3. Fangen, Fragen, Fordern, Formulieren?
Quirl lag ruhig auf der Tischplatte, bewegte nur leicht die obersten Federn.
Ich konnte nur hoffen, dass die Quasselfeder meine Drohung vielleicht doch Ernst nahm.
Als ich endlich auf meinem Schreibtischstuhl saß, ging es mir etwas besser.
Seit einer Weile hatte er nicht mehr gesprochen. Jetzt seufzte er und stellte trocken fest: „Also hier entstehen ihre wertvollen kleinen Artikel für unseren allseits beliebten – der Wahrheit stets treu ergebenen Tagespropheten."
„Ich bin nur die Volontärin der Chefredakteurin." ich fühlte mich wie ein dümmliches Schaf und erntete auch sogleich einen missbilligenden Blick.
„Wenn Sie das Interview vermasseln, kostet sie das den Job, nicht wahr?" bemerkte er mit seidiger Stimme.
Ich ersparte mir eine Antwort und räusperte mich. „Können wir beginnen, Professor?"
„Wenn Sie bereit sind, Miss Floo." er lehnte sich zurück und ließ seinen Blick durch das Büro schweifen.
Auch im Sitzen wirkte er noch übergroß, imposant – arrogant! Und jetzt los!
„Sagen Sie, Professor Snape" begann ich und hoffte widerwillig, damit seine Aufmerksam zu erhaschen.
„Ziemlich eng hier!" unterbrach er die Frage und blickte mich endlich an, „Vielleicht gönnt man Ihnen ein größeres Büro, wenn Sie heute – mit mir – dieses fantastische Interview nicht vermasseln."
Seine Augen wollten mich durchbohren. Anders als die Stirnfalte hatte ihr Ausdruck sich nicht verändert. Noch immer unergründlich, tief schwarz und böse – nein, rätselhaft, undurchschaubar -
„Vielleicht hat eine gewisse Enge aber auch Vorteile – in gewissen Situationen?" amüsiert betrachtete er wie eine sicherlich unübersehbare Röte meinen Hals hinauf kroch und erst kurz vor dem Haaransatz Halt machte.
Dafür hasste ich ihn – schon immer!
Ich kam nicht zu einer Antwort, denn in diesem Augenblick sprang Quirl quietschend und zischend in meine Hand und zog sie auf die vor uns ausgerollte Papierrolle.
„UHHH! Er ist da, er ist da! Snapy! Huhhh! Du siehst gar nicht so gefährlich aus wie alle sagen! Niiiedlicher schwarzer Zauberer! Zeig uns doch mal Deinen ZAUBERSTAB!"
Quirl brach in ein kurzes quietschendes Lachen aus, fügte ein eindeutig obszönes Stöhnen hinzu und streckte selbstzufrieden seinen smaragdgrünen Federkiel.
Ein Augenblick unerträglicher Stille folgte.
Jeden Moment würde er explodieren
oder
Quirl mit einem kurzen aber wirkungsvollen Fluch seiner Existenz berauben
oder
das Büro wutschnaubend verlassen
oder
mich mit einem kurzen aber wirkungsvollen Fluch meiner Existenz berauben
oder
alle vier Dinge tun – in welcher Reihenfolge auch immer.
Ich wartete atemlos. Leise kichernd setzte Quirl sich in Schreibposition auf die Papierrolle als Snape endlich zu einer Reaktion ansetzte.
„Was ist das für ein Alptraum?" Snape wies mit dem Kinn in Quirls Richtung.
Die Feder verstummte augenblicklich, wackelte jedoch ungeduldig mit der Spitze.
Snape schien keine Antwort zu erwarten, sondern bemerkte nur mit betont sachlicher Stimme:
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine ehemalige Schülerin meines Hauses ein solch albernes Hilfsmittel braucht."
Er schüttelte beinahe bedauernd den Kopf und fügte hinzu: „Floo, Sie haben sich kein bisschen verändert – kein Vertrauen in Ihre eigenen Fähigkeiten!" er schüttelte erneut den Kopf.
Ich setzte zu einer Antwort an und stutzte, weil mir plötzlich durch den Kopf ging, dass seine letzte Bemerkung doch tatsächlich implizierte, dass er mir sehr wohl eigene Fähigkeiten zutraute. Das war mir neu.
Was dann geschah habe ich ob meiner Verblüffung über diese letzte Bemerkung nur halb mitbekommen.
In einer einzigen fließenden Bewegung zog er seinen Zauberstab von wer weiß wo hervor, richtete ihn wortlos auf Quirl, um den Stab dann nach Sekundenbruchteilen wieder verschwinden zu lassen.
Ein Meister der stummen Zaubersprüche – das war er schon immer gewesen.
Ich blickte irritiert und ein wenig erschrocken auf Quirl in meinen Fingern. Er bewegte sich nicht und machte auch keinerlei Geräusche mehr. Ich schüttelte ihn leicht.
Mit einer Mischung aus Zorn und Verwunderung wanderte mein Blick von Quirl, der nicht mehr ganz so Quirligen-Quassel-Feder, zu meinem Gegenüber. Natürlich nervte mich dieses Ding auch, aber was würde Rita sagen, wenn ihr liebstes Schreibutensil plötzlich… und überhaupt – was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein?
Ich funkelte ihn böse an und war mir in diesem Moment sicher nicht darüber im Klaren, wie viel Mut es brauchte, diesen Mann, diesen auferstandenen Alptraum meiner Jugend „böse anzufunkeln".
Er setzte eine unschuldige Miene auf und hob abwehrend beide Hände.
„Er ist in Ordnung, keine Panik. Ich habe ihn nur für eine Weile – ruhig gestellt, damit wir uns ungestört von solchen Lächerlichkeiten unterhalten können." er lehnte sich zufrieden in seinem Stuhl zurück. „Ich denke, das ist ganz in Ihrem Sinne."
Ich schwieg. Was sollte ich auch dazu sagen.
„Vielleicht könnten wir dann auch beginnen." er verschränkte die Arme vor dem Oberkörper, „ Ich habe noch einiges zu tun."
Die aufgesetzte Unschuldsmiene wich dem typisch genervt bis bösartigen Gesichtsausdruck, der mich so viele unerträgliche Schulstunden begleitet hatte.
Mein Mut verflog augenblicklich.
„Nun, ähm, sagen Sie mal, Professor Snape, …"
„Da waren wir doch schon, Miss Floo." er verdrehte die Augen „gibt es nicht so etwas wie einen Interviewleitfragen, den wir abarbeiten könnten?"
Soviel also zu seinem Vertrauen in meine Fähigkeiten. Jetzt half schon nur noch ein Leitfaden – aber er hatte ja Recht.
Ich seufzte tief: „ ähm…"
Die vier Fs! – Aus absolut unerfindlichen Gründen blieben meine Gedanken bei Punkt eins stecken. Charme – um den Finger wickeln.
Snape lehnte sich währenddessen zu mir über den Schreibtisch.
Ich war so in die Rezitation der Fs vertieft, dass ich zunächst gar nicht bemerkte, dass er sich bewegte.
„Wie wäre es, wenn Sie einfach fragen, was Sie denken?" er fixierte mich einen unendlichen Augenblick lang und kam meinem Gesicht dabei sehr nah.
Ich nahm an, das leichte Schwindelgefühl und der für Sekundenbruchteile vernebelte Blick seien Resultat des Schocks, ihn plötzlich so dicht vor mir zu haben. Schließlich hatten wir bis eben noch eine ganze Tischbreite Sicherheit zwischen uns gehabt.
Da war es auch schon vorbei und er lehnte sich wieder zurück. Krampfhaft umklammerte ich noch immer Quirl. Ich wollte ihn um keinen Preis der Welt loslassen – auch wenn er mir nichts mehr nutzte. Mir war schon klar, wie albern es aussehen musste, dass ich an einer schlafen grünen Feder festhielt, doch auch als ich recht halbherzig versuchte, meine Finger von ihm zu lösen, wollte es nicht gelingen. Meine Hand schloss sich eher noch fester um ihn. Wer hätte gedacht, dass ich ihn so brauchen würde.
Ich schluckte, holte tief Luft und das Unheil nahm seinen Lauf: „Nun gut,--- Sie sind das wohl unbequemste Mitglied des Phönixorden, Professor Snape." ich stockte und überlegte, was ich da eigentlich gerade gesagt hatte.
Bildete ich mir das ein oder huschte da eine Spur von Verblüffung über Snapes Gesicht? Wie auch immer, er ließ einen kleinen theatralischen Seufzer hören und sagte gewichtig:
„ Oh, herzlichen Dank! Das war viel Arbeit – all diese Jahre!" er machte eine gekonnte Pause, um dann hinzuzufügen: „ Aber, Sie haben mich missverstanden; Sie sollten nicht sagen, was sie denken – und was, ganz nebenbei bemerkt, schon jeder weiß – sondern FRAGEN, was sie wirklich wissen WOLLEN! Erliege ich einem Irrtum oder ist das die Aufgabe einer Reporterin?" er blickte mich mit perfekt gespieltem Interesse an.
Ich verzog gequält meinen Mund und gab mich erneut einem tiefen Seufzer hin. Ein mutiger neuer Versuch: „Professor, als sie vor einigen Monaten dem … dunklen Lord gegenüber standen…"
„Wir standen uns nicht gegenüber, ich tauchte von hinten links auf, während…" er stockte „dieser POT… Bengel sich…"
„Harry Potter!" versuchte ich das Gespräch wieder zu übernehmen, um meine Frage wenigstens zu Ende zu formulieren und beging dabei den großen Fehler eben DIESEN Namen zu erwähnen.
„Ja" zischte er gedehnt zwischen den Zähnen hervor. „Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn sie Fragen zu dieser personalen Besetzung des Kampfes nicht MIR stellen würden."
„Aber eben sagten Sie doch noch…" eine eindeutige Bewegung seiner Augenbrauen machte mir unmissverständlich deutlich, dass diese Frage so nicht gestellt werden konnte. Ich dachte nach und suchte nach einer neuen Frage, nach etwas, das ich wissen wollte…hm... etwas das ich wollte…
„Liebe, Liebe, Liebe, Liebe. Liiiiiiiiiebe!"
Snape und ich fuhren zusammen, als plötzlich aus der angelehnten Tür des alten Aktenschrankes in der Ecke ein kleines dickes Ding geflogen kam und unaufhörlich dieses Wort schreiend auf uns zu surrte.
Wir beobachteten es beide irritiert. Während ich meine Augen anstrengte, um das wuselnde Etwas näher bestimmen zu können, rang Snape einen Augenblick lang nach Fassung und presste dann genervt hervor:
„Ich dachte, die obszöne Feder sei unser Höhepunkt gewesen – aber nein." er zog ein wenig den Kopf ein, „was ist das nun wieder?"
Das konnte doch nicht wahr sein – warum musste der ausgerechnet heute seinen Weg aus dem Aktenschrank finden. Ich räusperte mich und versuchte eine Erklärung.
„Das ist nur ein Amorengelchen – übrig geblieben vom …"
„Ein Amorengelchen." wiederholte Snape fassungslos.
„…Valentinstag" beendete ich meinen Satz.
Der kleine Amor kam unterdes näher geflogen. Sein dickliches Pausbackengesicht war umrahmt von goldenen Locken. Bekleidet war er eher spärlich, lediglich ein weißes Hemdchen verdeckte mit Mühe den Babyspeck. In den knubbeligen Händchen hielt er Pfeil und Bogen. Er blieb einen Moment in der Luft hängen und beäugte uns aus großen Kulleraugen. „Liebe, Liebe, Liebe, Liebe. Liiiiiiiiiebe!" ertönte es noch immer unaufhörlich aus seinem Plappermäulchen.
„Es war Mrs. Kimmkorn - sie hatte die Idee, zum Valentinstag Papierengelchen zu verzaubern." sagte ich entschuldigend. „Tagelang waren hier die unmöglichsten Leute ineinander verliebt, weil die Engelchen ihre Pfeile abgeschossen hatten."
Unweigerlich musste ich bei dem Gedanken an die Tage im Februar grinsen. Glücklicherweise hatte es mich nicht erwischt – ich hatte mein Engelchen in den Aktenschrank gesperrt und dort vergessen. Heute Morgen hatte ich nach einer neuen Papierrollenblock gesucht und danach offensichtlich die Schranktür offen stehen gelassen.
Snape fand den Gedanken augenscheinlich sehr viel weniger erheiternd. Er rieb sich ungeduldig die Hände und raunzte mich an:
„Ich hatte noch nie eine besonders hohe Meinung von diesem Käseblatt aber, dass hier solche Lächerlichkeiten an der Tagesordnung sind ... und, es ist Anfang April, ist dieser alberne Valentinstag nicht im Feb… verdammt, kann man dieses Ding nicht abschalten?" er fuchtelte aufgebracht mit den Händen nach dem kleinen Amor.
Der Engel spannte nach reiflicher Überlegung seinen Bogen und zielte auf Snape.
Ich hielt den Atem an.
Das Ziehen in meinem Magen vermischte sich mit dem anderen, noch immer unidentifizierbaren Gefühl zu einem beinahe unerträglichen Kribbeln.
Der Pfeil ging auf die Reise, steuerte auf meinen Interviewpartner zu und – bevor das Ziel erreicht werden konnte verpufften ganz plötzlich nacheinander erst der Pfeil, dann der der kleine Engel mit zwei leisen PLOPPS.
Ein Schauer winzigkleiner roter Papierherzchen regnete auf meinen Schreibtisch herab.
Ich folgte den rieselnden Herzchen mit den Augen und blickte dann hinüber zu Snape. Triumphierend steckte dieser soeben seinen Zauberstab zurück in die Innentasche seines Umhangs.
Entsetzt stellte ich fest, dass ich einen Anflug von Enttäuschung darüber empfand, dass Amor sein Ziel nicht erreicht hatte. Zu meinem noch viel größeren Entsetzen entfuhr mir ein gehauchtes:
„Oh wie schade!"
Ich merkte, wie die Röte zurück in mein Gesicht stieg und wollte mich schon unter den Tisch begeben, um vorzugeben, die auf den Boden gefallenen Herzchen aufzuklauben. Snape ließ mich meinen Fluchtplan jedoch verwerfen, indem er selbst nach unten tauchte, einige Papierherzchen auflas, wieder auftauchte und die Herzchen vor meiner Nase langsam auf die Tischplatte rieseln ließ.
„Zu den wesentlichen Dingen kommen wir später, Miss Floo – wenn ich jetzt endlich um ihre Fragen bitten dürfte – die richtigen Fragen."
„Ähm." war wohl zum hundertsten Mal das Einzige, was ich heraus brachte. Wesentliche Dinge? schoss es mir durch den Kopf. Später?
Snape atmete hörbar tief ein. „ Bei allem Respekt – aber ich habe das Gefühl, dass dieser Beruf nicht der Richtige für Sie ist. Ganz offenkundig haben sie gar keine Ahnung, was sie wirklich wissen wollen."
Doch!
Ich nagte gequält an Quirls fusseliger Spitze und dann - ganz plötzlich – sprudelte eine Frage aus mir heraus, die mir seltsam bekannt vorkam. Ich hatte nicht den Hauch einer Chance, sie aufzuhalten.
„Professor Snape, Gibt es eine starke Frau in ihrem Leben, die die alten Wunden mit der Kraft ihrer endlosen Liebe zu heilen vermag und Sie in eine neue, glücklichere Zukunft führt?"
:-) Was mag „Snapy" darauf wohl antworten? Wollt Ihr's lesen? ;-) Lasst es mich wissen!
