(2) Erstes Zwischenspiel – Catch me as I fall
Catch me
as I fall
Say you're here and it's all over now
Speaking to
the atmosphere
No one's here and I fall into myself
This
truth drives me into madness
Sheppard erwachte
keuchend aus dem Schlaf. Er setzte sich auf und blickte auf
die rote Anzeige seines Digitalweckers. Kurz nach drei Uhr. Seufzend
legte er sich wieder zurück in die Kissen und dachte an den
Traum, den er eben gehabt hatte. Er hatte Frances' Leiche vor sich
gesehen, die Hitze der Wüste gespürt, aber es war nicht
dieser Planet gewesen, den er am Tag zuvor gesehen hatte. Sein Traum
hatte ihm die Augen geöffnet und ihm seine Vergangenheit
gezeigt. Nach und nach kehrten all die Erinnerungen zurück, die
er so lange erfolgreich verdrängt hatte. Er sah Bilder vor
seinem geistigen Auge, hörte Stimmen und Geräusche und
wusste jetzt wieder, was er hatte vergessen wollen: Seine Zeit in
Afghanistan, seine Degradierung zum Major, der Tod seiner Freunde,
den er selbst zu verantworten hatte, und all die schrecklichen
Geschehen, die daraufhin passiert waren. Es hatte seinen Grund
gehabt, warum sein Bewusstsein diese Dinge so weit wie möglich
von sich geschoben hatte.
„Oh verdammt", murmelte Sheppard. Er
wusste, dass sich nun dieselbe Prozedur wiederholen würde, die
damals eingetreten war: Schlaflose Nächte, Alpträume, immer
wieder, und am Ende stand der...
Es klopfte. „Major? Wir haben eine unplanmäßige Gate-Aktivierung!"
„Bin unterwegs", seufzte Sheppard und schlüpfte in seine Klamotten.
„Beeilen Sie sich, Sir!"
Der Major warf
sich seine Jacke über und eilte in den Torraum. Das Gate war
bereits deaktiviert und Weir stand mit einer Gruppe einfach
aussehender Menschen davor.
„Dr. Weir!", rief Sheppard und
lief die Treppe hinunter. „Was gibt es?"
„Alles in Ordnung", antwortete Weir. „Es sind nur unsere Handelspartner von PX-45A9. Tut mir Leid, falscher Alarm!"
Sheppard seufzte und machte auf dem Absatz kehrt. Im ersten Moment war er sauer, weil Weir ihn umsonst hatte wecken lassen, aber dann wurde dieses gefühl von einer seltsamen Erleichterung abgelöst. Wach war er ohnehin, der Fehlalarm hatte ihn vor der gefährlichen Einsamkeit in der Finsternis seines Quartiers bewahrt, und das fand er gar nicht so schlecht. Vielleicht sollte er die Zeit bis zum Morgengrauen im Trainingsraum verbringen, das würde ihn davon abhalten, noch weiter über seine Vergangenheit nachzudenken. Erst als die Sonne schon ein ganzes Stück über den Horizont gestiegen war, verließ er den Trainingsraum und duschte ausgiebig, nachdem er sich am Boxsack völlig ausgepowert hatte. Sein Kopf war frei von allen Gedanken, die Erinnerungen vergessen. Noch mit nassen Haaren und geradezu fröhlich pfeifend kam er schließlich in die Kantine. Er holte sich sein Frühstück und setzte sich zu Weir auf den angrenzenden Balkon.
„Guten Morgen", grüßte er und Weir nickte ihm zu.
„Guten Morgen Major. Tut mir Leid wegen heute Nacht. Aber als ich gemerkt hatte, dass keinesfalls Feinde durch das Tor kamen, hatte man Sie schon geweckt."
„Macht nichts", winkte Sheppard ab. „Ich war ohnehin wach und hätte sowieso nicht mehr einschlafen können."
Weir blickte ihn besorgt an. „Sie waren so früh schon wach? Warum das?"
„Ich habe schlecht geträumt", erklärte Sheppard betont fröhlich. „Reden wir nicht mehr davon. Erzählen sie mir von den Verhandlungen mit PX-45A9."
Sheppard dachte den ganzen Tag nicht mehr an Afghanistan, denn er war völlig eingenommen von einem gefährlichen Einsatz, bei dem er Ford aus den Fängen der Wraith hatte retten müssen. Erst abends, als er zurück in der Dunkelheit seines Quartiers war und im Bett liegend an die nur schemenhaft zu erkennende Decke starrte, begann er neuerlich über seine Erinnerungen nachzudenken. Er dachte daran, wie er nach den schrecklichen Vorfällen, ähnlich wie jetzt, in einem dunklen Zimmer auf dem Bett lag und über den Sinn des Lebens nachgrübelte. Lohnte es sich noch zu leben, nach allem, was geschehen war?
Eine Stimme, ein Wispern. Stirb.
"Nein", flüsterte Sheppard. Diesmal nicht.
Stirb!
"Verschwinde…"
STIRB!
"NEIN!" Sheppard setzte sich auf und blickte die unschuldige Zimmerdecke böse an. „Verschwinde, zum Teufel, lass mich in Frieden!"
Stille.
Seufzend sank Sheppard in die Kissen zurück. Er wusste, dass die Stimme seinem Geist entsprang, er war ein rational denkender Mensch und glaubte nicht an Übersinnliches. Und dennoch... Das Flüstern... Es war so echt gewesen, so greifbar nah...
Stirb! Du hast es verdient, DU bist schuld!
„Neeeeiiiiin!" Sheppard fuhr
keuchend aus dem Schlaf. Nur ein Traum. Die Stimme war nicht real,
sie war nicht mehr als ein Traum. Sheppard wischte sich den Schweiß
von der Stirn und sah auf die Uhr. Es war kurz vor sechs Uhr morgens.
Die Nacht war vergangen wie im Flug, wie damals...
Seufzend stand
er auf und stellte sich eine ganze Weile unter die Dusche und kühlte
sein erhitztes Gemüt mit dem eiskalten Wasser ab. Danach fühlte
er sich schon viel besser und er beschloss während seinem
Frühstück in der Kantine, Teyla zu besuchen. Weir hatte sie
für eine Weile von ihrem Dienst entbunden, damit sie sich vom
Tod Hallings erholen und sich darüber im Klaren werden
konnte.
Sheppard fand sie in ihrem kleinen Quartier, wo sie
auf ihrem Bett saß und eine sehr alt aussehende Schriftrolle
las. Als er hereinkam, sah sie lächelnd auf und rückte ein
Stück zur Seite, damit Sheppard neben ihr Platz nehmen
konnte.
„Wie geht es Ihnen, Teyla?", fragte der Major
besorgt.
„Schon wieder etwas besser", antwortete sie und
legte das Schriftstück weg. Es schien etwas Persönliches zu
sein. „Gestern Abend habe ich mich... innerlich von Halling
verabschiedet."
Sie lächelte etwas gequält. „Ich
glaube, dort wo er jetzt ist, geht es ihm gut."
Sheppard
atmete gedanklich auf. Er hatte schon befürchtet, dass Teyla
nicht wieder aus ihrer Trauer herauskäme – Sie war mit Halling
vertraut gewesen, mehr als vertraut.
„Das denke ich auch",
stimmte er zu. „Er war ein guter Mensch."
„Ja, das war er", sagte Teyla gedankenverloren.
„Wann kommen Sie wieder in mein Team zurück?", fragte Sheppard nach einer kurzen Pause. „Ich vermisse Sie."
Teyla grinste. „Ich muss gestehen, jetzt, da ich mit Halling abgeschlossen habe, beginne ich mich zu langweilen."
„Heißt das, Sie greifen mir bald wieder unter die Arme? Gestern hätte ich Sie dringend gebraucht, als ich Ford retten musste."
„Morgen komme ich
wieder", versprach Teyla lachend. „Und heute..."
Sie wies
auf eine große Holztruhe neben ihrem Bett, die Sheppard bislang
noch nicht aufgefallen war. „... sehe ich mir Hallings
Hinterlassenschaft durch. Seine Familie hat sie mir gegeben, weil er
einige Informationen über die Wraith gesammelt hat."
„Und? Ist etwas Interessantes dabei?"
Teyla schüttelte den
Kopf. „Er besaß nur Aufzeichnungen von den Orten, wo die
Wraith auf Athos angriffen, einige Dinge, welche die Wraith bei ihren
Angriffen verloren und ein paar ältere Dokumente, die ihm
vererbt wurden."
Sie nahm das Pergament wieder zur Hand und
zuckte mit den Schultern. „Ich habe mir noch nicht alles angesehen,
aber es ist keine Information dabei, die wir nicht schon hätten.
Das Meiste bezieht sich ohnehin auf Athos und ist für uns nicht
relevant."
„Warum hat er uns diese Sachen nicht schon vor seinem Tod zukommen lassen?", fragte Sheppard verwundert.
„Er wusste, dass wir daraus keinen Nutzen ziehen konnten", antwortete Teyla. „Aber ich werde mir trotzdem alles ansehen... Das bin ich seiner Familie schuldig."
Sheppard nickte und erhob sich. „Nun, dann... Wir sehen uns."
Teyla lachte. „Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen, Major."
„Ihnen
auch!"
Sheppard verließ ihr Quartier und machte sich auf
den Weg zum Gateraum. Er bewunderte Teyla für ihre Art, mit dem
Tod ihres Freundes fertig zu werden. Es war jetzt wenige Tage her,
dass der Jumper auf dem Wüstenplaneten abgestürzt war, und
es ging ihr schon wieder gut. Warum konnte er das nicht auch? Den Tod
seiner Freunde trug er seit Jahren mit sich herum und hatte sich
seelisch immer noch nicht von ihnen gelöst. Was konnte Teyla,
das er nicht konnte?
Seufzend betrat er den Transporter und
fuhr zum Gateraum, wo Weir ihn schon erwartete.
„Major, heute
komme ich mit Ihnen", verkündete sie lächelnd.
„Ah, schön! Und wohin gehen wir?"
„TA-639", antwortete Weir. „Der dort regierende König will sich ein Bild von mir machen, bevor er mit uns handelt."
„Und warum kommt er
nicht einfach selbst her?"
Sheppard und sein Team waren vor
wenigen Tagen auf TA-639 gewesen und hatten Bekanntschaft mit dessen
hochmütigem König und seinen unterwürfigen Untertanen
gemacht. Auch wenn sie gute Handelspartner darstellen würden –
Sheppard konnte die Menschen auf diesem Planeten irgendwie nicht
leiden.
„Das Risiko ist ihm wohl zu hoch", meinte Weir und begrüßte die eintreffenden Ford und McKay. Dann gingen sie zu viert hinunter zum Tor und reisten durch das Wurmloch zu einem Planeten, der Teyla sicher gefallen hätte, denn er ähnelte Athos stark. Einfach gekleidete Bedienstete des Königs führten die Atlanter in ein großes Zeltdorf. Es wurde sofort klar, dass auch diese Menschen von den Wraith heimgesucht wurden und deshalb, wie die Athosianer, nie lange an einem Ort verweilten.
Der
König residierte im größten der Zelte. Er saß
auf einem Holzthron und trug Kleidung, die sich von jener der seiner
Untertanen deutlich unterschied. Er war ein hoch gewachsener,
kräftiger junger Mann mit langen braunen Haaren und einem
herablassenden Lächeln.
„Tretet näher", befahl er
mit nicht zu überhörendem Hochmut, als die vier vor seinem
halben Duzend Leibwächter sein Zelt betraten. Sie taten wie
ihnen geheißen und kamen näher, auf den Wink eines
Bediensteten knieten sie vor dem Thron nieder. Der König
betrachtete sie einige Augenblicke, dann durften sie sich
erheben.
„Wir sind hier, weil wir Eurer Bitte nachkommen wollten", erklärte Weir freundlich. „Ihr wolltet uns hier sehen, bevor Ihr mit uns handelt."
„Ganz recht", bestätigte der König grinsend. „Seid gegrüßt auf Thargys! Ich hoffe, Ihr fühlt Euch hier wohl."
„Ich bin sicher, das werden wir", sagte Weir lächelnd.
„Nun denn, wie sieht es mit dem Handel aus, Dr. Weir?", fragte der König. „Was habt Ihr mir zu bieten, und was wollt Ihr von uns erhalten?"
„Wir betreiben Ackerbau", erzählte Weir
bereitwillig. „Auf unseren Feldern wachsen verschiedene Getreide-
und Gemüsesorten, von denen Euch einige vermutlich fremd
sind."
Die Miene des Königs wurde misstrauisch und Weir
fügte schnell hinzu: „Was natürlich nicht heißen
soll, dass diese Pflanzen schlecht sind. Es ist nur so, dass weder
mein Team..." Sie wies auf Sheppard, Ford und McKay, die neben ihr
standen, „...noch ich selbst diese Arten auf Euren Feldern gesehen
haben. Ich bin sicher, dass auch viele Eurer Nahrungsmittel uns nicht
bekannt sind."
Der König schien beruhigt und setzte wieder
seinen selbsteingenommenen Blick auf, der Sheppard so sehr missfiel.
„Des Weiteren verfügen wir über Werkzeuge, die Euch
vielleicht nützen könnten."
„Werkzeuge? Erzählt mir mehr davon!", wurde sie vom König scharf unterbrochen.
„Wir können Euch im Tausch gegen Lebensmittel sehr scharfe und gute Messer geben", antwortete Weir schnell. „Außerdem hochwertige Metallwerkzeuge, die Eurem Volk vielleicht von Nutzen wären, wie zum Beispiel..."
„Interessiert mich nicht", zischte der König und machte eine wegwerfende Handbewegung, woraufhin Weir fast unmerklich zusammenzuckte. „Was habt Ihr sonst noch? Rohstoffe?",
„Nein, mit Rohstoffen können wir nicht dienen", bedauerte Weir.
„Brauchen wir auch nicht",
entgegnete der König mit schneidender Stimme, und jedes Lächeln,
selbst das hochnäsige, war aus seinem Gesicht gewichen. „Sonst
noch was?"
„Wir haben Waffen", antwortete Weir, deren Stimme
immer noch ruhig und besonnen klang. „Allerdings wollen wir mit
diesen nur handeln, wenn uns nichts anderes übrig bleibt, denn
die meisten davon kann man nicht aus unserer Stadt entfernen."
Sie
bluffte etwas, doch man sah es ihr nicht an. Sheppard bewunderte sie
fast ein wenig dafür, wie sie auf den König
reagierte.
„Wie sieht es mit Männern aus? Könnt Ihr uns Arbeitskräfte geben?"
Weir zögerte. „Das kommt ganz auf die Art der Arbeit an, mein Herr."
„Was ein Leibeigener eben so tut", antwortete der König herablassend. „Bauen, auf den Feldern arbeiten, überall etwas mithelfen..."
„Tut mir Leid", sagte Weir bestimmt, „aber in unserer Gesellschaft ist Sklaverei verboten."
„Sonst noch was?"
„Ja, allerdings", antwortete Weir und Sheppard bemerkte, dass ihre Stimme leicht zu zittern begonnen hatte. „Wir verfügen über großes Wissen."
„Welche Art von Wissen?", fuhr der thargysische König rasch in seiner Befragung fort, die Sheppard allmählich fast als ein Verhör empfand.
„Wissen über viele Religionen und Völker, wir haben Zugriff auf kleine Teile des Wissens der Antiker..."
„Uninteressant."
„Begeistert Ihr Euch für Waffen und Verteidigungssysteme?"
„Inwiefern?"
„Wir können Euch im Kampf gegen die Wraith unterstützen, indem wir Euch Pläne, Entwürfe von Waffen und Informationen über die Wraith liefern."
Nun schien Weir endlich etwas gefunden
zu haben, was dem König gefiel. Abwägend legte er den Kopf
schief und dachte über den Vorschlag nach.
„Was wollt Ihr
im Gegenzug?"
„Lebensmittel", antwortete Weir. „Wir sind viele Menschen und müssen viel essen, aber unsere Vorräte beruhen sich auf etwas Gemüse und Getreide, mit dem wir aber längst nicht alle satt bekommen. Wir benötigen Fleisch, Milch- und Tierprodukte und wären auch über weitere Nahrung aus Getreide erfreut."
Einen Moment war es still in dem Zelt und der König starrte Weir nachdenklich an. „Wer sind Eure Verbündeten, wenn Ihr denn welche habt?"
Sheppard warf Weir einen Blick zu und sah in ihren Augen höchste Alarmbereitschaft. Auch sie hatte gemerkt, wie sehr sich die Situation zuspitzte. „Verzeiht, aber darüber wollen wir keine Auskunft geben. Wir können Euch nur sagen, dass wir weder mit den Wraith..."
„Schweigt!"
„Mein Herr, warum..."
„Still!" Der König erhob sich und
musterte die vier Atlanter abweisend. „Ich habe genug
gehört."
Sheppard bemerkte aus den Augenwinkeln eine
Bewegung und fuhr herum, aber da war es auch schon zu spät. Die
Leibwache des Königs, die er bis dahin kaum wahrgenommen und
wegen ihrer leichten Bewaffnung auch nicht für ernst zu nehmend
befunden hatte, war ihnen unbemerkt näher gekommen und hatte die
vier fast gänzlich umkreist. Aus ihren Umhängen zogen sie
jetzt wie aus dem Nichts silbern schimmernde Schusswaffen hervor, die
Revolvern ähnelten aber um vieles gefährlicher aussahen.
„Was zum...", begann Sheppard, aber der König schnitt ihm das Wort ab.
„Legt all Eure Waffen ab",
forderte er zischend. „Lasst nichts aus! Das wird Euch sonst teuer
zu stehen bekommen."
Die Atlanter zweifelten nicht an seinen
Worten und legten langsam all die Waffen zu Boden, die sie bei sich
trugen.
„Mein Herr, was haben wir...", startete Weir noch einmal den Versuch, eine Erklärung zu bekommen, der aber fehlschlug.
„Schweigt!", befehligte der König und nickte seinen Leibwächtern zu, welche den Atlantern mit rauen Stricken die Hände auf den Rücken fesselten. Einer der Männer schob einen Teppich, der auf dem Zeltboden lag zur Seite und gab den Blick auf eine Eisenluke frei, die er unter sichtlichen Anstrengungen öffnete. Sie war etwa einen Quadratmeter groß und an einer Wand führte eine Leiter nach unten, welche die Gäste, die nunmehr Gefangene waren, jedoch nicht benutzten. Stattdessen wurden sie einer nach dem anderen durch den engen Schacht nach unten geseilt. Sheppard kam als letzter unten an und sah sich mit einem Gang konfrontiert, der Menschen mit Klaustrophobie und solchen mit großem Körperumfang mit Sicherheit große Probleme bereitet hätte. Es herrschte Dämmerlicht, das von kleinen Funzeln an der niedrigen Decke verursacht wurde. Sheppard wurde hinter den anderen hergeführt, bis sie nach mehreren hundert Schritten an eine Kreuzung kamen, wo sie in einen etwas größeren Gang einbogen, der sich ansonsten aber kaum vom anderen unterschied: Er bestand ebenfalls gänzlich aus matt schimmerndem Eisen (oder einem Material, das Eisen glich) und an der Decke brannten dieselben kleinen Lampen.
„Wohin gehen wir?", fragte er seinen Bewacher, der ihm daraufhin seine Waffe nur noch fester in den Rücken drückte.
„Still", knurrte
er. „Ich habe keine Hemmungen, dich zu töten."
Das
glaubte ihm Sheppard gerne, und so beschloss er, bis auf Weiteres
nichts mehr zu sagen.
Ein unauffälliger Blick auf die Uhr
sagte ihm, dass sie nun schon mindestens 15 Minuten durch die Gänge
wanderten. Dieses unterirdische System schien riesig zu sein! Es
verwunderte ihn auch, dass sie bisher keinen anderen Personen
begegnet waren.
Die Atlanter wurden noch doppelt so lang durch das zu aller Zeit gleich aussehende Gangsystem geführt, bis sie schließlich durch eine der Türen gingen, welche ab und an in den Wänden eingelassen waren. Dahinter lag etwas, das Sheppard schon vermutet hatte: Ein Gefängnis. Es war nicht sehr groß, auf jeder Seite des breiten Ganges in der Mitte lagen sechs Zellen, die eine ungefähre Grundfläche von zwei Quadratmetern hatten. Sheppard steckte man in die hinterste der Zellen auf der linken Gangseite, Weir quartierten sie neben ihm ein. Alle Zellenwände bis auf die stählerne Rückwand (und in Sheppards Zelle auch eine Seitenwand) bestanden aus Eisengitterstäben, längs und quer. Sie waren so dick wie Sheppards Daumen und die Hohlräume zwischen ihnen reichten aus, dass der Major seinen Arm bis zur Schulter durchschieben konnte. Am Boden der absolut identischen Zellen lag je eine dunkle Matratze mit einer zusammengefalteten, dünnen Decke und in der rechten Ecke stand ein kleiner Pott für niedere Tätigkeiten, wie Sheppard vermutete. McKay wurde in der gegenüberliegenden Zelle eingesperrt, Ford neben ihm.
Die Soldaten machten sich daran, das Gefängnis durch den einzigen Ausgang (der zugleich den Eingang in den Raum aus blitzendem Chrom bildete) zu verlassen und Weir stürzte an ihre Gittertür und rief: „Nun erklärt uns doch, warum Ihr uns gefangen haltet! Was haben wir Euch denn getan?"
Der letzte der Krieger drehte sich um und meinte nur: „Dreimal am Tag gibt es Essen: Bei Aufgang, Höchststand und Untergang der Sonne. Nach letzterem werden eure Töpfe geleert. Das Licht bleibt tags und nachts an. Wer Aufruhr macht, wird dementsprechend bestraft, auf jeden Fluchtversuch folgt der augenblickliche Tod."
„Sir, ich möchte mit dem König reden!"
„Der König ist beschäftigt. Vielleicht wird er morgen zu euch kommen, vielleicht erst in sieben Tagen."
„Warum..."
„Bis dahin habt ihr zu tun, was wir euch sagen. Ihr seid jetzt Gefangene von Thargys und damit vollkommen rechtlos." Damit schloss der Mann hinter sich die schwere Eisentür. Weir rief noch einmal nach ihm, aber wie die anderen wusste sie, dass der Soldat nicht zurückkommen würde. Seufzend ließ sie sich auf der Matratze nieder.
„Und was jetzt?", fragte Ford.
McKay rüttelte an seiner Gittertür, die sich jedoch kein bisschen bewegte. „Da wir von alleine nicht hier wegkommen, müssen wir wohl warten, bis uns jemand von Atlantis befreit, Lieutenant."
„Genii", murmelte Sheppard, der nachdenklich an der Wand lehnte.
„Wie?", fragte McKay.
„Die Genii! An der Oberfläche ein einfaches Volk, aber unter der Erde höchst fortschrittlich."
„Sie meinen, dass die Thargysier mit den Genii verbündet sind?", hakte Weir nach. Sheppard nickte. „Die Technologie ist zwar eine andere und die Waffen sehen völlig verschieden aus, aber die Idee ist dieselbe."
„Dann werden sie jetzt zu den Genii gehen", seufzte McKay und setzte sich. „Und werden ihnen erzählen, dass Atlantis seine Führungspersonen verloren hat, weil die jetzt in einem hübschen Gefängnis unter der Erde sitzen."
„Sie betrachten sich als Führungsperson?", fragte Sheppard.
„Allerdings", bestätigte McKay und lehnte sich an die Wand. „Ich sehe es nur als eine Frage der Zeit an, bis Atlantis eingenommen wird."
„Nicht so pessimistisch", tadelte Weir. „Unsere Soldaten werden die Stadt verteidigen können. Und vielleicht kennen die Thargysier die Genii überhaupt nicht."
„Hoffen wir's", murmelte Sheppard und setzte sich auf seine Matte.
„Die haben uns die Funkgeräte nicht abgenommen", fiel McKay plötzlich auf.
„Und was bringt uns das?", zweifelte Ford.
„Na, irgendwann werden die Atlanter doch Suchtrupps losschicken, oder etwa nicht? Sie werden uns anfunken, und wir geben ihnen unsere Position durch, dann retten sie uns."
„Was ist denn unsere Position?", fragte Sheppard. „Ich für meinen Teil habe in diesen Gängen völlig die Orientierung verloren."
„Ich auch. Aber immerhin können wir mit ihnen reden. Ist doch schon mal was."
Die Zeit verging quälend langsam, sie zerrann wie ein zäher Brei aus klebriger Masse. Es gab nichts, das sie hätten tun können. Die Zellentüren waren zu, keiner von ihnen wurde aus den Schlössern schlau, ein Ausbruch war unmöglich. McKay und Ford spielten eine Weile „Ich sehe was, was du nicht siehst", gaben dann aber wegen mangelnder Objektvielfalt auf. Weir fand in ihrer Brusttasche einen Kugelschreiber, aber da das Gefängnis Videoüberwacht wurde und der Stift vielleicht schon als Waffe zählte, ließ sie ihn, wo er war.
Als es auf ihren Uhren schon nach neun Uhr abends war, kam ihr versprochenes Essen: Für jeden einen Pappteller mit einer undefinierbaren gelben Pampe und einen Pappbecher, zur Hälfte mit halbwegs sauberem Wasser gefüllt. Die Mahlzeit wurde ihnen von einem kräftigen Thargysier in einer grauen Uniform durch die Gitterstäbe gereicht. An der Tür stand ein zweiter Soldat mit einer länglichen und offensichtlich entsicherten Waffe – Wohl als Warnung an die Gefangenen.
„Sir, was ist das?", fragte McKay den Uniformierten skeptisch, als ihm dieser den letzten Teller durch die Stäbe schob.
„Dein Abendessen, Gefangener", erläuterte der Mann mit kalter Stimme. „Iss es oder schmier dir damit den Hintern ein, es kümmert mich nicht. Du bekommst erst morgen früh wieder was."
„Und wie sieht es mit Besteck aus?"
„Ihr werdet von uns niemals Waffen bekommen.
Vergesst es."
Damit verließen die beiden Soldaten das
Gefängnis und die Atlanter begutachteten ihr Essen.
„Es riecht nach saurer Milch", stellte Weir angeekelt fest. „Und sieht aus wie..."
„...Kartoffelbrei", beendete McKay ihren Satz und schob sich todesmutig eine Fingerspitze der Masse in den Mund. Augenblicklich verzog er das Gesicht. „Mit Ihrer sauren Milch lagen Sie nicht schlecht, Elizabeth."
Auch Fords Hunger überwog und er tauchte seinen Zeigefinger in den Brei. Kaum hatte er ihn abgeschleckt und das Zeug geschluckt, schüttelte er sich. „Verdammt, das schmeckt wie... Entenkotze!"
„Haben Sie schon mal Entenkotze gegessen?", fragte Sheppard.
„Nein."
„Woher wissen Sie dann, wie es schmeckt?"
„Probieren Sie es, Major, dann wissen Sie, was ich meine."
Das tat Sheppard, und als er das gelbliche Etwas runtergeschluckt hatte, musste er sofort mit Wasser nachspülen. „Sie hatten recht Ford. Das ist Entenkotze!"
„Elizabeth, was ist mit Ihnen?", fragte McKay Weir, die ihren Teller – oder vielmehr das, was sich darauf befand – zweifelnd beäugte. „Keinen Hunger?"
„Ich frage mich, ob es vielleicht vergiftet sein könnte", meinte sie. „Vielleicht ist es deshalb so eklig."
„Das glauben Sie doch nicht im Ernst", widersprach Sheppard. „Wenn die uns hätten töten wollen, könnten sie das auf eine weit weniger umständliche Weise tun und nicht die Show mit dem Gefängnis machen."
„Erzählen Sie das den Menschen, die im 3. Reich in Gaskammern getötet wurden, die wie Duschen aussahen."
„Dann werden Sie womöglich verhungern, Elizabeth. Ich habe das Gefühl, dass wir hier so bald nicht herauskommen – Und wenn doch, müssen wir bei Kräften sein."
Weir musste ihm zustimmen und aß schließlich auch etwas von ihrem Abendessen. „Das ist einfach... abartig", klagte sie, nachdem sie eine Fingerspitze des unappetitlichen Fraßes heruntergewürgt hatte. „Das ist die reinste Folter!"
Da sie am nächsten Tag
höchstwahrscheinlich nichts besseres zum Essen bekamen, mussten
sie jedoch mit der gelblichen Masse vorlieb nehmen. Es blieb den
Atlantern nichts anderes übrig, als den Brei zu verdrücken,
wenn sie nicht hungern wollten.
Danach hatten sie eine halbe
Stunde lang Bauchkrämpfe, und obwohl sie ihr Abendessen mit dem
wenigen Wasser heruntergespült hatten, blieb ein saurer
Geschmack im Mund zurück, der Sheppard an das Gefühl nach
Erbrechen erinnerte.
Irgendwann legten sich die anderen zum
Schlafen hin, aber obwohl Sheppard müde war, so wollte er nicht
einschlafen. Er zweifelte nicht daran, dass er auch an diesem Ort
Alpträume haben würde... Dass er sich an damals erinnerte,
an Afghanistan.
Er legte sich auf den Rücken auf seine
Matratze und starrte zur Decke hoch. Genau über ihm befand sich
eine der kleinen Lampen, die das neonartige Licht in dem Gefängnis
verursachten.
„Nicht einschlafen...", murmelte er leise.
„Nicht einschlafen..."
Ihm war bewusst, dass seine Augen
zufielen. Er wusste, dass er jetzt einschlafen würde, aber er
sah sich unfähig, etwas dagegen zu unternehmen. Ihm war, als
würde er seinen Geist spüren, der sich hinter die Mauern
des Schlafs zurückzog, wo er vor den Empfindungen des Körpers
verborgen war und sich erholen konnte.
Gute Nacht, dachte
Sheppard immer wieder. Bis morgen... schlaf gut.
Ja... Gut
schlafen... Das sollte er wohl...
Seine Gefühle lösten
sich von seinem Körper, erhoben sich über ihn. Er sah sich
auf der dünnen Matratze liegen, mit geschlossenen Augen und
einer ausdruckslosen Miene. Es war ein seltsames Gefühl, so als
sei er gar nicht er selbst, sondern etwas anderes. Obwohl er noch mit
seinem Körper verbunden war, fühlte er sich ihm nicht mehr
zugehörig.
So ist es, wenn man tot ist.
Die
Stimme. Sie war wieder da.
„Was willst du von mir?"
So fühlt sich der Tod an, John. Spürst du, wie kalt dir ist? Spürst du den kalten Atem der anderen verlorenen Seelen? Spürst du sie?
„Gar nichts spüre ich. Lass mich in Frieden."
Erinnerst du dich? Damals, vor langer Zeit, da hast du dieses Gefühl schon einmal gehabt. Tot warst du, erinnerst du dich? Wie es war? Wie man dich zurückgeholt hat?
„Lass mich in Ruhe!" Er sprach nun nicht mehr, er schrie.
Du hättest sterben sollen... Wie deine Freunde! Du hast sie umgebracht! Ermordet! Du, du ganz allein !
„Lass mich, hau ab!"
Mörder! Du bist ein MÖRDER!
„NEIN!" Sheppard riss die Augen auf und setzte sich auf. Er starrte geradewegs in das Gesicht von Weir, die ihn durch die Gitterstäbe hindurch besorgt ansah.
„Alles in Ordnung, John?", fragte sie.
Sheppard nickte langsam. Stückchenweise wurde ihm klar, dass er mal wieder geträumt hatte und nichts an diesem seltsamen Traum real gewesen war. „Ja... Ja, ich glaube schon."
„Aber schreien Sie nächstes Mal etwas leiser", tönte McKays Stimme von der anderen Seite des Gangs.
„Habe ich Sie geweckt?", fragte Sheppard vorsichtig.
„Ja", tönte es aus dreier Munde.
„Tut mir Leid. Ich habe schlecht geträumt."
„Das war nicht zu überhören", meinte Weir. „Ich hätte Sie gerne geweckt, aber ich konnte Sie nicht erreichen, Sie lagen ganz an der Wand."
„Was soll's. Jetzt können wir es auch nicht
mehr ändern."
Sheppard sah seufzend auf seine Uhr. Es war
halb vier in der Früh. „Ich bleibe jetzt wach, dann können
Sie in Ruhe weiterschlafen. Sie haben noch ein paar Stunden bis
Sonnenaufgang."
Ford und McKay legten sich augenblicklich wieder hin, Weir jedoch maß Sheppard zuvor mit einem sorgenvollen Blick. „Sind Sie sicher, dass alles in Ordnung ist?"
„Ja", entgegnete Sheppard eine Spur giftiger, als er es eigentlich wollte. Weir zuckte mit den Achseln und legte sich wieder hin, ihm den Rücken zugewandt. „Tut mir Leid", murmelte er, aber kaum ein Ton drang aus seinem Mund. Abermals seufzte er und lehnte sich an die kühle Eisenwand.
Mörder. Wie ein Nachhall aus seinem Traum ertönte die zischende Stimme in seinem Kopf.
Ich bin ein Mörder, dachte Sheppard. Major John Sheppard, der Mörder. Ich bin ein verdammter Mörder. Die ganze restliche Nacht saß er an die Wand gelehnt da und dachte daran, wie er seine Freunde umgebracht hatte.
Drei Stunden später öffnete sich die Tür und die zwei Thargysier vom Vorabend kamen herein. Wie am Abend schon war der eine bewaffnet und der andere trug auf einem Tablett das Essen für die Atlanter. Jede Hoffnung auf ein bekömmlicheres Mahl wurde zerstört, als die Gefangenen ihre Pappteller in Empfang nahmen: Auf jedem war ein Haufen des unappetitlichen gelben Breis, und dazu gab es wieder einen halben Pappbecher Wasser.
„Bekommen wir auch mal was anderes als nur Entenkotze?", fragte Ford den Soldaten, als er ihm das Essen durch die Gittertür reichte.
„Entweder das oder gar nichts", knurrte der Mann und ließ eindeutig absichtlich etwas Wasser aus der Tasse schwappen, während er sie zu Ford in die Zelle schob.
„Schon verstanden", seufzte Ford und sah ebenso missmutig wie die anderen auf sein Frühstück. Sie warteten, bis die Männer wieder gegangen waren und aßen dann etwas von ihrem kargen Mahl. Die säuerlich riechenden Teller stapelten sie danach zusammen mit denen vom Vortag in der leeren Zelle neben Ford, soweit er eben mit seinem Arm durch die Stäbe kam.
Als sie alle fertig gegessen hatten und mit klagenden Mägen in ihren Zellen saßen, ertönte plötzlich ein Knacken und kurz darauf die Stimme Bates': „Major? Hier Atlantis. Bitte melden!"
„Sergeant?", fragte Sheppard hoffnungsvoll und kramte das Funkgerät aus seiner Brusttasche. „Hier Sheppard!"
„Wo sind Sie, Sir? Warum kommen Sie nicht zurück?"
„Wir wurden von den Thargysiern gefangen genommen und befinden uns in einem unterirdischen Gefängnis. Wir kommen hier von selbst nicht raus!"
„Können Sie uns eine Wegbeschreibung zu ihrem Aufenthaltsort durchgeben?", fragte Bates.
„Nein Sergeant, wir wissen nicht, wo sich unser Gefängnis befindet."
„Was sollen wir jetzt tun? Warte auf Anweisungen!"
Weir tippte
Sheppard durch das Gitter hindurch an und er reichte ihr das
Funkgerät.
„Sergeant? Hier Weir. Wir können ein
Bündnis der Thargysier mit den Genii nicht ausschließen –
Atlantis sollte sich auf einen Angriff vorbereiten, sowohl durch das
Gate als auch durch den Weltraum. Wir wissen nicht, wie stark die
Thargysier wirklich sind."
„Verstanden."
„Unternehmen
Sie keine Rettungsaktion und..."
In diesem Moment öffnete
sich die Tür und gleich fünf schwer bewaffnete, in grau
gekleidete Soldaten betraten das Gefängnis. „... passen Sie
auf, wen Sie durch das Gate lassen!" Weir begann, sehr hektisch zu
reden und drückte sich an die hintere Wand ihrer Zelle. Einer
der Thargysier schloss ihre Zellentür auf und Sheppard bereute,
dass sie nicht unauffälliger mit Atlantis in Funkkontakt
getreten waren.
„Halten Sie sich bereit, wir..."
Der
Soldat hatte ihre Zelle betreten und riss ihr das Funkgerät aus
der Hand. Er betrachtete es einen Moment und fand dann schnell den
Aus-Knopf. „So", zischte er. „Und jetzt gebt ihr mir alle
Geräte dieser Art, über die ihr noch verfügt."
Einen
Moment lang rührte sich keiner, und so nickte er einem seiner
Männer zu, der dem ihm am nächsten Gefangenen, McKay, ins
Bein schoss. Sofort gaben die Atlanter ihre Funkgeräte ab, wobei
die Thargysier bei McKay etwas nachhelfen mussten, da er mit Stöhnen
und dem Halten seines blutenden Beines beschäftigt war.
„Sir, lassen Sie uns bitte mit dem König sprechen!", bat Weir geradezu verzweifelt, als die Krieger ihre Tür wieder abschlossen und sich daran machten, das Gefängnis zu verlassen.
„Das werdet ihr noch früh genug, Gefangene", antwortete der Mann, der ihr auch schon das Funkgerät entwunden hatte und schloss hinter sich die Tür. Die Atlanter waren wieder allein.
„Oh diese verdammten Mistkerle", fluchte McKay, der am Boden seiner Zelle saß und sich das Bein hielt.
„Hat jemand Verbandszeug dabei?", fragte Ford, der aus seiner Jacke eine Packung Taschentücher hervorzauberte. Sheppard hatte eine kleine Rolle dabei und rollte sie über den breiten Gang hinüber zu Fords Zelle, dessen Insasse begann, den stark blutenden und ebenso stark jammernden McKay zu verarzten.
„Ford, Idiot, Sie müssen die Kugel erst rausholen!", keifte McKay, als Ford den Verband um sein Bein zu wickeln.
„Entschuldigung, ich habe keine Ahnung, wie so etwas geht!"
„Hat irgendwer einen Zahnstocher dabei?", fragte Sheppard. „Oder einen anderen spitzen Gegenstand?"
„Ja", antwortete McKay unter Schmerzen. „Aber Sie wollen im Ernst mit einem Zahnstocher in meinem Bein herumbohren?"
„Nicht ich, sondern Ford", entgegnete
Sheppard. McKay holte seinen Zahnstocher aus einer Innentasche und
Sheppard fragte sich, warum er so etwas überhaupt dabei
hatte.
„Und jetzt holen Sie die Kugel raus, Lieutenant!"
Es
dauerte über eine Stunde, bis das Werk vollbracht war. Zum einen
war McKay nicht gerade ein willkommener Patient, zum anderen war Ford
nervös und alle vier sehnten sich nach Beckett.
Als McKays
Unterschenkel schließlich verbunden und das Blut in seiner
Zelle notdürftig mit den letzten Taschentüchern weggewischt
war, wurde ihnen bewusst, wie ernst die Lage war. Wegen eines
Funkgerätes hatten die Thargysier McKay angeschossen, was würden
sie bei einem schwereren Vergehen tun?
Nach einem kargen Mittagessen, das wie Frühstück und Abendessen aus der allseits beliebten Entenkotze bestand und das Ford und McKay mit blutigen Händen essen mussten, kam zu ihrer aller Befriedigung endlich der König in das Gefängnis. Er wurde von sechs Leibwächtern begleitet und ließ sich extra einen Stuhl in die Mitte des Gangs stellen, damit er nicht stehen musste.
„Ihr hattet nach mir gefragt?", begann er mit kalter Stimme das Gespräch. Anstatt den königlichen, aber mittelalterlichen Gewändern trug er jetzt wie seine Soldaten eine graue Uniform, die jedoch weitaus prächtiger war als die seiner Untertanen.
„Mein Herr, warum habt Ihr uns eingesperrt?", fragte Weir augenblicklich.
„Weil ihr mir hier in den Zellen von besserem Nutzen seid als frei in eurer Stadt", antwortete der König sogleich. „Da euer Volk mir relativ stark erschien, wollte ich sicher gehen, dass ihr uns nicht angreifen würdet."
„Wir wollten mit Euch ein Bündnis schließen!", rief Weir. „Wir wollten Euch niemals angreifen."
„So eine Einstellung kann sich schnell ändern", spöttelte der König. „Außerdem ziehe ich es vor, die Anführer fremder Völker gefangen zu halten, während ich ihre Welten einnehme."
„Unsere Stadt werdet Ihr nicht einnehmen können", sagte Sheppard. „Denn niemand hat sie je eingenommen."
„Dann werde ich der Erste sein", lachte der König.
„Ich glaube kaum, dass Ihr über eine solche Truppenstärke verfügt", zischte Sheppard.
„Glaubst du, Gefangener, ja? Du hast eigentlich keine Ahnung von der wahren Stärke Thargys, habe ich recht?"
Sheppard verzichtete auf eine Antwort.
„Sir, was können wir tun, damit Ihr uns freilasst?", fragte Weir eindringlich.
Der König wiegte kurz ab und grinste dann. „Informationen."
„Informationen von welcher Art?"
Lachend erhob sich der König. „Das werdet ihr
gleich merken, Gefangene."
Er nickte seinen Männern zu, die
erst den protestierenden und humpelnden McKay aus dem Gefängnis
führten und dann Ford.
„Wohin bringt Ihr meine Männer?", fragte Sheppard scharf. Der König, schon auf dem Weg nach draußen, drehte sich noch einmal um.
„Willst
du das wirklich wissen?"
Ohne eine Antwort abzuwarten gab er
seinen Soldaten den Befehl, auch Sheppard aus der Zelle zu
führen.
„John!", rief Elizabeth Sheppard hinterher, der von den Soldaten gefesselt und dann hinter den anderen her aus dem Gefängnis geführt wurde. Mit einem Mal hatte der Major ein ungutes Gefühl: Würde er Weir je wieder sehen?
Die
drei Atlanter wurden in einen großen dunklen Raum gebracht, der
eines Platzes im gruseligsten aller Horrorfilme würdig gewesen
wäre: Mit seinen verchromten Wänden und den zwei stählernen
Behandlungstischen erinnerte er an ein Krankenhaus, aber schon auf
den ersten Blick wusste Sheppard, dass dies eine Folterkammer war.
Neben den zwei langen Tischen standen allerlei seltsame Geräte
und auf einer Art Servierwagen lag eine ganze Palette
unterschiedlichster Messer und Nadeln.
Ein Blick in die Gesichter
von Ford und McKay zeigte ihm, dass auch sie den Sinn dieses Raumes
sofort verstanden hatten.
„Was habt Ihr mit uns vor?", wagte McKay mit zitternder Stimme zu fragen.
„Spaß",
erwiderte der König feixend. „Unglaublich viel Spaß!"
Er
ließ Ford und McKay auf die beiden Tische ketten, Sheppard
fesselten sie an zwei Eisenringe an der Wand. Von seiner Position aus
hatte er ausgezeichnete Sicht auf die beiden auf dem Rücken
liegenden Atlanter, deren Brust sich seit der Ankunft in diesem Raum
sichtlich schneller hob und senkte. Sheppard wünschte sich, man
hätte ihn woanders hingekettet, wo die beiden nicht in seinem
Blickfeld lagen.
Der König verließ den Raum und die
Soldaten verteilten sich in regelmäßigen Abständen in
einem großen Kreis um die zwei Tische mit Ford und McKay, wobei
sie darauf achteten, dass Sheppard seine Gefährten dennoch gut
im Blick hatte.
Dann öffnete sich die Tür und ein
kräftiger grauhaariger Mann in einem weißen Arztkittel
trat ein. Seine Erscheinung erinnerte Sheppard an seinen
professorenartigen Chemielehrer aus vergangenen Zeiten. Er hatte ihn
gehasst, aber jetzt wünschte er sich, sein Lehrer hätte
statt diesem Thargysier die Folterkammer betreten.
„Dann
wollen wir mal", kicherte der Mann im Arztkittel und trat zu Ford,
dem er mit einem kleinen Messer das Hemd aufschnitt. „Siehst noch
ziemlich kräftig aus", meinte er und begutachtete Fords
Oberkörper. „Dem wollen wir mal Abhilfe leisten,
wie?"
Pfeifend rollte er eines der Geräte heran. Sheppard
erinnerte es irgendwie an die Geräte bei seinem Zahnarzt. Der
Foltermeister zog eine Metallnadel, die durch einen dünnen
Schlauch mit dem Gerät verbunden war, aus ihrer Halterung und
betrachtete sie so, dass Ford sie ebenfalls gut sehen
konnte.
„Hübsches Ding, was?" Er grinste. „Ich kann dir
mit der Nadel einen kräftigen Elektroschock versetzen. Willst
du, dass ich das tue?"
„Nein!", rief Ford und zuckte zusammen.
„Nun, dann erzähl mir etwas mehr über die Waffen in eurer Stadt und über eure Verteidigungssysteme. Erzähl mir, wie wir Altantis am schnellsten einnehmen können."
„Warum sollte ich das tun?", fragte Ford und zur Antwort zuckte der Foltermeister mit den Schultern und drehte an einem kleinen Rädchen an dem Elektroschocker.
„Ich
will dir was erklären: Ich kann den Schocker auf fünf
verschiedene Stufen stellen. Je höher die Stufe, desto mehr
Strom fließt in deinen Körper. Ich fange jetzt mit Stufe
zwei an. Du wirst einen schrecklichen Schmerz spüren, aber das
wird schon alles sein. Du wirst erst größeren Schaden
nehmen, wenn ich den Regler auf Stufe drei stelle."
Er sagte
dies alles in einem Ton, in dem ein freundlicher Vater seinen Kindern
die Welt erklärt, der so gar nicht zu seiner Rolle passte. Als
er geendet hatte, senkte er die spitze Nadel dramatisch langsam auf
Fords Brust nieder und berührte ihn in der Nähe seiner
linken Brustwarze. Es knisterte und Ford schien einen Moment zu
vibrieren. Dann hob der Foltermeister die Nadel an und der Strom
floss nicht weiter durch den Lieutenant, der jetzt erbärmlich zu
schreien begann.
„Verdammt, das hat wehgetan!", jaulte er.
„Sollte es auch", sagte der Thargysier freundlich.
„Willst du noch mal?"
Ohne Ford Zeit zum Antworten zu geben,
versetzte er ihm einen weiteren Elektrostoß. Sobald er die
Nadel von Fords Körper wegnahm, schrie der Gefolterte erneut
los. Sheppard konnte sein Leid nicht mit ansehen und schloss die
Augen. Einen Moment überlegte er, ob er einfach alles sagen
sollte, ob er den Thargysiern von den kleinen grauen Geräten
erzählen sollte, die sie alle immer bei sich trugen und mit
denen sie den Identitätscode an Atlantis senden konnten. Die
Thargysier schienen ein anderes System des Wiedererkennens zu haben,
denn sonst hätten sie ihnen die Übermittler längst
abgenommen.
Aus den Worten des Königs hatte Sheppard jedoch
entnommen, dass man sie so bald nicht frei lassen würde, und
auch ein Geständnis würde sie nicht freikaufen
können.
„Jetzt sag mir, wie unsere Armee Atlantis einnehmen kann", forderte der Foltermeister, dessen Stimme paradoxerweise immer noch ruhig und freundlich war. „Du weißt, ich habe weitere Stufen."
„Nein!", keuchte Ford, dessen Brust sich gerötet hatte. „Ich sage nichts!"
„Gut", meinte der Foltermeister. „Dann werde ich..."
„Stopp!", wurde er von McKay unterbrochen. „Hört auf, ihn zu quälen!"
„So, soll ich das?" Der Foltermeister
drehte sich zu McKay um und musterte ihn. „Wie du wünschst,
Gefangener. Dann fahre ich mit dir fort."
Pfeifend ging er zu
einem Regal, auf dem viele verschiedene Fläschchen und
Reagenzgläser standen. Er entschied sich für eine braune
kleine Flasche, deren Aufschrift Sheppard nicht lesen konnte. Einer
der Soldaten trat zu McKay und hielt ihm so lange die Nase zu, bis er
den Mund öffnen musste, um Luft zu bekommen. In diesem Moment
schüttete der Foltermeister den gesamten Inhalt der Flasche in
McKays Rachen und sah genüsslich dabei zu, wie dieser hustete
und die Hälfte wieder ausspuckte.
„Es schmeckt etwas
unangenehm", erläuterte der Foltermeister und lächelte
fast bemitleidend. „Aber bald wirst du gar nichts mehr schmecken,
also mach dir keine Gedanken."
„Warum das?", fragte McKay, dessen Stimme sich seltsam rau anhörte.
„Die
Säure wird deine Geschmacksnerven für immer verätzen",
flötete der Foltermeister und blickte amüsiert auf McKays
entsetztes Gesicht hinab. „Ebenso deinen Gaumen, deine Stimmbänder
und die Speiseröhre. Sie wird sich durch dein Fleisch und deine
Knochen arbeiten, bis sie dein Herz und deine Lunge zerstört
hat."
Keiner der drei Atlanter war fähig, irgendetwas zu
sagen.
„Ein bisschen Hoffnung habe ich allerdings: Ich habe ein
Gegenmittel, dass ich dir innerhalb von vier Minuten verabreichen
muss, sonst tritt das Gift in Kraft."
„Ich sage alles!", ächzte McKay.
„Rodney!", rief Sheppard. "Seien Sie still!"
McKay achtete nicht auf ihn. „Sir, um nach Atlantis zu kommen, braucht Ihr..."
„McKay, halten Sie die Klappe!", ging Ford dazwischen. „Sie glauben doch nicht im Ernst, dass die uns freilassen, wenn Sie jetzt all unsere Geheimnisse ausplaudern?"
McKay blickte ihn verstört an. „Ich werde sterben, wenn ich jetzt nichts erzähle!"
„Ganz recht", gluckste der Foltermeister.
„Dann sterben Sie
wenigstens in dem Wissen, Atlantis nicht verraten zu haben. Sie
wissen, was mit den Genii passiert ist!"
Ford starrte McKay
eindringlich von der Seite an. „Verraten Sie kein Wort,
verstanden?"
McKay seufzte.
„Drei Minuten haben Sie
noch", informierte ihn der Foltermeister in die Stille
hinein.
„Ich sag ja alles."
„McKay!", rief Sheppard scharf, aber der schüttelte den Kopf.
„Sir, Atlantis hat ein Sicherheitssystem", erläuterte er. „Ihr müsst zuerst mit der Stadt in Funkkontakt treten, bevor Ihr hinein könnt. Sonst funktioniert das nicht."
„Das ist mir klar", lachte der Foltermeister. „Die werden uns nicht einfach durchlassen. Aber ihr haben Atlantis gewarnt, und deshalb werden sie uns auch nach einem Funkspruch nicht den Weg frei machen."
„Man braucht noch etwas anderes", gestand McKay und Sheppard hielt die Luft an. „Es ist ein Gerät, das..."
„MCKAY!", schrie Sheppard und seine Stimme hallte tausendfach von den verchromten Wänden wieder. „Ich befehle Ihnen, die Klappe zu halten!"
„Und ich dir", seufzte der Foltermeister. „Dein Freund hat noch zwei Minuten, dann wird er sterben. Ich an deiner Stelle wäre jetzt ruhig. Oder hast du uns etwas mitzuteilen?"
„Fahrt zur Hölle", zischte Sheppard. Der Foltermeister trat auf ihn zu und grinste.
„Du zuerst", flötete er und Sheppard sah die Faust des Mannes auf sein Gesicht zurasen. Es gab einen kurzen, stechenden Schmerz, dann war es Nacht.
„Major!"
Kalt. Ihm war
kalt.
„Major! Hören Sie
mich?"
„Elizabeth?"
„John!"
Wieder die
Kälte auf seiner Stirn.
Sheppard schlug die Augen auf und
sah verschwommen eine graue Decke mit einer kleinen, hellen
Lampe.
„Wo bin ich?", fragte er leise.
„In Ihrer Zelle", antwortete Weir. Sheppard blinzelte und sah etwas schärfer, dann setzte er sich auf. Von seiner Stirn tropfte Wasser. „Das Abendessen haben sie uns vor zwei Stunden gebracht."
Sheppard rieb sich die Augen und sah sich um. Er saß auf dem Boden, nah am Gitter zu Weirs Zelle. Weir hielt eine Tasse in der Hand, die andere war nass. Anscheinend hatte sie ihm durch die Stäbe hindurch die Stirn gekühlt. „Danke", murmelte er. Dann sah er die leeren Zellen auf der anderen Seite des Gangs. „Wo sind..."
„Die Thargysier haben nur Sie zurückgebracht, John", erzählte Weir leise. „Ich habe nach McKay und Ford gefragt, aber natürlich keine Antwort bekommen... Wo wurden Sie denn hingebracht? Warum waren Sie bewusstlos?"
Sheppard seufzte. „Es war furchtbar, Elizabeth. Die Soldaten haben uns in eine Folterkammer gebracht und ich musste zusehen, wie sie Ford Stromstöße verpasst und McKay irgendeine ätzende Säure in den Hals gekippt haben. Sie wollten wissen, wie sie Atlantis einnehmen können und wie sie durch das Gate in die Stadt kommen, ohne vom Schild abgefangen zu werden."
„Was haben Sie ihnen gesagt?"
„Nichts."
Weir atmete erleichtert aus. „Und wie geht es Ford und McKay?"
„Ich weiß es nicht", murmelte Sheppard. „Die Tatsache, dass sie nicht hier sind, lässt nichts Gutes verlauten..."
„Da
haben Sie recht."
Eine Weile saßen sie still da und gingen
ihren Gedanken nach. „Ich verstehe das nicht", meinte Weir. „Es
gibt Mittel und Wege, wie sie nach Atlantis kommen könnten...
Dazu müssen sie uns nicht befragen."
Sheppard nickte. „Mir erscheint das alles ziemlich verworren. Entweder die Thargysier sind dumm oder sie spielen nur mit uns."
„Dann
ist es ein Spiel auf dem schmalen Grad zwischen Leben und
Tod."
Sheppard legte sich auf seine Matratze und schloss die
Augen.
„Haben Sie noch Hunger, Major? Ich habe nicht alles von
meiner... Entenkotze gegessen."
Sheppard winkte dankend ab. „Morgen vielleicht. Nach dem, was ich heute in der Folterkammer gesehen habe, ist mir nicht nach Essen."
„Kann ich verstehen. Schlafen Sie gut, Sir."
„Sie auch, Elizabeth."
Es dauerte eine Weile, bis Sheppard einschlief. Zu groß war die Sorge um McKay und Ford, zu groß die Sehnsucht nach Atlantis. Aber schließlich sank auch er ins verborgene Land der Träume, wo er sich mit seiner Erinnerung traf.
John... John…Der Mörder von Afghanistan... Der seine Freunde nicht retten konnte und dann umbrachte... John, der Mörder...
Sheppard sah das Bild seines Freundes vor sich, wie er im Wrack eines Hubschraubers blutüberströmt und verschmutzt dalag und nach Hilfe schrie. Und dann verstummten die Schreie, der Mann war erstarrt, den Blick zum Himmel erhoben in einem letzten Gebet an seinen Gott, der ihm nicht gegen den Mörder Sheppard hatte helfen können...
„NEIN!"
Mit einem
Schrei fuhr Sheppard aus dem Schlaf. Als erstes bemerkte er den
höllischen Druck auf seiner Blase.
Weir saß
aufrecht in ihrer Zelle und betrachtete ihn besorgt.
„Sie haben
wieder schlecht geträumt, nicht wahr?"
Sheppard nickte und
sie griff durch das Gitter und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
„Möchten Sie darüber sprechen?"
„Nein", sagte Sheppard schnell. „Es ist nur... weil wir hier sind."
Weir zog ihre Hand zurück, sah ihn aber weiterhin misstrauisch an. „Da ist doch noch was, John?"
„Ich... ich muss mal", gestand Sheppard leise, worauf sich Weir umdrehte und zur anderen Seite blickte. „Ziemlich dringend sogar."
„Machen Sie ruhig. Ich war vorhin auch, als Sie alle weg waren."
Sheppard
zog den Nachttopf heran und versuchte, seine Blase so leise wie
möglich zu entleeren. Zu seinem Pech hatte er jedoch in den
vergangenen Stunden und Tagen wenig getrunken (wie auch, mit
eineinhalb Tassen pro Tag) und sein Urin stank bestialisch. Als er
fertig war, schloss er den Topf schnell mit dem passenden Deckel,
aber dennoch lag ein unangenehmer Geruch in der Luft.
„Ich bin
fertig", sagte er leise. „Tut mir Leid, dass es so...
stinkt."
„Sie können nichts dafür", antwortete Weir ruhig und drehte sich um. „Jetzt legen Sie sich wieder hin und schlafen Sie noch ein paar Stunden."
Sheppard nickte und tat
wie ihm befohlen.
Wieder träumte er. Von der Wüste, von
Gewehrschüssen... Und von Blut. Da war so schrecklich viel Blut.
Du warst es, Mörder, Mörder!
„NEIN!"
Wie
von der Biene gestochen fuhr Sheppard aus dem Schlaf. Erst als er
bemerkte, dass er sich nicht in Afghanistan, sondern in einer von
Neonlicht erhellten Zelle befand, beruhigte er sich wieder. Sein
Blick fiel auf Weir, die in ihrer eigenen Heimstatt saß und ihn
besorgt beäugte.
„Major, von was haben Sie geträumt?", fragte sie geradeheraus.
„Von nichts... Nur..." Er schüttelte den Kopf. „Nichts, das sie interessieren würde. Ich habe es auch schon fast wieder vergessen."
„Sie haben im Schlaf gesprochen, John."
„Was... was habe ich denn gesagt?"
„Sie sprachen unzusammenhängende Dinge. Sie haben immer wieder „Officer" gerufen und „Die Afghanen greifen an" geschrieen."
„Habe ich das?", murmelte Sheppard
und kratzte sich am Kopf. Weir nickte. „Nun... Vergessen Sie es,
Elizabeth. Es ist nicht wichtig."
Er legte sich wieder hin und
wand ihr den Rücken zu. Sie sagte nichts mehr und er hörte,
wie auch sie sich wieder schlafen legte. Es dauerte eine ganze Weile,
bis er wieder einschlief.
In dieser Nacht träumte er nicht mehr und Weir sprach ihn am nächsten Tag auch nicht mehr darauf an. Sie bekamen weder McKay noch Ford zu sehen, nur ihr eintöniges Essen, an das sie sich langsam zu gewöhnen begannen. Den Tag verbrachten sie damit, sich an Atlantis und seine Bewohner zu erinnern, aber als Weir auf die Erde zu sprechen kam, lenkte Sheppard sofort ab, was sie sicherlich bemerkte. Das Letzte was er jetzt wollte, war ein Gespräch über sein altes Leben, das nichts mehr mit seinem jetzigen zu tun hatte.
Der Geruch im Gefängnis wurde allmählich unangenehmer, da sie beide ihre körperlichen Bedürfnisse nicht verhindern konnten. Als Sheppard am Abend einschlief, hing ihm der beißende Gestank von Urin in der Nase und verfolgte ihn bis in seine Träume. Dort lebte er alles wieder durch, das ihm vor vielen Jahren in Gefangenschaft der Afghanen zuteil wurde.
Mit einem Schrei erwachte er. Weir starrte ihn entschlossen an. „Keine Widerrede, John. Sie erzählen mir jetzt, was Sie jede Nacht plagt."
„Habe ich wieder gesprochen?"
„Ja, das haben Sie."
„Elizabeth, es wird Sie nicht interessieren", versuchte Sheppard sie von ihrem Wunsch abzubringen. „Es..."
„Und ob es mich
interessiert", widersprach sie. „Ihre Träume sind der Grund
dafür, dass ich nicht in Ruhe durchschlafen kann. Ich habe ein
Recht darauf, ihren Inhalt zu kennen."
Sie hielt inne und
lächelte ihm aufmunternd zu. „Meinen Sie nicht, dass es Ihnen
helfen wird, wenn Sie mir alles erzählen? Es ist noch nicht
lange her, da haben Sie Teyla zu Dr. Heightmeyer geschickt, weil sie
schlecht schlief. Ich würde dasselbe jetzt mit Ihnen machen,
aber die gegebenen Umstände lassen es nicht zu."
Sheppard seufzte geschlagen. „Es wird eine lange Geschichte."
„Das macht nichts. Es ist erst kurz nach Mitternacht. Lassen Sie sich Zeit."
„Wie Sie wünschen", murmelte Sheppard und
machte es sich bequem. „Aber wenn es sie langweilt, dann sagen Sie
mir nicht, ich hätte Sie nicht vorgewarnt."
Auch Weir
setzte sich etwas bequemer hin und blickte ihn erwartungsvoll
an.
„Ich muss etwas weiter ausholen", begann Sheppard. „Alles
fing vor mehreren Jahren an, als ich in ein amerikanisches Lager in
Afghanistan kommandiert wurde..."
I
know
I can stop the pain if I will it all away
(tbc)
