Becoming Immortal

"Du gönnst mir noch nicht einmal mehr einen Besuch bei meiner Familie!"

"Deine Familie liegt 200 Kilometer von unserer Wohnung entfernt begraben. Ich finde nur, wir sollten nicht so oft dorthin fahren!"

"Oft? Harry, wir fahren nur heute, zum Totengedenktag und zu ihren Geburtstagen dahin! Ich will gar nicht zählen, wie oft du zum Grab deiner Eltern gehst!"

"Es ist in der Nähe! Und ich zwinge dich nicht, mitzugehen!"

"Oh, also zwinge ich dich, mitzukommen?"

"Nein, verdreh mir doch nicht die Worte im Mund!"

"Was stört dich dann daran, Harry, sag es mir! Ich versteh nämlich nicht, warum du so ein Theater darum machst!"

Harry lehnte sich in dem Beifahrersitz des Autos zurück und starrte in die Dunkelheit. Alle paar Meter tauchte ein Pfeiler auf, der das Scheinwerferlicht reflektierte, aber ansonsten war absolut nichts zu sehen.

"Ich habe nur gesagt", presste er hervor. "Dass es mir so vorkommt, als verbringen wir zu viel Zeit dort. An dem Geburtstag eines Menschen besucht man normalerweise nicht sein Grab."

Draco knurrte leise. "Etwas anderes bleibt mir nicht mehr! Nur weil du schon länger keine Eltern mehr hast, heißt das nicht -"

"Halt meine Eltern da raus, ja?"

"Aber warum denn? Um Himmels Willen, du kanntest sie noch nicht einmal und besuchst sie regelmäßig!"

"Es sind eben meine Eltern!"

"Waren, Harry! Sie sind tot."

"Ich weiß, dass sie tot sind!", zischte Harry. Er drehte seinen Kopf nach rechts und blickte in die Dunkelheit, um sich zu beruhigen. Er hörte, wie Draco leise auf das Lenkrad trommelte. Eine Weile lang sprach keiner von ihnen. Das alte Auto brummte und die Pfeiler flogen im Sekundentakt vorbei.

"Hast du Ron gesagt, dass wir nicht zu seiner Feier morgen kommen können, weil wir ja deine Eltern besuchen?"

"Wessen Freund ist er, deiner oder meiner?"

"Verdammt, Draco! Wenn du kurzerhand beschließt, mit mir nach Wales zu fahren, obwohl du weißt, dass wir morgen bei Ron und Hermine eingeladen sind -"

"Ich habe es dir früh genug gesagt! Und es ist ja nicht so, als hätten wir letztes Jahr am 31. etwas anderes gemacht!"

"Wir haben ihnen schon letzte Woche das Brunch abgesagt!"

"Darin waren wir uns einig! Du hattest auch deinen Spaß dabei!"

"Hätte ich gewusst, wie spaßig dies hier wird, wäre ich garantiert nicht mitgekommen!"

"Gut, dann komm nächstes Mal eben nicht mit, sondern geh zu deinen Freunden!"

"Das werde ich!"

"Gut. Wenn wir schon dabei sind, warum apparierst du nicht sofort nach Hause, dann musst du dich nicht länger mit mir herumschlagen!"

Ein Stich durchfuhr Harrys Kopf und breitete sich als dumpfer Schmerz aus.

"Sehe ich so aus, als würde ich dich alleine in einem Muggelfahrzeug, dass du hasst und bei der nächsten Gelegenheit verschrotten wirst, alleine lassen?"

Draco kurbelte sein Fenster ein Stückchen herunter und holte tief Luft. "Wie oft habe ich schon gesagt, ich werde nichts dergleichen tun? Warum vertraust du mir nicht einfach mal?"

Harry stöhnte. "Können wir morgen darüber sprechen? Ich habe Kopfschmerzen."

"Nein, Harry, können wir nicht. Immer weichst du mir aus."

"Ich habe jetzt keine Lust mehr, zu streiten."

"Wir tun die ganze Zeit nichts anderes!"

"Ja, und dir scheint das überhaupt nichts auszumachen!"

"Und du scheinst gegen alles, was ich sage oder tue, etwas zu haben!"

"Das stimmt nicht! Ich habe nur Kopfschmerzen und keinen Nerv, zu diskutieren oder deine Probleme zu ertragen!"

"Weißt du was, Harry? Sobald wir wieder zuhause sind, brauchst du mich nicht mehr zu ertragen!"

"Was soll das schon wieder bedeuten?"

"Ist dein Kopf nicht mehr aufnahmefähig? Ich werde ausziehen! Ich weiß gar nicht, wie du mich anderthalb Jahre ertragen konntest!"

"Das ist ein Scherz, oder?" Obwohl Harry müde war, registrierte er, dass Draco dabei war, Schluss zu machen. Draco schüttelte den Kopf.

"Ich scherze nicht, Harry. Geh zu dem Fest von deinem Freund und sag ihm, dass er gewonnen hat. Er konnte mich doch nie leiden!"

"Das stimmt nicht, er hat nur gesagt, es würde nicht gut gehen, er -"

"Dann hatte er wohl Recht, oder?"

Harry stöhnte. Auf einmal hatte er das Verlangen nach einer Menge frischen Luft. "Halt an, Draco!"

"Wie bitte?" Verwundert drehte Draco seinen Kopf zu Harry, der plötzlich sehr bleich war. Draco steuerte das Auto, das er mittels eines Zaubers fuhr, zum Straßenrand und hielt auf einer dunklen Wiese an. Sobald sie standen, riss Harry seine Türe auf und stieg aus.

Harry atmete tief die frische Nachtluft ein. Das Auto war die einzige Geräusch- und Lichtquelle, aus dem Draco jetzt seinen Kopf steckte.

"Harry, alles in Ordnung? Es ist kalt, komm wieder rein! Oder willst du jetzt doch apparieren?"

Harry schüttelte den Kopf und ging weiter in die Nacht. Er wollte nicht glauben, was gerade geschehen war. Sein Kopf wurde dank der kühlen Luft klarer. Die Brummgeräusche des Autos wurden leiser. Langsam gewöhnten Harrys Pupillen sich an die Dunkelheit. Er konnte jetzt ein paar Bäume zu seiner Linken ausmachen, rechts war einfach nur Wiese und geradeaus verschluckte die Dunkelheit jegliche Gegebenheiten.

In der Ferne blinkten zwei rote Punkte auf und verschwand dann. Harry kniff die Augen zusammen. Die Arme um den Körper geschlungen, ging er weiter. Was waren das für Punkte? Sollte er jetzt überhaupt weitergehen oder lieber zum Auto zurück, in dem ihn seine erste richtige Liebe gerade in den Wind geschossen hatte?

Die Punkte blitzte erneut auf und nahm Harry die Entscheidung ab. Mit einem kurzen Blick zurück versetzte Harry sich in einen Trabschritt.

Nachdem Harry ein paar Schritte gelaufen war, kam er zu vereinzelten Steinen, die in etwas Abstand voneinander aufgestellte waren. Er kam zu dem ersten und hielt die Luft an. Es waren Grabsteine, die Schrift war verwittert und Grabschmuck davor existierte auch nicht. Harry blickte sich suchend um. Überall waren die Überreste alter Gräber und hier und da eine Gruft. Nur nichts, was rot blinken konnte. Hatte er es sich am Ende nur eingebildet? Um von Draco wegzukommen, der mittlerweile bestimmt schon weitergefahren war?

Harry kam zu einer alten Gruft. Das verschnörkelte Tor hing rostig in den Angeln und schaukelte sachte, dabei verursachte es dann und wann ein leises Quietschen. Hätte Harry nicht schon von der Kälte eine Gänsehaut, hätte er jetzt zweifelsohne eine bekommen. Harry legte eine Hand auf die raue Mauer und ging darum. Hier war auch nichts leuchtendes. Harry seufzte.

Er dachte an den Fuchsbau. Dann würde er jetzt eben dahin apparieren, auch wenn seine Abneigung gegen das Apparieren nach dem Krieg nur gestiegen war. Draco wusste das ganz genau. Schließlich war es Harrys Idee gewesen, sich ein Auto anzuschaffen. Überhaupt ein Wunder, dass Draco es akzeptiert hatte, meistens damit zu fahren.

Harry atmete tief durch und schloss die Augen. Drei, Zwei...

Mit einem dumpfen Aufprall wurde Harry mit dem Bauch voran auf die matschige Wiese gestoßen. Er sah sich um, in der Hoffnung, dass Draco ihm gefolgt war. Doch es war nicht Draco, der auf Harry saß und schrill lachte.

Ein Mann mit langen, dunklen Haaren und weißer Gesichtsfarbe war es. Er war gekleidet wie ein Zauberer, trug einen dunkelroten Umhang mit Rüschen an den Ärmeln, die Ron nicht sehr gefallen hätten, und viktorianische Kleidung. Harry wandte sich unter ihm, aber der Mann hielt Harrys Arme am Boden fest und lachte weiter wie eine Hyäne. Harry ließ ihn nicht aus den Augen.

"Was wollen Sie von mir?"

"Was will ich von dir, hm? Das verrate ich dir gerne!" Der Mann beugte sich hinab und entblößte seine Zähne. Harry keuchte auf. Der Mann war ein Vampir, dass es so was heutzutage noch gab! Waren die nicht alle gefallen?

Harry drehte und wehrte sich noch mehr, ein Anflug von Panik machte sich in seiner Brust breit. Aber der Vampir ließ sich nicht abschütteln. Harrys Handgelenke begannen, zu brennen, während der Vampir sich noch näher zu seinem Hals hinab beugte und schmatzte.

"Lassen Sie von mir ab! Ich habe Verstärkung, die jeden Moment kommen wird!", rief Harry.

"Ach? Du meinst wohl den netten blonden Mann aus dem Automobil? Da würde ich mir nicht allzu große Hoffnungen machen."

Harry blieb die Luft weg. "Draco, was hast du mit Draco gemacht?"

Er lachte hölzern und verdrehe noch mehr Harrys Arm. Diesem war das jedoch egal, seine Gedanken drehten sich nur darum, was mit Draco geschehen sein mochte. Harry wurde brutal nach oben gerissen. Er stolperte, doch der Vampir war sofort zur Stelle. Er packte Harry an den Armen und grinste, so dass seine Zähne weiß in der Dunkelheit hervorstachen. Harry zappelte und versuchte, an seinen Zauberstab zu kommen. Die Augen des Vampirs erglühten in einem brennendem Rot und er gab ein Geräusch von sich, dass Harry an eine kämpfende Katze erinnerte.

"Gedulde dich, Scelus!", sprach eine dunkle Stimme. Der Vampir, der Harry beißen wollte, hielt inne und sah an Harrys Kopf vorbei. Das Glühen seiner Augen wurde milchig und verschwand ganz.

"Ja, Euer Ehren. Genehmigt mir einen kleinen Schluck, bevor wir ihn -"

"Nein. Komm jetzt."

Jemand trat hinter Harry und legte Fesseln um seine Hände, die kalt wie Eisen waren und in sein Fleisch schnitten.

"Was habt ihr mit Draco gemacht?", wollte Harry wissen. Scelus drehte Harry herum.

Ein zweiter Vampir, einen Kopf größer als Harry, stand dort. Auch er hatte dunkle Haare, die ihm bis zur Hüfte fielen; seine Gesichtsfarbe hob sich von dem schwarzen Hintergrund ab und seine Kleider waren altmodisch wie die des ersten Vampirs, nur waren sie edler, besser gepflegt und von einem feineren Stoff. Er trug eine goldene Kette aus kleinen Ringen, und Ringe befanden sich auch an seinen Händen.

"Ich bin Odium. Du wirst nicht mehr lange leben, Harry Potter!", sagte er.

Harry schluckte. "Woher kennen Sie..."

Odium lachte auf; es war ein anderes Lachen als das von Scelus', es war hohl und unheilverkündend. "Wer kennt ihn nicht? Harry Potter, der den dunklen Lord zu Fall gebracht und im Zuge des Krieges die meisten unseres alten Volkes vernichtet hat!"

"Wenn ihr euch rächen wollt, dann lasst Draco daraus, er hat euch nichts getan!"

"Wer ist dieser Draco, von dem du die ganze Zeit sprichst?"

"Verzeiht, Euer Ehren." Scelus trat mit einer Verbeugung hervor. "Es war sein Begleiter. Er war Potter bis zu einem gewissen Punkt gefolgt."

"Bis zu einem gewissen Punkt?", fragte Harry.

Odium bleckte die Zähne. "Ihr habt ihn entsorgt, nehme ich an?"

"Ja, Euer Ehren."

"Gut, gut, Scelus. Bring unseren Ehrengast in die Gruft. Er soll die erbärmliche Festung, in der wir jetzt hausen müssen, sehen, bevor er seinem Begleiter folgen darf."

Scelus nickte eifrig und zog Harry, der ihn hasserfüllt anstarrte, rau zum Eingang der Gruft.

Harry wehrte sich nicht, er konnte an nichts anderes denken, als an Draco. Entsorgt, hatte Odium gesagt. Harry erinnerte sich noch an Voldemorts Worte, bevor Cedric gestorben war. "Töte den Überflüssigen"...

War Draco hier auch ein Überflüssiger gewesen? Unbewusst fiel eine Träne aus Harrys Auge und bahnte sich den Weg seine Wange hinab zu seinem Hals. War schon wieder jemand gestorben, weil Harry ihn mithineingerissen hatte? Ein weiterer Toter, Opfer des Krieges, der eigentlich schon vorbei war?

Harry ließ sich durch den engen Durchgang zerren. Modrige Luft schlug ihm entgegen. Eine Fackel erhellte eine kleine Halle, Scelus nahm sie aus der Halterung und ging mit Harry im Schlepptau zu einer nach unten führenden Treppe. Die Stufen waren aus Stein, uneben und glitschig. Harry trat vorsichtig auf, wobei er dies alles nur nebenbei mitbekam. Er konnte es sich nicht vorstellen, ohne Draco weiterzuleben. Und erst recht nicht, sollte er durch Harrys Schuld gestorben sein.

Die Treppe war nur sehr kurz, und der Raum, in den sie kamen, war klein. Dutzende Fackeln tauchten ihn in ein flackerndes Licht. An den Wänden standen dunkle Särge, die Sargdeckel ragten bedrohlich nach oben und gaben das Innere frei. Vier weitere Vampire befanden sich in dem Raum, standen oder wanderten herum. Harry bildete sich ein, dass sie sehr hungrig aussahen. Sie alle schauten ihn gierig an, als Scelus mit Harry eintrat.

"Dürfen wir jetzt...?"

"Nein", sagte Odium hinter Harry. "Ich weiß, ihr hattet lange kein Festschmaus mehr. Doch ich bin sicher, einen Moment Geduld habt ihr noch. Was ist schon ein Moment in der Ewigkeit?"

Die Vampire nickten zustimmend.

"Wo ist Bibulus?"

Scelus verneigte sich vor Odium. "Noch oben, Euer Ehren."

"Hole ihn."

"Gewiss doch, ich eile." Er glitt lautlos aus dem Raum.

Harry dachte daran, dass Draco sich früher auch immer bei den Lehrern eingeschleimt hatte. Ein melancholisches Lächeln zuckte in seinem Mundwinkel.

"Sie werden mich mit sechs anderen teilen, Odium? Bin ich es Ihnen nicht wert, alleine verspeist zu werden?"

Auf Odiums Mund breitete sich ein Lächeln aus, dass seine Augen jedoch nicht erreichte. Sie blieben kalt und schweigend.

"Wir haben ja noch deinen Begleiter. Das heißt, wenn Bibulus ihn noch nicht ganz geleert hat."

"Verzeiht, Euer Ehren", sagte eine leise, ruhige Stimme. "Aber was, wenn -"

"Überlege es dir gut, bevor du weitersprichst, Ardor! Ich weiß, was du sagen willst. Doch muss ich dich darauf aufmerksam machen, dass Harry Potters Begleiter ein zweiter Mann und dazu höchstwahrscheinlich schon tot ist?"

"Nein, natürlich nicht, verzeiht, Euer Ehren."

Odium nickte. Ardor, ein junger Vampir mit blutroten Haaren, lehnte sich gegen seinen Sarg zurück.

Harry atmete gierig die Luft ein, die ihn noch am Leben hielt. Er versuchte, sich einzureden, dass Draco nicht tot ist. Er versuchte, sich zu überzeugen, dass Bibulus seinem Namen, der Säufer bedeutete, keine Ehre machte.

Tritte und gedämpfte Stimmen erklangen am Ende der Treppe. Harry sah gespannt hinauf, konnte seinen Blick nicht abwenden, als Scelus herunterkam, und nach ihm ein Vampir, dessen Last Harry mehr Aufmerksamkeit schenkte als alles andere. Draco. Sein Kopf lag im Nacken, als Bibulus ihn unsanft hin und her schwenkte. An seinem Hals erkannte Harry zwei rote Tropfen hinabgleiten und sah, wie sie von seinem Hemdkragen eingesaugt worden waren. Er trug nur ein Hemd, warum hatte er sich nicht seine Jacke übergezogen, als er aus dem Wagen gestiegen war? Seine Lippen waren schon ganz blau und seine Haut wirkte so bleich wie die der Vampire.

Mit einem Aufschrei wollte Harry zu Draco stürzen, doch Odium packte ihn fest im Nacken.

"Nein, wie rührend. Ihr wart wohl gute Freunde, nicht wahr? Keine Angst, du wirst ihn schon bald wiedertreffen."

"Ihr Monster! Ihr werdet dafür büßen, und zwar alle! Wart zu feige, im offenen Kampf zu sterben und habt euch zurückgezogen? Aber das nützt euch nichts! Ihr werdet alle sterben!"

"Du Narr! Vampire sind unsterblich. Aber was rede ich da, das weißt du. Schreiten wir zur Tat, Gefolgsleute!"

Scelus zerrte Harry zu sich und zog seinen Kopf an seinen Haaren in den Nacken. "Euer Ehren, bedient Euch", sagte er an Harrys Ohr. Harrys Brustkorb hob und senkte sich immer schneller; ihm war warm, obwohl er sich inmitten der Nacht in einer Gruft unter der Erde befand, und obwohl er im Angesicht seines Todes stand, konnte er an nichts anderes denken, als an Draco, der bewusstlos oder tot mit einem Vampirbiss am Hals in den Armen von Bibulus lag.

Odium trat an Harry heran und legte seine beringten Finger an Harrys Schulter. Kalter Atem streifte Harrys Gesicht. Er kniff die Augen zusammen und dachte an einen glücklichen Augenblick, in dem Draco spielerisch an seinem Hals gesaugt hatte; wenn er Glück hatte, würde es sich nicht anders anfühlen.

Harry spürte kaum den Biss, es war, als hätte ihn eine Mücke gestochen. Allerdings spürte er, wie sich sein warmes Blut an der Stelle sammelte und hörte ein grässliches Schluckgeräusch.

Im nächsten Moment sprang Odium mit einem Aufschrei zurück, als hätte er einen Pfahl in sein Herz gerammt bekommen, was er natürlich nicht hatte. Harry öffnete die Augen. Odium starrte ihn entsetzt an und blickte dann zu Bibulus.

"Bei Euch auch, Herr?", fragte dieser.

"Was bei mir auch, Bibulus? Drück dich klar aus!"

"Ich nahm es an, weil ihr zurückgezuckt seid, Herr. Ein unsagbarer Schmerz durchfuhr bei dem ersten Schluck dieses köstlichen Blutes mich. Er war so stark, dass ich kurzzeitig mein Bewusstsein verlor. Glücklicherweise war mein Opfer schon betäubt, sonst wäre es entkommen."

Odium nickte und trat wieder auf Harry zu. "Also liebt er jemandem von ganzem Herzen, na und? Sie ist nicht hier, sie können uns nichts anhaben."

"Was wäre denn, wenn dieser Jemand hier wäre?", fragte Harry mit rauer Stimme. Es kam ihm vor, als hätte er sie jahrelang nicht benutzt.

"So unbewandert bist du in der Geschichte der Vampire, Jungchen?" Odium lachte auf. "Aber warum sollte ich sie erzählen? Sie wird dir nichts nützen, es sei denn... Wer von euch ist dafür, Harry Potter in unsere Reihen aufzunehmen?"

Bei den letzten Worten hatte er sich zu den anderen Vampiren gewandt. Sie lachten und kicherten hämisch.

"Je mehr wir werden, desto besser", sagte einer mit blauer Robe.

"Und welche Ironie, sollte Harry Potter bei uns für Nachwuchs sorgen", sprach Odium weiter. Scelus ließ Harrys Haare los, so dass er seinen Kopf heben und zu Draco hinüber blicken konnte. Er gab noch kein Lebenszeichen von sich. Bibulus hatte viel Zeit gehabt.

"Potter... ein ungewöhnlicher Name für einen Vampir... aber du wirst in die Geschichte eingehen, zweifellos."

Harry löste seinen Blick widerwillig von Draco und blickte Odium angespannt an.

"Was hält Sie auf?"

"Zuerst einmal, musst du mich mit Euer Ehren' anreden, Jungchen! Willst du dir vielleicht auch einen lateinischen Namen aussuchen? Aber bevor wir hier große Reden schwingen, sollte ich die Tat zuende führen!"

Er trat auf Harry zu und bohrte abermals seine Zähne in Harrys Hals, und wie schon zuvor stolperte er nach einem Schluck zurück. Er fasste sich an den Kopf, stöhnte und schwankte. Ardor sprang hervor und stützte ihn. "Alles in Ordnung?"

Harry schloss die Augen, auch ihm war schwindelig. Er verstand nicht, was vor sich ging. Seit wann konnten Vampire Menschen, die einen anderen Menschen liebten, nicht beißen? Wäre es schon immer so gewesen, hätten sie nicht so lange ihr Unwesen und sich so rasch vermehren können.

"Etwas stimmt doch mit dir nicht, Jungchen! Hast du einen Schutzzauber über dich gelegt?", fragte Scelus zischend. Harry schüttelte matt den Kopf. Er sah, wie Bibulus sich hinkniete und Draco auf den Boden legte. Harry hatte sofort alle Sinne beisammen. Sollte dieser Vampir versuchen, seinen Draco zu beißen, bekam er es mit einem sehr wütenden Harry Potter zu tun!

Und dann tat Harrys Herz einen Hüpfer, als Draco kaum merklich mit den Lidern zuckte und die Augen halb öffnete. Er sah Harry an und lächelte schwach. Es war, als ginge die Sonne in Harrys Herz auf und spendete ihm neuen Mut. Mit einem gewaltigen Ruck riss er sich von Scelus los und rannte, die Hände noch auf dem Rücken verbunden, zu Draco.

"Du lebst", hauchte Harry, als er neben Draco niederkniete. Dracos Kopf zuckte zustimmend.

"Verzeih mir", flüsterte er. Harry schüttelte den Kopf.

"Nein, nein, du musst mir verzeihen, ich war so dumm! Ich hätte nicht herkommen sollen, und was ich im Auto gesagt habe, meinte ich alles nicht so, ich werde nie wieder -"

Bibulus riss Harry auf die Beine, bevor er zuende reden konnte. Hass stieg in Harry empor und er warf sich gegen Bibulus. Dieser taumelte zurück, stieß gegen die Wand, sein Kopf knallte auch dagegen und es gab ein Knacksen. Dann rutschte er die Wand hinunter, den Kopf merkwürdig verrenkt. Aus seinem Mund floss Blut.

"Ich versteh nicht", hörte Harry Odiums dunkle Stimme. Anscheinend hatte er sich erholt. Harry wirbelte herum und starrte ihn wütend an, die anderen Vampire wichen beunruhigt zurück. Odium hob die Hände.

"Kein Grund zur Sorge, Gefolgsleute! Es handelt sich zwar um einen mächtigen Zauberer, aber mit uns kann er es nicht aufnehmen, nicht ohne seinen Zauberstab. Bibulus wird sich bald erholen. Sag, Potter, wie hast du das gemacht? Schwarze Magie?"

Harry blickte alle Vampire der Reihe nach so grimmig an, wie er konnte und heftete seinen Blick dann auf Odium. "Ich liebe jemandem, und das gibt mir Kraft", sagte Harry aus tiefster Überzeugung. Odium lachte erneut, diesmal klang es nervöser als vorher.

"Du hast mich falsch verstanden, Jungchen! Es genügt nicht, jemanden zu lieben. Jeder Mensch liebt irgendjemanden, das wäre fatal für uns. Nur, wenn du mit verzehrender Sehnsucht liebst, bereit bist, dein Leben zu geben und dein Herz ganz und gar einem bestimmten Menschen gehört, ist das für uns schmerzhaft. Schmerzhaft vor allem, wenn diese Liebe erwidert wird, denn daraus entsteht ein durch alle Mächte dieser Welt nicht zu überwältigender Schutz. Es tut uns weh, so einen Menschen zu trinken, oh ja."

"Ich liebe jemandem mehr als mein Leben, das ich nur zu gerne für ihn opfern würde!", erwiderte Harry hitzig.

"Das ist mir egal, bald wirst du dich nicht mehr an sie erinnern! Denn sie ist nicht hier. Wäre sie es, hättest du eine Chance." Odium lachte. Er rieb sich die Hände und ging langsam auf Harry zu.

"Ich erzähl es dir, da du bald zu uns gehören wirst. Wenn du mit deiner Auserwählten hier wärst - du musst später immer darauf achten, bei Orgien die Menschen nach Geschlechtern in einem Raum getrennt zu trinken - dann könntet ihr euch verbünden und unsere Kräfte wären machtlos gegen euren Schutz. Ihr könntet uns zerquetschen wie Grashalme unter einem Elefantenfuß!"

Odium lachte nun aus tiefster Kehle, als amüsierte er sich prächtig über die Erzählung. Die Vampire hinter ihm stimmten in sein Lachen ein, wenn auch nicht aus vollem Herzen.

Draco ächzte und stand schwankend auf. Harry war mit einem Schritt bei ihm und stützte ihn, so gut es mit gefesselten Händen ging.

"Wo ist dein Zauberstab?", fragte Harry.

"Er ist mir aus der Hand gefallen, als ich angegriffen wurde", sagte Draco. "Aber Harry, wir brauchen keinen Zauberstab."

Er schlang seine Arme um Harry, der erschauderte. Draco war eiskalt. Sanft flüsterte er in Harrys Ohr: "Ich liebe dich. Was im Auto gesagt habe, war dummes Geschwätz, das musst du wissen."

Harry strahlte ihn an, und dann legte Draco seine Lippen sanft auf Harrys. Harry hörte mit einem Ohr, wie das Gelächter verstummte. Sein Mund bewegte sich automatisch gegen Dracos Lippen und empfing die warme Zunge.

"Jungs, ihr könnt uns nicht austricksen!", sagte Odium. Er riss Harry an sich, Scelus Draco. Harry und Draco grinsten sich an, dann schubste Draco Scelus zu Boden, als wäre er eine Puppe und trat auf dessen Hals. Es knirschte, Scelus gab ein Röcheln von sich und Blut verteilte sich über den Boden. Alle anderen Vampire, Odium eingeschlossen, waren erstarrt.

Diese Starre nutzen Harry und Draco für weitere Angriffe. Draco ging auf Ardor los, Harry schüttelte Odium ab und warf sich gegen ihn, er krachte gegen einen Sarg und sackte auf die Knie ein. Harry warf sich auch gegen alle Vampire, die Draco angreifen wollten. Sie fielen wie Pappfiguren um und es war ein leichtes, ihnen den Nacken zu brechen, was Draco übernahm.

Schließlich standen sie auf einem Schlachtfeld mit sieben Leichen in der Gruft verteilt. Das Feuer der Fackeln tanzte munter weiter, als wäre nicht geschehen. Draco nahm Harrys Zauberstab aus seiner Hosentasche und befreite Harry von den Handfesseln. Sofort rieb Harry sich die Handgelenke, und Draco warf sich ihm an den Hals. Harry legte seine Arme um Draco und sein Kinn auf dessen Schultern. Er kam sich vor, als würde er einen Eisklotz umarmen.

"Warte mal", sagte Harry. Er zog seinen Zauberstab und schon fand Draco sich in einem warmen Mantel wider.

Odium, der gegen einen Sarg gelehnt gewesen war, stöhnte. Harry riss die Augen auf. War der nur bewusstlos gewesen? Er nickte Draco zu, der sich umwandte. Odium stand nun tatsächlich auf und ging auf sie zu.

"Ihnen ist aber klar, dass sie nicht die geringste Chance gegen uns haben?", fragte Harry.

"Wer hätte das gedacht, Jungs, ich nicht. Habt euch gut geschlagen. Wie wärs, sollen wir zu dritt weiter machen? Ihr wärt unsterblich und könntet für immer und ewig eure Liebe genießen!" Odium lächelte versöhnlich und streckte die Hand aus. Harry runzelte die Stirn. Konnte man Odium trauen? Sicher, es hörte sich verlockend an... Er spürte, wie Draco seine Hand umfasste und lächelte ihm zu. Anscheinend dachte Draco genauso...

"Avada Kedavra." Ein grüner Blitz schoss hervor, traf Odium in den Magen und er fiel tot um.

"Was...?", keuchte Harry. Er sah von dem gekrümmten Körper Odiums zu Draco, der Harrys Zauberstab in der Hand hielt.

"Der Höhepunkt meiner schwarzmagischen Karriere. Wer hätte gedacht, dass ich mal jemandem mit diesem Fluch, der unsere Eltern getötet hat, umbringen werde."

"Was hast du getan!" Harry riss Draco den Zauberstab aus der Hand.

"Ich... aber Harry! Ich habe uns gerettet!" Draco runzelte die Stirn.

"Wir hätten unsterblich sein können und... und..."

"Du willst doch nicht behaupten, du hast ernsthaft über sein Angebot nachgedacht?", rief Draco aus.

"Doch!"

Draco schüttelte den Kopf. "Wie blöd kann man sein, Harry!"

"Na hör mal, ich wollte für immer und ewig mit dir zusammen sein und du hast noch vor einer Stunde -"

Draco zog Harry mit einer Hand im Nacken zu sich und küsste ihn. Sofort zerfloss Harrys Wut dahin wie nichts, er schmiegte sich an Draco und küsste ihn, als würde es kein Morgen geben.

Nach ein paar Minuten löste Draco sich. "Vergiss, was ich gesagt habe, okay? Willst du mich heiraten?"

Harry klappte der Mund auf. "Was für eine unromantische Umgebung für einen Heirats-"

Wieder verschlossen Dracos Lippen Harrys Mund. Harry seufzte, immer, wenn Draco ihn küsste, vergaß er alles um sich herum. Er strich mit seiner Zunge sanft über die andere in seinem Mund und machte ein undeutliches Geräusch.

"Was?", fragte Draco, wobei er seine Zunge nur kurz zurückzog.

"Ich sagte: Ja", sagte Harry, ebenfalls ohne den Kuss zu unterbrechen. Draco löste sich von ihm und umarmte ihn stürmisch.

"Lass uns woanders hingehen und unsere unsterbliche Liebe feiern", flüsterte er. Harry nickte, nahm Dracos Hand und gemeinsam verließen sie den Ort des Grauens.

Ende