blauen Kimono und sein weißes Haar war zu einem langen Zopf geflochten. Der Youkai blickte überrascht auf, als seine spitzen Ohren vernahmen, wie Akime die Tür beiseite schob.

"Ähm...", begann sie etwas verlegen. "Kann ich dich um einen Gefallen bitten?" Er sah sie überrascht an und sie interpretierte dies als Zeichen dafür, dass sie fortfahren sollte. "Es ist schon so lange her, dass du mein Zuhause zerstört hast. Ich wollte dich nur darum bitten, dass du mich kurz wieder nach Hause bringst."

"Was willst du da?", fragte er und zog verwundert seine Brauen hoch.

"Den Toten einen Besuch abstatten", sagte sie leise. "Ich vermisse sie. Und ich weiß, dass ich hier nicht willkommen bin. Ich will nur kurz zu jenem Ort zurückkehren, wo ich mich einst wohl gefühlt habe."

Wieder wurde Sesshoumaru von Gewissensbissen gepeinigt. Es war ihm nicht entgangen, was seine Untertanen von der Hime dachten. Doch war konnte er tun? Sie hatte kein Zuhause mehr und das seine befand sich hier, im Schloss seines Vaters. Sie zu den Ruinen ihres zerstörten Heimes zu begleiten, war eins der wenigen Dinge, die er zu ihrem Trost tun konnte. Er nickte zustimmend und am nächsten Tag machten sie einen Ausflug.

Dank seiner Youkai-Kräfte waren die beiden schon nach zwei Stunden an ihrem Ziel angelangt. Ein Nachbar und Verbüdeter von Akimes Vater hatte von dem Unglück gehört und, nachdem die Gefahr vorüber war, für eine Beerdigung gesorgt. Zahllose Pflanzen rankten sich nun an den zerstörten Mauern empor und mitten in der neuentstandenen Wildnis befanden sich die Gräber. Die Grabhügel des Fürsten und seines Sohnes Shigeru ragten über allen anderen auf. Die Hime ließ sich vor ihnen nieder und begann zu beten, während Sesshoumaru sich gegen eine von Ranken überwucherte Säule lehnte und ihr dabei zusah.

"Musst du mich jetzt verlassen?", fragte er traurig, als sie ihr Gebet beendet hatte. "Du musst ja schließlich dafür sorgen, dass dein Geschlecht nicht ausstirbt."

"Dafür wurde bereits gesorgt", sagte sie mit einem milden Lächeln. Sesshoumaru setzte eine leicht überraschte Miene auf und sie erklärte: "Erinnerst du dich an jene Nacht am Flussufer? Ich bin schwanger." Sie strich sich sanft über den Bauch.