Es hatte bereits zu Regnen begonnen und helle Blitze zuckten über das nächtliche San Francisco,
zogen ihre Bahnen über das Firmament und ließen die nassen Straßen kurzfristig erhellen. Kaja hatte
sich unter einem Dachvorsprung Schutz vor dem Unwetter gesucht und wartete darauf, dass der
Regen nachließ, doch es schüttete unaufhörlich. Kaja fröstelte und musste immer wieder an das
Geschehnis in ihrer Wohnung denken. Sie wusste nicht, ob sie verrückt würde, oder ob sich jemand
einen schlechten Scherz mit ihr erlaubte. Der Regen prasselte auf die Straße, die von den Sonnenstrahlen
des Tages erwärmt war und ließ einen dunstigen Nebel aus den Kanälen aufsteigen.
Kaja starrte auf den Kanal vor sich. Sie schluckte. Bilder zuckten vor ihrem inneren Auge, wie
eine Diashow. Ein Wald. Nebel. Ein junger Mann auf der Flucht. Sie schloss die Augen und schluckte.
Sie hatte das Gefühl, als würde sich der Alptraum der letzten Tage wiederholen. Ein Alptraum,
der sie jedes Mal aufschrecken ließ. Ein Alptraum, in dem sie durch einen von dichtem Nebel
behangenen Wald lief. Auf der Flucht vor Etwas. Jemanden. Und sie konnte nicht erkennen,
wohin sie lief, oder vor was sie flüchtete. Sie lief immer gerade aus, bis sie vor einem leblosen
Körper stehen blieb. Das Bild des Toten kam näher und sie glaubte ihn zu kennen, diesen jungen
Mann, mit der Wunde auf der Brust. Und plötzlich riss dieser die Augen auf und starrte sie an.
Er stand auf und ging auf sie zu. Sein Kopf war leicht geneigt und es machte den Eindruck,
als könnte er ihn nicht bewegen.
"Kaja!" sagte er. "Kaja! Höre! Höre Kaja!" Sie wich einen Schritt zurück, doch der Mann schloss auf.
"Erwache Kaja! Es ist Zeit!" An dieser Stelle fuhr Kaja jedes Mal aus dem Schlaf und Schweißperlen
stand ihr auf der Stirn. Kaja schüttelte ihren Kopf, um sich so von den Erinnerungen des immer wieder
kehrenden Alptraums zu befreien. Sie blickte in den von Blitzen erhellten Nachthimmel und ging los.
Es hatte keinen Sinn, auf das Ende des Regens zu warten. Sie musste sich beeilen.
"Leo!" rief Piper. Wo steckte er nur? Sie rief ihn nun schon das dritte Mal, doch keine Reaktion.
Piper ging in die Küche, dicht gefolgt von ihren Schwestern.
"Was ist mit Leo?" fragte Paige, doch Piper gab ihr keine Antwort.
"Piper?"
"Paige?" sagte Piper. Paige verzog das Gesicht. Das war nicht gerade die Antwort, die sie haben wollte.
"Wo steckt Leo?"
"Ich weiß es nicht, Paige! Wenn ich es wüsste, dann würde ich ihn ja wohl nicht schon zum dritten Mal rufen, oder?
Sagt mir lieber, was mit Chris ist!" Paige sah zuerst Phoebe an, dann wieder Piper.
"Ok, wir haben ihn irrtümlich mit einem Zauberelixier beworfen!" Piper sah ihre Schwestern mit
großen Augen an
"Was habt ihr?" Paige hob beschwichtigend ihre Hände und fuhr fort
"Keine Angst, es ist nichts schlimmes gewesen und ich glaube auch schon zu wissen, was es war!"
"Da bin ich jetzt aber neugierig!" meldete sich schließlich Phoebe zu Wort.
"Es war wohl ein ...!" Paige deutete mit ihren Fingern so genannte Anführungszeichen "...Pechzauber!"
"Ein was?" stießen Piper und Phoebe gleichzeitig hervor.
"Was in aller Welt ist ein Pechzauber'?" fragte Phoebe.
Paige seufzte bedrückt. Sie wusste, dass es ein Schwachsinn war, aber sie war damals einfach stink sauer.
Sie hatte dieses Elixier extra für eine einzige Person gebraut. Lea! Lea arbeitete für den
gleichen Jobvermittler, wie Paige. Lea hatte alles. Einen gut aussehenden Freund, der ihr jeden
Wunsch von den Augen ablas, sah selber gut aus und bekam all jene Jobs, die Paige wollte.
Paige hingegen musste Hundesitten und hatte keinen Freund, der ihr die Wünsche von den Augen ablas.
Aber dafür hatte sie zwei Schwestern, die ihr kaum Zeit für sich selber ließen, einen Schwager,
der kaum noch hier war und einen Chris, der sie ständig dazu antrieb Dämonen zu jagen.
Sie wollte einfach nur einmal sehen, wie Lea für eine Zeit lang nicht das Glück für sich gepachtete hatte.
Es sollte ihr auch nie etwas passieren. Nur mal einen miesen Job hier, mal einen Pickel da, nichts weiter.
Aber sie hatte das Elixier nie verwendet, denn Lea kündigte eine Woche später und zog nach
New York um dort zu heiraten. Welch Wunder. Paige sah ihre Schwestern an.
"Ok, und wie lange hält dieser Zauber?"
"24 Stunden!" meinte Paige vorsichtig.
"Aber ...!" Setzte sie fort "...es könnten auch 48 sein, angesichts der Tatsache, dass Chris wohl etwas ...
naja ... heftiger darauf reagiert! Ich mein ... wer versucht schon freiwillig eine Tür mit dem Kopf zu bremsen.
Liegt wohl daran, dass er ein Wächter des Lichts ist und nicht, wie Lea, ein normaler Mensch!"
Piper rieb sich die Schläfen. "Das ist wieder typisch!" murrte sie, als sie ins Wohnzimmer stapfte.
"Es hätte mich gewundert, wenn er sich mal nicht in Schwierigkeiten bring!"
"Äh, Moment!" stammelte Paige "Chris kann doch gar nichts dafür. Also, nicht wirklich!"
"Oh doch!" konterte Piper ohne stehen zu bleiben "Hätte er auf Wyatt aufgepasst und sich nicht
selber wie ein kleines Kind verhalten, dann wäre er hier herunten geblieben, dann wäre er nicht zu euch
auf den Dachboden georbt und dann hätte er auch nicht Bekanntschaft mit deinem ...!" jetzt drehte sich
Piper um und gestikulierte wild herum "...Pechzauber ... gemacht! Pechzauber! Was für ein ...Schwachsinn!" schnaubte Piper.
"Leo! Leeeeoooo! Verdammt noch mal, wo steckst du?"
Chris rappelte sich endlich auf und sah sich um. Er klopfte seine Hose ab und griff sich noch einmal
auf seine Nase. Was für ein Tag, dachte er sich, als er ein wohl bekanntes Geräusch vernahm.
"He, Leo! Ich glaube Piper hat schon ein paar Mal nach dir gerufen!" sagte Chris schließlich.
"Ich weiß!" entgegnete Leo, der Chris durchdringend ansah, als könnte er erkennen, was sich hinter
der Fassade verbarg. Chris stutzte
"Was?" fragte er Leo herausfordernd. "Was soll ich denn nun schon wieder angestellt haben?"
"Sag du es mir, Chris!" Chris sah Leo ungläubig an. Was war denn nun schon wieder? Er wusste
wirklich nicht, was Leo meinte. Es verging inzwischen kaum ein Tag, an dem ihm Leo nicht etwas unterstellte.
"Die Ältesten sind in Sorge. Etwas bahnt sich an. Sie spüren die Veränderungen der Macht." Und wieder
sah er Chris durchdringend an.
"Was für Veränderungen?" fragte Chris mit einem besorgten Unterton. Er konnte sich nicht Vorstellen
was es war. Er wusste es wirklich nicht.
"Ich weiß nicht. Aber vielleicht weißt es ja DU? Gibt es etwas, was du mir sagen möchtest?" fragte Leo.
Chris war sprachlos. Was sollte das? Er sah Leo mit einem verächtlichen Blick an.
"Weißt du was? Mir reicht es. Wann immer etwas im Gange ist, wann immer jemand die Mächtigen Drei
angreift, gibst du mir die Schuld, verdächtigst du mich. Ich hab es satt! Glaubst du nicht, dass ich, wenn
ich den Dreien oder Wyatt etwas antun würd wollen, es schon längst hätte machen können? Wer ist
denn immer in ihrer Nähe und warnt sie vor möglichen Gefahren? Du? Du bist doch kaum noch hier!
Aber ich muss mich hier mit den Dreien herumschlagen, muss mich herum kommandieren lassen und
mich als Versuchskaninchen hergeben! Also lass mich verdammt noch mal in Ruhe!" Chris war wütend
und gekränkt. Er hatte schon oft sein eigenes Leben riskier, um die drei Schwestern zu beschützen und
vor allem Wyatt. Er sah Leo noch einmal an und wollte sich gerade wegorben, als Leo ihn bremste.
"Warte Chris!" Chris materialisierte wieder und sah Leo, ohne etwas zu sagen, an.
"Vielleicht sollte ich ...!" Leo kam auf Chris zu und hielt seine Hand über Chris' beleidigter Nase
"... mich einmal DARUM kümmern!" Chris war Leo dafür dankbar, aber es änderte im Moment
nichts daran, dass er immer noch wütend war.
"Über das andere reden wir noch! Komm!" sagte Leo und die beiden orbten vom Dachboden.
