Der Traum eines jeden Shippers
Nur unwillig schaltete sie ihren Computer aus und begab sich ins Wohnzimmer. Gerade war sie dabei gewesen, eine spannende und prickelnde Szene zwischen Harry und Draco zu schreiben, da war der alljährliche Vorleseabend ausgerufen worden. Eine dumme Tradition, wer wollte schon Märchen hören, wenn man Harry Potter Fanfics schreiben konnte?
Aber daran gab es nichts zu rütteln, und so fügte Mary sich ihrem Schicksal. Doch dieser Abend sollte eine Überraschung für sie parat halten. Sobald alle im Raum versammelt waren, hob ihre Mutter ein Exemplar „Harry Potter und der Halbblutprinz" hoch.
„Heute lesen wir hieraus, wo Mary doch so ein Harry Potter Fan ist", sagte sie. Sofort war Mary Feuer und Flamme. Die Bücher waren eine gute Basis und Inspiration, und bei den Harry/Draco Szenen konnte sie sich einfach nicht das Grinsen verkneifen und verhindern, dass die Szenen in ihrer Fantasie ein anderes Ende nahmen als im Buch…
Mit fester Stimme begann ihre Mutter, vorzulesen. Alle Anwesenden konnten sich hervorragend in die Geschichte hineinversetzen. Mary schloss die Augen, die Stimme rückte in den Hintergrund, Bilder kamen vor ihren Augen auf und wurden lebendig…
+O+
Sie musste eingeschlafen sein. Um sie herum war alles still. Mary drehte sich um. Wie kam es, dass sie im Bett lag? Und dann auch noch ganz bestimmt nicht in ihrem eigenen, dieses hier hatte so einen eigenartigen Geruch. So müde sie noch war, es ging nicht, dass sie nicht Bescheid wusste, was läuft. Also öffnete sie die Augen. Und starrte einen roten Baldachin an.
„Moment einmal… das kann nicht sein… Vielleicht ist das wieder ein Streich von meinem Bruder…"
Rechts neben ihr ertönte plötzlich ein Geräusch und Mary saß sofort aufrecht im Bett. Um sie herum waren Vorhänge zugezogen, doch das änderte sie sofort. Und traute ihren Augen kaum, als sie ganz eindeutig den Schlafsaal der Gryffindor vor sich hatte. Ein rundes Zimmer, fünf Betten, aus zwei kamen Schnarchgeräusche, und die Sonne schickte ihre ersten Strahlen durchs Fenster.
Sie schwang ihre Beine vom Bett und als ihre Füße den kalten Boden berührten, kam eine Welle der Panik in ihr hoch. Sie trug nämlich einen abgenutzten Pyjama, und ihr Körper fühlte sich so… merkwürdig an. Als wäre es nicht ihr eigener.
Schnell orientierte sie sich, in den Büchern erfuhr man ja nie, wo das Bad war, und dann rannte sie genau dort hin. Das erste, was sie tat, war, einen Blick in den Spiegel zu werfen.
Ein verschwommener Junge mit schwarzen, verwuschelten Haaren schaute sie an. Auch ohne Brille, die sie anscheinend brauchte, konnte sie erkennen, dass etwas schief ging. Das letzte Mal, als sie eingeschlafen war, war sie doch noch ein Mädchen gewesen!
Sie ging wie im Traum zurück zum Bett, setzte sich die Brille auf die Nase und überprüfte alles noch einmal ganz genau. Das Spiegelbild, den Pyjama, das Zimmer, alles. Sie musste träumen, es konnte unmöglich sein, dass sie mit Harry Potter den Körper getauscht hatte, wo es Harry Potter doch gar nicht gab… abgesehen davon, dass auch Körpertausche nur in schlechten Geschichten vorkamen.
Sie fasste sich an den Kopf und legte sich aufs Bett zurück. Was sollte das ganze, wie war das möglich? Konnte ihre Mutter Personen in ein Buch lesen, so wie in „Tintenblut"? Aber dann wäre Marys Chance, jemals wieder zurückzukommen, nur sehr gering.
„Uah", gähnte jemand neben ihr, es war Ron, und krabbelte aus seiner Decke hervor. Als er Mary erblickte, sah er verwundert aus.
„Schon wach? Hattest du einen Albtraum?"
Mary zuckte mit den Schultern. „Ich denke schon", sagte sie, dann schlug sie sich vor den Mund. Wessen Stimme war das denn gewesen?
Ron nickte und schlurfte ins Bad. Nacheinander standen alle Jungs auf, begrüßten Mary mit einem „Morgen", aber ansonsten achteten sie nicht weiter auf sie. Mary begann mit vorsichtigen Bewegungen, sich umzuziehen. Es war ziemlich blöd, in einem Jungenkörper zu stecken, das merkte sie jetzt. Irgendwie war alles so schwerfällig, und ständig hatte man etwas zwischen den Beinen baumeln.
Auf einmal grinste Mary ihr breitestes Grinsen, wie nur Shipper es in dieser Situation grinsen konnten. Wenn sie Harry war, konnte sie ihm mal dazu verhelfen, sich seine Gefühle gegenüber Draco einzugestehen. Oder zu entdecken, wie auch immer. Und vielleicht sogar der Rowling einen Strich durch die Rechnung machen.
Schon weitaus fröhlicher folgte sie Ron, sie trafen Hermine und gingen in die Große Halle. Mary war viel zu sehr mit Staunen und Gucken beschäftigt, als das sie etwas zur Unterhaltung beisteuern konnte. Ron und Hermine schien das nicht zu stören.
Endlich erreichten sie die Große Halle. Sie war schon imposant. Marys Blick wanderte zur Decke. Der Himmel war wolkenverhangen. Es war laut, Stimmen schwirrten umher, Besteck klapperte, und hier und da lachte jemand auf. Ron und Hermine steuerten den großen Tisch ganz rechts an. Mary warf im Vorübergehen Blicke auf die anderen Tische, aber sie erkannte nicht wirklich jemanden. Vielleicht hatte sie sich ja alle falsch vorgestellt. Auch Ron und Hermine sahen, nun in Menschengestallt vor ihr, anders aus als in ihrer Fantasie.
Mary schluckte brav ihr Rührei herunter und beobachtete die Schüler um sie herum.
„Warum so still, Harry?", hörte sie jemanden fragen, und es dauerte ein paar Sekunden, bis sie realisierte, dass sie gemeint war. Sie drehte ihren Kopf und sah einen Jungen mit rotblonden Haaren zwei Plätze weiter sitzen und sie fragend anblicken.
„Äh. Ich…habe…schlecht geschlafen."
„Uh, Albträume von Du- weißt- schon- wem? Du Armer!"
Mary/Harry nickte. Und versuchte, am Slytherintisch, der genau auf der anderen Seite der Halle stand, jemanden auszumachen. Doch es war erfolglos.
„Was haben wir jetzt, Ron?", fragte sie ihren Sitznachbarn.
„Ach, Harry… Verwandlung, Freistunden, Zaubertränke, Wochenende!"
Mary nickte. Perfekt, dass sie Zaubertränke hatten, es war ja fast wie in einer Fanfic. Und Verwandlung wollte sie sich auch schon immer einmal anschauen.
+O+
Professor McGonagall war tatsächlich streng, und sah auch so aus. Mary brachte in ihrem Unterricht gar nichts zustande und McGonagall warf ihr komische Blicke zu. Beim dritten Mal, bei dem ihr ein einfacher Aufrufzauber nicht gelang, zog McGonagall fünf Punkte von Gryffindor ab. Das fing ja schon toll an. Auf einmal war Mary gar nicht mehr so begeistert von der ganzen Sache. Niemand hatte ihr gesagt, dass Zaubern Arbeit war, in den Büchern hörte es sich immer so leicht an. Zack und fertig.
In der Freistunde, die sie damit verbrachte, Ron und Dean im Gemeinschaftsraum beim Schachspielen zuzusehen, überlegte sie, wie sie wieder in ihre eigene Welt zurückkommen konnte. Harry Potter lesen und schreiben war toll, aber drinzustecken… Wo blieb der Spaß, wenn man nicht alles nach den eigenen Wünschen gestalten konnte?
Sie beschloss, nach Zaubertränke Hermine um Hilfe zu bitten. Harry (und Draco) einen Anstoß in die richtige Richtung zu geben, war sicherlich nicht falsch. Und sie wusste durch tausende Fanfics, wie es ging. Wenn es etwas gab, dass sie konnte, war das Liebesgeschichten zwischen zwei Jungs, die sich hassten, einfädeln.
Also wartete sie ab. Dann kam Hermin in den Gemeinschaftsraum, holte ihre Bücher für die nächste Stunde und scheuchte Ron, der träge im Sessel hockte, auf. Mary selber war schon längst bereit.
„Uh… ist doch nur Zaubertränke…", jammerte Ron, als sie durchs Portraitloch kletterten. Auch das war wieder so eine Sache, warum gab es keine Tür? Was, wenn sich jemand ein Bein brach und nicht klettern konnte? Wer war denn auf die schwachsinnige Idee gekommen?
„Ron, wir werden mindestens tausend Punkte verlieren", gab Mary von sich. Hermine nickte.
„Harry hat Recht, auch wenn er übertreibt. Aber im Grunde hat er Recht."
Mary sah sich Hermine genauer an. Sie hatte sie sich hübscher vorgestellt. Und angenehmer in der Art, welche ihr im Moment sehr rechthaberisch vorkam. Und Ron… auch nicht so Marys Typ. Harry gefiel ihr, sie hatte ihn sich im Spiegel genau angesehen. Schade nur, dass sie ihn nicht die ganze Zeit ansehen musste. Sie hoffte nur, Draco war ihren Vorstellungen entsprechend, aber das hatte bis jetzt noch niemand.
Je tiefer sie kamen, desto kälter wurde es, und in den Kerkern herrschte ein eigentümlicher Geruch. Mary krauste die Nase.
„Riecht ihr das?"
„Was denn?", fragte Ron.
„So riecht es hier immer, Harry, sag bloß, du hast es noch nie bemerkt?", fragte Hermine. Mary beließ es bei einem Stirnrunzeln. Wenn es so weiterging, müsste sie Hermine mal ihre Meinung sagen.
Endlich kamen sie zu einem Kerker, wo mehrere Schüler vor standen, die Mary alle nicht kannte. Sie wusste, dass sie aus jedem der Häuser hätten sein können.
„Ah, Ernie, ich habe schon wieder dein Poster vergessen", sprach Ron einen Jungen mit leichten Segelohren an. McMillan war das? Unmöglich. Ernie nickte. „Langsam glaube ich, es gefällt dir sehr gut", sagte er, ein Mädchen neben ihm lachte schrill auf. Mary schlug sich die Hände vor die Ohren.
„Was hast du, Harry? Ist es deine Narbe?", fragte Hermine.
„Nein", gab Mary ärgerlich zurück, „Es ist nichts!" Sie hatte schon gar keine Lust mehr, Harry oder sonst wem zu helfen. Wenn sie bloß wieder nach Hause konnte… aber bald würde sie Snape sehen, in echt und ganz real vor ihrer Nase. Dafür würde sie auch seine dummen Kommentare ertragen…
Ihre Laune verschlechterte sich noch mehr, als ein kleiner, dicker Mann mit Schnauzbart um die Ecke bog. Slughorn. Blöder Slughorn. Mary wollte gefälligst Snape sehen. Sie grummelte vor sich hin, als sie in den Kerker eintraten und sich zu ihren Plätzen begaben.
Dann fiel ihr ihre Mission wieder ein und sie blickte sich um. Der einzige blonde Junge, der im Moment hier war, war groß, sehr dürr und hatte Augenringe. Das konnte wohl kaum Draco sein, denn Draco war ja der Traumtyp schlechthin, und er hätte ihnen schon längst einen Kommentar gedrückt. Es bestand noch nicht einmal eine geringe Ähnlichkeit mit Tom Felton, er konnte es wirklich nicht sein. Mary beschloss, dass Draco wohl zu spät kam, oder, bei ihrem Glück, überhaupt nicht.
Slughorn hielt sich auch nicht mit einer Namensliste auf, sondern ließ ein Rezept erscheinen und sie durften drauflos kochen.
Mary hatte keine Ahnung, was sie tun sollte, und so machte sie alles Ron nach. Bis der sie erstaunt ansah.
„Hörst du jetzt doch auf Hermine?", fragte er.
Mary rümpfte unwillkürlich die Nase. „Wieso sollte ich?"
„Na, weil du den Prinzen nicht zu Rate ziehst."
Mary schlug sich vor die Stirn. Wie sollte sie auch an alles denken! Ein kurzer Schmerz durchzog ihre Stirn, aber das musste wohl so sein, wenn man Harry Potter war. Sie blätterte geschwind in dem Buch nach und machte weiter. Nach einer halben Stunde schon hatte auch der Zaubertrank Unterricht seinen Reiz verloren. Sie war wohl geboren, um ein Muggel zu sein.
Und Draco war immer noch nicht gekommen. Marys Aussicht auf ein bisschen Spaß war dahin, ihr Ausflug in die Zaubererwelt war ein einziger Schlag ins Wasser.
„Ob Malfoy wohl krank ist, was meinst du?", fragte Mary Ron. Der sah auf und runzelte die Stirn.
„Warum sollte er?"
Mary zuckte mit den Schultern. Ron heftete seinen Blick auf einen Punkt weiter vorne.
„Na ja, er sieht blass aus, aber das ist er doch immer?"
Mary folgte seinem Blick. „Du meinst… das ist Malfoy?"
Ron blickte sie an und ließ noch mehr Falten in seiner Stirn erscheinen. „Bist du sicher, dass es dir gut geht, Harry?" Mary nickte schnell und tat beschäftigt. Als Ron seine Aufmerksamkeit von ihr genommen hatte, nahm Mary den blonden Typen noch mal in Augenschein. Wirklich hager, blass, und kränklich. Und hieß es nicht in jeder Fanfic, Draco hätte einen Haartick? Davon war hier nichts zu sehen, sie waren weder gegeelt, noch sonst wie gestylt. Sie hingen ihm einfach ins Gesicht.
Plötzlich erschien ihr jede Geschichte, die sie geschrieben hatte, so unrealistisch. Hier war nun Harry Potter, und dort Draco Malfoy. Doch Anziehung gab es nicht, jedenfalls nicht von Harrys Seite. Und Draco blickte nicht einmal hinüber, so lange Mary ihn auch anstarrte.
Doch Mary wäre kein Shipper dieses Pairings, wenn sie so leicht aufgeben würde. Sie würde morgen wieder zuhause sein, und Harry würde ihr nur dankbar sein, wenn Draco ihm gegenüber plötzlich freundlich gesinnt wäre. Ja, davon war sie überzeugt.
Sie wartete, bis es klingelte, speiste Ron mit einer Ausrede ab und heftete sich auf Dracos Spuren, der schnell und ohne sich umzusehen aus dem Klassenraum verschwand. Da erinnerte Mary sich, dass sein Gemeinschaftsraum ja auch im Kerker war. Sie musste sich also beeilen.
„Malfoy!", rief sie und rannte sie letzten Meter. Draco drehte sich um und verschränkte die Arme.
„Oh bitte, Potter, verschone mich mit deiner Anwesenheit", sagte er. Seine Stimme klang unangenehm. Sie hatte einen schnippischen Ton, und wie er Mary anstierte, sah er auch nicht gerade attraktiv aus. Innerlich seufzte Mary. Warum war alles in der Vorstellung so viel einfacher?
„Geht nicht. Ich muss dir etwas wichtiges sagen", sagte Mary, in ihrem höflichsten Ton. Draco hob eine Augenbraue und sah amüsiert aus.
„Aha."
Mary hatte vorgehabt, ein Liebesgeständnis zu machen, oder wenigstens etwas in der Art „Ich mag dich eigentlich doch", aber nun brachte sie das nicht über die Lippen. Vielleicht weigerten Harrys Lippen sich, so etwas auszusprechen.
„Jaah…", sagte sie deswegen. Mehr fiel ihr nicht ein. Ihr Blick fiel auf Dracos Arm. Ob da wohl das Todesser- Zeichen hinter der Robe prang?
„Ich habe Besseres zu tun", meinte Draco und wandte sich ab. Mary verlor den Mut. Ihr Körper, eigentlich ja Harrys, wollte sich umdrehen und gehen. Aber sie kratzte auch noch das letzte bisschen Mut zusammen (in Gryffindor wäre sie prima aufgehoben) und sprang zu Draco, hielt ihm am Arm fest (wie oft hatte Harry das getan, in den Geschichten. Aber dieser Arm fühlte sich an, wie alle anderen Arme dieser und Marys Welt).
„Draco! Warte doch!", kam es ihr aus dem Mund. Draco schleuderte sie gegen die Wand, ihr Kopf knallte heftig dagegen und sie rutschte hinab. Ein gewalttätiger Möchte- gern- Todesser, das war alles, was Draco war.
Der lachte jetzt auch noch und ging weiter. Marys Kopf dröhnte und sie gab es nun endlich auf. Es war wohl anmaßend zu denken, die beiden würden jemals ein Paar werden. Sie blieb ein paar Minuten liegen, bevor sie sich auf den Weg in den Gryffindorturm machte. Bzw den Weg suchte. Schon nach kurzer Zeit war sie verloren auf den Gängen Hogwarts. Hoffentlich würde sie nicht Filch oder Peeves treffen.
Sie versuchte die Schüler, die sie traf, einzuordnen. Sie erkannte niemanden, auch wenn manche sie anstarrten oder hinter ihrem Rücken tuschelten. Schließlich heftete sie sich auf die Fersen von ein paar Gryffindor, und hoffte, sie gingen zum Turm.
Mary hatte Glück. Im Gemeinschaftsraum saßen auch schon Ron und Hermine. Mary setzte sich zu ihnen und seufzte.
„Was ist passiert?", fragte Hermine.
„Nichts", blaffte Mary, „Frag nicht immer so blöd."
Hermine schien geschockt. „Aber du siehst ziemlich fertig aus!"
Mary verdrehte die Augen. „Das liegt daran, dass ich es bin! Ich will mein Leben zurück! Wer will schon Harry Potter sein, ich bitte dich!"
Ron legte eine Hand auf ihre Schulter. „Schon gut, Kumpel. Es war Malfoy, stimmts?"
„Hauptsächlich, ja, aber darum geht es nicht. Kapiert ihr es nicht? Ich bin nicht Harry."
„Das wird schon wieder. Was hat er gemacht? Dich auf den Kopf geschlagen?"
„Ron, bitte! Hermine, glaubst du mir? Ich bin ein Mädchen, dass bis vor kurzem noch in ihrem Wohnzimmer saß! Seit heute morgen bin ich in diesem Körper gefangen." Sie seufzte. Hermine guckte äußerst ungläubig. „Deswegen schnauzt du mich an? Harry würde das nie machen!"
„Stell dir vor, deswegen! Und weil ich schlechte Laune habe und zurück will!"
Hermine wog den Kopf. Anscheinend glaubte sie Mary, was Mary verwunderte. So schnell? Konnte es sein, dass Hermine ein bisschen naiv war? Trotz ihrer Klugheit? Oder glaubte sie ihr deshalb, hatte sie schon längst bemerkt, dass mit Harry etwas nicht stimmte?
Rons Kopf qualmte förmlich. „Du hast Malfoy vorhin nicht erkannt…"
„Und konntest keinen einzigen Zauber heute morgen", ergänzte Hermine. Ron schaute Mary an und rückte dann ein Stück weg.
„Ein Mädchen, sagst du? Dann dürftest du aber nicht in unseren Schlafsaal!"
Mary rollte mit den Augen. „Und ob, Hermine darf ja auch. Und außerdem habe ich einen Jungenkörper."
„Wo ist Harry? Das wird ihm gar nicht gefallen, jetzt in einem Mädchenkörper zu stecken!"
„Glaubt ihr?"
„Ja? Ist doch klar. Wäre ich auch. Also, Hermine, was ist dein Plan?"
„Mein Plan? Also ehrlich…" Hermine blickte ihn empört an.
„Jaah, du hast doch immer sofort einen Plan bereit", sagte Ron, und Hermine errötete. Mary schaute sich die beiden an. Dass die zusammen kamen, war ja so was von klar. Das stand sogar in den Büchern. Warum nicht auch bei – Seufzer – ihrem Lieblingspairing?
Die beiden blickten sie an.
„Okay, ich werde mir etwas überlegen, keine Angst", sagte Hermine, und Mary nickte. Hermine stand auf. „Ich geh dann mal –"
„Sollen wir mitkommen?", bot Ron ihr an, doch sie verneinte. Schließlich saß Mary mit Ron alleine vor dem Kamin.
„Keine Angst, du bekommst sie", sagte sie leise.
„Was? Ich weiß nicht, wovon du sprichst."
Mary lachte. „Oh, bitte! Es ist so offensichtlich! Noch am Ende dieses Schuljahres, bei Dumbledores –" Sie stoppte. Nichts verraten.
„Wie jetzt, woher willst du wissen, was passiert?"
„Öh… das war eine Vermutung."
„Woher kennst du Dumbledore?"
„Er ist ein berühmter Zauberer, und wer weiß nicht, dass Harry Potter auf seine Schule geht?"
Ron nickte, das schien ihm zu genügen. Ein paar Minuten saßen sie schweigend da, dann kam Ginny an. Mary schickte ihr einen bösen Blick.
„Was habe ich getan?", sagte sie und blieb stehen.
„Du existierst. Das reicht."
Ginny blickte beleidigt und verschwand wieder, Mary summte zufrieden vor sich hin. Welcher Harry/Draco Shipper mochte schon Ginny? Also ehrlich. Ron piekste sie in den Arm.
„Das war nicht nett. Das war meine Schwester."
„Ich weiß, ihr Haar hat sie verraten."
„Harry mag sie eigentlich, weißt du?"
„Ja, leider. Aber nicht lange, glaub mir. Er mag eigentlich –"
Seufz – solche Anflüge ließen sich nicht unterbinden. Und diese Fantasien Menschen aufdrücken, die Harry Potter nur aus Büchern kannten, war schon viel leichter.
„Ja?"
„Wirst du sehen, wirst du sehen. Können wir vielleicht irgendwo hingehen? Ich möchte Hogwarts besichtigen."
„Auf welche Schule gehst du denn?"
„Uhm – eine sehr kleine äh, auf eine Muggelschule, ich bin ein Squib."
„Oh, tut mir leid."
„Macht nichts."
Sie standen auf und kletterten aus dem Loch (Mary hatte jetzt schon genug davon). Ron zeigte ihr die Große Halle („Hier gibt es immer Essen") und das Schlossgelände, Hagrids Hütte, den See, den Beginn des verbotenen Waldes. Auf dem Rückweg sahen sie sogar noch Seidenschnabel. Mary war sehr beeindruckt von allem. Diesen Tag (und sie hoffte, es würde bei einem Tag bleiben) würde sie nie vergessen, und auch ihre folgenden Geschichten beeinflussen. Sie konnte nun alles besser schildern, und als würde die Tatsache, dass ihr Traum von dem Traumpaar nicht wahr werden würde, sie davon abhalten, darüber zu schreiben.
Als sie durch die Eingangshalle liefen, öffnete sich die Tür zu den Kerkern und Mary konnte einen Blick auf Crabbe und Goyle werfen, zwischen denen Draco, obwohl er selber nicht der Kleinste war, fast verschwand. Sie sahen richtig zum Fürchten aus, und Ron knurrte nur bei ihrem Anblick.
„Da sind unsere Feinde", sagte er mit einem Nicken zu ihnen. Mary konnte sich einfach nicht zurückhalten.
„Ich weiß. He, Malfoy!", rief sie, und als der Kopf von Draco in ihre Richtung schnallte, winkte sie freundlich. Dracos Augen verengten sich und er schnaufte. Dann ging er mit seinen Kumpanen die Treppe hoch, die Ron und Mary auch hoch mussten.
Sie ließen extra Abstand zu ihnen. „Was sollte das?", zischte Ron, „Wir können froh sein, dass er uns nicht verkloppt hat."
„Ach, das Glück hatte ich heute schon. Ich weiß halt, dass auch Gutes in ihm steckt, und wenn ich freundlich bin, kommt das vielleicht mal zum Vorschein."
„Nie und nimmer", schnaufte Ron. Beinahe hätte Mary ihm erzählt, dass er Dumbledore nicht hatte umbringen konnte und im letzten Buch zur guten Seite wechseln würde, und dann, ja, dann…
„Harry, äh, wie auch immer du heißt!", riss Ron sie aus ihren schönsten Tagträumen.
„Mary heiße ich. Was gibt's?"
„Mary? Mary und Harry? Hi, hi. Äh, wo war ich? Ach ja. Wir sollten zurück gehen, normalerweise ist Hermine immer sehr schnell."
Mary nickte und erwähnte nicht, dass sie sich schon längst auf dem Weg zurück befanden. Tatsächlich saß Hermine vor dem Feuer im Gemeinschaftsraum und wippte ungeduldig mit dem Fuß. Sie sprang auf, als Ron und Mary ankamen
„Na endlich! Wo wart ihr denn!", rief sie aus und zog die beiden ohne eine Antwort abzuwarten wieder nach draußen.
„Ich habe einen Zauber gefunden, aber eine erfahrenere Hexe als ich muss ihn ausführen. Wir gehen zu McGonagall."
„Was? Nein!", rief Ron aus.
„Warum nicht? Also ehrlich, sie kann uns helfen, und wir können doch wirklich nichts dafür!"
Ron erklärte sich murrend einverstanden. McGonagall musste erst überzeugt werden, aber Hermine und Mary hatten schlagkräftige Argumente. Ron hielt sich schweigend im Hintergrund. McGonagall sah sich Hermines Buch an und überlegte eine Weile. Mary erwartete jeden Moment ein Kopfschütteln, ein mitleidiges „Tut mir leid, das ist unmöglich, dann muss sie jetzt eben Potters Aufgabe übernehmen".
Doch zu ihrer großen Erleichterung legte McGonagall das Buch auf den Tisch und zückte ihren Zauberstab. „Bereit?", fragte sie. Mary nickte und kniff die Augen zusammen.
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Nach einer Minute öffnete sie fragend. Und stand zu ihrer großen Erleichterung in ihrem Wohnzimmer. Ihre Familie war versammelt und starrte sie an, doch Mary umarmte alle freudig.
„Na, wieder normal?", fragte ihre Mutter sie. Mary nickte nur.
„Tu mir nur einen Gefallen, Mutter", sagte sie lachend, „und lass Vater demnächst immer vorlesen."
