Kapitel 3
In welchem man tanzt und Konversation pflegt. Außerdem beginnt Lex' äußere Erscheinung ihre Wirkung auf Clark zu entfalten…
Es war ein Maskenball, ein wirklicher Maskenball. Unzählige Leute in wahrscheinlich teuren und mit Sicherheit exklusiven Kostümen bevölkerten den Saal. Sie schwebten wie Traumfiguren über die Tanzfläche, drehten sich in endlos scheinenden Spiralen und Pirouetten, so dass einem vom Hinsehen allein schwindelig werden konnte. Clark fühlte sich wie am Hof eines beliebigen europäischen Königshauses, ohne sich festlegen zu wollen. So ähnlich musste es ausgesehen haben, wenn die Blaublütigen zusammenkamen, um Vermählungen von Thronfolgern oder die Einführung der Debütantinnen ins gesellschaftliche Leben zu zelebrieren. So bunt und überbordend und dekadent. Oder auch nicht. Clark hatte sein „Wissen" aus alten Filmen und war durchaus mit dem Prinzip der Fiktion vertraut. Trotzdem, alles entsprach dem Klischee, bis hin zum schwarzweiß glänzenden Mosaik des Fußbodens. Von hohen Decken warfen ausladende Kristalllüster ihr funkelndes Licht über schillernde Gestalten. Die Fenster waren hoch und abgerundet, ähnlich wie im Luthor-Schloss, nur hier besaßen sie ausschließlich klare Glasscheiben. Die sonstige Dekoration der Räumlichkeiten bestand aus verschiedenen Kübelpflanzen und einigen verteilt stehenden, lebensgroßen Statuen. Zumeist waren Frauen dargestellt, in dünnen, gemeißelten Gewändern, die ihre Leiber nur zum Schein verhüllten; aber es waren auch einige männliche Figuren darunter, die, ebenso spärlich gewandet, muskulöse und anmutig starke Körper zeigten. Lex erklärte, dass es sich um Repliken antiker griechischer Standbilder handelte, welche die gottgleiche Schönheit des Menschen darstellten.
Die Hand auf Clarks Rücken rutschte ein wenig tiefer, als Lex sich an ihn lehnte, um in sein Ohr zu flüstern: „Wenn wir dich ausziehen und weiß anmalen, würde niemand erkennen, dass du nicht aus Marmor bist. Vorausgesetzt..." Lex räusperte sich, bevor er weitersprach: „Vorausgesetzt wir finden ein Feigenblatt, das groß genug ist." Er kniff Clark kurz und unauffällig in den Hintern, wobei er selbstzufrieden grinste, als Clarks Ohren feuerrot anliefen. „Hm, das merken wir uns für den nächsten Maskenball, einverstanden?"
„Lex...", begann Clark, sich ernsthaft fragend, ob Lex ihm den modischen Fehltritt von gestern immer noch nicht verziehen hatte und jetzt versuchte, ihn in Verlegenheit zu bringen, brach jedoch ab, als er dem funkelnden Blick begegnete. Lex' Nähe, der Duft seiner Haut und der leichte Druck der Hand in seinem Kreuz weckten urplötzlich Clarks Verlangen. Ein Kribbeln tanzte durch seine Wirbelsäule, sammelte sich an deren Ende und in seinen Kniekehlen, und Clark vergaß, wo sie sich befanden. Unbewusst leckte er sich über die Lippen und sah Lex einfach nur aus dunklen Augen an.
„Was ist?" brach Lex nach einer Weile das Schweigen. Ihm war die erhöhte Atemfrequenz seines Freundes natürlich nicht entgangen, ebensowenig wie die geblähten Nasenflügel. Lex wusste, was dieser Blick bedeutete, und er liebte ihn. Er fragte sich nicht zum ersten Mal, ob er Clark eines Tages dazu bringen würde, ihn auf offener Tanzfläche zu lieben. Nicht auf einem Event wie diesem. In manchen dunklen Straßen von Metropolis gab es noch dunklere Clubs, wo sich die Menschen Nacht für Nacht dicht gedrängt wanden, sodass man kaum sagen konnte, wo ein Körper endete und der nächste begann. Clubs, in denen die Luft nach frischem Schweiß und Sex roch, und die Musik so laut hämmerte, dass sich der eigene Puls nach diesem Rhythmus richten musste. Lex lächelte. Eines Tages... vielleicht...
Unterdessen fand Clark seine Stimme wieder. „Ich überlege, ob ich dich entführen sollte. Es gibt hier ein paar leerstehende Räume." Er sprach leise und ein wenig heiser, während er beide Arme um Lex legte, den schlanken Mann gegen sich drückend. Seine Hand zeichnete kleine Kreise auf Lex' Rücken, glitt über den Samtstoff bis hinauf zum Ansatz der Schulterblätter. Ein Finger strich langsam über die nackte Haut oberhalb des Saumes. Lex seufzte wohlig. In Smallville mussten sie in der Öffentlichkeit vorsichtig sein, daher genoss er diese besitzergreifende Seite von Clark ungemein. Genoss es, zu wissen, dass alle Welt sehen konnte, dass er zu jemandem gehörte. Dass er diesem unerhört attraktiven Unbekannten gehörte. Was macht es schon, wenn wir für ein Stündchen verschwinden? Niemand wird uns vermissen. Oh, ich will ihn! Lex schmiegte sich voll in die Umarmung, hob eine Hand zu Clarks Haar. Schon wollte er ihn zu einem leidenschaftlichen Kuss an sich ziehen, da erblickte er etwas über Clarks Schulter hinweg, das ihn innehalten ließ. Einmal tief durchatmend strich er lediglich über Clarks Ohrmuschel. Jahrelanges Training durch Meetings und Verhandlungen, die ein perfektes Pokerface erforderten, ließ seine Stimme erstaunlich neutral klingen für jemanden, der gerade deutlich die Erregung seines jugendlichen Liebhabers spürte: „So sehr mir dieser Plan auch gefällt, Clark, ich fürchte, wir müssen zunächst noch ein paar gesellschaftlichen Pflichten nachkommen."
Aus den Augenwinkeln sah Clark plötzlich eine grüne Wolke rasend schnell auf sie zukommen. Eine Sekunde lang verfiel er in Panik, einen Kryptonitangriff befürchtend, doch die bekannten Schmerzen blieben zum Glück aus, als das Etwas näher kam. Gnädigerweise hatte der Schreck seine Leidenschaft weitgehend abgekühlt, so dass ihm eine peinliche Situation erspart blieb. Dann war das Etwas da. Kein Kryptonit. Das war die gute Nachricht.
„Lex! Bist du das! Nein, qué belle! Du siehst umwerfend aus! Und diese Maske - ein Traum!"
Eine ganz in Grasgrün gekleidete Frau fiel Lex um den Hals. Sie schien nur aus Federn zu bestehen. Kleid, Maske und Handschuhe erweckten diesen Anschein, während einzig die um ihre Schultern geschwungene Boa aus echten Federn war. Selbst ihre Haare wirkten aufgeplustert. Allerdings waren sie nicht grün sondern hellblond.
Clark runzelte unwillig die Stirn, als sie Lex mit Beschlag belegte und betitelte sie in Gedanken sofort mit „Bibo". Nachdem die beiden gegenseitig ausgiebig ihr Outfit bewundert hatten, wandte Lex sich an seinen Freund: „Clark, darf ich dir meine alte Freundin Heather vorstellen? Heather, das ist Clark." Die Sache mit dem Inkognito hatte Lex ganz offensichtlich vergessen.
„Kaum lebst du auf dem Land, gehen deine Manieren offenbar den Bach runter, mein Lieber. Über die alte Freundin reden wir noch!"
Lex erntete einen vernichtenden Blick, bevor Heather sich ohne Vorwarnung auf Clark stürzte und ihn fest an sich drückte.
„Enchanté, mon cher, enchanté!" rief sie enthusiastisch, während sie sich wieder von Clark löste und ihn einer eingehenden Betrachtung unterzog. Unvermittelt ergriff sie seine Hand. „Du musst unbedingt mit mir tanzen." Ihr Ton duldete keinen Widerspruch. Sie warf Lex eine Kusshand zu. „Chéri, wir sehen uns später."
Clark fand sich mitten auf der Tanzfläche wieder, im festen Griff eines kleinen, grünen, äußerst gesprächigen Vogels. Zum Glück war der Tanz ein schlichter Walzer, etwas, das er mit Lex lange genug geübt hatte, um jetzt nicht über seine Füße zu stolpern.
„Und? Wie hast du Lex kennengelernt?"
„Hm... Er hat mich beinahe überfahren."
Heather lachte glockenhell. „Ja, so ist es jedesmal mit ihm. Er haut einen um, nicht wahr?" Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: „Und? Seid ihr... du weißt schon... eng befreundet?" Dabei zwinkerte sie ihm von unten herauf zu.
„Ähm, ja... ich denke schon... das sind wir wohl." Wenn sie Details austauschen will, bin ich hier weg, fügte er in Gedanken hinzu.
„Ja ja! Das dachte ich mir. Ich spüre diese Vibrations sofort, musst du wissen, und zwischen euch sieht sie geradezu ein Blinder."
„Warum fragst du dann?"
„Aber Schatz!" Lachend warf sie den Kopf zurück, dass die buschigen Federn tanzten. „Weiß ich denn, ob ihr schon öffentlich seid? Lex ist mein Freund, aber ich würde um nichts in der Welt diejenige sein wollen, die ihn ungefragt outet." Sie deutete mit dem Finger eine durchgeschnittene Kehle an.
Clarks Magen machte einen Salto, als ihm aufging, dass er soeben zum ersten Mal einer anderen Person gegenüber zugegeben hatte, dass er und Lex ein Paar waren, noch dazu einer ihm fremden Person. Er hatte nicht einmal darüber nachgedacht, ob er es leugnen sollte.
„Ähm, Heather? So öffentlich sind wir eigentlich noch nicht..." Er klang nicht so panisch, wie er sich fühlte.
Heather hob überrascht den Kopf. „Dann, Herzchen, lass dir eins sagen: Pass auf, wem du hier was erzählst. Lex ist nicht gerade inkognito, und hier sind die größten Klatschmäuler von Metropolis versammelt."
Clarks erschrockener Blick ließ Heather nachsichtig lächeln. Sie strich eine Strähne hinter sein Ohr, und Clark fühlte sich an seine Mutter erinnert, obwohl diese Frau höchstens Mitte Zwanzig war. „Keine Angst, ich werde schweigen wie ein Grab", sagte sie ernsthaft, und seltsamerweise glaubte Clark ihr.
Sie tanzten schweigend weiter. Clark war viel zu sehr damit beschäftigt, sich auf die korrekten Schrittfolgen zu konzentrieren, um seinerseits ein Gespräch anzufangen, obwohl er sich schon fragte, woher Lex Heather kannte, und vor allen Dingen, wie gut er sie kannte.
In einer Drehung kam sie ihm näher als erforderlich und sah ihm tief in die Augen, obwohl sie einen guten Kopf kleiner war. Sie stoppten den Tanz für einige Sekunden. Clark spürte ihren weichen Busen, der sich gegen ihn drückte, und ihm wurde warm. „Ich wette, Lex liebt deine Augen", flüsterte sie ihm zu, bevor sie sich von ihm löste und die Walzerschritte wieder aufnahm. Dann schmunzelte sie schelmisch, musterte ihn demonstrativ von oben bis unten und fügte hinzu: „Unter anderem natürlich." Clark wurde rot.
„Oh, da vorn ist er. Ist er nicht göttlich in diesem Kleid? Schau, wie er die Stirn runzelt. Er lässt dich keine Sekunde aus den Augen, nicht wahr? Ich denke, ich liefere dich besser wieder bei ihm ab, bevor er mir noch die Freundschaft kündigt. Danke für den Tanz, junger Mann."
Clark machte eine linkische Verbeugung. „Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite", erwiderte er gentlemanlike. Doch bevor sie die Tanzfläche verließen, fasste Heather ihn bei der Hand und sah ihn ernst an. „Pass gut auf ihn auf, Clark. Viele wollen ihn haben, aber kaum jemand will, was gut für ihn ist. Pass auf ihn auf und tu ihm nicht weh."
Sie verschwand zwischen den anderen Tänzern, ehe er etwas erwidern konnte. Verdutzt sah er ihr nach.
„Lex, wer war das?" fragte Clark, nachdem er an den Rand des Saales zurückgekehrt war.
„Ich sehe, Heather hat Eindruck auf dich gemacht. Das tut sie immer. Sie ist Bildhauerin."
„Woher kennst du sie?"
„Sie hat eine Zeitlang bei mir gewohnt, als wir zur Uni gingen."
Gerade hatte er angefangen, diese Frau sympathisch zu finden. „Ihr habt zusammen gewohnt? Seid ihr... wart ihr... uhm... du weißt schon... zusammen?" Clarks unbeholfene Eifersucht brachte Lex zum Lächeln. Er zog seinen Freund am Ärmel und zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen. „Clark? Zuerst einmal: Heather ist lesbisch. Ausschließlich." Das nahm Clark ganz offensichtlich den Wind aus den Segeln. Wie beabsichtigt. Lex hatte zwar eine bewegte Vergangenheit, und er wusste auch, dass Clark eifersüchtig auf einen großen Teil davon war, doch er sollte nicht glauben, dass er mit jedem seiner Freunde ins Bett gegangen war. Genaugenommen waren es sogar selten Freunde gewesen, mit denen er geschlafen hatte.
„Als ihre Freundin sie damals rauswarf, hab' ich sie bei mir aufgenommen, bis sie ihre Selbstmordpläne aufgegeben hatte."
„Oh."
Diese fröhliche Person und Selbstmord? Wie sollte das passen?
„Wir haben uns gegenseitig sehr gut kennengelernt. Mit der Zeit wurde sie eine meiner besten Freundinnen."
„Sie hat gesagt, ich soll auf dich aufpassen."
Lex verdrehte seine Augen. „Heather, das verrückte Huhn! Macht sich dauernd Sorgen um mich. Das war früher schon so." Sein Blick wurde ein wenig abwesend, als er an alte Zeiten dachte.
Clark wusste wenig von Lex' Vergangenheit, wollte auch gar nicht alles wissen, aber er gewann den Eindruck, dass Heather einen wohltuenden Einfluss auf den jungen, wilden Luthor gehabt hatte. Vielleicht mehr, als Lex zugeben würde, denn er war in seinem Leben zu häufig enttäuscht und verletzt worden, um sein Herz, für jedermann angreifbar, offen vor sich her zu tragen. Natürlich würde er auch dies niemandem gegenüber eingestehen. Niemandem außer Clark. Wenn sie allein waren. Manchmal hatte Clark Angst davor, dass Lex die Mauern um sich herum wieder aufbaute und nicht einmal mehr ihn zu sich durchdringen ließe.
„Tanz mit mir, Clark!"
Da war die samtige Stimme, leise genug, dass nur Clark sie verstehen konnte, eindringlich genug, um eine Gänsehaut zu erzeugen. Er sah Lex an. Und erst jetzt, im Licht all der Lampen, sah er seinen Freund in seiner ganzen Pracht, so wie Heather ihn kurz zuvor gesehen hatte. Lex war hinreißend. Prächtig. Das Kleid fiel ihm bis auf die Füße, doch als Lex jetzt einen Schritt nach vorn machte, fiel Clark der Schlitz an der Seite auf, der kurz das Weiß eines Beines enthüllte. Lex hatte immer eine bewundernswerte Körperhaltung, aber die Korsage, die er trug, und die Art und Weise, wie er seine Schultern zurücknahm und das Kinn hoch hielt, verliehen ihm eine zusätzliche, ganz andere Eleganz, die weder rein weiblich noch männlich war. Die geraden Linien des Oberteils weckten in Clark den Wunsch, Lex bei der Taille zu fassen, ihn herumzuwirbeln und hoch in die Luft zu heben. Er wollte ihn festhalten. Er wollte die Festigkeit der Korsage mit der Festigkeit von Lex' Muskeln vergleichen.
Clark ergriff die ausgestreckte Hand. Auf einmal wurde er nervös. Ich werde mit Lex tanzen! Zwar hatten sie für die Hochzeit geübt, bis jeder Schritt saß, aber plötzlich war er sich nicht mehr so sicher, ob er seine beiden Füße voneinander unterscheiden konnte. Sie waren in der Öffentlichkeit! Das war etwas Anderes. Völlig anders, denn er würde vor aller Augen mit Lex tanzen. Morgen würde er Lex' Trauzeuge sein, und anschließend höchstens mit Lana oder seiner Mom das Tanzbein schwingen, während er Lex und Helen eifersüchtig beobachtete. Aber er könnte nicht mit Lex auf seiner Hochzeit tanzen.
„Lex, ich weiß nicht...", begann er halbherzig. Natürlich wollte er mit Lex tanzen, aber konnte er es?
„Komm schon, dazu sind wir hier!" Lex knuffte ihn aufmunternd in die Seite, stutzte dann, als er aufkeimende Panik in Clarks Gesicht sah. „Was ist los?"
„Hier sind so viele Leute." Na prima, du klingst wie ein Sechsjähriger, kommentierte Clark sich selbst, aber das nahm ihm auch nicht seine Nervosität.
Lex blieb stehen und nahm Clarks Hände in seine. Er spürte deren Wärme durch die Handschuhe.
„Clark", sagte er mit leiser Stimme, „lass sie doch zusehen, wenn sie wollen. Die meisten haben eh genug mit sich selbst zu tun, um auf uns zu achten." Das war leicht untertrieben, denn Lex zog die Blicke von Frauen und Männern auf sich, wohin er auch ging, und er wusste, dass sie sich die Mäuler über Luthors neuestes Spielzeug zerreißen würden - aber niemand würde Clark erkennen. Dessen Maske hatte er mit Bedacht groß genug gewählt, was er Clark jetzt sagte. Er spürte, dass sein junger Freund ein wenig entspannte und setzte eine unschuldige Miene auf, als er meinte: „Wenn es dir aber lieber ist, kann ich mir einen anderen Tanzpartner suchen..." O ja, Lex Luthor konnte kokettieren! Clarks Augen flammten auf. Zwei Sekunden später lag seine rechte Hand auf Lex' Taille, und er passte seine Schritte sorgsam dem Tempo der Musik an.
Zunächst führte Lex unmerklich, aber nach und nach beruhigten sich Clarks Nerven, so dass er sicherer auftreten und schließlich sogar das Tanzen genießen konnte. Immerhin tanzte er öffentlich mit Lex. Und er war stolz darauf. Sein Geliebter war das bei weitem bezauberndste Wesen im Umkreis von Meilen, ach was, auf dem ganzen Planeten!
„Clark? Ich muss dir gestehen, dass ich erst nicht sicher war, ob das hier das richtige für uns ist. Ob es jetzt schon das richtige ist. Aber als du vorhin sagtest, du würdest bald deinen Eltern von uns erzählen wollen, hatte ich keinen Zweifel mehr. Die Ablenkung tut uns beiden gut."
„Weißt du, ich war wirklich nervös, weil so viele Leute hier sind. Aber die Masken sind echt cool. Und du bist so umwerfend, dass mich eh niemand ansieht."
Lex lachte. „Täusch dich nur nicht. Eigentlich hab' ich dich nur in diesen Smoking gesteckt und mitgenommen, um vor all den Snobs hier anzugeben."
„Le-ex." Clark rollte mit den Augen, wie jedesmal, wenn Lex ihm Komplimente über sein Aussehen machte.
„Im Ernst. Die Leute fragen sich schon jetzt, wer diese fremde Schönheit an meinem Arm ist. Sie beneiden mich und werden versuchen, dich von mir weg zu locken."
Vehement schüttelte Clark seinen Kopf. „Nichts kann mich von dir fort locken."
„Ich weiß." Doch dann wurde Lex tatsächlich ernst. „Clark? Der Abend ist noch lang. Wir werden beide sicherlich mit diversen Leuten hier reden, tanzen oder was auch immer tun. Es könnte sein, dass jemand unschöne Sachen sagt. Ich hätte dich gekauft, ich spiele mit dir, in dieser Art. Hör dann einfach nicht hin, ja? Ich möchte nicht, dass..."
„Lex!" unterbrach Clark die besorgte Rede. „Es ist Okay. Sie können sagen, was sie wollen, ich kenne dich. Ich vertraue dir."
„Ich will nur nicht, dass du verletzt wirst."
„Ich weiß."
Mitten auf der Tanzfläche waren sie stehen geblieben und sahen einander an. Clark war es, der sich als erster bewegte. Er legte beide Hände auf Lex' Hüften, spürte die Knochen, als er den schlanken Mann sanft zu sich heran zog. Die Umgebung war nebensächlich geworden, die sich drehenden Paare um sie herum verschwammen zu einem bedeutungslosen Hintergrund, während Clark langsam sein Gesicht dem von Lex näherte. Und dann küsste er ihn. Mitten auf der Tanzfläche. Lex schloss die Augen. Er spürte Clark. Die Hände, die ihn hielten und ihn regelmäßig davor bewahrten, in den Abgrund zu fallen. Die leicht geöffneten samtweichen Lippen. Die feuchte Hitze des Mundes, in der er mit Freuden versank. Das kräftig schlagende Herz, das seinem eigenen zuweilen auf die Sprünge half. Clark. Clark und er. Mitten auf der Tanzfläche.
Noch im Kuss begann Lex zu lächeln, und als sie sich voneinander lösten, lachten beide und setzten den Tanz fort.
Weder Lex noch Clark bemerkten, dass mehrere Leute ihren Tanz unterbrochen hatten und sie anstarrten. Heather, die mit einer Frau in einem violetten Hosenanzug tanzte, drehte den Kopf und lächelte versonnen.
Sie schwebten über das Parkett. Graublaue und grüne Augen, ineinander versunken, sagten mehr, als Worte es in diesem Moment gekonnt hätten. Clark war glücklich. Es war unwahrscheinlich, dass ihn jemand hier erkannte, aber selbst wenn, wäre es nicht schlimm! Er schämte sich nicht wegen seiner Beziehung zu Lex. Er war noch nie so stolz darauf gewesen, und trotz aller Schwierigkeiten war er sich sicher, dass sie eines Tages offen zu der ganzen Welt sein würden.
„Lex, weißt du, was mir gerade aufgefallen ist?"
„Dass es sich leichter tanzt, wenn man nicht nervös ist?"
„Nein. Dass du genauso groß bist wie ich."
Trotz der Maske konnte Clark den amüsierten Blick erkennen, den Lex ihm zuwarf, bevor er übertrieben ausrief: „Oh Gott, Clark, du wirst kleiner! Verdammt. Ade, Selbstvertrauen!"
„Witzbold. Ich wollte sagen, ich habe deine Schuhe gesehen, aber nicht bemerkt, dass die Absätze so hoch sind. Es ist faszinierend, jemanden auf Augenhöhe zu küssen."
„Schön, dass ich dich immer noch faszinieren kann, mein Großer."
„Ich frage mich, ob du Übung mit hochhackigen Schuhen hast."
„Nun ja..."
„Und wenn ja, warum ich nichts davon weiß."
„Geheimnisse machen das Leben spannend, nicht wahr?"
„Sicher. Es sei denn, man hat Geheimnisse vor dir. Dann wirst du zum gnadenlosen Pitbull."
Lex tat entrüstet. „Clark! Ich bin erschüttert! Das hört sich ja an, als sei ich rücksichtslos neugierig."
„Irre ich mich, oder warst du es, der keine Ruhe gegeben hat, bis er alles von mir wusste?"
„Falsch. Ich wollte nur all das wissen, was du weißt. Clark Kent ist immer noch ein großes Mysterium, aber es beruhigt mich ungemein, dass wir die vielen dunklen Seiten gemeinsam entdecken werden. Absehen davon..." Lex unterbrach sich.
„Na los. Sprich weiter."
„Nun, vielleicht trügen mich meine Erinnerungen, aber was das Thema Hartnäckigkeit angeht, ich meine, da war mal ein gewisser Farmboy in meiner jüngeren Vergangenheit, der mich wieder und wieder mit den merkwürdigsten Anliegen aufsuchte. Wollte Flirttipps von mir, während er zugleich betonte, wie langweilig und egozentrisch Miss Lang doch sei, wollte meine Autos sehen, fragte, ob ich ihm bei Hausaufgaben helfen konnte, wollte Pool spielen lernen; einmal kam er sogar bei mir im Büro vorbei und fragte mich, ob das Hemd, das er gerade trug, zu seiner Hose passte."
„Und du hast mir gesagt, es passte wunderbar."
„Wie alles an dir wunderbar aussieht."
„Es hätte also auch ein modisches Desaster sein können, und du hättest dein Okay gegeben?"
Lex war nur ganz kurz davor, zu bekennen, dass es ein modisches Desaster gewesen war, doch er schwieg wohlweislich.
„Verstehe. Soviel zu deiner Glaubwürdigkeit, Mister Luthor. Was ist jetzt mit den Schuhen? Woher hast du die Übung?"
„Wie kommst du auf die Idee, dass hohe Absätze Übung erfordern? Hast du es etwa versucht?"
„Lex, bitte! Ich habe genug Filme gesehen, in denen --"
„Und Filme sind das wahre Leben, ja ja..."
„Radfahren erfordert auch Übung."
Jetzt musste Lex wirklich lachen. „Okay, Okay, ich beuge mich deiner unbezwingbaren Logik und gebe mich geschlagen. Lass es mich so formulieren: Vielleicht hast du einfach noch nicht jeden Winkel meiner Kleiderschränke gesehen."
Große Augen waren die einzige Reaktion, zu der Clark spontan fähig war. Wollte Lex andeuten, er trüge regelmäßig Frauenklamotten? Irgendwie war er nicht der Typ dazu, trotz seiner Exzentrizität. Andererseits... Nein, Lex nahm ihn nur auf den Arm. Bestimmt.
„Zeigst du mir die Winkel einmal?" raunte Clark in Lex' Ohr.
Lex atmete hörbar ein, und berührte dann flüchtig Clarks Wange mit seiner. „Es wird mir ein Vergnügen sein", flüsterte er mit samtiger Stimme.
Die Musik brach ab, und sie lösten sich voneinander.
„Hast du was dagegen, wenn wir uns mal nach dem Essen umschauen, Lex?" fragte Clark unschuldig.
„Der Tanz mit mir hat dich ausgepowert, was?" entgegnete Lex mit einem koketten Augenaufschlag.
„Ganz im Gegenteil. Ich will mich nur stärken, damit ich dich später auspowern kann."
Lex lachte amüsiert. „Oh, welch Versprechungen, mein schöner Unbekannter! Lass dich nicht aufhalten. Ich will mich nur eben ladylike frischmachen und stoße gleich wieder zu dir. Okay?"
„Okay."
Das praktische an Buffets ist, dass man sich den Teller mit all dem vollladen kann, was den Gaumen erfreut. Niemanden würde es stören, wenn man sich ausschließlich mit Gänseleberpastetchen den Magen vollschlüge und dabei Dinge wie Baby-Anchovis, Weinbergschnecken, Kaviar in Algenblättern oder auch zuckersüße Schokoladenparfaits mit winzigen kandierten Veilchenblüten links liegen ließe. Ein freier Geist lässt sich doch nicht von so etwas Profanem wie einer Menüfolge vorschreiben, was er wann zu essen hat! Clark hatte freilich nicht die Absicht, irgendetwas links liegen zu lassen. Zwischen Marthas Kochkunst, Fastfood und internationaler Gourmet-Küche, die er durch Lex kennengelernt hatte, gab es kaum etwas Kulinarisches, das er verschmähte. Sein einziger Grundsatz in dieser Hinsicht lautete: Iss nichts, das noch lebt. Also belud er seinen Teller, indem er einmal das Buffet umrundete, in der Absicht, alles zu probieren.
Neugierig sah Clark sich um, während er aß. Die Leute standen in kleinen Grüppchen zusammen, lachten und plauderten, viele tanzten, einige widmeten sich, wie er selbst, dem leiblichen Wohl.
Er sah Lex den Saal betreten und musste unwillkürlich lächeln. Lex war ein Meister des perfekten Auftritts. Nun gut, Clark war zugegebenermaßen voreingenommen, doch es gab auch objektiv keinen Zweifel daran, dass Lex Luthor einen Raum beherrschte, sobald er ihn betrat. Auch wenn er ein Kleid und eine Maske trug. Mit einem nicht unerheblichen Gefühl von Stolz bemerkte Clark die Köpfe, die sich drehten, und die Blicke, die sich bewundernd, lüstern oder auch neidisch auf seinen Freund richteten.
Schon wollte er auf ihn zugehen, als Lex von einem merkwürdigen Paar im Partnerlook abgefangen wurde. Die beiden waren mindestens im Alter von Lex' Vater, so schien es. Die hochtoupierten Haare der Frau waren von einer gelbblonden Färbung. Sie trug ein paillettenbesetztes, enganliegendes Kleid, das zu allem Überfluss rosa war. Der Aufzug war komplett mit rosafarbener Boa, einer pinken, lackglänzenden Maske und riesigen, baumelnden Ohrringen. Partnerlook bedeutete in diesem Fall, dass ihr Begleiter haargenau das gleiche Kleid und die gleichen Accessoires trug. Allerdings auch eine graue Kurzhaarfrisur mit ausgeprägten Geheimratsecken sowie einen Schnurrbart in derselben Farbe. Clark schüttelte mental den Kopf, und anstatt sich dazu zu gesellen, schlenderte er mit seinem Teller umher und beobachtete das Treiben der illustren Gesellschaft.
Mehrfach suchte sein Blick Lex und fand ihn, wie gehabt, bei den pinken Flamingos, wie er die beiden getauft hatte. Irgendwann hatte sich noch eine junge Frau in einem Pagenkostüm dazugesellt, vielleicht die Tochter. Er sah zu, wie Lex mit den Leuten redete. Er kokettierte nicht, wie man es vielleicht bei einem Kostümfest erwarten könnte, sondern pflegte anscheinend eine höfliche, eher ernste Konversation. Auch die zwei Herrschaften in Pink schienen eher eine geschäftliche Besprechung zu führen, als ausgelassen zu plaudern. Ein irgendwie absurdes Bild. Dabei fiel Clark auf, dass Lex als einziger nicht so wirkte, als sei er kostümiert.
Etwas später war Lex nicht mehr da. Die pinke Fraktion hatte sich zerstreut. Wo mochte sein Freund sein? Als Clark ihn nirgends entdecken konnte, wandte er sich schulterzuckend dem ungefähr drei Meter hohen Gummibaum zu, neben dem er schon eine Weile stand. Wenn Lex nicht wieder auftaucht, rede ich halt mit dir, mein Freund. Noch dachte er diesen Satz lediglich... Die Ablenkung durch das köstliche Essen tat ein Übriges.
Als jedoch der Teller leer und immer noch keine Spur von Lex zu sehen war, begann Clark sich Sorgen zu machen. Jemand könnte Lex entführt haben. Sicherlich würden Gangster ihn für ein lukratives Opfer halten. Alarmiert scannte er die angrenzenden Räume nach dem vertrauten Skelett. Lex hatte doch gesagt, es sei sicher hier. Die gesamte Prominenz von Metropolis und Umgebung sei auf dem Ball, infolgedessen auch Unmengen an gut getarnter Security.
Plötzlich drang ein wohlbekanntes Lachen an seine Ohren, und er atmete erleichtert auf. Lex. Er war nicht direkt neben ihm, sondern auf der gegenüberliegenden Seite der Tanzfläche, aber die Sorge hatte Clarks Ohren besonders akkurat fokussiert. Lex war da und lachte. Aber wer war das bei ihm? Clark runzelte unwillkürlich die Stirn. Lex unterhielt sich angeregt mit einem großen, schlanken Mann. Der Fremde trug einen schwarzen Anzug und hatte schwarzes, kurzes Haar. Er war breitschultrig und wirkte irgendwie aristokratisch; Clark hatte nicht den Eindruck, dass seine Kleidung ein Kostüm war. Als der Fremde sich nach einer Bemerkung von Lex umdrehte, fiel Clark auf, dass er nicht maskiert war. Sein Gesicht war markant. Er war älter als Lex, das konnte Clark trotz der Entfernung erkennen. Ein eckiges Kinn, weiße Zähne in einem ausdrucksvollen Mund, stechende Augen und eine starke, große Nase. Der Mann sah unverschämt gut aus.
Clark entschied, dass er den Fremden nicht mochte. Jetzt legte er eine große Hand auf Lex' Arm. Viel zu vertraulich! Und Lex lachte auch noch so herzlich, während er zu dem anderen aufsah. Clark hatte den Teller in seiner Hand inzwischen vergessen. Aufmerksam beobachtete er Lex und den Fremden. Ihm fiel nicht auf, dass er dabei seine Lippen zu einer schmalen Linie zusammenpresste.
Was? Lex ließ sich von dem Fremden auf die Tanzfläche führen. Und sie begannen zu tanzen. Das wurde ja immer schöner! Zumal Lex seinen Schal von den Schultern hatte sinken lassen und diesem Kerl praktisch halbnackt gegenüberstand! Clark knurrte unwillkürlich.
„Guten Abend. So allein hier?"
Eine Stimme wie in Honig getränktes Schmirgelpapier drang von der Seite her an Clarks Ohr. Überrascht wirbelte er herum und sah eine Diva vor sich. Anders konnte man sie nicht beschreiben. Die Frau sah aus, als sei sie soeben einem Hollywoodschinken aus den Dreißigerjahren entstiegen. Platinblonde Haare, die in perfekten Wellen über ebenso perfekte, schokoladenbraune Schultern fielen. Das knallrote Kleid umschmeichelte eng einen kurvigen Körper, und Clark fragte sich, wie man sich in so etwas bewegen konnte. Schräg auf der Frisur saß ein Hütchen, gleichfalls rot, an dem ein Schleier befestigt war, der bis an ihre Nase reichte. Das extravagante Augenmakeup konnte der Schleier ebensowenig verbergen wie die unmöglich langen und dicken Wimpern, an deren Enden es diamanten glitzerte. Clark starrte. Bis ihm einfiel, dass die Diva eine Frage gestellt hatte.
„Ähm, ja. Ich meine, Entschuldigung, was haben Sie gesagt?"
Die Lady entblößte zwei Reihen perlenweißer, großer Zähne, als sie lächelnd antwortete: „Ich fragte, ob du allein hier bist."
„Nun, ähm, nein, nicht wirklich." Verlegen sah Clark auf seinen Teller.
„Ah ja, das Essen ist phantastisch nicht? Zumindest lasse ich mir das sagen. Ich muss auf meine Linie achten, verstehst du?"
Clark lachte pflichtschuldigst und fragte sich darauf, ob er der Frau nun ein Kompliment bezüglich ihrer Figur machen musste. Oder wäre das unhöflich? Immerhin sah sie atemberaubend aus. Soweit Clark das beurteilen konnte.
„Aber ich sehe, dein Körper braucht dieses nahrhafte Zeug. Du bist groß und stark. Ich schätze, du arbeitest viel mit deinen Muskeln, stimmt's? Lass mich raten... hm... du könntest Bauarbeiter sein, ich stehe auf muskulöse, schwitzende Kerle, musst du wissen, aber nein... du hast etwas Intellektuelles an dir. Ich wette, du bist ein Student, der nebenbei als Model arbeitet. Schätzchen, glaub' mir, häng das Studium besser an den Nagel. Du kannst Millionen verdienen als Model."
„Ähh..."
„Oh Gott, jetzt hab' ich dich beleidigt! Wahrscheinlich bist du längst ein Star, und ich Trampel habe dich nicht erkannt. Kannst du mir noch einmal verzeihen?"
Sie klimperte flehentlich mit den falschen Wimpern. Clarks Verwirrung wuchs und wuchs. Je mehr die Frau redete, desto weniger hatte er eine Ahnung, was er sagen sollte.
„Eigentlich gehe ich noch zur Schule", war das erste, das ihm einfiel.
Verdammt! Warum musste er sich immer wieder zum Affen machen? Jetzt würde sie garantiert über ihn lachen. Aber sie lachte nicht. Sie schürzte nur kurz ihre geschwungenen Lippen, bevor sie ausrief: „Oh! Wie reizend! Nicht auszudenken, was aus unserem Land werden könnte, wenn Amerikas Schüler alle so hinreißend wären."
Einmal mehr an diesem Abend stieg Clark die Röte ins Gesicht, und er wusste nichts zu sagen. Was nicht schlimm war, denn die Lady in Rot fuhr fort: „Aber sag mir, du bist doch mit jemandem hier? Oder nicht?"
„Ja." Clarks Augen suchten unwillkürlich nach Lex. Sie hellten sich auf, als sie ihn fanden. „Ja, ich bin mit jemandem hier."
„Ach, natürlich! Das wäre einfach zuviel Glück für mich. Lady Chablis sucht sich immer nur die Besten aus. Und die Besten sind immer vergeben, nicht wahr? Aber nimm's mir nicht übel, mein Hübscher. Ich räume das Feld und überlasse dich ganz deinem Geliebten."
Sie hielt Clark ihre Hand hin, der automatisch einen Handkuss andeutete, und damit rauschte sie davon. Ein dramatischer Abgang. Verdutzt sah Clark den wiegenden Hüften und dem wallenden Blondhaar nach. Woher wusste sie, dass sein Geliebter ein Er war? Als sein Blick der kleiner werdenden Gestalt der Lady Chablis folgte, fiel ihm etwas Seltsames in ihren Bewegungen auf. Sie verschwand in der Menge, doch Clark sah ihr Gesicht noch deutlich vor seinem inneren Auge. Eine Ahnung beschlich ihn. Konnte das sein? Trotz ihrer Größe war ihre Figur zierlich, die Taille unnatürlich schmal, und doch... etwas schien nicht zu passen. Sie wirkte zart und kräftig zugleich. Die Zähne vielleicht, oder die breiten Schultern, oder der massive Unterkiefer. Und plötzlich wusste Clark, dass „Sie" ein „Er" war.
Zum ersten Mal, abgesehen von Lex, hatte ihn ein Mann angemacht, und er hatte es nicht bemerkt. Wow, dachte er und war stolz auf seinen detektivischen Spürsinn.
„Clark, da bist du ja! Ich möchte dir Bruce Wayne vorstellen, einen alten Freund von mir. Bruce, das ist Clark."
Schon wieder wurde er mit Namen vorgestellt. Von wegen inkognito! Und liefen hier eigentlich nur alte Freunde von Lex herum?
„Hallo Clark." Der Aristokrat ohne Maske streckte lächelnd seine Hand aus.
Der Mann, mit dem Lex getanzt hatte, war Bruce Wayne. Der Bruce Wayne! Einer der wenigen Männer, die wahrscheinlich noch reicher waren als Lex. Und Lex kannte ihn! Warum hatte er ihn nie erwähnt? Und er sah auch von Nahem verteufelt gut aus. Strahlendes Lächeln. Kluge Augen. Hatte Lex ihn deswegen nie erwähnt? Es hieß, Bruce Wayne sei Junggeselle und die Damenwelt zwischen 15 und 50 läge ihm zu Füßen. Clark schüttelte unmerklich seinen Kopf, als er bemerkte, dass das Starren mit offenem Mund unhöflich wirken könnte. Er nahm die dargebotene Hand.
„Freut mich, Sie kennenzulernen, Mister Wayne."
„Vergiss den Mister. Sag Bruce zu mir."
„Okay... Bruce."
Das Bild eines sprichwörtlichen entwaffnenden Lächelns. Clark wollte Bruce nicht nett finden.
„Und, gefällt dir die kleine Party hier?" fragte der Multimilliardär.
„Natürlich. Das Essen ist ausgezeichnet, und es macht großen Spaß, die Leute in ihren Maskeraden zu beobachten."
Bruce lachte herzlich. „Phantastisch, nicht wahr? Ich habe mir vor Jahren schon einen Sport daraus gemacht, zu raten, wie sie wohl privat aussehen, denn die meisten sind zuhause keine Paradiesvögel."
„Bruce hasst Kostümierungen wie die Pest", erläuterte Lex, als er sich bei Clark einhakte. „Er ist der einzige hier, der auch daheim so aussieht wie jetzt. Und zwar immer."
„Glaub ihm kein Wort, Clark. Lex versucht mich immer als langweilig hinzustellen, aber in Wahrheit ist er neidisch auf meinen guten Stil."
„Neidisch auf deinen konservativen Geschmack? Ich bitte dich, Bruce." Zu Clark gewandt sagte Lex: „Dieser Mann hier frühstückt sogar im schwarzen Anzug."
Für den Bruchteil einer Sekunde fragte Clark sich, woher Lex Bruces Frühstücksgewohnheiten kannte, doch er schob den Gedanken schnell beiseite. Irgendwie war Bruce ihm sympathisch. Und trotz des Fünkchens Eifersucht gefiel ihm, wie locker er und Lex miteinander umgingen. Auf Du und Du mit dem berühmten Bruce Wayne. Das würden seine Eltern ihm nie glauben. Ha! Chloe würde vor Neid die Wände hochgehen.
„Das ist noch gar nichts", sagte Clark grinsend. „Ich kenne jemanden, der im letzten Jahr einen Kuhstall in Designergummistiefeln und 'nem Kaschmirpulli ausgemistet hat." Sein gezielter Blick auf Lex ließ keinen Zweifel daran, wer dieser Jemand war.
Lex räusperte sich und tat, als hätte er nichts bemerkt, während Bruce lachte.
„Ich habe Lex vorhin gesagt, dass ihr zwei mich bald in Gotham besuchen müsst."
Moment. Clark blinzelte verwirrt. Das waren eine Menge Informationen in einem kurzen Satz. Offensichtlich war Bruce tatsächlich ein enger Freund, wenn Lex sie auch ihm gegenüber outete. Und Gotham? Okay, spätestens wenn er die Einladung annahm, müssten seine Eltern ihm glauben, dass er den Tycoon des Wayne-Imperiums kennengelernt hatte. Und konnte es sein, dass seine Gefühle gerade zwischen Stolz und Eifersucht hin und her schwankten?
„Hey! HEEY!"
Ein kleiner, schlanker Mann näherte sich wild gestikulierend. Er trug ein wahrhaft erstaunliches Outfit in Gelb und Hellgrün, das ihn wie eine Wolke aus giftiger Zuckerwatte umgab. Ein kurzer Rock aus mehreren Tüllschichten bauschte sich um seine Hüften, während das Oberteil aus kleinen Blättern zusammengesetzt schien. Oh Gott, ein Elfenkostüm, Clark bemühte sich, nicht zu lachen. Die Verkleidung wurde komplettiert durch zwei durchscheinende Flügel am Rücken und mintgrüne Stiefel, deren Schäfte bis über die Knie reichten. Strategisch am ganzen Körper verteilter Glitter ließ den jungen Mann bei jeder Bewegung funkeln wie ein Weihnachtsbaum mit zuviel Lametta. Wie kam es nur, dass Männer in Frauenkleidern allesamt lächerlich aussahen? Nun, alle außer...
„Lex!"
Die Elfe hatte sich schnurstracks ihren Weg zu Lex gebahnt, dem sie nun, ohne die anderen zu beachten, schmatzende Küsschen auf jede Wange drückte. Dazu musste sie sich auf die Zehenspitzen stellen. Clark bemerkte mit Genugtuung, dass Lex sich nicht zu dem kleineren Mann herunterbeugte, aber er wehrte sich auch nicht.
„Lex, nein, ist das schön, dich wiederzusehen! Es ist ewig her. Und du siehst phantastisch aus! Aber das sag' ich dir ja jedes Mal, nicht wahr?" Er zwinkerte Lex lachend zu und legte ihm einen Arm um die Hüfte. Clarks Blick verdüsterte sich. Was bildete dieser Typ sich ein, dermaßen unverschämt seinen Freund anzubaggern!
Ohne eine erkennbare Regung hatte Bruce Wayne die Begrüßung verfolgt. Nach einem strengen Blick auf die Elfe an Lex' Seite wandte er sich an Clark: „Darf ich dir Dick Grayson vorstellen? Du musst sein Benehmen entschuldigen; er kommt nicht viel aus dem Haus."
Clark runzelte die Stirn. Was sollte das nun wieder bedeuten? War dieser Dick ein Verrückter, oder was?
„Dick, schön, dass ich dich heute Abend noch einmal sehe", richtete Bruce sich jetzt an die durchgeknallte Zuckerfee, „aber wo hast du deine Umgangsformen gelassen? Dies ist..." Bruce zögerte und blickte fragend zu Lex. Als dieser nickte, fuhr er fort: „Dick, dies ist Lex' Freund Clark."
„Oho, du bist also Clark? Hi. Freut mich, dich endlich kennenzulernen." Er ließ Lex los und begrüßte Clark mit einem Handschlag. Erstaunlich fest. Er scheint zu trainieren, dachte Clark, bevor er sich über die Wortwahl wunderte.
„Was soll das heißen? Endlich?"
„Hey! Kannst du es mir verdenken, dass ich neugierig war auf den Mann, der es schafft, Lex seit einem Jahr davon abzuhalten, uns in Gotham zu besuchen?"
„Uns?"
„Bruce und mich."
„Äh... ihr seid also... ihr wohnt... ah..."
„Zusammen, ja. Wir sind Partner. In jeder Beziehung", fügte er verschmitzt hinzu.
Die Vorstellung, dass der distinguierte Bruce Wayne und dieser Mann ein Paar waren, war einfach absurd. Sie waren so verschieden wie Tag und Nacht. Aus der Nähe betrachtet war offensichtlich, dass Dick ein paar Jahre älter war als Clark. Vielleicht Anfang Zwanzig, etwa in Lex' Alter, doch er wirkte erheblich jünger. Seine blauen Augen funkelten permanent, als würde er sich köstlich über einen privaten Witz amüsieren. Das machte ihn nicht unattraktiv, doch Clark war sich nie ganz sicher, ob er sich nicht gerade über ihn lustig machte.
„Ist das nicht herrlich hier? Gott, ich liebe Kostümfeste!"
Dick Grayson war definitiv schwuler als eine Kompanie Balletttänzer in rosa Tülltutus, die sich mit Wattebäuschchen bewarfen und Abba-singend Prosecco tranken. Jetzt stürzte er zurück in die tanzende Menge und legte ein pseudo-elfenhaftes, sehr expressionistisches Solo aufs Parkett. Clark starrte ihm entgeistert nach, bis Lex ihn aus seinen Gedanken riss.
„Beeindruckend, nicht wahr, Clark? Aber ohne ihn wäre Bruce längst in seinem eigenen Schwermut ertrunken." Es schien ihn nicht zu kümmern, dass Bruce neben ihm stand.
„Clark scheint dir ebenso gut zu tun, Lex", gab der Tycoon süffisant zurück.
„Oh ja, das tut er. Clark, komm tanzen."
tbc.
