Kapitel 2

In welchem Clark und Lex in der Limousine nach Metropolis fahren. Clark erfährt, worum es geht. Lex überrascht mit Femininität.


Trotz Clarks Drängens waren Lex keine Einzelheiten zu entlocken gewesen. Es sei ein größeres offizielles Event in Metropolis, das einigermaßen formelle Kleidung erforderte. Dies versetzte Clark kurzzeitig in Panik, doch da Lex anscheinend vorausschauend und mitfühlend genug war, sandte er seinen Fahrer zur Kent-Farm. Eine kleine Notiz in Lex' eleganter Handschrift war dem Paket beigefügt: „Falls du unsicher bist, was den Dress-Code angeht. Hierin wirst du umwerfend aussehen. Doch fühl dich zu nichts verpflichtet! L." Lex hatte noch ein Postscriptum hinzufügen wollen, welches besagte, dass Clark immer umwerfend aussah, egal was er trug oder auch nicht trug, entschied sich aber dagegen. Nicht, weil er wusste, dass Clark bei diesem Kompliment entzückend erröten würde, eine Reaktion, die er bei dem jungen Kent immer wieder mit größter Freude hervorrief, sondern vielmehr, weil er fand, ein „umwerfend" war mehr als genug für den Fall, dass Martha oder Jonathan Kent das Päckchen in Empfang nahmen.

Nun stand Clark in dem neuen schwarzen Smoking vor ebenjenem Spiegel, wo Lex ihm vor einigen Monaten geholfen hatte, die Fliege korrekt zu binden. Clark sah keine Veranlassung, dies als böses Omen zu deuten. Dass der Abend damals in Chaos und Verwüstung geendet hatte, ausnahmsweise einmal ohne Einwirkung der Meteoriten, lag schließlich weder an der Fliege noch am Spiegel. Außerdem waren die Farben anders. Das Hemd war weinrot, die Fliege grau. Keine Chance für schlechte Vorzeichen. Die Lackschuhe waren seine eigenen, die er schon bei den letzten beiden Schulbällen getragen hatte. Obwohl es ihn nicht weiter verwundert hätte, wenn Lex auch seine Schuhgröße exakt gewusst hätte. Anzug und Hemd saßen jedenfalls perfekt. Clark seufzte. Wie kam es nur, dass sie sich immer wieder gegenseitig dabei halfen, irgendwelche Frauen zu beeindrucken? Nun, heute war es jedenfalls nicht Chloe, die ihn abholen würde.

„Clark!" Martha Kent stand am Fuß der Treppe, die zu seiner Festung der Einsamkeit hinauf führte.

„Ich bin gleich da, Mom!", rief er zurück, während er sein Abbild im Spiegel betrachtete und kopfschüttelnd seufzte. Die Kleidung gefiel ihm. Ungewohnt zwar, aber er fand, er wirkte viel erwachsener. Seine Haare hingegen hatten sich als überaus widerspenstig erwiesen. Mehrfach hatte er versucht, sie in eine Form zu bringen, die zu dem eleganten Outfit passte. Ohne Erfolg. Da er in den letzten Wochen auch nicht dazu gekommen war, sie sich von seiner Mutter schneiden zu lassen, hatten sie inzwischen eine Länge erreicht, die eigentlich einen professionellen Stylisten erforderte, wenn er nicht so aussehen wollte, als käme er gerade aus dem Bett oder hätte zehn Jahre zu spät den Grunge-Look für sich entdeckt. Dies war das einzige Problem, bei dem er nicht Lex um Hilfe bitten würde. Wobei sich der kahle Milliardär wahrscheinlich selbst in Haarangelegenheiten als Koryphäe erweisen würde.

Er zuckte die Schultern und blickte sein Spiegelbild ein letztes Mal entschuldigend an. Lex wird damit leben müssen, dachte er, indem er die Treppe hinunterstürmte, zwei Stufen auf einmal nehmend. Am Tor zur Scheune lief er seiner Mutter in die Arme, die ihn einen Moment lang prüfend musterte, bevor sie ihn stolz lächelnd umarmte.

„Mom?"

„Du siehst toll aus, Clark." Sie trat einen Schritt zurück, seine Hände in ihren haltend. „Du wirst sämtlichen Mädchen dort den Kopf verdrehen."

Der nie erloschene Funke eines Schuldgefühls flammte auf, als er verlegen „Ach, Mom" stammelte. Irgendwann, bald, würde er es ihr sagen. Doch nun rückte Martha seine Fliege gerade und wies dann auf die schwarze Limousine, die vor dem Haus parkte. Ein Fahrer in dunkelblauer Uniform und Sonnenbrille wartete daneben. Fahrer von Limousinen mit getönten Scheiben trugen immer Sonnenbrillen. Das war anscheinend eine Art Naturgesetz. Clark winkte seiner Mutter und ging auf den großen Wagen zu. Der Fahrer begrüßte ihn höflich und öffnete die Tür. Beim Einsteigen sah Clark zunächst wegen der im Inneren herrschenden Dunkelheit nur den vagen Umriss einer menschlichen Gestalt am anderen Ende des Rücksitzes.

„Lex?", fragte er fröhlich. Wer sollte es sonst sein? Schließlich waren sie verabredet. Nachdem die Tür lautlos hinter ihm ins Schloss gefallen war, blinzelte er das letzte Sonnenlicht aus seinen Augen, und erkannte, dass die Gestalt tatsächlich Lex war. Clark öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch es wollten keine Worte hinaus kommen. Stattdessen verharrte er regungslos und starrte Lex an wie eine Geistererscheinung. Dann blinzelte er erneut. Clark wusste nicht, was er eigentlich erwartet hatte, aber definitiv war es nicht dies. Als er schlucken wollte, bemerkte er, dass sein Mund offen stand.

„Hallo Clark."

Ein Schauer überkam Clark beim Klang der Stimme. Die drei Silben genügten, um seine Kniekehlen weich wie Butter werden zu lassen. Gut, dass er bereits saß. Diesen tiefen, schnurrenden Tonfall legte Lex sonst nur auf, wenn sie allein waren... und eine Weile allein bleiben würden. Nun, sie waren jetzt allein. Clark hatte nicht bemerkt, wie sich der Wagen in Gang gesetzt hatte, aber offensichtlich fuhren sie nun. Schwarze Scheiben schirmten sie von der Fahrerkabine ab. Allein. Für mehr als zwei Stunden.

Solche Gedanken kreuzten allerdings nur ganz am Rande Clarks Bewusstsein. Dieses war viel zu sehr damit beschäftigt, Lex' Präsenz in der Limousine wahrzunehmen. Lex' Kleidung. Kleid, um genauer zu sein. Lex trug ein Kleid. Natürlich. Die Diskussion über Clarks Beziehung zu Lana war der Ausgangspunkt für diese Unternehmung heute gewesen. Lex hatte angeboten, ein Gespräch mit ihm zu üben, und mehr aus Spaß hatte Clark darauf bestanden, Lex in Frauenklamotten zu stecken. Wegen der Authentizität selbstverständlich. Die Zeit seitdem hatte Clark mit nervösen Überlegungen, die Veranstaltung und seine eigene Garderobe betreffend, verbracht, so dass er kaum einen Gedanken mehr daran verschwendet hatte, wie Lex ihm wohl zeigen würde, wie man es „richtig" mache. Nun saß das Ergebnis leibhaftig vor ihm. Leibhaftig und schwarz-weiß.

Die Haut von Lex' Gesicht und Hals war das einzige, das Clark klar und hell erkennen konnte; sie schien beinahe zu leuchten. Das Kleid hingegen war dunkel, tiefschwarz, so dass es jeden Lichtschein wie ein bodenloser Abgrund verschluckte. Abgesehen von dem Kleid wirkte er ungewohnt, anders, ohne dass Clark gleich sagen konnte, woran es lag. Bis ihm auffiel, dass Lex geschminkt war. Nicht auffällig, sonst hätte er es sofort gesehen. Es wurde lediglich betont, was da war. Der Verlauf der hohen Wangenknochen war durch leichte Schatten verstärkt, was dem Gesicht einen beinahe asiatischen Touch verlieh. Die Brauen waren etwas dunkler nachgezogen; mysteriöse Schatten um die Augen ließen sie größer und dunkler erscheinen. Aus irgendeinem Grund schienen die Linien des Unterkiefers viel schärfer als sonst, was das Gesicht vom Hals abhob. Entweder lag dies an dem zweifellos perfekten MakeUp oder es war schlicht die Innenbeleuchtung des Wagens, die Lex wie einen Filmstar aus den Zwanzigern in Szene setzte. Lex' Mund war das einzige, das nicht dezent geschminkt war. Clark musste sich ans Atmen erinnern. Die Lippen, die er anstarrte, wölbten sich in einem milden Lächeln an den Winkeln nach oben. Der Mund wirkte viel größer durch die Farbe. Was war das für eine Farbe? Purpur? Violett? Oder Blutrot? In dem Halbdunkel war das nicht eindeutig zu entscheiden.

„Lex!" Clark hatte eine eloquentere Begrüßung im Sinn gehabt, doch momentan entzog sich ihm die höhere Grammatik.

„Ich schätze, damit ist mein Inkognito für heute hin", meinte Lex dramatisch seufzend. „Woran hast du mich erkannt? Es sind die Ohren, stimmt's? Verdammt, ich hätte doch die vulkanischen Prothesen nehmen sollen."

Eine Sekunde lang war Clark nicht sicher, ob Lex scherzte oder im Ernst sprach. Als er dann lachte, klang es trotz allem etwas unsicher. Und er war unsicher. Keine Frage. Und beeindruckt.

„Lex, wow!" Sein Wortschatz wuchs langsam. Nicht dass dies einen der beiden Männer störte.

„Mit der Reaktion kann ich leben. Fürs erste."

Nachdem sie beide auflockernd gelacht und Clark sich von der Überraschung erholt hatte, fand er Zeit, Lex' äußere Erscheinung einer genaueren Inspektion zu unterziehen. Lex trug ein Kleid, soviel stand schon mal fest. Es war schwarz wie eine mondlose Nacht, und ein beinahe ehrfürchtiges Tasten mit den Fingern bestätigte, dass der Stoff Samt war. Nun, Clark vermutete dies zumindest. Schultern und Oberarme waren auf eine aufregende Weise nackt, irgendwie nackter, als wenn Lex nichts anhatte, denn seine helle Haut hob sich strahlend von dem lichtschluckenden Stoff ab. Die ebenfalls schwarzen Handschuhe reichten bis über die Ellenbogen.

Clark hielt sich nicht für einen Experten in Sachen Haute Couture, doch das Kleid schien recht schlicht geschnitten zu sein. Am Oberkörper lag es eng an. Eine scharfe Linie schloss es über der Brust ab. Lex hatte sich nicht die Mühe gemacht, den Anschein eines Busens erwecken zu wollen. Trotzdem zog gerade diese Stelle immer wieder Clarks Blick auf sich, denn Lex atmete wie Frauen es manchmal in Filmen tun, wenn sie zu eng geschnürt sind. Seine Brust hob und senkte sich, nicht sein Bauch. Dies bestätigte Clark, dem aufmerksamen Beobachter, dass Lex eine Art Korsett trug. Von den Hüften abwärts floss das Kleid weich an Lex' Gestalt hinab. Lex saß mit übereinandergeschlagenen Beinen in der Limousine, und der Kleidersaum offenbarte einen in einer silbrigen Sandale steckenden Fuß. Wenn man einmal davon absah, dass diese Person keinen Busen, keine schmale Taille, aber dafür eine Glatze und muskulöse Arme hatte, konnte sie durchaus den Eindruck erwecken, weiblich zu sein. Allein die Haltung des Fußes. Sie konnte nur als graziös und anmutig und irgendwie weiblich bezeichnet werden. Doch der Fuß beanspruchte nur für kurze Zeit Clarks Aufmerksamkeit. Lex war einfach ein Phänomen als Ganzes. Hingegossen wie eine griechische Statue saß er dort und... schmunzelte.

Clark begegnete dem abwartenden Blick. „Und?", fragte Lex. „War die Strickjacke besser?"

„Lex, du... Ich... Ich weiß nicht, was ich sagen soll, ehrlich." Clark kratzte sich am Kopf. Er wusste, was er dachte, aber es zu sagen, klänge so abgedroschen. Also flüsterte er es. „Lex, du bist so schön." Er nagte an seiner Unterlippe.

Lex strahlte, sichtlich erfreut über das Kompliment, und wurde damit von der Diva zum normalen Luthor Junior, trotz des MakeUps. „Freut mich, dass es dir gefällt."

„Gefällt? Ich bin sprachlos!" Clarks Blick wanderte erneut an Lex' schlanker Form hinunter bis zu dem sichtbaren rechten Fuß. Kopfschüttelnd stieß er hörbar den Atem durch die Nase aus.

„Was denkst du, Mister Kent?"

Sich zurücklehnend verschränkte Clark die Arme vor der Brust. „Ich stelle gerade fest, dass du anscheinend immer Recht hast."

Ein leises Lachen entfuhr Lex und er zupfte an den Fingern seines linken Handschuhs. „Wie kommst du zu dieser weisen Einsicht?" Nach und nach lockerte er den Stoff an jedem Finger, bevor er die Prozedur auf der rechten Seite wiederholte, ohne die Handschuhe jedoch auszuziehen. Clark verfolgte fasziniert jede Bewegung. „Clark?"

„Ah... ja... ich meine, was du über Frauen gesagt hast, weißt du... die Klamotten, in die ich dich gesteckt habe waren lächerlich... es tut mir, leid, dass ich..."

„Halt die Klappe, Clark! Du weißt genau, wie sehr ich es genieße, wenn du vor mir kniest. Selbst wenn du Stecknadeln im Mund hast."

„Ha. Ha. Okay, das haken wir besser ab. Ich will dich definitiv nie wieder in einer weißen Strumpfhose sehen. Allerdings..."

„Allerdings was?"

„Uhm... ich weiß wirklich nicht, ob ich mit dir ein Gespräch mit Lana proben kann, wenn du so aussiehst."

„Clark. Wie wäre es, wenn wir die Sache mit Lana erst einmal beiseite lassen und den Abend einfach genießen?"

Es war nicht viel Überredungskunst notwendig. Clark grinste. „Einverstanden."

„Dein Haarstyling gefällt mir. Sieht aus, als kämst du frisch aus dem Bett."

Clark verzog schnaubend das Gesicht.

„Das meine ich ernst! Ich mag es, wenn dein Haar etwas länger ist. Es ist sexy", fügte er leiser hinzu. Lex strich flüchtig mit seinen behandschuhten Fingern über die schwarzen Locken. Einen Moment hielt er inne, bevor er langsam mit einer Fingerspitze die Linie von Clarks Ohrmuschel entlang fuhr, dann über das Kinn und zuletzt die vollen Lippen.

Clark zitterte beinahe, unfähig sich zu rühren angesichts der Empfindungen, die der Samt auf seiner Haut in ihm auslöste. Er öffnete die Augen, merkte erst jetzt, dass sie geschlossen gewesen waren, und sah Lex, der sich zu ihm hinüber beugte. Er wollte ihn küssen, streckte eine Hand aus, um sie in Lex' Nacken zu legen, und näherte sich langsam den halbgeöffneten roten Lippen. Kurz bevor er sie berührte, zog er sich ruckartig zurück.

„Was ist?", fragte Lex.

Ein zwerchfelltiefes Durchatmen. „Ich will dein MakeUp nicht ruinieren."

„Okay, sehr rücksichtsvoll, du kannst mich überall da küssen, wo kein MakeUp ist." Und damit drückte er Clarks Kopf hinunter, bis er die weichen Lippen an seinem Hals spürte, dann an seiner Schulter. Lex seufzte. Er ließ seine Finger träge durch Clarks Haar fahren, der sich allerdings ungewohnt schnell von ihm löste.

„Was ist los mit dir?"

„Weiß Helen eigentlich, wie schön du bist?"

Jetzt war es an Lex, unwillig zu schnauben. „Können wir heute bitte nicht von Helen reden!"

Clark biss sich auf die Lippen. Er wirkte verlegen, aber entschlossen. Einer jener Momente, in denen Lex sich bewusst wurde, warum er dieses faszinierende Wesen liebte. Er lächelte, schwieg aber, da Clark mit sich rang und offensichtlich zu einer bedeutsameren Erklärung ansetzte.

„Das ist so was wie... nun... unser erstes Date. Wir hatten ja nie wirklich eins. Es wäre ziemlich unhöflich, wenn ich dich nach kaum zehn Minuten küssen würde."

Lex war ehrlich überrascht. „Unser erstes Date? Korrigier mich, wenn ich falsch liege, aber nach meiner Rechnung..."

„Nein", unterbrach Clark, „heute ist es etwas Besonderes, und nicht nur, weil du ein Kleid trägst. Ein sehr hübsches Kleid übrigens." Er grinste leicht, wurde dann aber ernst. „Als du gestern Morgen bei uns warst, war ich so stolz auf dich, Lex. Auch wenn es mir nicht besonders gefällt, dass du mit Helen so weit gehen willst, --"

„Clark..."

„Nein, warte. Ich verstehe es, Lex, wirklich. Und ich weiß, dass wir das überstehen werden. Trotzdem, es ist eine Hochzeit, so oder so, und dass du meine Eltern neben dir am Tisch haben möchtest, hätte ich nicht erwartet, und... es ist wunderbar. Ich wünschte, ich hätte Mom und Dad sagen können, wieviel du mir bedeutest." Er senkte den Blick und räusperte sich leicht, bevor er weiter sprach: „Vorhin, als ich mich von Mom verabschiedet habe... da... da wusste ich, dass es an der Zeit ist."

Lex hob nur fragend die Augenbrauen; er wollte Clark jetzt mit keinem Wort unterbrechen.

„Ich muss es ihnen sagen. Ich will es ihnen endlich sagen, Lex."

Ein angenehm schmerzvolles Ziehen machte sich in der Brust des jungen Milliardärs breit. Er war sprachlos. Clark war soweit, ihre Beziehung offiziell machen zu wollen? Gut, er hatte nur von seinen Eltern gesprochen, nicht von der Welt, aber letztlich waren die Kents das, was zählte. Und Lex wusste, wie schwer es Clark fiel, seinen Eltern etwas zu verheimlichen. Die Ankündigung erfüllte ihn mit Stolz und Rührung und Freude. Trotzdem konnte er eine gewisse Furcht nicht leugnen, wenn er daran dachte, wie insbesondere Jonathan Kent reagieren könnte. Der Mann begann gerade seine Abscheu ihm gegenüber zu überwinden. Was würde er sagen, wenn er erfuhr, dass Lex Luthor es mit seinem Sohn trieb? Doch das zählte jetzt nicht. Jetzt zählte nur Clark. Nur er war jetzt hier.

„Bist du sicher?"

Clark nickte. In seinen Augen war Entschlossenheit zu sehen. Er hatte sich lange genug versteckt. Einmal hatte er zu Lex gesagt, es falle ihm ebenso schwer, seinen Eltern ihre Beziehung zu verschweigen, wie er es gehasst hatte, Lex zu belügen. Das eine hatte ein Ende gefunden, also wurde es Zeit, dass das andere ebenfalls abgeschlossen wurde.

„Dann ist das hier doppelt passend."

Aus einem bis dahin verborgenen Fach förderte Lex zwei langstielige, hohe Gläser zutage, die er Clark in die Hand drückte. Einen Moment lang musste Clark seine Aufmerksamkeit voll auf die hauchdünnen Gebilde richten, um sie nicht versehentlich zu zerbrechen. Ein lautes Plopp! ließ ihn aufblicken. Lex hielt eine dampfende Champagnerflasche in der der Hand. Der Korken war in seinen Schoß gefallen.

„Clark", die Stimme klang erschreckend feierlich, „ich weiß, dass du Alkohol nichts abgewinnen kannst, aber..." Er unterbrach sich kurz. „Besondere Gelegenheitern erfordern bei uns Erdlingen traditionell Champagner, und heute ist ein besonderer Abend für mich." Lex füllte die Gläser in Clarks Hand mit der goldgelben, perlenden Flüssigkeit, verstaute die Flasche und nahm eins der Gläser entgegen. „Für uns", fügte er hinzu, indem er sein Glas zum Toast hoch hob.

„Auf uns."

Die Gläser begegneten sich mit einem schwingenden Ton, und beide Männer tranken einen Schluck, wobei sie ihre Augen nicht voneinander lösten.

Als Antwort nahm Clark Lex' freie Hand in seine. Er streichelte mit dem Daumen kurz den weichen Samt, bevor er sich sachte vorbeugte und Lex einen Kuss auf die Wange hauchte. Es waren keine weiteren Worte nötig. Die beiden jungen Männer sahen sich in die Augen und erblickten jeweils ein Universum darin. Sterne erstrahlten in gleißendem Licht und versanken nach einem kurzen rot glühenden Aufbäumen in Schwärze. Das Leben eines Sterns ist unvorstellbar lang. Die Menschen neigen dazu, anzunehmen, dass die Sonne und die Erde ewig existieren, doch das ist nicht der Fall. Der Tod eines jeden Sterns ist ebenso sicher wie er spektakulär ist. Und das Ende... Nichts ist so geheimnisvoll und so stark wie ein schwarzes Loch.

Artig trank Clark den Champagner aus. Er mochte den Geschmack nicht besonders. Er war bitter und sauer, und der Geruch erinnerte ihn vage an einen unangenehmen Traum aus seiner Kindheit. Aber es war Champagner, und er trank ihn Lex zuliebe. Lex hatte gesagt, man würde sich irgendwann daran gewöhnen. An so manches hatte er sich gewöhnt, genau wie Lex prophezeit hatte, also gab er dem Champagner eine Chance.

„Wenn du schon nicht mein MakeUp ruinieren willst, was tun wir dann?"

„Du könntest mir erzählen, wohin wir fahren."

Knapp drei Stunden Fahrt nur mit Konversation zu überbrücken fällt manchen Menschen leicht, anderen weniger. Lex redete gern und viel, doch er hätte seinen Teil der Informationsübermittlung in kaum einer Viertelstunde als abgeschlossen bezeichnet, wenn Clark nicht fortwährend nachgehakt und Details verlangt hätte. So erfuhr er nicht nur, dass sie unterwegs waren zu einem Maskenball in Metropolis, der jährlich zugunsten eines caritativen Projektes stattfand, nein, Lex berichtete ihm auch, dass es seit etwa fünf Jahren Tradition war, dass Männer in Frauenkleidern erschienen und ebenso Frauen in Männerkleidern. Die Tatsache, dass die größte Lesben- und Schwulenorganisation von Metropolis einen maßgeblichen Anteil des Organisationskomitees bildete, hatte nicht wenig mit dieser Tradition zu tun.

Bei all der Öffentlichkeit drängte sich Clark ein Gedanke auf. „Was ist mit unserer Geheimhaltung?"

Zuletzt förderte Lex aus einer Schachtel zwei Masken zutage, von denen er eine Clark überreichte.

„Das sind venezianische Masken. Man trägt sie traditionell beim Karneval in Venedig, aber der Ursprung liegt in der Comedia del Arte, bei der der Schauspieler als Person hinter seiner Rolle zurücktrat, ganz im Gegensatz zu den Schauspielern heute bei uns. Für jede Rolle gab es eine bestimmte Maske. Es hat etwas mit Archetypen zu tun, weißt du. Etwas Ähnliches findet man auch im japanischen Kabuki- oder No-Theater." Lex blickte kurz auf. „Oh, ich schwafele, entschuldige, Clark. Hier."

Meist liebte Clark es, wenn Lex ins Dozieren verfiel, eine Angewohnheit, die er nicht abschütteln konnte. Und er selbst hörte gerne zu. Auch wenn er sich nicht immer alle Einzelheiten merkte, es war doch beeindruckend, was sein Freund alles wusste. Lex verblüffte ihn immer wieder mit umfangreichem Wissen aus den verschiedensten Bereichen. Er war Experte in diversen Naturwissenschaften, natürlich, kannte sich aber auch mit Poesie und Malerei aus. Einmal hatte Clark jedoch eine profunde Wissenslücke entdeckt, und dieses Manko brachte er bei jeder passenden Gelegenheit zur Sprache. Lex hatte Null Ahnung vom Kochen. Clark zog ihn immer wieder gerne damit auf, dass Lex selbst Wasser anbrennen lassen würde, während Lex indigniert darauf bestand, dass er es nicht nötig habe, selbst für sein leibliches Wohl zu sorgen. In Anbetracht der Tatsache, dass Lex sonst nie mit seinem Reichtum protzte, war Clark sich sicher, dass es seinen Freund schlichtweg wurmte, dass die Küche einfach nicht sein Metier war.

Abgesehen von alldem war es Clark hin und wieder vollkommen egal, was Lex sagte, solange er nur redete. Wenn seine Stimme tief und leise war, konnte Clark sie wie eine Liebkosung auf seiner Haut spüren; war sie kräftig, erhöhte sich Clarks Herzschlag, und er hatte den Eindruck, sein ganzer Körper würde mit den Schwingungen der Worte vibrieren, während sich sämtliche Härchen auf seiner Haut aufrichteten. Sollte Lex einmal sein gesamtes Geld verlieren, könnte er Clarks Ansicht nach ein Vermögen mit Märchenvorlesen oder Telefonsex verdienen.

Jetzt wartete er jedoch schweigend Clarks Reaktion ab. Die kam prompt.

„Wow."

Vorsichtig drehte Clark das Kunstwerk zwischen seinen Fingern hin und her, denn es war nicht weniger als ein Kunstwerk. Etwas ganz Anderes als die schlichte Maske, die er als Kind bei ein oder zwei Schulfesten getragen hatte. Damals hatte seine Mutter ihn als Zorro verkleidet, mit einem echten, natürlich stumpfen, Plastikdegen und einem Cape. Diese Maske jedoch wirkte unheimlich wertvoll. Sie schimmerte blaugrün wie das Federkleid eines Pfaus. Die Linie über der Stirn war geschwungen und lief nach beiden Seiten hin spitz zu. Stilisierte Augenbrauen. An den Spitzen links und rechts saßen flaumige Federn, deren Grundfarbe Blau von wenigen blutroten und gelben Sprenkeln durchbrochen wurde. Lex berührte die Federn mit seinen Fingerspitzen.

„Diese Farben werden wundervoll in deinem Haar aussehen." Flüchtig ließ er seine Knöchel über Clarks Wange streichen. „Setz sie auf."

„Ich komme mir etwas komisch damit vor."

„Glaub mir, du siehst hinreißend aus."

Dann bemerkte Clark die kleinere Maske, die Lex für sich ausgewählt hatte, und ihm blieb buchstäblich die Spucke weg. Wunderschön. Ihm schien es, als hätte er nie zuvor etwas derartig Schönes gesehen. Natürlich von Lex abgesehen. Deshalb war dieses Exemplar perfekt für ihn. Zerbrechlich. Das war das Adjektiv, das ihm als nächstes in den Sinn kam. Die Maske war hauptsächlich schwarz und samtig, wie Lex' Kleid. Die Form war anders als die der blauen Maske, denn sie war asymmetrisch. Während der untere Rand schlicht geschwungen dem Verlauf von Nase und Wangenknochen folgte, befanden sich oben mehrere auffällige Zacken und Ausläufer. Direkt über der Nasenwurzel wies ein spitzes Dreieck mitten auf die Stirn. Die linke Seite war rundlich nach oben verlängert, wie ein Teufelshorn, und an ihrem äußersten Ende baumelte eine schwarze Perle. Die Fläche der Maske war mit dünnen, silbernen Stickereien versehen; sich kreuzende Linien, die Clark im ersten Moment an Narben erinnerten, bei näherer Betrachtung aber organisch wirkten wie Efeuranken. Am auffälligsten jedoch war die Verzierung an der rechten Seite. Ein Geflecht aus filigranem, silbernen Draht, das wie ein elegant ausgebreiteter Schwanenflügel aussah. Es war noch einmal so hoch wie die Maske selbst, und würde damit Lex' Kopf leicht überragen. Man mochte kaum glauben, dass Silberdraht das einzige Material war, denn es wirkte fließend und fedrig wie ein lebendiger Flügel.

Clark streckte ehrfurchtsvoll seine Finger aus, wagte aber nicht, die Maske zu berühren. Er hatte Angst, sie zu zerbrechen.

„Lex..."

Lex setzte sich die Maske auf den Kopf und sah Clark an.

Ein erneutes „Wow" entfuhr Clark, als er Lex' Blick begegnete. Im Kontrast zu dem dunklen Material wirkten seine Augen viel heller als sonst, beinahe stählern, und Clark musste unwillkürlich schlucken. Ein großes Verlangen überkam ihn, die glänzend roten Lippen zu küssen, und gleichzeitig fühlte er sich von Lex' Augen nahezu gelähmt. Er spürte etwas auf seinen Arm.

„Clark, was ist?"

Ein Jahr und viereinhalb Monate. Eigentlich keine lange Zeit. Und doch war es beinahe eine Ewigkeit. Clark fühlte sich exakt wie damals. Als er sich anschickte, Lex zu küssen. Lex zum allerersten Mal zu küssen. Das Herz hatte so laut in seinen Ohren gehämmert, dass er meinte, Lex müsse es hören. Seine Hände waren feucht und sein Mund trocken; er wagte nicht zu blinzeln oder zu atmen.

„Clark?"

„Lex... das ist... du bist... wunderschön."

Lex lächelte. „Danke."

Clark schüttelte seine Lähmung ab. „Ähm, aber ich fürchte, man wird dich trotzdem erkennen."

„Mich schon. Du hingegen wirst der große Unbekannte sein." Sanft fuhr Lex mit dem Daumen über Clarks Lippen.

Natürlich war er nicht der einzige Kahlköpfige in Metropolis' gehobener Gesellschaft, dennoch war er eindeutig als Lex Luthor zu erkennen, und er wusste dies. Niemand sonst würde sich in einem solch gewagten Outfit sehen lassen, auch nicht auf einem Maskenball. Gewagt, weil trotz allem eindeutig männlich. So würde er alle Blicke auf sich ziehen, was nicht nur seiner Eitelkeit schmeichelte, sondern, und das war weitaus wichtiger, es lenkte weniger Aufmerksamkeit auf Clark.

„Wir sind gleich da. Bist du bereit, Mister X?"

Clark atmete tief durch und nickte.

Der Wagen hielt. Die Tür wurde von außen geöffnet. Als Clark sich anschickte auszusteigen, hielt Lex ihn am Arm zurück.

„Clark? Eins musst du mir versprechen."

„Was?"

„Warte nicht bis zu unserem dritten Date, bis du mich küsst."

„Das lässt sich einrichten."

Erneut wandte Clark sich der Tür zu. Erneut hielt Lex ihn fest.

„Und, Clark?"

„Ja?"

„Ich vertraue darauf, dass du mich den Rest des Abends über halbwegs nüchtern halten wirst."

„Mehr als dir lieb ist, Lex."

„Das habe ich befürchtet." Lex raffte einen breiten purpurnen Samtschal um seine Schultern und blickte überrascht auf, als Clark ihm seine Hand entgegenhielt.

„Darf ich bitten?"

Arm in Arm traten sie durch die große Glastür in das Gebäude.


tbc.