Der Sohn des Todessers
Sohn,
der dunkle Lord wird immer stärker, doch um vollständig genesen zu können, braucht er Harry Potters Blut. Am 15. November um 15:00 Uhr wird in Hogsmeade der Portschlüssel für fünf Minuten aktiv sein. Sorge dafür, dass Potter ihn berührt. Erfüllst du diese Aufgabe zufriedenstellend, werden deine Mutter und ich sehr stolz auf dich sein. Bitte sende eine kurze Empfangsbestätigung mit Black zurück.
Lucius Malfoy
Draco grinste, als er diesen Brief erhielt. Endlich, die langerwartete Gelegenheit. Zwei Wochen blieben ihm bis zu dem besagten Zeitpunkt. Schnell kritzelte er eine Antwort für seinen Vater.
Vater,
ich fühle mich geehrt, eine so wichtige Aufgabe für den dunklen Lord ausführen zu dürfen. Alles wird zu seinen Wünschen geschehen.
Draco
Dann band er sie an das Bein seines Uhus Black und schickte diesen los. Jetzt musste Draco nur noch Potter dazu kriegen, in zwei Wochen mit ihm nach Hogsmeade gehen zu wollen. Und zwar alleine. Das war der schwierige Teil des Planes, warum sollte er, Draco Malfoy, mit Harry Potter nach Hogsmeade gehen? Sie waren Feinde seit dem ersten Tag.
Und wie konnte er Potter dazu bringen, zuzustimmen? Draco grübelte noch darüber, als er am Freitagnachmittag in Zaubertränke saß. Er hatte sich heute extra mit bissigen Bemerkungen Potter gegenüber zurückgehalten, denn wenn Draco keine andere Lösung einfiel, würde er sich wohl oder übel mit Potter anfreunden müssen. Oder zumindest so tun.
Als es schellte, arrangierte er es so, dass er neben Potter aus dem Kerker lief. Es war leicht, seine Freunde achteten nicht auf ihn, da sie seit einigen Tagen oder Wochen (woher sollte Draco das wissen, auf jeden Fall noch nicht allzu lange) zusammen waren.
„Hey Harry!", sagte Draco. Leider schaffte er es nicht, seinen hämischen Tonfall abzustellen.
Potter blickte sich erst verwundert um. „Malfoy? Hast du das gerade gesagt?"
„Klar, wer denn sonst?", erwiderte Draco.
„Was willst du?"
Draco zog seine Augenbrauen in die Höhe und hoffte, dass es überrascht, und nicht arrogant wirkte. Oder wenigstens beides zusammen. „Darf ich nicht mehr mit dir reden?"
„Doch, darfst du. Also, was willst du?"
„Ich habe mich gefragt, warum du in deinen Trank zuerst die Nusswurzel und dann das Drachenblut gegeben hast. Kein Wunder, dass er dann braun anstatt rot wird."
Diesmal sah Potter überrascht aus. „Das hast du dich gefragt? Soll ich dir etwas verraten? Es geht dich nichts an!"
Draco hatte mit nichts anderem als mit Abweisung gerechnet. Normalerweise wäre sie ihm willkommen gewesen, doch die Dinge standen nun etwas anders.
„Dann eben nicht, Potter", sagte er (ein bißchen enttäuscht hoffentlich, auch wenn er nicht wusste, wie Enttäuschung sich anfühlte) und beschleunigte seinen Schritt, um Crabbe und Goyle einzuholen.
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Am Montag hatten sie „Pflege magischer Geschöpfe". Draco hasste dieses Fach, hatte sich die Zeit immer damit vertrieben, Potter zu ärgern. Heute konnte er sich die Zeit auch mit Potter vertreiben, aber das mit dem Ärgern fiel aus.
„He, Pot- Harry!" Draco stellte sich hinter ihm und tippte ihm auf die Schulter.
Potter drehte sich um. „Was willst du, Malfoy?"
„Oh, ist das jetzt unsere neue Begrüßung? ‚Was willst du'?", fragte Draco.
„Das war sie schon immer, soweit ich mich erinnere", antwortete Potter. „Also?"
„Ich habe mich gefragt, warum du den Wildhüter so magst", sagte Draco. Auf so etwas reagierte Potter immer, wenn Draco andere Leute infrage stellte. Und Ärgern war das doch nicht wirklich, oder?
„Ich achte eben auf innere Werte, Malfoy. Deswegen mag ich dich zum Beispiel nicht."
Schon wieder so eine schroffe Antwort. Draco wandte sich mit einem „Dann eben nicht, Potter" ab. Bald würde er schon Erfolge erzielen, schließlich hatte er noch diese Woche und die nächste.
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„Harry!", rief Draco, als er seine Schritte beschleunigte. Potter lief vor ihm auf dem Gang, alleine. Draco hatte sich schon Sorgen gemacht, ihn heute, am Dienstag, nicht mehr zu sehen, da sich der Tag dem Ende neigte und sie keinen Unterricht zusammen gehabt hatten.
„Malfoy", sagte Potter nur noch lahm und sparte sich das „Was willst du?" Draco holte ihn ein.
„Harry, sind Crabbe und Goyle hier zufällig entlang gelaufen?", wollte Draco wissen.
„Nein. Die hätte ich nicht übersehen. Warum suchst du sie nicht beim Essen?"
„Da komme ich gerade her. Warum warst du nicht da?" Draco freute sich, das war ihr bisher längstes Gespräch ohne Beleidigungen. Wie gesagt, er machte Fortschritte. Draco war nicht umsonst ein Malfoy.
„Keinen Hunger, okay?", sagte Potter schnippisch.
„Und wohin gehst du jetzt?", fragte Draco weiter. Potter blieb stehen und beobachtete ihn misstrauisch.
„Warum willst du das wissen?"
Draco überlegte kurz eine passende Antwort. „Ich bin neugierig?" Es war mehr eine Frage, Draco war darauf gar nicht vorbereitet gewesen.
„Du führst doch irgendwas im Schilde, Malfoy", sagte Potter und setzte seinen Weg fort. Draco war leicht beleidigt. So dachte Potter also von ihm (ungeachtet der Tatsache, dass er damit Recht hatte)!
Er holte Potter wieder ein. „Schon mal bemerkt, dass du derjenige bist, der mich die ganze Zeit beleidigt?", fragte er.
„Na und? Du hast es nicht anders verdient!"
„Dann eben nicht, Potter", sagte Draco und machte auf der Stelle kehrt. Er käme sonst noch in die Versuchung, etwas saftiges zu erwidern. Er bemerkte nicht, dass Potter ihm stirnrunzelnd hinterher blickte, sonst hätte er sich gefreut wie eine Schneekönigin. Pardon, wie ein Schneekönig.
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Am nächsten Tag grübelte Draco schon beim Aufwachen darüber, ob er heute mit Potter Unterricht hatte. Ebenso beim Anziehen. „Eh, Goyle!", sprach er einen seiner Zimmergenossen an.
„Haben wir heute ein Fach mit Gryffindor?"
Goyle zuckte mit den Schultern und ging mit Crabbe zum Frühstück. Draco fluchte, zog sich seine Hose an und rannte hinterher.
„Ihr Idioten, jeden Morgen dasselbe! Könnt ihr nicht einmal warten?"
Als er um eine Ecke bog, stieß er zu seiner großen Freude mit Potter zusammen. Um nicht hinzufallen, klammerte er sich an ihm fest.
„Ups, tut mir leid, Harry", sagte er (ja, ja, er wusste sehr wohl, wie man sich entschuldigte. Er benutzte diese Worte jedoch mit Bedacht).
Potter wurde ein wenig rosa. „Malfoy! Was..." Er verstummte, ob es wegen der Entschuldigung war oder wegen der Tatsache, dass er Draco ja schlecht fragen konnte, was er wollte, wusste Draco nicht.
„Tja, da du auch alleine bist, können wir genauso gut zusammen zum Frühstück gehen, oder?", sagte Draco.
Har-, äh, Potter nickte. Ich sollte mich lieber nicht daran gewöhnen, ihn beim Vornamen zu nennen, dachte Draco sich. Sie gingen schweigend nebeneinander her.
„Malfoy, sag schon, was du damit planst! Sonst werde ich noch wahnsinnig!", sprach Potter seine Gedanken aus.
„Ich hatte keine Lust mehr, mich dauernd von dir verfluchen zu lassen, okay?", sagte Draco. Der Hohn in seiner Stimme war auf ein Minimum begrenzt, vielleicht sogar ganz verschwunden.
Potter sah nicht überzeugt aus, aber hielt die Klappe. Draco wusste, er sollte seine Zeit nutzen, aber sein Gehirn war im Moment wie leergefegt. Ihm fiel einfach nichts ein, worüber sie reden konnten.
Als sie in die Halle eintraten, trafen mehr als nur ein verwunderter Blick sie. Draco feixte so viele an, wie er konnte. Sie sollten sich lieber daran gewöhnen, dass er und Potter (nach außen hin) keine Feinde mehr waren.
Har-, äh, Potter spazierte zum Gryffindortisch, und Draco wäre ihm beinahe gefolgt, doch dann bemerkte er seinen Irrtum. Peinlich.
Nach den ersten beiden Stunden hatte Slytherin Kräuterkunde mit den Ravenclaws. Draco war leicht säuerlich, warum war ihm noch nie vorher aufgefallen, wie wenig Unterricht sie zusammen mit Gryffindor hatten?
Auf dem Weg zu den Gewächshäusern kamen ihnen Gryffindor entgegen, anscheinend hatten sie gerade Kräuterkunde gehabt, und Draco ließ seine Augen über die Menge schweifen. Als zwei grüne Augen die seinen auffingen, war er beruhigt. Leider war sein Hirn schon wieder wie leergefegt und so ging er Potter anglotzend an ihm vorbei. Nun ja, Potter glotzte ja auch zurück, das war nicht so schlimm. Schlimmer war, dass sein hausinterner Feind, Blaise Zabini, das gesehen hatte.
„Uh, Malfoy, lässt Potter dich nicht ran?", fragte er hämisch und lachte mit seinen Freunden.
„Ganz im Gegenteil, du Idiot! Du wirst dich noch wundern!", sagte Draco unbedacht. Er durfte nicht zu viel von seinem Plan verraten.
„Ganz im Gegenteil? Soll das heißen, ihr seid ein Paar?", ärgerte Zabini ihn weiter. Draco wurde auf einmal ziemlich heiß.
„Zabini, du bist so ein hirnloser Affe! Halt deine Klappe, sonst kannst du was erleben!"
Zabini lachte nur noch. Draco nahm sich vor, seinen Vater im nächsten Brief zu bitten, mal ein paar Todesser in den Sommerferien auf diesen Knaben anzusetzen.
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„Verteidigung gegen die dunklen Künste". Auch nicht Dracos Lieblingsfach, schließlich war er der Inbegriff der Dunklen Kunst und wollte keinen Widerstand von seinen Opfern. Am heutigen Donnerstag jedoch freute Draco sich darauf. Nebenbei sei zu bemerken, dass er sich zum ersten Mal überhaupt auf etwas freute.
Moody kam herein und unwillkürlich duckte Draco sich auf seinem Platz etwas. Schlechte Erfahrungen mit diesem Lehrer. Er versteckte sich so gut es ging hinter Potter.
„Harry", flüsterte er, als Moody zu einem Vortrag ansetzte.
Harry drehte sich um. Draco rutschte mit seinem Tisch ein Stück nach vorne. „Kennst du Blaise Zabini?", fragte er, weil ihm immer wieder dessen Kommentar durch den Kopf spukte.
Harry, nein, Potter nickte, denn schließlich war Zabini im selben Jahrgang und saß im Moment drei Reihen weiter. Vor den Gryffindors stritten sich Slytherins untereinander nie, deswegen dachte Harry sicher, Draco wäre mit Zabini befreundet.
„Er ist eine miese kleine Ratte", zischte Draco. Potter zog eine Augenbraue hoch.
„IMMER WACHSAM! Das gilt auch für euch, Potter und Malfoy", bellte Moody. Draco zuckte stark zusammen und rutschte zurück.
Harry wartete einen Augenblick ab, dann drehte er sich zu Draco und zischte: „Nach dem Unterricht unter der Trauerweide." Danach schwieg er, aber Draco lobte sich innerlich. Potter hatte ihn akzeptiert, wollte sich mit Draco treffen, bald hatte er es geschafft! Mit einem zufriedenen Grinsen auf dem Gesicht folgte Draco dem restlichen Unterricht und fand ihn auf einmal gar nicht mehr schlimm. Auch nicht die beiden Stunden „Geschichte der Zauberei" mit den Hufflepuffs danach. Er war nur ziemlich hibbelig und verfluchte innerlich Professor Binns des öfteren.
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So schnell er konnte, ohne zu rennen, eilte Draco zur Trauerweide. Warte mal, ich sollte lieber zu spät kommen, oder? Er stockte einen Moment, doch dann beschloss er, heute auf seine vorgetäuschte Beschäftigtheit zu verzichten und ging weiter.
Unter der Weide war niemand. Sofort erstarb Dracos Grinsen. Hatte Potter ihn reingelegt? Er blickte auf seine Uhr und beschloss, fünf, aber wirklich nur fünf Minuten zu warten.
Nach zehn Minuten kam Harry mit roten Wangen unter der Weide zum Stehen. Draco stand vom Boden auf. „Na endlich", sagte er nur.
„Es tut mir leid, die blöde McGonagall hat mich aufgehalten, nur wegen meinen Noten, also ehrlich, ich dachte schon, du wärst nicht mehr da", sagte Harry atemlos. Draco zog eine Augenbraue in die Höhe.
„Seit wann beleidigst du deine Hauslehrerin?", meinte er.
„Seit gerade eben! Ah, also, warum hast du Streit mit Zabini?", lenkte Harry ab und setzte sich auf die Wiese. Draco setzte sich auch wieder.
„Warum? Ach, er ist einfach ein Idiot. Das war schon immer so", sagte Draco achselzuckend.
„Was? Ich dachte, du wolltest mir etwas Wichtiges erzählen! Warum sonst habe ich mich so beeilt", empörte Harry, ARGH VERDAMMT, Potter sich.
„Weiß ich doch nicht!", sagte Draco. Was sollte er auch sonst sagen, woher sollte er wissen, was Potters Beweggründe waren. Es reichte, seine eigenen zu kennen, und dass er die kannte, war Draco sich ganz sicher.
Ein unangenehmes Schweigen breitete sich aus. Draco fragte sich, seit wann er so einfallslos war. Wahrscheinlich lag das an Harry, denn nur bei ihm wusste er nichts zu sagen. Ja, sie waren wohl nicht dafür bestimmt, Freunde zu werden. Aber da musste Draco jetzt durch.
Harry zupfte an Grashalmen und Draco sagte: „Wie geht's denn so deinen Freunden?", weil ihm ganz im Ernst nichts anderes einfiel.
Harry zuckte die Achseln. „Sehr gut. Und deinen?"
„Meinen? Meinst du Crabbe und Goyle? Auch gut."
Harry nickte. Verflucht, warum ist es so schwer, sich mit jemandem anzufreunden?, fragte Draco sich. Er brachte ganz schön große Opfer für seine Familienehre. Leise entflitzte ihm unbewusst ein Seufzer.
„Was ist?", fragte Harry. Draco blickte auf in die (besorgten?) grünen Augen. „Ach... meine Familie...", sagte er. „Manchmal ist es schwer, ein Malfoy zu sein." Draco staunte über sich selbst. Bis gerade hatte er noch nicht einmal gewusst, dass er so fühlte. Einmal ausgesprochen war ihm klar, dass es stimmte.
„Es ist auch nicht gerade leicht, Harry Potter zu sein. Immer diese Erwartungen. Und dann Voldemort, der nach meinem Leben trachtet", sagte Harry. Draco wurde rot. Und auf einmal hatte er Mitleid mit Harry.
Was tue ich hier überhaupt? Ich kann ein wertvolles Leben doch nicht einfach auslöschen lassen. Was würde ich denken, wenn das jemand mit mir machen würde...
Harry rutschte ein Stück näher. „Was ist?", fragte er wieder. Diesmal schüttelte Draco jedoch den Kopf. „Nichts."
„Morgen haben wir Zaubertränke. Ich hasse es", seufzte Harry. „Du hasst es? Weil du nicht so gut darin bist?", fragte Draco erstaunt. Zaubertränke war sein Lieblingsfach, das einzige, was er mochte.
„Und weil ich Snape hasse."
„Hm... Du solltest dich auf deinen Trank konzentrieren, dann wird der wenigstens was", sagte Draco.
„Wenn du meinst...", antwortete Potter abwesend.
„Ja, genau. Ich gehe dann mal wieder ins Schloss." Draco hatte genug von dieser schwierigen Konversation. Als er aufstand, sprang Harry auch auf. „Ich komme mit."
Viele Blicke folgten ihnen, von anderen Schülern, die immer noch über die ungewöhnliche Freundschaft staunten, aber sie bemerkten sie nicht. Erst als Weasley sie in der Eingangshalle traf, und sie anstarrte, wurde Draco bewusst, wie paradox das Ganze war.
„Schon wieder läufst du mit dem durch die Gegend!", beschwerte Weasley sich.
„Anscheinend hat Harry genug von deiner Gesellschaft!", blaffte Draco ihn an.
„Jetzt streitet doch nicht! Ron, natürlich habe ich nicht genug von dir, aber was soll ich denn machen, wenn du mit Hermine beschäftigt bist?", sagte Potter. Draco verschränkte die Arme. War das etwa der einzige Grund, warum Potter etwas mit ihm unternahm? Weil er Langeweile hatte?
„Potter, bleib doch bei deinen kleinen Freunden, sonst sind sie noch beleidigt", meinte Draco, selber beleidigt und ging energischen Schrittes in Richtung Keller. Als er die Tür öffnete und die Treppe hinunter gehen wollte, rief jemand hinter ihm: „Draco!"
Draco drehte sich erstaunt um. „Potter? Hast du das gerade gesagt?"
Harry kam angerannt. „Klar, wer denn sonst?"
„Was ist denn, hat das Wiesel dich verstoßen, oder warum kommst du angekrochen?"
„Ich komme nicht angekrochen, klar? Ich habe ihm erklärt, dass du dich verändert hast!"
„Woher willst du das wissen, Potter?", meinte Draco. Doch irgendwie freute er sich riesig, dass er Harry anscheinend doch etwas bedeutete.
„Ich merke es. Du bist netter, man kann fast sagen, du benimmst dich wie ein normaler Mensch!"
Draco begann erneut den Abstieg. Unten angekommen wurde er am Arm gepackt und unsanft herumgeschleudert. Wer hätte gedacht, dass Potter so stark war.
„Okay, du bist ein normaler Mensch. Also, was ist los? Warum reagierst du so... fast schon beleidigt?"
Draco sah im Feuerschein der Fackeln an den Wänden in Harrys Augen. „Wie soll ich denn sonst reagieren, wenn du dem Wiesel erzählst, dass du nur etwas mit mir machst, weil du sonst nichts zu tun hast?"
Draco fiel auf, dass er sich wie ein Kind benahm. Und warum mache ich eigentlich so einen Aufstand darum? Ist doch egal, aus welchen Gründen er sich mit mir abgibt.
„Denkst du das wirklich?", antwortete Harry. „Glaub mir, wenn es nur deswegen wäre, ich habe noch genügend andere Freunde, mit denen ich etwas machen könnte. Aber..." Harry stoppte. Im Dunkeln konnte Draco schwach erkennen, dass er rot angelaufen war. Kam wahrscheinlich von der Streiterei.
„Was?", fragte Draco spitz.
„Ich möchte nun mal gerne etwas mit dir unternehmen, okay?"
Stille herrschte im Gang. Die Fackeln gaben ein leises Knistern ab. Draco Gehirn begann langsam zu realisieren, was er gehört hatte... er mag mich!
„Oh. Na gut." Mehr kam nicht aus seinem Mund. Du bist so ein Idiot! Jetzt sag schon, dass du auch gerne etwas mit ihm unternimmst, los!
„Äh...", machte Draco. Dann klappte er den Mund zu. Warum machte er sich hier gerade zum Idioten?
„Wir sehen uns dann ja morgen", sagte er knapp und stürmte davon.
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Am nächsten Tag hatte Draco sich wieder einigermaßen beruhigt. Aber die Zeit bis zu Zaubertränke wollte einfach nicht umgehen.
Irgendwann war es dann aber doch endlich soweit. Er saß zwischen Crabbe und Goyle vorne im Klassenzimmer (diesmal hatte er es nicht verhindern können, und warum sollte er überhaupt?). Als die Gryffindor hereinkamen, ignorierte er sie absichtlich. Dann kam Snape hereingestürmt.
„Das Rezept steht an der Tafel, macht euch an die Arbeit", blaffte er schlechtgelaunt wie immer.
Draco stand auf, ging zum Vorratsschrank und ließ sich heute Zeit. Er erinnerte sich, dass er heute vor einer Woche den Brief bekommen hatte. Für die kurze Zeit bin ich schon weit gekommen. Nächste Woche muss ich ihn dazu kriegen, mit mir nach Hogsmeade zu kommen.
Natürlich würde Draco das schaffen, das stand außer Frage. Er ging zu seinem Platz und warf unterdessen einen Blick auf Harry, der hinter ihm saß und schon direkt seinen Belladonna Extrakt in den Kessel geben wollte.
„Bist du wahnsinnig, Potter?", zischte Draco leise, damit Snape es nicht mitbekam. „Der kommt erst zum Schluss rein, wie wärs mal mit lesen?"
Harry blickte zur Tafel und errötete. Ohne ein weiteres Wort drehte Draco sich um. Er musste sich um seinen eigenen Trank kümmern. Doch aus irgendeinem ihm unbekannten Grund war er heute unkonzentriert. Sobald ihn jemand ansprach, zum Beispiel Harry, der ihn etwas fragen wollte, zuckte er fast unmerklich zusammen.
Dann war auch die schönste aller Zaubertrankstunden zuende. Somit auch die Schulwoche. Draco überlegte, ob er nicht schon dieses Wochenende etwas mit Harry unternehmen sollte, damit es nächste Woche nicht so auffällig ist. Dieser rauschte aber an ihm vorbei, als könne er es gar nicht erwarten, aus diesem Kerker zu verschwinden. Draco erinnerte sich daran, dass Harry Snape hasste, was er ganz und gar nicht verstehen konnte. Aber es war ja auch Potter, wer verstand den schon.
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Draco ging es am Samstag überhaupt nicht gut. Er fragte sich, was er falsch gemacht hatte. Nur eins hatte er gewollt, sich mit Potter anfreunden, um ihn dann dem dunklen Lord auszuliefern. Und es sah im Moment aus, als würde sein Plan aufgehen. Warum nur machte er sich jetzt dauernd Gedanken darüber, ob er das Richtige tat? Warum stellte er den dunklen Lord auf einmal in Frage? Das sah Draco gar nicht ähnlich, die einzige Erklärung, die er dafür fand, war, dass er krank sein müsse.
Krank, oder... Verflucht, ich mache mir doch keine Sorgen um Potty?
Draco seufzte. Er stand auf, wollte aus diesem Keller raus, frische Luft schnappen. Sobald er draußen war, begrüßte ihn heller Sonnenschein. Trotzdem war die Luft eiskalt, nur wenige Schüler hielten sich hier auf. Automatisch und unbewusst suchte er die Gegend nach Harry ab. Doch er sah ihn nicht. Ein paar energische Schritte später stand er am Seeufer und holte tief Luft. Draco musste seinen Kopf klar kriegen.
Er registrierte, wie sich jemand neben ihn stellte, aber er wollte nicht die Anstrengung unternehmen, gucken, wer es ist, um dann ja doch nur enttäuscht zu werden.
„Ist dir nicht kalt?", fragte dieser jemand unbeholfen. Bevor Draco wusste, was er tat, wandte er nun doch seinen Kopf und bevor er noch Harrys Gesicht gesehen hatte, hatte Draco ihn schon an der Stimme erkannt.
„Nein. Wenn es dir zu kalt ist, warum kommst du dann erst nach draußen?", fragte Draco.
Harrys Schultern zuckten. „Weiß nicht. Wollte mit dir reden, schätze ich."
„Worüber? Potter... ich weiß nicht, ob das etwas bringt."
„Wie meinst du das?", wollte Harry wissen, blickte Draco alarmiert an. Draco nahm einen weiteren Atemzug. „Wir können nicht plötzlich Freunde sein und alles. Schlechte Idee. Vielleicht sollten wir einfach so wie letztes Jahr weitermachen."
Harry schwieg eine Zeit lang, und Draco betrachtete das als Einverständnis. Sein Herz sank in seine Hose. Es ist besser so. Dann erfülle ich eben nicht den Auftrag. Vater wird mich enterben, der dunkle Lord mich wahrscheinlich töten wollen. Aber Harry ist dann in Sicherheit... obwohl, hier lauern noch so viele andere Todesser- Söhne herum, die den Auftrag mit Freude ausführen würden. Was soll ich bloß tun?
„Draco?"
Draco schreckte aus seinen Gedanken auf. „Hm? Was?"
„Ich sagte, das..." Harry unterbrach sich, als er in Dracos Gesicht sah. „Meine Güte, du hast ja ganz blaue Lippen. Lass uns rein gehen. Komm."
„Potter, hast du mich nicht gehört?"
Harry sagte nichts, sondern nahm einfach seine Hand und zog ihn zum Schloss. Draco bemerkte, wie kalt seine eigene Hand war, als Harrys warme sie umschloss. Trotzdem zog er sie zurück.
„Verflucht, Potter, hast du denn keine Ohren im Kopf? Selbst wenn wir Freunde wären, will ich nicht mit dir Händchen halten, kapiert?" Draco war selbst überrascht, wie schnippisch er klang. Eigentlich widersprach er nur aus Reflex, mit Schrecken stellte er fest, dass es ihm eigentlich egal war. Sollte Harry doch seine Hand halten, wen störte es? Meinen Vater? Alle anderen Slytherins, sowie Gryffindors, antwortete er sich in Gedanken.
Sie erreichten die Eingangshalle. Harry blieb unentschlossen stehen, Draco machte sich auf den Weg zu seinem Verlies. Er kam nicht weit, da Harry ihn zurückhielt. „Warte, wo willst du hin? Wir müssen reden!"
Draco seufzte und gab es schließlich auf. „Schön, dann reden wir halt. Du kannst es auch nicht lassen, nicht wahr?"
„Du hast doch damit angefangen, selber schuld! Komm mit, ich kenne einen passenden Raum im siebten Stock."
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Wohlig seufzend hielt Draco seine Hände vors Feuer. Die Wärme breitete sich in seinem Körper aus und machte ihm bewusst, wie kalt ihm gewesen war. Harry hatte ihn in den Raum der Wünsche gebracht, in dem es einen Kamin, davor zwei Sessel und einen Tisch mit einer Kanne heißen Tees gab.
Bis jetzt hatten sie nicht geredet, und wenn es nach Draco ginge, würden sie das auch nicht tun.
„Also, Draco... um dir zu antworten...", fing Harry nun endlich an, „Ich kann nicht so weitermachen wie all die Jahre zuvor, tut mir leid. Warum sollten wir auch? Ich meine, wenn wir uns jetzt besser verstehen, das ist doch nur gut."
„Harry..." Draco kämpfte innerlich gegen sich selber. Wir verstehen uns nur, weil ich mich verstelle, du Idiot. Ich soll dich dem dunklen Lord übergeben. Und dann war da eine andere Stimme, die leise zu Draco sprach... Merkst du denn nicht, gerade bei Harry kannst du sein, wer du bist, ohne dich verstellen zu müssen?
Draco trank einen Schluck, um Zeit zu schinden. Was sollte er sagen, er wusste nicht einmal, was er eigentlich wollte.
„Jetzt mal ehrlich Harry, du kennst mich doch gar nicht. Irgendwann werden wir wieder anfangen, uns zu streiten."
„Nein, das glaube ich nicht. Nicht, wenn wir uns ein bißchen anstrengen und darüber reden, wie Freunde das so machen."
„Wir sind aber keine Freunde, kapiert?", fragte Draco schroff. Erbost stand er auf.
„Warum bist du plötzlich wieder so... abweisend? Da ist doch irgendwas, das dich bekümmert. Du musst es mir nicht sagen, aber lass deine schlechte Laune nicht an mir aus!"
Draco trat näher ans Feuer. Verdammter Potter. Er hat Recht. „Harry, ich..." Dracos Stimme versagte. Zum Glück. Beinahe hätte er alles gebeichtet, das ging nun wirklich nicht.
Unbemerkt war Harry neben ihn getreten. Draco bemerkte es erst, als er Harrys Arm um seine Schulter spürte. Erstaunt blickte er in Harrys Augen. Für einen Moment vergaß er alles um sich herum. Er ging sogar so weit, Harry ganz zu umarmen. So standen sie da eine Weile und Draco fühlte sich merkwürdig befreit. Leicht. Er seufzte auf.
„Draco. Vergiss es einfach. Du wirst daran zugrunde gehen, wenn du die ganze Zeit grübelst. Ich hatte in den letzten Nächten furchtbare Albträume, Voldemort kam immer näher, und so richtig durchgeschlafen habe ich schon lange nicht mehr. Aber ich versuche, nicht daran zu denken. Ich habe darüber mit Leuten geredet, denen ich vertrauen kann, und sie meinten, ich könne nur abwarten. Denkst du, das ist angenehm? Normalerweise bedeuten solche Träume nichts gutes, aber ich kann einfach nichts tun!"
Draco trat einen Schritt zurück. Konnte es sein, dass seine Augen wässrig schimmerten? Auf einmal war ihm jedenfalls so vieles klar. „Halt dich von mir fern, Harry, dass kannst du tun. Von jedem Slytherin. Eines Tages wirst du den dunklen Lord besiegen, ich wünsche dir viel Glück. Wahrscheinlich werde ich es nicht mehr miterleben, aber das ist jetzt egal."
Draco schritt zur Tür. Eine Hand auf der Klinke, drehte er sich noch einmal um und sagte zu dem sehr verwirrt aussehenden Harry: „Es war nur ein Scherz, Potter, eine verlorene Wette. Denkst du, ich wäre jemals freiwillig so nett zu dir? Pah!"
Damit verschwand er. Blindlings, da seine Sicht aus irgendeinem Grund getrübt war, rannte er durch das Schloss. In den Gemeinschaftraum wollte Draco nicht, er würde die Gesellschaft der anderen jetzt nicht ertragen. Er ertrug noch nicht einmal seine eigene Gesellschaft. Das einzige, was er wollte, war, auf der Stelle kehrtzumachen und Harry die Wahrheit zu erklären, aber dazu war es zu spät. Und das wäre Harrys Ende.
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Vater,
ich gebe mein Bestes, aber Potter ist noch nicht auf mich eingegangen. Ich bin jedoch zuversichtlich, ihn diese Woche anzufreunden und nach Hogsmeade bringen zu können.
Draco
Draco schickte den Brief, der eine einzige Lüge war, am Sonntag Morgen ab. Am selben Nachmittag kam noch die Antwort aus Malfoy Manor.
Sohn,
deine Mutter und ich setzen viel auf dich! Setze Potter, wenn nötig, unter den Imperius Fluch. Nicht umsonst haben wir ihn geübt. Solltest du fehlschlagen, sind deine Eltern bei dem dunklen Lord nicht mehr angesehen. Willst du das? Nein, ich weiß, du willst es nicht. Abgesehen davon wären wir auch sehr enttäuscht. Das dunkle Mal könnte bei dir in Frage gestellt werden. Der dunkle Lord könnte sogar deine Absichten in Frage stellen, und du weißt, was das bedeutet. Es würde deiner Mutter, und natürlich auch mir, das Herz brechen, solltest du nicht mehr unter uns weilen.
Lucius Malfoy
Draco zog scharf die Luft ein. Würde Er, dessen Name nicht genannt werden darf, so weit gehen und ihn töten, wenn er versagen sollte? Draco war noch nicht einmal ein Todesser, hatte auch niemals verkündet, einer sein zu wollen. Doch, das hast du! – Aber doch nur, weil alle es waren! – Und jetzt sind sie es nicht mehr? – Doch, aber ich habe nun eine eigenen Meinung. – Du bist sentimental, du lässt Gefühle zu! Gegenüber Harry Potter! Du solltest dich schämen! Du bist es gar nicht wert, zu leben, wenn sie dich nicht umbringen, solltest du es selber tun!
Draco hasste dieses Stimmengewirr. Er rannte nach draußen, unter die Trauerweide. Der erste Schnee fiel, blieb aber nicht liegen, obwohl es klirrend kalt war. Er setzte sich, zog die Beine an und vergrub sein Gesicht darin.
Einer von uns beiden wird sterben müssen. Harry oder ich. Früher wäre es mir egal gewesen, wenn Potter stirbt. Warum jetzt nicht mehr? Wir sind doch gar keine Freunde, oder? Nein, ich habe ihn von mir gestoßen. Er will nichts mehr mit mir zu tun haben. Und ich nicht mit ihm. Trotzdem will ich nicht, dass er stirbt. Nein. Wenn ich sterbe, dann habe ich wenigstens nicht mehr diese verwirrenden Gefühle. Ja.
Glücklich, nun einen Entschluss gefasst zu haben, legte er sich auf den Boden. Wieder merkte er nicht, wie die Kälte in seine Glieder kroch. Wenn er es bemerkt hätte, wäre es ihm egal gewesen.
Den Tod vor seinen Augen überlegte er, was er in der verbleidenden Zeit machen sollte. Seine letzte Woche ausnutzen. Aber Harry wird mich zurückstoßen, so wie ich ihn. Also blieb ihm nichts übrig, als bis zum Schluss seinen Part zu spielen. Und wenn er schon vorher einging, weil sein Innerstes jämmerlich verbrannte, spielte das auch keine Rolle mehr.
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Von weit her hörte Draco Stimmen. Wie lange er schon hier draußen lag, wusste er nicht. Dann kniete Harry über ihm, und Draco glaubte zu träumen. „Harry?" Seine Stimme war nur noch ein Flüstern.
„Was tust du hier?" Unter größter Anstrengung setzte er sich auf. Harry half ihm, umschloss ihn mit seinem warmen Armen.
„Draco, du bist ja eiskalt!" Harry zerrte Draco auf die Füße und brachte ihn unter großen Anstrengungen wieder in den Raum der Wünsche, mit derselben Ausstattung wie einen Tag zuvor.
Als Draco vor dem warmen Kamin saß, kam er endlich wieder zu Sinnen.
„Warum tust du das, Harry? Nachdem ich so gemein zu dir war?", fragte er.
Harry grinste schwach. „Draco, ich war nicht umsonst jahrelang dein Feind. Du sagst mir erst, ich soll mich von dir fern halten, du wünschst mir viel Glück, du umarmst mich minutenlang, und plötzlich war alles nur eine Wette? Denkst du wirklich, ich durchschaue das nicht? Und warum bist du ständig in der Kälte? Du hättest erfrieren können!"
„Das spielt nun auch keine Rolle mehr, Harry."
„Sag das nicht! Hat es etwas mit den Todessern zu tun?", fragte Harry, Verständnis suchend. Er hockte sich vor Draco und wärmte dessen Hände mit seinen eigenen.
„Ja." Scheiß drauf, wenn ich schon den dunklen Lord, meine Familie und alle anderen betrüge, dann auch richtig.
„Harry, von mir wird erwartet, dass ich dich nächsten Samstag zu einem Portschlüssel in Hogsmeade bringe, der dich zum dunklen Lord transportiert. Erst habe ich mich darüber gefreut, so eine Ehre... aber als ich dich näher kennen gelernt habe, fing ich an, mir Gedanken zu machen... Ich kann es nicht, Harry, und dafür werden sie mich töten!", stieß er aus. Heiße Tränen liefen über seine Wangen. Harry stand auf und umarmte Draco.
„Wie kannst du noch so nett zu mir sein! Ich sollte dich töten!"
„Draco, dass du es nicht kannst, ist mir genug Beweis dafür, dass ich dir vertrauen kann. Und soll ich dir etwas sagen? Selbst wenn du es versuchen würdest, wenn du mich hassen würdest, selbst dann würde ich nicht wollen, dass du stirbst."
„Aber warum? Ich habe dich immer bedroht. Dich gemobbt. Du kannst mir nicht sagen, dass dir das gefallen hat."
„Das nicht, aber der Draco von letzter Woche, der hat mir gefallen."
Harry ließ ihn los und stellte sich ans Feuer. Draco erhob sich ebenfalls. Er konnte nicht anders, er wollte wieder in Harrys Armen liegen. Doch Draco hatte nie gelernt, Gefühle zu zeigen. Stumm stellte er sich neben Harry.
Harry nahm seine Hand, und diesmal begrüßte Draco diese Geste. Er lächelte Harry sogar an. Irgendwie hatte er das Gefühl, ihm vertrauen zu können. Harry hatte ihm gerade das Leben gerettet.
Schließlich überwand Draco sich, zog Harry näher an sich und legte seine freie Hand auf dessen Rücken. Harry, nur ein paar Zentimeter kleiner als er, legte seinen Kopf auf seine Schulter.
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Am nächsten Morgen erwachte Draco ungewöhnlich erleichtert. Trotz seines Entschlusses, sich den Todessern insgeheim zu widersetzen und dem Tod ins Auge zu blicken, fühlte er mehr Lebensfreude als jemals zuvor. Es war schon absurd.
Wie gewöhnlich wanderte er mit Crabbe und Goyle an seiner Seite zu „Pflege magischer Geschöpfe". Die beiden hatten, dumpf wie sie waren, nichts von seinen Problemen bemerkt. Auch von seinen anderen Zimmergenossen war keine Veränderung an ihm festgestellt worden, Draco war schließlich ein Meister seines Fachs.
Harry begrüßte ihn mit einem unauffälligen Lächeln. Draco nickte nur. Nicht, dass noch jemand, insbesondere Zabini, etwas sah und falsche Schlüsse daraus zog. Obwohl Draco irgendwie Mut aus Harrys Verhalten schöpfte, er ein Lichtblick in diesen düsteren Zeiten war und Kraft spendete, waren sie nicht zusammen. Draco wusste zwar nicht mit Sicherheit, ob er schwul war oder nicht, er hatte bis jetzt und hat immer noch andere Sorgen.
In der Stunde ergab sich keine Gelegenheit für Draco, mit Harry zu reden, da sie sich in Dreiergruppen um die Knallrümpfigen Kröter kümmern mussten. Draco ließ zwar ein paar seiner Kommentare ab, aber helfen tat das nicht wirklich.
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Dienstag war wieder der Tag, den sie nur mit Ravenclaw oder Hufflepuff zusammen hatten. Das Wochenende kam unaufhörlich näher, und je näher es kam, desto nervöser wurde Draco.
Nach dem Mittagessen, Draco ging alleine aus der Großen Halle, kam Harry zu ihm an.
„Du hast kaum was gegessen. Ist es wegen Samstag?"
Draco nickte. „Dann wird mein Todesurteil gefällt."
„Hör mal, ich kann einfach den Portschlüssel berühren..."
„Bist du übergeschnappt, Harry? Du kannst doch nicht dein Leben geben und dich dem dunklen Lord ausliefern, nur weil ich mich auflehnen möchte."
„Aber ich kann auch nicht mit ansehen, wie du stirbst!", sagte Harry. Draco verschränkte die Arme und lehnte sich gegen die Wand. Ein paar vorübergehende Schüler warfen ihnen Blicke zu. Als sie weg waren, sprach Draco.
„Du solltest etwas gegen deinen Helfer- Komplex tun, Potter!"
„Nein! Damit hat es nichts zu tun! Nebenbei bemerkt habe ich gar keinen. Ich mag es nun einmal nicht, wenn meine Freunde sterben!"
„Ich bin aber immer noch dein Feind!" Draco zog eine Augenbraue hoch, um seine Aussage zu unterstützen. Jetzt war es an Harry, die Arme zu verschränken.
„Das glaube ich kaum."
Sie standen sich gegenüber und fochten ein Blickduell aus. Schließlich sah Draco weg. „Okay, dann bin ich nicht dein Feind. Aber auch nicht dein Freund!"
„Nein? Wie würdest du das denn bezeichnen? Wir verbringen freiwillig Zeit nach der Schule miteinander, ohne uns gegenseitig umzubringen."
Draco suchte kurz nach Worten. Er wusste, Harry hatte ja Recht, aber das würde er nicht zugeben. Er stieß sich von der Wand ab. „Zeit für den Unterricht, Potter."
„Treffen wir uns danach?"
Draco hielt in seinen Schritten inne. „Warum nicht. Beim Raum der Wünsche?"
Harry nickte und Draco setzte seinen Weg fort. Auch wenn er nicht vorhatte, es jemandem zu sagen oder zu zeigen, er freute sich auf dieses Treffen. Dann konnten sie wieder reden, das wirkte befreiend.
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Als Draco zum Raum der Wünsche kam, war Harry schon da. Harry ging dreimal an der Statue vorbei und zusammen betraten sie den Raum, ihren Raum.
Draco ließ sich in den Sessel fallen. „Nur noch vier Tage, Harry", seufzte er.
Harry setzte sich in den anderen Sessel. „Es muss einfach eine Lösung geben."
Draco stützte seinen Kopf mit den Händen ab. Die Flammen tanzten beruhigend vor seinen Augen hin und her.
„Es könnte sein, dass sie mir noch eine Chance lassen... aber das wird wieder darin enden, dass ich dich ausliefern soll."
„Und wenn du mit deinem Vater redest? Er wird doch sicher Verständnis haben, wenn du kein Todesser werden möchtest?"
Draco schnaubte. „Nein, wird er nicht. Er ist voll und ganz auf der Seite des dunklen Lords."
Harry stand auf und lief vor dem Feuer auf und ab. Draco beobachtete ihn eine Weile, bis er es nicht mehr aushielt.
„Mensch Harry, kannst du nicht still bleiben?"
Harry blieb vor Draco stehen. „Draco, verstehst du denn nicht, ich mache mir Sorgen. Du willst mich nicht töten, gut, aber was kann ich tun, damit du nicht getötet wirst?"
Draco zuckte mit den Achseln. Irgendwie berührte es ihn, dass Harry sich Sorgen um ihn machte. Harry hockte sich vor Draco, wie am Sonntag, und nahm dessen Hände. Draco beugte sich reflexartig vor (hätte er darüber nachgedacht, hätte er es nicht getan) und berührte mit seiner Nase Harrys Haare. Der Duft gab ihm ein Gefühl der Sicherheit.
Harry hob seinen Kopf und sah Draco in die Augen. Im Nachhinein konnte Draco nicht sagen, wie und warum, aber ihre Lippen trafen sich zu einem schüchternen Kuss. Keiner der beiden Jungs hatte viel Erfahrungen, erst recht nicht mit einem anderen Jungen. Sie hauchten sich Küsse auf die Lippen, schmeckten den anderen scheu.
Nach ein paar Minuten lehnte Draco sich zurück, immer noch Harrys Hände in seinen Händen. Draco hatte das Bedürfnis, die restliche Wochen seines Lebens so verbringen zu wollen – mit Harry, ihn zu halten und zu küssen.
„Harry –"
„Sch." Harry legte Draco einen Finger auf den Mund. Dann beugte er sich vor und ersetzte seinen Finger durch seinen Mund. Diesmal spürte Draco Harrys Zunge an seinem Mund. Vorsichtig tastete er sie mit seiner ab.
Plötzlich war Harry verschwunden. Nur eine ungewöhnliche Leere machte sich breit. Als Draco die Augen öffnete, sah er, dass Harry vor ihm auf dem Kaminvorleger saß und Draco betrachtete.
„Was ist?", fragte Draco. Harry zuckte mit den Schultern. „Mein Verstand hat sich eingeschaltet. Jetzt muss ich erst einmal nachdenken."
Draco grinste. „Potter, du musst auch über alles nachdenken, kann das sein?" Harry mied seinen Blick. Draco stand auf, setzte sich vor Harry hin und zwang ihn mit einer Hand am Kinn, ihn anzublicken.
„Du hast Initiative gezeigt, also kann ich davon ausgehen, dass du nicht abgeneigt bist... Wie wäre es, möchtest du mir die letzte Woche meines Lebens versüßen?"
Harrys Augen blitzten auf, als er nickte. Erneut küssten sie sich, diesmal mit mehr Leidenschaft. Schließlich stand Draco auf. „Ich gehe dann mal zurück. Wir sehen uns ja morgen." An der Tür drehte er sich noch einmal um. Unsicher fügte er hinzu, leise und schnell: „Ich freue mich schon", dann verschwand er.
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Am Mittwoch Abend lag Draco hellwach in seinem Bett und starrte die Decke an. In drei Tagen ist es soweit. Fest steht, dass ich Harry unter gar keinen Umständen ausliefern werde. Ach, könnte ich doch nur den Todessern und ihrer Rache entkommen, um Harry zu beschützen! Wer hätte gedacht, dass ich dem Goldjungen einmal so nahe sein werde... und das auch noch gerne bin. Wenn er nur hier wäre. Ich möchte jede verbleibende Minute mit ihm verbringen. Vielleicht kann ich meinen Vater um Aufschub bitten. Und dann schmieden Harry und ich einen Plan, den dunklen Lord ganz auszulöschen. Was würde Vater dazu sagen? Warum sollte der dunkle Lord überhaupt jemanden umbringen, der, weil er keiner seiner Anhänger war, auch kein Verräter genannt werden kann?
Das war der Punkt, an dem Dracos Gedanken anfingen, hin und her zu springen. Er kam letztlich zu dem Entschluss, dass die Worte seines Vaters leere Drohungen sein mussten. Blieb nur die Frage, was die verbleibenden Todesser tun würden. Skrupel hatten sie nicht.
Leise schlug Draco die Decke zurück. Dann schlich er auf Zehenspitzen durch den Schlafsaal und durch den Gemeinschaftsraum. Erst als er die Treppe zur Eingangshalle hochging und seine Füße schon Eisklumpen waren, kam ihm die Einsicht, dass seine Idee völlig verrückt war. Doch noch wollte er nicht aufgeben, auch wenn es eigentlich nur Schwierigkeiten und viele gute Gründe gegen seinen Plan gab.
Ziellos irrte er durchs Schloss. Das Gryffindor Haus war in einem Turm untergebracht, und der Nord- sowie Westturm wurden manchmal im Unterricht gebraucht. Von seinem Gefühl gesteuert ging Draco zum Ostturm. Allerdings fand er keine Tür, dort, wo eine hätte sein müssen, befand sich nur eine Wand mit Portraits. Ratlos stand er davor.
„Entschuldigen Sie, ist hinter Ihnen vielleicht der Eingang zu einem Turm?", fragte er eine Prinzessin, die zusammenzuckte und ins nächste Bild rannte. Draco verfolgte sie.
„Bitte, sagen Sie es mir! Es ist wichtig!"
„Was kann denn so wichtig sein, dass du uns mitten in der Nacht aufweckst?", meckerte nun die fette Dame, hinter der sich die Prinzessin versteckte.
„Das geht Sie zwar nichts an, aber ich muss zu meinem Freund! Es geht um Leben und Tod!", übertrieb Draco ein bißchen. „Außerdem spüre ich meine Füße schon nicht mehr."
„Das ist dein Problem. Und ich muss dich enttäuschen, ohne Passwort kommst du hier nicht rein!"
Draco grinste. Also war hier der Eingang. „Das Passwort lautet Löwe."
Die fette Dame runzelte die Stirn. „Schlecht geraten, das wäre zu offensichtlich, findest du nicht?"
Plötzlich schwang sie aber doch zur Seite und ein Rotschopf blickte hinaus. „Was ist denn hier für ein Lärm? Kann man nicht einmal in Ruhe... nun, alleine sein?"
Draco hatte nicht damit gerechnet, dass noch jemand wach war. Morgen früh war Schule. Natürlich hatten manche die ersten beiden Stunden frei, aber das Frühstück war trotzdem früh.
„Das Wiesel! So eine Überraschung!"
„Es ist eher eine Überraschung, dich hier zu sehen, Malfoy! Du hast hier nichts, aber auch gar nichts zu suchen!"
Draco verschränkte seine Arme. „Hat Potter dich nicht aufgeklärt, oder warst du einfach nur zu beschäftigt, um zuzuhören? Wie auch immer, ich muss zu ihm! Es geht um den dunklen Lord."
„Muss das unbedingt jetzt sein? Kannst du ihn nicht noch morgen umbringen?", murrte Weasley. Draco bewegte sich nicht von der Stelle, also gab Weasley auf und winkte ihn hinein.
Es war angenehm warm in dem runden Gemeinschaftsraum. Nur noch Granger war dort und sprang auf, als sie Draco sah.
„Malfoy! Ron, was hat das zu bedeuten?"
Weasley zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, er und Harry sind schon länger befreundet, so unglaublich das auch klingt."
„Wo ist euer Schlafraum, Weasley?"
„Da", sagte Weasley und zeigte zu einer Wendeltreppe. „Siebte Etage."
Ohne sich noch einmal umzublicken, begann Draco den Aufstieg. An seinem Ziel angekommen öffnete er leise die Tür. An der linken Seite standen drei Betten, die Vorhänge zugezogen, auf der rechten Seite zwei Betten, von denen nur eins mit zugezogenen Vorhängen dastand. Draco hoffte inständig, dass es das richtige Bett war, als er darauf zuging und den Vorhang anhob.
Ein erleichterter Seufzer entfuhr ihm, als er Harry erkannte und sich sofort daran machte, zu ihm unter die Decke zu schlüpfen. Harry wachte nicht auf. Sobald Draco unter der warmen Decke lag und sich an Harry kuschelte, vergaß er alle Sorgen. Nach weniger als einer Minute war er eingeschlafen.
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Am nächsten Morgen wurde Draco wachgerüttelt. Er öffnete seine Augen und sah in Harrys grinsendes Gesicht.
„Morgen! Was machst du denn hier?", fragte Harry.
Draco zuckte mit den Schultern. „Ich wollte heute Nacht mit dir sprechen."
„Und wie bist du reingekommen?"
„Weasley war noch wach und hat mich gnädigerweise eingelassen", sagte Draco. Seinen Arm, der bis jetzt über Harrys Brustkorb gelegen hatte, nahm er zurück und setzte sich auf.
„Ich gehe lieber, bevor mich jemand vermisst. Oder entdeckt."
Harry setzte sich ebenfalls hin. Draco spürte, wie eine Hand an seinem Arm ihn zurückhielt. „Sollen sie doch. Wen kümmert es jetzt noch?"
Draco schüttelte den Kopf. „Es ist besser, wenn der Grund für mein Versagen nicht ganz so offensichtlich ist."
„Na gut", sagte Harry. Wieder wollte Draco aufstehen, und wieder hielt Harry ihn zurück. „Du hast trotzdem etwas vergessen", sagte er dabei und beugte sich vor.
Noch immer etwas unbeholfen küsste Draco Harry. Er legte seine Hand auf Harrys Hinterkopf, während sie zurück ins Bett sanken, sodass Draco auf Harry lag. Sie unterbrachen ihren Kuss und Draco seufzte. Gedankenversunken spielte er mit Haarsträhnen seines Geliebten.
„Du musst gehen", meinte Harry leise. Draco nickte, hauchte ihm noch einen Kuss auf den Mund und erhob sich dann, spie aus dem Vorhang und verließ schließlich den Schlafsaal.
Erst als er wieder in seinem Bett lag, bemerkte er, dass es erst halb sechs war. Kein Wunder, dass er niemandem begegnet war.
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Am Samstag Morgen war Draco das reinste Nervenbündel. Bei der kleinsten Gelegenheit schnauzte er Crabbe, Goyle, und Pansy ja sowieso an. Er verbrachte den Tag damit, ihnen aus dem Weg zu gehen. Harry hatte er beim Frühstück nicht gesehen.
Als Draco in die Bibliothek eintrat, saß dort Granger. Eventuell sollte ich mit ihr sprechen. Vielleicht weiß sie, wo Harry ist..., überlegte Draco, ob es die Mühe wert war. Es beschloss, dass er für Harry keine Mühen scheuen würde, und wenn er schon sein Leben riskierte, konnte er genauso gut mit einem Schlammblut reden.
„Wo ist Harry, Granger?", fragte er sie. Sie blickte auf. „Der müsste jeden Augenblick kommen."
„Ah", machte Draco und ließ sich auf den Platz ihr gegenüber fallen. Sie blickte ihn neugierig an. „Wie kommt es eigentlich, dass ihr euch plötzlich vertragt, Malfoy?", fragte sie.
Etwas überrascht, dass Harry ihr sich nicht anvertraut hatte, war Draco ja schon. Aber er ließ sich nichts anmerken. Eine Augenbraue schoss in die Höhe. „Wir haben halt miteinander geredet, Granger."
„Aber du hast ihn doch sonst immer verflucht... woher kommt die plötzliche Meinungsänderung?"
„Das würde ein Schlammblut wie du eh nicht verstehen."
Granger zog scharf die Luft ein. Draco konnte richtig sehen, wie sie mit sich kämpfte, ihre Wut zu unterdrücken. Ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. In diesem Moment kam Harry an und setzte sich neben Draco.
„Was ist hier los? Hermine?", fragte er.
„Harry, ich kann einfach nicht verstehen, wie du dich mit Malfoy vertragen kannst!", rief Hermine aus. Harry zuckte mit den Schultern. „Wieso? Merkst du denn nicht, dass er sich verändert hat?"
„Der und verändert? Harry, bist du denn blind?", erboste Hermine sich und räumte ihre Bücher zusammen. „Ich setzte meine Studien woanders fort", sagte sie und stürmte aus der Bibliothek.
„Haben Schlammblüter immer ein so aufbrausendes Temperament?", wollte Draco wissen. Harry sah ihn entzürnt an.
„Wenn du sie so nennst, ist das ja auch kein Wunder!"
„Ich nenne sie so, weil sie eins ist", sagte Draco gleichmütig. Als er Harrys Blick sah, zog sich jedoch etwas ihn ihm zusammen.
„Wie kannst du trotz allem noch so arrogant sein?", fragte Harry ihn. Draco wandte den Blick ab.
„Harry, was soll ich denn machen, so wurde ich erzogen", sagte er.
„Und du wurdest auch so erzogen, mich umbringen zu wollen. Mittlerweile kannst du dir doch eine eigene Meinung bilden, Draco, das weiß ich! Du bist nicht dumm, oder so."
„Schon gut. Ich habe im Moment echt andere Sorgen, weißt du?", sagte Draco, leicht verletzt. Was spielte Harry sich so darüber auf, wie er Granger nannte, wenn heute der Tag war, an dem Draco sein Todesurteil fällen würde? Und das auch noch für Harry Potter?
Harrys Blick wurde augenblicklich weich und er rückte näher an Draco heran. Nachdem er sich umgesehen hatte, nahm er Dracos Hand, drückte sie ermutigend.
„Wir werden es schaffen. Wir müssen mit Dumbledore reden. Er wird dich beschützen können. Nein, sag nichts, du musst auch mal Hilfe annehmen können", fügte er hinzu, als er Dracos Gesichtsausdruck sah.
„Ich halte nicht viel von Dumbledore. Weißt du, eigentlich hat der dunkle Lord schon einiges richtig gemacht. Ich möchte dich nur nicht verlieren", meinte Draco.
„Wie bitte? Voldemort und etwas richtig machen?", schrie Harry empört auf. Er ließ Dracos Hand los. „Und ich dachte, du hättest dich verändert." Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit, als er aufstand und die Bibliothek verließ. Draco blickte ihm noch lange nach. Sein Blick war leer, seine Augen füllten sich mit stummen Tränen, die er sofort unterdrückte. Was hatte er sich bei dem ganzen bloß gedacht? Draco, ein zukünftiger Todesser, und Harry, der Todfeind seines Herrn? Und dass Draco Todesser werden würde, stand schon seit seiner Geburt fest. Und er selber hatte solche Absichten noch bis vorkurzem lauthals verkündet. Er war sich gar nicht sicher, ob er sich weigern konnte, falls er bis dahin noch leben würde.
Andererseits würde es nicht nur dieses Mal seine Aufgabe sein, Harry auszuliefern. Vielleicht ließen sie es noch einmal durchgehen, wenn Draco erzählte, wie schwer es wäre, zu Potter vorzudringen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Aber um diese Aufgabe würde er nicht herumkommen.
Draco seufzte. Seinen Kopf stütze er mit den Händen ab. Jetzt habe ich nicht nur mein Vertrauen in den dunklen Lord und in die Todesser verloren, sondern auch noch Harry... eigentlich zählt doch sonst nichts. Wenn ich nicht für Harry da sein kann, was bringt mein Leben dann noch? Diener des dunklen Lords zu werden? Wohl kaum. Diese unglaubliche Leere würde immer bleiben... Ich habe keine Lust mehr, gibt es denn kein Entkommen? Was soll ich jetzt tun, irgendetwas muss ich unternehmen, dieses Rumsitzen macht mich noch ganz verrückt.
Draco stand auf und lief auf und ab. In der nächsten halben Stunde kam er nicht zur Ruhe, ließ sich die Vergangenheit, Harrys Worte, und verschiedene Möglichkeiten der Zukunft durch den Kopf gehen.
Eins ist klar, ich möchte kein Todesser mehr werden. Schon komisch, wie sich so etwas ändern kann. Ich hoffe, dass Harry mir das glaubt. Draco stürmte aus der Bibliothek heraus. Er lief im ganzen Schloss herum, konnte Harry jedoch nicht finden. Noch nicht einmal einen seiner kleinen Freunde. Allerdings lief er an einer Ecke fast Professor McGonagall um.
„Immer mit der Ruhe, Mister Malfoy. Kann ich Ihnen weiterhelfen?", fragte sie mit strengen Blick.
Draco erstarrte und brachte erst einmal kein Wort heraus. In seinem Gehirn ratterte es, er kämpfte dagegen an, doch ihm blieb so wie es aussah, keine andere Möglichkeit. „Ja, könnten Sie... mich zu... Dumbledores Büro führen?"
Wenn McGonagall überrascht war, versteckte sie es hervorragend, als sie nickte und „Folgen Sie mir" sagte. Draco folgte ihr, mit jedem seiner Schritte wurden seine Füße schwerer. Dann fand er sich schon vor Dumbledores Schreibtisch wieder. Dieser deutete ihm, sich zu setzen, während McGonagall das Büro verließ und die Tür hinter sich zuzog.
„Nun, Mister Malfoy, wie kann ich Ihnen behilflich sein?"
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Vater,
das mag jetzt überraschend kommen, aber ich habe es mir gut überlegt: ich weigere mich, das dunkle Mal zu empfangen. Ich weigere mich, dem dunklen Lord zu dienen. Ich weigere mich, die Drecksarbeit für ihn zu erledigen, und ich habe das Recht dazu, ich bin fast volljährig und kann für mich selber entscheiden. Ich hoffe, du und Mutter versteht das. Ich weiß, dass die anderen mich jagen werden, versuchen werden, mich von meiner Entscheidung abzubringen, versuchen werden, mich zur Rückkehr zu „überreden". Doch ich habe Unterstützung von dem Orden des Phoenix. Bitte verurteile mich nicht deswegen, ich weiß selber, was für Schwachköpfe dort agieren, habe ich sie doch selber getroffen. Aber sie bilden nun einmal die Gegenseite, und sie sind keine schlechten Zauberer. Sie werden mich beschützen, und in Hogwarts bin ich sowieso sicher.
Dracos Feder hielt kurz inne. Er musste grinsen, als er überlegte, folgend Zeile hinzuzufügen, nur um seinen Vater zu ärgern: „Übrigens habe ich mich in Harry Potter verliebt, und dies ist kein Scherz. Er gab mir Wärme und Hilfe, es sah mich als Menschen, wo ich für euch nur ein Dienstbote war."
Dann beschloss er aber, es sein zu lassen. Zu privat. Und zu schmerzlich waren die Worte „gab" und „sah". Vergangenheit. Draco wusste nicht, ob Harry zu ihm zurückkehren würde, wusste noch nicht einmal, ob sie auseinander gebrochen waren oder nicht. Aber jetzt, nach Abflug dieses Briefes, würde es doch noch Hoffnung geben, oder etwa nicht?
Lasst mich eure Reaktionen erfahren, wenn ihr noch mit mir kommunizieren dürft. Obwohl ich sie mir lebhaft vorstellen kann, möchte ich sie von euch gesagt bekommen. Ich hoffe, es wird nie zum Äußeren kommen und wir uns auf dem Schlachtfeld gegenüber stehen werden. Ich habe keine Ahnung, was ich dann tun werde. Angesichts der Tatsache, dass ihr immer gut zu mir ward, werde ich meine Gefühle der Gnade euch gegenüber wohl unterdrücken müssen, ganz so, wie ihr es mir beigebracht habt. Seid meines Dankes gewiss, euer Sohn,
Draco Malfoy
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Draco,
das ist doch nur ein schlechter Scherz, bitte sag, dass es das ist. Der dunkle Lord war außer sich, als er deine Pläne erfuhr. Nein, er hat niemanden ausgeschickt, um dich zu töten, er meinte nur, du würdest schon sehen, was du davon hast. Doch ich, deine Mutter, bitte dich, von deinem lächerlichen Plan abzulassen! Oder tust du das, um den Orden auszuspionieren? Haben sie dich dort etwa warm und herzlich empfangen, so, wie du es verdient hast? Ich glaube kaum. Dein Vater weigert sich, ein Wort mit dir zu wechseln, bevor du nicht wieder Vernunft annimmst. Ich bin maßlos enttäuscht.
Narzissa Malfoy
Draco ließ den Brief sinken. Genau die Reaktionen, die er erwartet hatte. Vater stellte dich stur, Mutter wollte die Wahrheit nicht sehen.
„Und, wer schreibt so?", fragte Goyle zwischen zwei Bissen Toast.
Draco zuckte mit den Schultern. „Meine Eltern", sagte er. Er würde es seinen „Freunden" ganz bestimmt nicht unter die Nase reiben, dass er die Seite gewechselt hatte. Ihre Eltern waren auch Todesser.
Zu gerne würde er es jedoch Harry sagen, mit dem er seit dem Bibliotheks- Zwischenfall nicht mehr geredet hatte.
Ich hoffe bloß, Er schickt keinen anderen, um Harry zu holen. Nötig hätte es der dunkle Lord ja schon. Und wann hat Er mal nicht bekommen, was Er wollte? Na ja, außer in dieser Nacht, vor fast 17 Jahren...
Draco sprang auf. Heute war Donnerstag, also hatten sie die dritte und vierte Stunde „Verteidigung gegen die dunklen Künste" mit den Gryffindors.
Ohne auf Crabbe und Goyle zu warten ging er zu dem Klassenzimmer, in dem sie „Verwandlungen" hatten. Leider zog sich der Unterricht heute mehr als sonst in die Länge. Als es endlich läutete, war er der erste, der aufsprang und zu dem nächsten Klassenraum eilte. Die verdutzten Gesichter von Crabbe und Goyle ignorierte er absichtlich.
Vor dem Raum standen schon die Gryffindors, Harry etwas abwesend neben dem Wiesel und dem Sch- , der Granger. Draco trat zu ihm.
„Potter", zischte er, „wir müssen reden."
„Ich wüsste nicht, worüber, Malfoy", sagte Harry in dem schleppenden Tonfall, den Draco normalerweise immer benutzte.
„Das wirst du schon erfahren." Draco versuchte Harry durch seinen Blick mitzuteilen, dass es wichtig war.
„Lass ihn in Ruhe, Malfoy. Wenn Harry nicht reden will, dann kannst du ihn nicht dazu zwingen", sagte Weasley. Granger hatte einen zufriedenen Gesichtsausdruck aufgesetzt, der Draco mehr als alles andere verärgerte.
„Haltet euch da raus", meinte er schnippisch. Dann wandte er sich wieder Harry zu. Sehr, sehr leise sagte er: „Bitte!"
Harry schien eine Sekunde zu überlegen, dann nickte er. Er warf einen entschuldigenden Blick zu seinen Freunden (Draco hingegen einen triumphierenden) und folgte Draco. Etwas abseits der anderen blieben sie stehen.
„Was ist denn, Draco?"
„Das fragst du noch? Hast du nicht auch das Gefühl, wir haben ziemlich viel zu klären?"
Harry zuckte mit den Achseln. „Der Unterricht beginnt gleich, du hast gesagt, es geht schnell."
Draco nickte. „Ich wollte dich fragen, ob wir uns nachher beim Raum der Wünsche treffen könnten?"
„Also, eigentlich habe ich nicht das Gefühl, dass wir so viel zu bereden haben."
„Ach, nein? Wo ist plötzlich deine Besorgnis hin? Du hast mir versprochen, mir beizustehen!"
„Das ist ja anscheinend nicht mehr nötig! Du lebst noch, also gehe ich davon aus, dass du den Todessern versprochen hast, mich demnächst auszuliefern! Warum sollte ich es dir so leicht machen?"
„Harry! Hast du mir denn nie zugehört?", rief Draco empört aus. Dann dämpfte er seine Stimme. „Ich werde dich nie ausliefern, klar? Und mit den Todessern habe ich abgeschlossen, genau das will ich ja mit dir besprechen!"
Harry kratzte sich am Kopf. „Okay, um vier am Raum der Wünsche?", fragte er. Draco nickte erleichtert.
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Draco war schon um viertel vor vier dort und lehnte sich an die Wand. Hier kamen nicht viele Schüler vorbei, und an den wenigen, die vorbei kamen, übte er seinen Todesblick. Manchmal konnte der doch ganz nützlich sein.
Harry kam angeschlichen. Draco hatte so einige Probleme damit, seine düsteren Blick abzulegen. „Guck mich nicht so an, du wolltest dich doch hier treffen", sagte Harry, während er anfing, hin und her zu laufen.
Der Raum war gemütlich wie immer, das Feuer prasselte hingebungsvoll und durch das Fenster konnte man die winterliche Landschaft sehen. Heute war der erste leichte Schnee gefallen.
Harry plumpste in einen Sessel und blickte Draco erwartungsvoll an. Draco blieb stehen. Er hatte sich tausend Mal überlegt, wie er anfangen wollte, aber trotzdem war es das schwerste, was er je getan hatte, sogar schwerer, als bei Dumbledore um Hilfe zu betteln.
„Harry... es tut mir leid, ich wollte deine Freundin nicht beleidigen", sagte er.
„Das solltest du ihr auch sagen", meinte Harry.
„Warum? Es reicht doch, wenn du –"
„Nein. Wenn es dir aufrichtig leid tut, dann musst du es auch ihr sagen. Ich will nicht, dass du dich nur bei mir entschuldigst, damit ich nicht mehr sauer bin, im Stillen aber denkst, sie hat es verdient."
Draco starrte Harry an. Eigentlich war das schon der Grund für Dracos Entschuldigung – damit Harry nicht sauer ist. Warum sollte er sch bei Granger entschuldigen, was hatte er schon mit ihr zu tun? Gar nichts, und wenn es nach Draco ginge, würde das auch so bleiben. Aber wenn es Harry so wichtig war...
„In Ordnung. Aber da ist noch eine Sache, die ich mit dir besprechen wollte. Und zwar", Draco holte Luft, „...ich werde vom Orden des Phoenix vor den Todessern und dem dunklen Lord beschützt. Ich habe mich geweigert, das dunkle Mal zu empfangen."
Stille folgte auf diese Aussage. Harry schien sich das Ganze durch den Kopf gehen zu lassen. Er blickte ins Feuer. Dann, nach einer Ewigkeit, wendete er sich Draco zu, der sich nun doch hingesetzt hatte.
„Stimmt das? Was sagen deine Eltern dazu?"
Draco gab Harry den Brief, den er heute Morgen empfangen hatte. Harry überflog ihn, und ein Lächeln huschte auf sein Gesicht, als er ihn Draco zurückgab. „Und du willst nicht den Orden ausspionieren, wie deine Mutter fragte?"
Draco zog die Augenbrauen zusammen. „Ich bitte dich Harry, mittlerweile müsstest du mich schon gut genug kennen, um zu wissen, dass ich diese Demütigung nicht für den dunklen Lord auf mich nehmen würde. Außerdem haben wir die ganze Zeit darüber gesprochen, meine Güte, ich bin zu Dumbledore gegangen! Es war schrecklich!"
„Also meinst du alles ernst...", sagte Harry.
„Natürlich! Wenn du mir trotz allem nicht glaubst, habe ich hier nichts mehr zu suchen", sagte Draco und stand auf.
„Warte!" Harry sprang auf. „So meinte ich das nicht! Ich habe mich nur so unglaublich gefreut!"
Harry war schnell neben Draco und umarmte ihn. Seinen Kopf legte er auf Dracos Schulter. Nachdem er seine Überraschung überwunden hatte, zog Draco Harry mit einem Grinsen näher an sich.
„Also alles, was ich tun musste, um deine Beachtung zu finden, war, die Seite zu wechseln?", fragte er.
Harry schaute auf. „Du hattest auch schon vorher meine Beachtung, Draco. Allerdings hätte ich keine Beziehung mit einem Todesser führen können, das ist alles."
Draco stockte der Atem, und der Herzschlag gleich mit, wie es schien. „Beziehung?", brachte er heraus. Harry nickte.
„Es sei denn, du willst nicht...?", meinte er leise.
Als Antwort erhielt Harry einen langen und überzeugenden Kuss.
°Ende°
