Der wütende Schrei Cians hallte in den Gängen wider und zornig feuerte er wahllos
Feuerbälle an die Wände. Warum erfuhr er das erst jetzt? Lucian hielt sich im Hintergrund
und versucht nicht die Flugbahn eines Feuerballs zu kreuzen. Immer wieder wich er zur
Seite. Er hatte Cian davon abhalten können Kaja weiterhin die Macht mit allen Mitteln zu
entziehen. Als er den Wächter des Lichts sah, wie die Blitze in ihn eindrangen, wurde es ihm
schlagartig bewusst. Er und Kaja teilten sich die Macht. Er wusste es, denn etwas Ähnliches
war schon einmal geschehen. Sebulon erzählte Lucian von dieser Sache. Er stand damals
noch nicht in Sebulons Diensten, als ein Dämon von zwei Schläfern angegriffen wurde und
die Macht eines sterbenden Schläfers ihn durchdrang, um den Weg zu dem anderen
Schläfer zu finden. Dicht auf ihren Fersen waren Sebulon und Yale. Als Sebulon und Yale
versuchten den zweiten Schläfer zu vernichten, waren, anstatt der erhofften Vernichtung, nur
die Blitze zu sehen. Nicht unweit des Schläfers konnten sie den Dämon beobachten, wie
diesem das Gleiche widerfuhr. Sebulon vernichtete den Dämon und die Macht, die in ihm
wohnte, wurde wieder freigesetzt. Erst dann waren Sebulon und Yale in der Lage, den
Schläfer zu vernichten. Als Lucian Cian davon berichtete, wurde ihm klar, dass er zuerst den
Wächter des Lichts töten musste, um an sein Ziel zu kommen.
Doch er war verschwunden. Nicht nur, dass er jetzt immer noch nicht an die Macht heran kam,
er konnte den Wächter nun auch nicht mehr dazu verwenden, um die Mächtigen Drei anzulocken.
Lucian selbstwusste nicht, was er davon halten sollte.
„Warum hat ihn dieser Nichtsnutz nicht einfach getötet?" schrie Cian.
„Nadir? Weil du ihm angewiesen hast, ihm kein Haar zu krümmen!" entgegnete ihm Lucian und wich
automatisch einen Schritt zurück.
"Oh dieser ...!" Cian ballte seine Fäuste. „Er hört doch sonst auch nie auf das, was ich ihm sage! Warum jetzt?"
Cianstampfte wutentbrannt zurück in die Richtung, aus der sie kamen. Als er und Lucian zurück
in die Höhle kamen, sahen sie, wie Nadir die Urne in seinen Händen hielt und sanft darüber
strich. Nadir lächelte zufrieden und seine Augen blitzten. Er kannte nun die Worte, die er
sprechen musste und da Cian so wütend auf den Wächter des Lichts war, dass er die Urne
unbeaufsichtigt ließ, hatte nun Nadir seine Chance die Macht für sich zu beanspruchen.
Siegessicher drehte er die Urne in seinen Händen, als er Cian ein verächtliches Lächeln
schenkte.
„Was hast du vor, Nadir?" fragte Cian verunsichert, doch Nadir gab ihm keine Antwort.
Er warf die Urne von einer Hand in die andere und näherte sich Cian mit einem höhnischen Lachen.
„Cian, oh Cian! Wie lange musste ich dich ertragen. Dich und deine Arroganz? Glaubst
du ernsthaft, ich würde dir einfach so gehorchen, ohne nicht selbst einen Plan zu verfolgen?
Glaubst du, ich sehe tatenlos zu, wie du dir diese Macht aneignest? Du wolltest viel, Cian.
Viel zu viel! Du wolltest nicht nur die Macht Sebulons, sondern auch die Macht Yales! Dein Bestreben
machte dich blind und ließ dich deinen Blick fürs Wesentlich verlieren. Eine kleine Unachtsamkeit,
mehr nicht …!" wieder warf er die Urne in die andere Hand und hielt sie dann in die Höhe.
„… mehr habe ich nicht gebraucht!" Nadir blickte den verwunderten Cian tief in die Augen.
Cian blickte sich um und suchte nach Lucian, doch dieser war verschwunden. Wütend drehte
sich Cian wieder zu Nadir, doch dieser hatte bereits den Arm hoch genommen und warf die
Athame, die er in seiner Hand hielt, Richtung Cian.
„Hey, ich hoffe, du meinst nicht uns damit!" stieß Paige hervor, als sie die vorwurfsvollen
Worte Nereus' hörte.
„Wir haben mit der Sache absolut nichts zutun!" Nereus warf ihr einen bösen Blick zu
„Und ihr wollt aus meiner Linie stammen? Was ist mit den beiden da!" Nereus deutete auf
Leo und Chris.
„Das ist Leo, ein Ältester!" sagte Piper und deutete mit einer Handbewegung auf ihren Ex-Mann.
„Und das …!" Piper sah zu Chris „… ist ein armer Wurm!" Phoebe schlug ihr mit der Hand
auf den Oberarm.
„Aau!"
„Das ist unser Wächter des Lichts, Chris! Chris! Du erinnerst dich an Tariks Erzählung?
Der, der das Pech hatte mit der Macht von Sebulon Bekanntschaft zu machen!" Nereus sah
wieder zu Chris, der mit blassemschmerzverzerrtem Gesicht vorsichtig seinen Arm hob
und ihm zuwinkte.
„Also gut! Lasst mich nachdenken!" Nereus wandte seinen Blick wieder von Chris ab.
Er strich sich mit der rechten Hand immer wieder durch den Bart und dachte nach. Erwartungsvoll
sahen ihn alle an. Keiner sprach ein Wort, um Nereus nicht aus seinen Gedanken zu reißen.
Phoebe war angespannt und hielt unbewusst ihren Atem an, als ihr Piper einen kurzen Stoß
in die Seite gab. Sie drehte sich zu Piper und ließ den angehaltenen Atem entweichen.
Unschuldig hob sie ihre Schultern. Nereus machte einige Schritte und verließ den Kreis, in
dem ererschienen war. Sein vorher durchscheinender Körper nahm feste Gestalt an, als er auf
Chris zuging.
„Da bist du ja in ein schönes Schlamassel geraten!" Chris schenkte ihm dafür nur ein verachtendes Lächeln.
Nicht gewünscht ist dieses Band
Das sich gegen ihn gewandt
Brich die fremde Macht entzwei
Für eine Zeit gib diesen Körper frei.
Chris ließ sich auf den Boden sinken und schloss seine Augen. Er biss die Zähne fest
zusammen, um den Schmerz, der seinen Körper durchfuhr, dadurch zu ersticken.
„Was hast du …!" ohne aufzublicken unterbrach Nereus Paige's Frage mit einer Handbewegung.
Langsam wandte er sich von Chris ab und ging retour zu den Schwestern. Chris atmete
mehrmals tief durch. Dann öffnete er wieder seine Augen und richtete sich vorsichtig auf. Er
hielt mit der Hand seinen Bauch, als er aufstand. Langsam kehrte wieder Farbe in sein
Gesicht und ein Lächeln huschte ihm über die Lippen.
„Die Verbindung zu Kaja ist vorerst blockiert, doch das ist keine Lösung auf Dauer.
Ich weiß nicht, wie lange es anhalten wird, doch fürs erste gehört sein Geist und sein Körper
wieder ihm!"
„Können wir …!" Phoebe deutete auf die Kristalle und auf ein stilles Nicken von Nereus hin
entfernte sie diese.
„Hey, die Farbe steht dir gut!" trällerte Phoebe und tätschelte Chris' Wangen. Hilfe suchend sah er
zu den anderen, doch er erntete von jedem nur ein Lächeln.
„Lass mich mal sehen!" Piper kam auf ihn zu und zog sein T-Shirt hoch. Die Wunde an seinem
Bauch war immer noch zu sehen, doch sie war kleiner und blutete nicht mehr so stark.
Piperdrehte sich zu Nereus.
„Wird sie heilen?" Nereus schüttelte den Kopf.
„Es ist Kajas Wunde, genau genommen! Sie wird erst heilen, wenn die Verbindung zwischen ihm
und Kaja endgültig gebrochen ist. Bisdahin muss er sie ertragen!" Piper sah wieder zu Chris.
„Tut es noch sehr weh?" Chris sah kurz an sich hinab und schüttelte den Kopf.
„Im Vergleich zu dem, was ich schon durchgemacht habe, ist sie kaum zu spüren!" Piper lächelte
kurz, ließ sein T-Shirt wieder los und klopfte ihm leicht auf den Bauch.
„Au! Hey, ich sagte KAUM zu spüren, nicht, dass ich sie gar nicht mehr spüre!" Chris verzog das Gesicht.
„Na schön, du Held, dann lass uns mal die Wunde verbinden, wenn wir sie schon nicht heilen können!"
mit diesen Worten packte Phoebe Chris' am Arm und schob ihn aus der Tür des Dachbodens.
„Wie geht es jetzt weiter?" fragte Leo und setzte sich auf das Sofa. Es brannte ihm eine
andere Frage auf den Lippen, doch er wusste nicht, ob er sie auch stellen sollte. Er wollte
erst abwarten, was Nereus' plante. Müde rieb er sich die Augen.
"Wir müssen Kaja finden und die Macht, die in ihr wohnt, vernichten! Ohne sie, wird es nicht gehen!"
Nereus verschränkte seine Arme hinter dem Rücken und ging auf dem Dachboden auf und ab.
„Bistdu dir sicher, dass nur die Macht von Sebulon befreit wurde?" Nereus wandte sich an Tarik.
„Ich denke schon! Nein, ich bin mir ziemlich sicher! Yales Urne wurde noch nicht gefunden!"
„Gut! Dann sorgen wir dafür, dass auch sie endgültig vernichtet wird. Ich will kein Risiko
mehr eingehen und ich habe keine Lust vielleicht in ein paar Monaten wieder von diesen ...!"
ohne die Schwestern anzusehen gestikulierte er mit seiner Hand
„… wie auch immer … gerufen zu werden!" Paige stemmte ihren rechten Arm in die Hüfte
und wollte dem alten Hexenmeister etwas entgegnen, doch Tarik unterbrach sie. Er stelle
sich neben sie undflüsterte ihr
„Du musst ihm verzeihen! Er war schon immer ein alter Grieskram!" Paige verzog ihr Gesicht.
Alter Grieskram! das war er tatsächlich und ein Ahne, der sich als einziger bis jetzt nicht darüber
freute, sie alle kennen zu lernen.
„Ihr müsst Kaja finden und sie hier her bringen. Ich bin sonst nicht in der Lage die Kräfte in
ihr zu vernichten. Weiters müsst ihr die zweite Urne finden!"
„Aber, ich dachte du wärst es gewesen, der sie damals sicher versteckte? Wieso müssen wir
sie dann suchen?" fragte Piper und richtete ihren Blick wütend auf Tarik, der unschuldig die
Augen aufriss.
„Habt ihr eine Ahnung, wie sehr sich die Welt in fast 500 Jahren verändert hat? Ich habe mir
keinen Plan gezeichnet, auf dem steht, wie viele Schritte ich vom vierten Baum, links von dem
Felsen, der sich irgendwo befindet, machen muss!"
„Grieskram!" murmelte Paige.
„Wie bitte?"
„Äh …wirksam!" Piper sah ihre Schwester irritiert an. „Ich meinte … wirksam … der Spruch,
den du bei Chris angewandt hast!" Paige kratzte sich verlegen hinter dem Ohr.
„Hüte deine Zunge, Kind!" Nereus warf Paige einen strafenden Blick zu, er wusste sehr wohl,
was sie eben gemurmelt hatte.
„Ich bin hier nicht zum Spaß! Ich habe mein Leben gelebt und bin nicht gezwungen eure Fehler zu
korrigieren!"
„Sie hat es nicht so gemeint. Sie ist angespannt. Wir alle sind angesichts dieser Situation angespannt!
Hab etwas Nachsicht!" Piper versuchte Nereus zu beruhigen, denn auch sie hatte schon gemerkt,
dass er leicht reizbar war.
„Nun … wo können wir die zweite Urne finden? Ich meine, sie könnte überall sein!" Piper
drehte sich um. Sie hatte vollkommen auf Leo vergessen. Er stand hinter ihnen und hatte seine
Arme vor sich verschränkt.
„Nichtüberall!" Nereus schien die Sache von eben wieder vergessen zu haben. Er blieb stehen und
sah sich um.
„Wo befinden wir uns eigentlich?"
„Im Halliwell-Manor!" schoss es aus Paige, ohne nachzudenken.
„Ich glaub das nicht!" presste Nereus hervor und schüttelte ungläubig den Kopf.
„In San Francisco!" Piper versuchte zu retten, was zu retten war.
"Danke!" Nereus hob seine Arme Richtung Himmel und drehte sich zu den Schwestern um.
„Sie ist hier! In dieser Stadt!"
„Und wo genau?" fragte Piper. Nereus sah sie durchdringend an.
„Seh ich so aus, als wäre ich als junger, kräftiger Mann gestorben, der Herr all seiner geistigen Kräfte
und der zukünftigen Veränderungen war?"
„Wohl eher nicht!" wieder murmelte Paige zwischen zugepressten Lippen und erntete abermals
einen strafenden Blick.
„Ich sagte geistige Kräfte! Mein Gehör war immer sehr gut!" Ups
„San Francisco wurde erst 1776 gegründet. Ich hingegen habe diese Urne bereits 200 Jahre zuvor
an einem magischen Punkte hier vergraben. San Francisco wuchs im laufe der Jahrhunderte
und schloss mehrere magische Orte mit ein. Ich kann es daher nicht genau sagen, welcher es ist!
Das müsst schon ihr herausfinden!"
„Und wenn wir sie gefunden haben, ich meine Kaja und die Urne, was geschieht dann?" Pipers
Blick war konzentriert und nachdenklich. Was sollten sie dann tun? Nereus wandte seinen Blick
von den Schwestern und entfernte sich ein Stück von ihnen, ehe er sich ihnen wieder zuwandte.
„Dieser Teil wird euch nicht so gefallen!" Nereus presste seine Lippen zu einem schmalen Lächeln
zusammen. Er sah die erwartungsvollen Blicke, die auf ihm ruhten.
