Hier kommt auch das letzte Kapitel. Ich bedanke mich ganz herzlichfür eure Reviews! Sie werden mir fehlen, weil sie so lieb waren und ich für die nächste Zeit nichts zu posten habe. -schnief-
Kapitel 6: Verwandlung
Für Akime waren es die glücklichsten Monate in Inutaishous Youkaischloss, denn seit Sesshoumaru von dem Kind, das sie in ihrem Leib trug, wusste, begleitete er sie auf Schritt und Tritt. Was die anderen dachten, war ihm egal. Für ihn gab es nur noch Akime und das Kind. Ihm lief ein Schauer über den Rücken beim Gedanken daran, dass er bald Vater sein würde. Kein Zweifel, der Junge oder das Mädchen würde bezaubernd schön aussehen, wie die Eltern. Der Youkai schwelgte die ganzen Monate über im siebten Himmel. Er hatte das überwältigende Gefühl, dass ihm Flügel gewachsen seien und er verspürte den ungeheuerlich starken Drang danach, seine Schwingen auszubreiten und sich wie ein Vogel in die Lüfte zu erheben. Doch zugleich war er auch sehr aufgeregt: Wird das ein Sohn oder eine Tochter? Wie fühlte es sich an, Vater zu sein?
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis der langerwartete Tag der Geburt kam. Sesshoumaru hatte einigen weiblichen Youkai befohlen, Akime zu helfen. Er selbst marschierte vor dem Gemach der Hime ungeduldig hin und her und lauschte besorgt dem Lärm mehrer Frauenstimmen, der durch die Tür drang. Am liebsten hätte er die Tür eingetreten und ins Gemach gestürmt, um seiner Geliebten beizustehen. Von seiner Nervosität bekam er schon fast unerträgliche Kopfschmerzen.
Und dann geschah es: Der Lärm verstummte und eine gespannte Stille trat ein. Langsam und behutsam wurde die Tür aufgeschoben und Yoshiko, Sesshoumarus jüngere Cousine, trat mit steinerner Miene vor ihn. Dass sie keine Gefühle zeigte, hatte er erwartet, denn da sie Akime gegenüber eher negativ gesinnt war, war ihr auch das Ergebnis der Geburt egal. Dass er an ihrer Miene nichts ablesen konnte, machte das Ganze nur noch spannungsgeladener. Der Youkai hätte sich fast wie ein wild gewordenes Raubtier auf sie geworfen, so sehr brannte in ihm die Ungeduld.
"Und?" Er versuchte seine Augregung zu unterdrücken, damit seine Stimme nicht zitterte.
"Sie war zu schach", berichtete Yoshiko sachlich, "und ist deshalb bei der Geburt gestorben."
Für Sesshoumaru brach die Welt zusammen. Zuerst konnte er seine Verwandte nur fassungslos anstarren. Nein... nicht seine Akime... die er doch so sehr liebte... Sein Herz schien zu zersplittern, wie ein Gefäß, das man erbarmungslos zu Boden geschmettert hatte. Die Scherben glitten durch seinen Körper, zerschnitten sein Fleisch. Tränen schossen ihm in die Augen, seine Finger spreizten sich, wie zu einem Klauenangriff, und er presste seine Zähne zusammen.
"Und das Kind?", erkundigte er sich mit bebender Stimme.
"Sie starb, bevor sie es entbunden hatte", antwortete die junge Youkai. "Demnach ist es jetzt auch tot." Als hätte sie ihrem Cousin gerade eine alltägliche Geschichte erzählt, schwebte sie mit ihrem leichten Schritt davon.
Das war zu viel für ihn. Viel zu viel. Er stürmte in das Gemach, jagte die restlichen Helferinnen hinaus und begann hysterisch zu toben. Er zerstörte alles, was ihm in den Weg kam, ohne auf den Schaden zu achten, den er dabei sich selbst zufügte. Er spürte keinen Schmerz mehr. Er wollte nur die gigantische Welle, die in ihm aufgestiegen war, loswerden.
Als endlich alles in dem Gemach in Schutt und Asche lag, brach Sesshoumaru erschöpft zusammen und kam langsam zu sich. Er hob seinen Blick und sah das einzige unberührte Fleckchen: die Stelle, wo Akime lag. Die Woge der Wut legte sich und eine neue Welle von Tränen füllte seine Augen. Langsam erhob er sich und ließ sich neben seiner toten Geliebten nieder. Ihr Gesicht war ruhig und friedlich, die Augen geschlossen, als würde sie schlafen.
"Du sagtest, du würdest für immer bei mir bleiben", flüsterte er und streichelte sanft ihr Gesicht. "Warum gehst du gerade jetzt?" Er ließ seinen Gefühlen und Tränen freien Lauf, denn nicht einmal sein starker Youkaiwille vermochte es, diese zurückzuhalten. Tränen flossen über sein Gesicht und schienen niemals enden zu wollen. Dann, es kam ihm wie nach mehreren Jahren vor, trocknete er sich das Gesicht ab, neigte sich zu ihr und küsste sie ein allerletztes Mal. Ihre Lippen waren kalt.
Darauf erhob er sich und floh in sein eigenes Gemach. Er hatte den Kopf gesenkt und sich das Haar ins Gesicht fallen lassen, damit niemand seine vor lauter Tränen rot angelaufenen Augen sah. Doch es brachte nichts, denn seine bedrückte Haltung verriet alles.
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Die wütenden Flammen verzehrten Akimes Leichnahm. Dieser lag auf einem niedrigen Podest aus aufgetürmtem Holz. Die Hime war so schön wie immer: Das weiche Haar war über ihre Brust ausgebreitet, ihre Miene sanft, die schlanken Hände ordentlich zusammengefaltet. Der rote Feuerschein tanzte auf ihrem Gesicht und machte es nur noch bezaubernder. Doch Sesshoumaru sah das alles nicht. Er nahm nur den Scheiterhaufen vor sich wahr und konnte hinter den feurigen Zungen nur eine langsam verbrennende Gestalt erkennen. Er war als einziger bei der Beerdigung anwesend. Zuerst hatte er sich darüber geärgert, dass niemand sonst gekommen war, als verdiene Akime keine Achtung. Doch dann war er damit nur zufrieden, denn so konnte er in Ruhe und Einsamkeit Abschied von ihr nehmen.
Unvermutet spürte er, dass jemand neben ihn trat. Er musste nicht erst nachsehen, denn diese Aura und den Geruch des Jemand kannte er ganz gut: Es war Inutaishou. Der ältere Youkai hatte seinen Sohn schon lange durchschaut und war insgeheim stolz auf ihn, da dieser seine Verachtung gegenüber den Menschen überwunden zu haben schien. Doch so, wie Sesshoumaru jetzt war, hatte selbst der Youkaifürst ihn noch nie erlebt. Niedergeschmettert, verloren. Er wusste, wie der junge Youkai sich jetzt fühlte und wollte ihm ein wenig Trost schenken.
"Du hast sie geliebt, nicht wahr?", begann er leise.
Sesshoumaru antwortete nicht. Zum Einen war er jetzt nicht in der Stimmung und hatte nicht die Kraft, über seine verstorbene Liebe zu reden, zum Anderen hatte er das eigenartige Gefühl, die Stimme verloren zu haben. Er war eigentlich geistig gar nicht da.
"Wir alle kommen und gehen", fuhr der Fürst im Flüsterton fort. "Und dann werden wir irgendwann wiedergeboren. Klammere dich nicht an Jetzt und Hier. Das gibt es nicht. Wir empfinden das nur so, weil wir in einer festen Hülle leben, die dazu bestimmt ist, irgendwann zu zerfallen. Die Seele dagegen lebt ewig. In einer Welt, in der es keine Materien gibt, sind eure Seelen immer noch zusammen, wie sie es schon eigentlich immer gewesen sind. Du hast dich bestimmt nicht zum ersten Mal in sie verliebt. Ihr wart für einander bestimmt und kanntet Euch wohl schon aus dem letzten Leben. Liebe entsteht nicht durch Zufall. Verstehst du, was ich meine?"
Sesshoumaru nickte, obwohl er Inutaishous Aussage nicht ganz begriffen hatte. Doch den Sinn hatte er erfasst: Er sollte nicht über Akimes Tod trauern, denn es war nur der Tod ihrer Hülle. Ihr Geist lebte weiter und würde für immer bei ihm bleiben, wie sie es ihm versprochen hatte. Doch wie tröstend dieser Gedanke auch war, sein Schmerz wurde nicht kleiner.
"Wäre sie kein Mensch gewesen, wäre das nicht passiert", murmelte er. "Menschen sind schwach."
"Urteile nicht, bevor das Ende der Welt heranbricht, denn bis dahin kann sich noch vieles ändern", meinte der Daiyoukai belehrend.
"Wie meint Ihr das?" Sesshoumaru blickte seinen Vater und Fürsten verwundert an. Menschen waren eine schwache Rasse, das war eine Tatsache. Was sollte sich daran denn noch ändern können?
"Unsere Zeit geht vorüber", erklärte Inutaishou mit einem traurigen Lächeln. "Die Youkai werden eines Tages aussterben und die Menschen die Welt regieren. Es hat bereits begonnen. Von ihnen werden es immer mehr und von uns immer weniger. Und eines Tages, wenn viele Jahrhunderte verstrichen sind, werden sie sogar mächtiger sein, als wir es jetzt sind."
"Das werden sie nicht", sagte Sesshoumaru, dem die Vorstellung seines Vaters überhaupt nicht gefiel. Menschen durften seiner Meinung nach zwar existieren, doch sie sollten immer schön dort bleiben, wo sie hingehörten: eine große hierarchische Stufe unter den Youkai. Er sah wieder zum Scheiterhaufen und spürte einen erneuten Stich im Herzen. So etwas würde er sich nie wieder antun. Er würde jedes Gefühl vergessen und zu einem Stein werden, damit er unverwundbar wurde. Und er würde auf diese Weise der mächtigste Youkai aller Zeiten werden, der die Menschheit verachtete und sie mit allen Mitteln daran hinderte, stark zu werden.
Die Zeit zog sich dahin, während die beiden Hundeyoukai schweigend dastanden und dem Feuer bei seinem Mahl zuschauten. Sesshoumaru fasste einen Entschluss: Er würde von hier fortgehen und durch das Land streunen, um sich von seiner Liebe zu Akime abzulenken und nach einer Möglichkeit zu suchen, sein Ziel, sehr mächtig zu werden, zu erreichen.
Sobald der Leichnahm der Hime verbrannt war, riss er seinen Blick von dem verkohlten Holz und der Asche los und begab sich zielstrebig und mit ausdrucksloser Miene in sein Gemach. Er befahl Inuchi, dem er unterwegs begegnet war, ihm seine Rüstung anzulegen. Der junge Youkai warf Sesshoumaru einen verängstigten Blick zu. Er hatte die Drohung vor nun fast einem Jahr nicht vergessen. Doch es war eigentlich der Ton des Prinzen, der Inuchi so sehr eingeschüchtert hatte. Während Sesshoumaru früher stolz und kühl geklungen hatte, war sein Ton jetzt unidentifizierbar. Er drückte nichts aus, außer der Macht des Daiyoukai, deren er sich deutlich bewusst war. Beim Klang seiner Stimme lief dem Untertan ein eiskalter Schauer über den Rücken, was er früher nicht empfunden hatte. Sesshoumaru klang jetzt geradezu... böse.
Als Inuchi fertig war, brach der Fürstensohn auf. Er war zwar in seine übliche weiße Kleidung gehüllt, doch er schien trotzdem ein dunkler Schatten zu sein. Die anderen Bewohner des Schlosses wichen vor ihm zurück, weniger aus Ehrfurcht, als aus Angst, die von einer unsichtbaren, düsteren Wolke um Sesshoumaru ausgestrahlt wurde. Er sah schön aus und doch unheimlich. Es war, als hätte er sich verwandelt.
"Du gehst ohne dich zu verabschieden?", fragte Inutaishou, der sich vor seinem Sohn aufgebaut hatte. Er hielt in den Händen ein Schwert, das der Angesprochene sofort erkannte: Tensaiga, das Himmelschwert, das hundert Leben auf einmal retten konnte. Er antwortete mit einem argwöhnischen Blick auf diese nutzlose Klinge.
"Das hier will ich dir noch mitgeben." Inutaishou reichte ihm das Schwert. "Du wirst es brauchen, um wieder der zu werden, der du eigentlich bist, nicht der, für den du dich hälst. Denn du hast ein reines Herz und es soll nicht in tobenden Wogen der Grausamkeit untergehen." Der Youkaifürst war sichtlich sehr enttäuscht von Sesshoumaru. Dieser hatte sich schon immer von allen abgegrenzt und sie für niedere Wesen gehalten. Bis er auf Akime gestoßen war. Während er mit ihr zusammen gewesen war, schien der richtige, eingekapselte Sesshoumaru zu erwachen. Doch ihr Tod hatte schwerwiegende Folgen, denn Inutaishou war sich sicher, dass es nicht nur seine Behauptung, die Menschen würden mächtiger werden, seinen Erben dazu gebracht hatte, zu einem unerschütterlichen Felsen zu werden. Er dachte eher, dass Sesshoumaru stärker als alle anderen werden wollte, um alle Gefühle aus sich verbannen zu können, die er vorerst nur fesselte. Der Daiyoukai kannte seinen Sohn schließlich am besten, vielleicht besser als Sesshoumaru selbst. Denn jener war noch jung und verstand noch sehr viel schlecht oder gar nicht. Er würde auf seinen Reisen viel lernen und bestimmt die Ketten um seine weiche Seite irgendwann lösen.
Sesshoumaru mochte das stumpfe Erbstück zwar nicht, doch er nahm es dennoch an sich, denn es war der Wille seines Vaters. Dann schritt er wortlos davon, gefolgt von den erschütterten Blicken der Bewohner des Schlosses, die ihm noch lange regungslos nachschauten.
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Der Daiyoukai war schon mehrere Wochen lang unterwegs, als er in eine sumpfige Gegend kam. Überall war Schlamm und aufgeweichte Erde und es roch einfach fürchterlich. Doch er freute sich im Stillen darüber, denn es war eine gute Ablenkung von seinen Erinnerungen an Akime, die er um jeden Preis vergessen wollte. Immer wieder ertappte er sich dabei, wie er an sie dachte und das Gefühl nicht loswurde, dass sie bei ihm war und nicht zuließ, dass er das wurde, was er werden wollte: ein gewaltiges Grauen, vor dem die Welt erzittert.
Ihm war es aufgefallen, dass es ihm inzwischen nichts ausmachte, alleine zu sein. Im Gegenteil: Je weiter weg das menschliche Gesindel war, desto besser. Er wollte einen solchen Dreck nicht in seiner Nähe haben, das Anspruch darauf erhob, einmal mächtiger zu sein als die Youkai. Außerdem bekam auf diese Weise niemand mit, wie er manchmal kurzzeitig in seinen Erinnerungen an Akime geistig davonschwebte.
Plötzlich hörte er in der ganz Nähe ohrenbetäubenden Lärm: Schreie, das Klirren von Waffen, das unverwechselbare Geräusch einer Schlacht. Es kam aus den Sümpfen unmittelbar vor ihm. Er beschleunigte seine Schritte ein wenig, denn in ihm brodelte heiße Neugier auf. Eigentlich gingen ihn fremde Schlachten ja nichts an, aber wer weiß, ob er nicht vielleicht dort etwas vorfinden würde, das für ihn interessant sein könnte.
Der Lärm wurde immer lauter und bald stieß er auf einen besonders großen und üppig bewachsenen Sumpf und als er erkannte, was da vor sich ging, musste er ein vergnügtes Glucksen unterdrücken. Dort, inmitten von Schlamm, Wasser und Pflanzen, kämpfte eine erbitterte Armee von kleinen Krötenyoukai gegen ein großes Monster. Eine Weile sah der Hundeyoukai dem Geschehen amüsiert zu und beschloss, den schwachen Kröten seine Macht zu demonstrieren. In wenigen Augenblicken war das Monster venichtet. Das Krötenheer starrte den unerwarteten Retter mit großen Augen an, doch keiner wagte es, etwas zu sagen. Sesshoumaru kümmerte das nicht und er spazierte stolz weiter.
Kurze Zeit später merkte er aber, dass ihm jemand folgte. Eine Bedrohung ahnend, wirbelte er herum. Nur mit Mühe erwürgte er seine Verwunderung. Einer dieser Sumpfbewohner war ihm doch tatsächlich gefolgt! Die Kröte kam auf ihn zugestürmt, warf sich vor ihm auf die Erde und rief: "O Ihr edler Herr, dessen Namen ich nicht kenne! Ich bin der König der Krötenvolkes, das Ihr gerade gerettet habt. Als Dank für Eure Hilfe biete ich Euch meine Dienste an. Jaken ist mein Name."
Sesshoumaru schaute den Monarchen, der mit seiner grünen Haut und den riesigen, gelben Augen, überhaupt nicht wie ein König aussah, gleichgültig an, wandte sich um und setzte seinen Weg fort. Der Krötenyoukai sprang auf und rannte ihm hinterher. Bald begann er schwer zu keuchen, in seinen Bemühungen, mit seinen kleinen Beinchen mit Sesshoumaru Schritt zu halten.
"Wie soll ich Euch nennen, werter Herr und Gebieter?", wagte es der kleine König zu fragen.
"Ich heiße Sesshoumaru", sagte der Daiyoukai, ohne den niederen Youkai anzusehen.
"Es ist mir eine Ehre, Sesshoumaru-sama!", rief Jaken aufgeregt.
