Kapitel 7 – Zurück in Hogwarts

Harry hatte eine schlimme Nacht. Schon bald nachdem Madame Pomfrey auch Ginny mit unmissverständlichen Worten „… mein Patient, ich weiß am besten, was gut für ihn ist…" aus dem Krankenflügel vertrieben hatte, fiel er schon früh am Abend in einen erschöpften, ruhelosen Schlaf.

Wieder einmal träumte er von Snape, wie er in einem dunklen Kerker mit Draco zusammen über alten Büchern saß. Doch dann wurde der Traum wirr. Snape attackierte einen Mann mit Turban, doch als dieser von einem Blitzstrahl aus Snapes Zauberstab getroffen wurde, verwandelte er sich in eine Schlange, fiel zu Boden und verschwand. Dann verschwammen die Bilder und Harry sah Dumbledore in seinem Traum, glücklich und lächelnd mit seinem glänzenden, silbernen Bart und silbernen Haaren. Doch dann erstarrte Dumbledore, etwas war in seinem Mund und er wurde bleich, er schien in Sekunden zu altern, schließlich sackte er in sich zusammen. Snape erschien wieder in dem Traum, er trat auf den niedergesunkenen Dumbledore zu und schickte einen grünen Strahl aus seinem Zauberstab auf ihn zu. Bevor der Strahl Dumbledores Brust traf, verschwammen die Bilder erneut. Harry fand sich wieder in einem ihm mittlerweile wohlbekannten Wald. Malfoy und Snape standen nahe eines Feuers, an dem sie sich wärmten. Harry wusste, was er in seinem Traum als nächstes tun würde. Wie schon unzählige male zuvor, würde er erst Malfoy töten und dann Snape. Er legte wieder einmal auf Malfoys Rücken an und zielte, doch bevor er die Worte des tödlichen Fluchs in seinem Traum sagen konnte, hörte er eine vertraute Mädchenstimme flüsternd sagen „Tu das nicht, Harry!". Harrys Zauberstab senkte sich langsam, doch richtete sich dann auf Snape. Die Bilder verschwammen ein weiteres Mal und vergingen in gleißendem Licht.

Harry wachte schweißgebadet und mit einem unterdrückten Schrei auf. Er keuchte und sein Atem flatterte, als wäre er eben wirklich wieder im Wald mit Malfoy und Snape gewesen. Doch diesmal war etwas anders gewesen als in all den Träumen zuvor. Irgendjemand oder irgendetwas hatte ihn daran gehindert, Malfoy hinterrücks zu töten. Harry atmete tief durch und ordnete seine Gedanken. Malfoys Zauberstab war damals auf dem Turm ebenfalls gesunken, als er auf Dumbledore angelegt hatte. Er hatte es nicht gekonnt, Malfoy hatte Dumbledore nicht töten können, genau wie er jetzt Malfoy in seinem Traum nicht töten konnte.

Harry richtete sich im Bett auf und seine Gedanken fokussierten sich auf Snape am Lagerfeuer und beim Studium der Bücher mit Malfoy. Irgendetwas war ihm entgangen, ein Zipfelchen zerrte an seinem Verstand wie das unbestimmte Gefühl, etwas vergessen zu haben, etwas, das mit Snape zu tun hatte. Nur was? Dann erhellte sich Harrys Mine und er wusste wieder was es war: Snapes Buch, das Zaubertränkebuch, das Buch des Halbblutprinzen, das immer noch im Raum der Wünsche sicher versteckt war. Er wusste nicht genau, warum er es für wichtig hielt, doch wenn es noch mehr von Snapes Geheimnissen beinhaltete, war es sicher von großem Nutzen.

Harry sprang aus dem Bett, er biss kurz auf die Zähne, als er in seiner linken Seite immer noch einen stechenden Schmerz verspürte, doch Aufregung mischte sich in seine Gefühle und ließ das dumpfe, schmerzliche Pulsieren verschwinden.

Er warf sich einen Morgenmantel über

und machte sich auf zum Raum der Wünsche im siebten Stock. Der Tarnumfang war leider bei Borgin & Burkes verbrannt, er musste also Acht geben, dass ihn niemand sah. Auch nicht Filchs Katze, Misses Norris oder Peeve oder einer der anderen Hausgeister. Schüler oder Lehrer hatte er wohl kaum zu befürchten. Es war mitten in der Nacht, vielleicht vier Uhr morgens.

Schließlich erreicht er die Wand, hinter der sich der Raum der Wünsche verbarg und er sprach im Auf- und Abgehen „Ich brauche den Raum, in dem ich mein Zauberbuch versteckt habe, ich brauche den Raum, in dem ich mein Zauberbuch versteckt habe" und ein letztes mal „Ich brauche den Raum, in dem ich mein Zauberbuch versteckt habe".

Er sah zur Wand und erkannte nun eine Tür. Der Raum war erschienen. Mit klopfendem Herzen öffnete er die Türe und trat ein.

Fast alles war, wie er es beim letzten Mal verlassen hatte. Was Generationen von Schülern und Lehrern in Hogwarts hier versteckt hatten, lag unverändert vor ihm. Doch rechts erkannte er ein zertrümmertes Möbelstück. Achja, das Verschwindekabinett, aus dem die Todesser von Borgin & Burkes hierher kamen. Ein schmerzhafter Stich durchfuhr Harry bei dem Gedanken an jene Nacht. Jemand vom Orden des Phönix wird es wohl zerstört haben. Eine Axt mit blutverschmiertem Spaltkopf steckte noch immer in dem Möbel. Hier würde niemand mehr aus dem Kabinett steigen können und wohl auch das Gegenstück bei Borgin & Burkes war vernichtet.

Harry ging weiter zu dem Gang, in dem er sein Zaubertränkebuch versteckt hatte und schon nach kurzer Zeit fand er den Schrank, in dem es lag. Mit zitternder Hand holte er es hervor. Das Buch mit dem Wissen eines Mörders, Snapes Wissen.

Eilig ging er zurück zum Krankenflügel und hatte auch diesmal Glück. Kein Geist und auch sonst niemand sah ihn dabei.

Zurück in seinem Bett bemerkte er, wie sehr ihn sein kleiner Ausflug angestrengt hatte. Die Ereignisse und schweren Verletzungen, die er sich im Kampf bei Borgin & Burkes zuzog, forderten noch immer ihren Tribut. Doch das hielt ihn nicht davon ab, den Rest der Nacht im Zaubertränkebuch zu lesen, um hinter die Geheimnisse Snapes zu kommen.

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Langsam zog der Tag herauf und Harry brauchte nicht länger seinen leuchtenden Zauberstab, um im Buch des Halbblutprinzen zu lesen. Doch nachdem die Sonne aufgegangen war, dauerte es nicht lange und Ginny erschien im Krankenflügel.

„Guten Morgen, Harry", sie trat nahe an ihn heran und gab im einen flüchtigen Kuss.

„Hallo Ginny", lächelte er zurück.

„Ich hab dir was zu essen mitgebracht", sagte Ginny und hielt ihm ein paar frische Brote und einen Apfel hin.

„Oh, vielen Dank, ich hab wirklich Hunger", und so war es tatsächlich. Beim Lesen war ihm das gar nicht aufgefallen.

Mit großem Appetit verschlang er die Brote als Ginny fortfuhr:

„Ron und Hermine kommen gleich, sie haben ein Versteck für dich gefunden, wen sie kommen, müssen wir uns beeilen. Die anderen schlafen noch und sollen dich nicht sehen, wenn wir übers Gelände laufen. Ich hab dir ein paar Sachen zum Anziehen mitgebracht."

„Solange es nicht Rons alter Festumhang ist…", erwiderte Harry. Ginny kicherte.

„Nein nein, ganz normale Sachen und ein Umhang", sie legte ihm die Sachen aufs Bett und dreht sich ein wenig weg, als wolle sie ihm ein wenig Privatsphäre beim Anziehen gewähren. Harry entledigte sich des Schlafanzuges, den er getragen hatte und schlüpft in die Kleider, die sie ihm mitgebracht hatte. Nicht ohne zu bemerken, dass Ginny immer wieder verstohlene Blicke über ihre Schulter zu ihm rüber warf.

Gerade als er fertig war, betraten Ron und Hermine den Krankenflügel und begrüßten ihn.

„Morgen Harry!", kam es von Ron, doch noch bevor er seinen Gruß erwidern konnte hörte er schon von Hermine nervös:

„Schnell, schnell, wir haben keine Zeit!", und wie beiläufig „Hallo Harry, wir müssen dich schnell in die Heulende Hüte bringen, bevor die ganz Schule aufwacht."

„Die Heulende Hüte ist also das Versteck?", fragte Harry.

„Ja, genau, ist perfekt oder? Alle haben immer noch Angst vor ihr. Keiner traut sich hin und wenn jemand dort etwas merkwürdiges sieht, hält er es für einen Spuk", sagte Ron grinsend.

„Stimmt, ihr habt Recht, da wird mich niemand finden. Dann mal los", kam Harrys Antwort und die vier machten sich auf den Weg.

Unbemerkt verließen sie das Schloss und schlugen den Weg ein zur peitschenden Weide. Dort angekommen, stocherte Ron mit einem aufgegabelten, langen Ast gegen den speziellen Punkt am Stamme der Weide und ihr bedrohlich schwingenden Äste erstarrten.

Nacheinander schlüpften die vier am Fuße der Weide in den Geheimgang, der zur Heulenden Hüte führte. Dort angekommen, sah es noch so aus wie vor etwas mehr als 3 Jahren. Ein altes Bett, Tapete blätterte von den Wänden, ein alter Tisch mit ein paar krummen Stühlen und überall Staub und Spinnweben.

Der Gang durch das friedvoll schlafende Hogwarts und der Sonnenaufgang über den Ländereien hatte Harry neue Kraft gegeben, ihn störte der heruntergekommene Zustand seines Verstecks nicht sonderlich.

„Schön isses hier ja nicht gerade", sagte Ron zweifelnd.

„Ich weiß, ich weiß, sagte Hermine, aber im Schloss könnte Harry zu schnell entdeckt werden. Denk nur an die Hausgeister und Misses Norris, die ständig durch alle Ecken stöbern. Selbst im Raum der Wünsche könnten sie ihn finden. Da ist Harry hier viel besser aufgehoben, auch wenn es dreckig und heruntergekommen ist", erwiderte Hermine.

Harry setzte sich an den alten Tisch und zog das Medaillon hervor. Lange betrachtete er es in seiner Hand und schließlich wendeten sich auch die anderen zu ihm hin.

„Was meint ihr, wie man es zerstören kann?", fragte er in die Runde.

Stille.

„Wie hat Dumbledore den Ring zerstört?", fragte Ron.

„Ich denke, er hat ihn anlegen müssen", erwiderte Harry.

„Du willst doch wohl nicht dieses Medaillon anlegen?", schoss es aus Ginnys Mund besorgt hervor. „Wer weiß, wie Voldemort es verflucht hat", fügte sie hinzu.

„Ginny hat Recht", sagte Hermine. „Wir müssen es erst sorgsam untersuchen…"

„Ich glaube nicht, dass wir Voldemort damit beikommen können", unterbrach sie Harry. Wenn er es mit seiner Macht und seinen Fähigkeiten verflucht hat, müssen wir uns auf das Spiel einlassen, genauso wie Dumbledore es mit dem Ring und wir es ebenso in der Höhle getan haben.

Harry zog mit seinen Fingern die Kette des Medaillons auseinander, als wolle er sogleich seinen Kopf hindurch stecken.

Hermines Augen waren schreckgeweitet: „Nicht, Harry!"

Ron sah bestürzt zu Harry.

Nur Ginny schaute ihn mit ihrem harten Gesichtsausdruck an und sagte „Warte, Harry!", und ihr rechter Arm hielt seinen linken zurück.

„Ich muss dir noch etwas Wichtiges sagen, bevor du das tust", sie schaute zu ihm auf.

„Ich liebe dich, Harry!", sagte sie leise und gab ihm einen sanften Kuss auf die Wange.

„Ich liebe dich auch, Ginny!", erwiderte er und sah ihr in die Augen.

Ihr Arm fiel von seinem ab und ließ ihn gewähren, er hob beide Hände, zwischen denen sich die Kette des Medaillons zu einem unrunden Kreis formte und er steckte seinen Kopf hindurch. Kalt spürte er die Kette in seinem Nacken und alle sahen, wie das Medaillon direkt über seinem Herzen zur Ruhe kam.

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