Lucian erschien im Gang hinter Nadir. Er hatte sich zurückgezogen, um den
Überraschungsmoment zu nutzen. Er konnte nicht zulassen, dass Nadir das Ruder an sich
riss, dass er die Urne besaß und Cian tötete. Nicht, bevor er hatte, was er wollte. Er sah, wie
Nadir eine Athame auf Cian schleuderte. Mit einem klirrenden Geräusch traf sie die Wand
hinter Cian. Er hatte sich im rechten Moment geduckt und konnte so dem tödlichen
Geschoss ausweichen. Noch bevor sich Cian bei Nadir für diesen hinterhältigen Verrat ihm
gegenüber rächen konnte, verschwand Nadir. Mit der Urne.
„Nein!" Cians verzweifelterSchrei hallte durch die Gänge
. „Naaaadiiiir!" Lucian gab seine Deckung auf und ging auf Cian zu.
„Wir müssen hier weg!" sein Blick fiel besorgt in den Gang hinter Cian, in den Gang,
in dem sich Kaja befand. Doch Cian bewegte sich nicht. Immer noch starrte er auf die Stelle,
an der zuvor noch Nadir stand. Er hatte die Urne. Seine Urne. Wie konnte er nur?
„Cian!"Lucians stimme war fest und bestimmend und holte Cian aus seinen Gedanken.
„Was?" fragte er geistesabwesend.
„Wir müssen hier weg! Er hat die Urne!" Cian drehte sich um und Blickte in den Gang hinter
sich, als er einen lauten Knall hörte. Langsam wurde im klar, dass Lucian recht hatte.
Nadir hatte die Urne, doch Kaja war immer noch hier. Die Urne hatte sie davor bewahrt,
dass Kaja ihre Kräfte gegen sie anwenden konnte. Doch nun waren sie ohne deren Schutz.

Immer noch blickte er den schwach beleuchteten Gang entlang und sah, wie ein Schatten auftauchte.
Mit schnellen Schritten kam er auf sie zu.
„Cian!" Lucian hätte nichts lieber gesehen, als Cians Tot, doch es war noch nicht Zeit. Nicht jetzt.
Als Kaja die beiden Dämonen sah, schleuderte sie wütend einen Feuerball auf sie.
Erst einen, dann noch einen. Doch die beiden schimmerten fort, ehe auch nur einer ihrer
glühenden Geschoße sie traf. Wütend sah sich Kaja in der Höhle um, doch niemand war zu sehen.
Sie war wütend. Wütend darüber, was man ihr angetan hat. Sie wusste nicht genau, was
geschehen war, doch sie spürte, wie ihre Kräfte zurück kehrten und als sie die Tür ihres
Verlieses mit ihren Kräften aufstoßen konnte, war ihr klar, dass sie nun nicht mehr nur ein
Opfer war. Immer noch stand sie in der Mitte der Höhle und sah sich um. Was sollte sie nun tun?
Wie soll es weiter gehen? Sie wollte nichts mehr, als ihr altes Leben wieder zurück haben.
Koste es, was es wolle. Sie brauchte Hilfe und das ganz dringend. Und wer konnte ihr wohl mehr
helfen, als Chris und die Mächtigen Drei. Doch würden sie ihr helfen? Würden sie sie im
Halliwell-Manor dulden, nach allem, was sie getan hatte, oder würden sie sie vernichten? In
diesem Moment war ihr alles egal. Sie hatte keine andere Wahl. Sie schloss ihre Augen und
ballte ihre Hände zu Fäusten. Sie musste sich konzentrieren, die Wut, die sich in ihr
ausbreitete, ersticken. Sie konnte dort so nicht auftauchen. Kaja atmete tief durch und mit
jedem Atemzug, den sie tat, merkte sie, wie langsam Ruhe in ihrem Körper ausbreitete.

„Ok, setz dich! Ich bin gleich wieder hier!" sagte Phoebe und ließ Chris im Wohnzimmer
zurück. Sie brannte darauf ihn diese eine Frage zu stellen, doch zuerst wollte sie das
Verbandsmaterial holen, um seine Wunde zu versorgen. Phoebe überlegte angestrengt, wie
sie Chris von ihrer Vision erzählen sollte. Sie war sich selbst nicht sicher, ob das, was sie
sah, tatsächlich das war, wofür sie es hielt. Es war verwirrend. Alles war verwirrend. Phoebe
hatte kam mit einem kleinen Verbandskasten retour ins Wohnzimmer und sah Chris an, der
auf dem Sofa Platz genommen hatte. Sie legte den Verbandskasten auf den Tisch und nahm
eine mittelgroße Kompresse heraus. Sie sah zu Chris, der geistesabwesend in die den
Raum starrte.
„Alles ok?" frage sie vorsichtig, als sie sich neben ihn setzte.
„Ja, ich denkeschon!" murmelte er, dann wandte er den Blick zu Phoebe
„Nein! Eigentlich nicht!" er lächelte gezwungen und sah zu Boden. Er musste an Kaja denken
und an das, was ihm die letzten Tage widerfahren war. Er konnte ihr nicht helfen und dass er
sie dort zurück lassen musste, schmerzte ihn sehr. Er wollte sich nicht vorstellen, was ihr noch
zustoßen würde. Jetzt, wo Nereus das Band zwischen ihm und Kaja unterbrochen hatte, konnte
er nichts mehr von ihr empfangen. Einerseits hieß er diese Tatsache willkommen, andererseits
hatte er nun keine Möglichkeit mehr zu fühlen, wie es Kaja ging. Er spürte Phoebe's Hand auf
seiner Schulter.
„Mach dir keine Sorgen! Wir finden sie und wir werden eine Möglichkeit finden ihr zu helfen!"
ihre Stimme klang sanft. Chris war ihr dankbar für ihre Worte.
„Es tut mir leid!" sein Blick war immer noch auf den Boden gerichtet.
„Es tut mir … wirklich leid!" er hob seinen Blick und richtete ihn auf Phoebe. Sie lächelte ihn an,
sagte aber kein Wort, doch Chris erkannte an ihrem Blick, dass es nichts zu verzeihen gab.

„Ich hatte eine Vision. Von Kaja. Ich sah, wie ihr das gleiche zustieß, wie dir auf dem Dachboden.
Ich kann nur erahnen, wie schlimm es dir ergangen sein muss. Wie schlimm es Kaja ergehen muss.
Es braucht dir nichts leid zu tun, Chris. Mir tut es leid!" sie strich ihrem Wächter des Lichts
vorsichtig über die Haare.
„Ok, hoch damit!" Chris sah sie verdutzt an.
„Das T-Shirt!"
„Oh, klar!" Chris hob sein T-Shirt hochund Phoebe packte die Kompresse aus. Vorsichtig platzierte
sie diese über der Wunde auf dem Bauch und strich sie an den Seiten fest. Als sie fertig war
sah sie Chris kurz an und wandte dann ihren Blick auf die Seite. Geistesabwesend legte sie
die Verpackung der Kompresse auf den Tisch und presste die Lippen zusammen.
„Was ist los?" fragte Chris leise. Er konnte erkennen, dass Phoebe etwas auf der Zunge lag.
Phoebe öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch schloss ihn gleich wieder. Wieder sah sie
zu Chris und rang mit ihren Händen. Wie sollte sie ihm diese Frage stellen?
„Chris …ich hatte noch eine Vision!" Chris sah sie erwartungsvoll an.
„Noch eine Vision? Von Kaja?"
„Nein, nicht von Kaja! Von …!" Chris verstand nicht, warum Phoebe so um den heißen Brei
herum redete. Das warsonst nicht ihre Art.
„Von?" fragte er vorsichtig. Doch statt der erhofften Antwort hörte er eine Frage, die er nicht
geglaubt hat, jemals gestellt zu bekommen.
„Bist du Pipers und LeosSohn?" Chris stockte der Atem. Wie kam sie darauf? Woher konnte
sie das wissen? „Ich …was?" fragte er erschrocken. „In dieser Vision sah ich einen kleinen
Jungen an der Hand von Piper. Er hatte braunes Haar und grüne Augen … wie du, Chris!
Und du sagtest ‚Mum'!" Chris fiel aus allen Wolken. Wie sollte er aus dieser Sache wieder
raus kommen? Nichts lag ihm ferner, als dass einer aus seiner Familie wusste, dass er selbst
zur Familie gehörte.
„Das kann doch … auch jeder andere gewesen sein. Jemand, den ihr nicht kennt oder
vielleicht war es Wyatt?" Phoebe verzog das Gesicht
„Wyatt? Du weißt, dass das unmöglich sein kann!"
„Oder du hast etwas gesehen, was sich mit einer Vision von Kaja vermischt hat.
Vielleicht war ich der Junge und es liegt daran, dass mich Piper ...!" Chris stockte kurz und
sah Phoebe mit glasigen Augen an
„… an meine Mutter erinnert, wie sie früher war!" Chris schluckte und sah zur Seite.
Was immer er auch sagte, er kam nicht aus dieser Sacher raus.Er glaubte nicht, dass Phoebe
auch nur etwas von dem, was er sagte, glauben würde. Und dass ihn Piper an seine Mutter
erinnerte, wie sie früher war, war nicht gelogen. „Phoebe, alldas, was die letzten Tage geschah,
ist nicht spurlos an mir vorüber gegangen. Ich habe viel zurück gelassen und ich vermisse meine
Familie. Vielleicht war es keine Vision, sondern duhast meine Gefühle empfangen, nur diesmal
visuell, als Art Vision! Wer sagt, dass dies nicht eine Weiterentwicklung deiner emphatischen
Fähigkeit ist?" Phoebe sah ihn durchdringend an. Sie dachte nach. Könnte das wahr sein?
Kann es sein, dass es keine Vision war, sondern dass sich tatsächlich ihre Fähigkeiten
weiterentwickelten? Sie konnte es nicht glauben, nicht wirklich, doch sie dachte darüber nach.
Vielleicht war es tatsächlich so? Sie wandt ihren Blick von Chris ab und erhob sich.

Sie schlossden Verbandskasten und nahm ihn in die Hand.
„Vielleicht hast du Recht, Chris! Vielleicht ist es tatsächlich so!" Sie war sich selber nicht mehr sicher.
Dennoch blieb ein Funken Zweifel in ihr zurück. Warum wollte er ihr nicht die Wahrheit sagen?
Wovor hatte er Angst? Sie würde diese Sache nicht so einfach auf sich beruhen lassen, doch
jetzt hatte etwas anderes Priorität.
„In Ordnung, beenden wir dieses Thema!" sie lächelte Chris liebevoll an, als sie sich umdrehte
und mit dem Verbandskasten wieder verschwand. Chris sank auf das Sofa zurück und fuhr
sich mit den Händen durchs Gesicht. Er hoffte, dass Phoebe ihm diese Sache abkaufte und wenn sie
herausfand, dass sich ihre emphatischen Fähigkeiten nicht in diese Richtung
weiterentwickelten, dann hatte sie diese Sache vielleicht schon wieder längst vergessen.

„Was wird uns nicht gefallen?" Piper klang besorgt. Sie hatte gehofft, dass durch Nereus
Hilfe alles schnell vorüber war, doch so, wie es klang, hatten sie noch einiges vor. Was hatte
er vor? Wozu brauchte er die zweite Urne? Sie sah zu Paige, die ebenfalls ihre Besorgnis
nicht verbergen konnte. Sie ging zum Buch der Schatten. Sie hatte das Bedürfnis etwas zu
tun, nicht nur zuzuhören und darauf zu warten, was ihnen dieser alte Hexer sagen würde.
Sie schlug das Buch auf und blätterte geistesabwesend darin herum.
„Du wirst nichts finden!" sagte Nereus und warf ihr einen wissenden Blick zu. Paige sah
ihn kurz an und widmete sich wieder dem Buch. Was wusste er schon? Was wusste er über
sie und ihre Schwestern? Über ihre Familie, die Halliwells? Wenn er sie gekannt hätte, dann
wäre im klar gewesen, dass sie nicht anders konnte. Sie konnte nicht tatenlos zusehen.
Sie und ihre Schwestern hatten das Buch schon von vorne bis hinten durchgeblättert, doch
nichts gefundne. Paige wusste, dass sie auch diesmal nicht erfolgreich sein würde.

Paige schloss das Buch der Schatten wieder und sah Nereus müde an.
„Also, was wird uns nicht gefallen!" Sie ging wieder zu Piper und steckte ihre Hände in die
Gesäßtaschen.
„Ich kann die Macht eines Schläfers vernichten, sie für immer auslöschen. Was ich jedoch
nicht kann, ist Chris davonbefreien. Er ist kein Schläfer und das ist das Problem!"
Die Schwestern und Leo sahen sich verwirrt an.
„Was soll das heißen?" Piper wünschte sich, dass dies alles nur ein Traum war.
Sie war, wie alle anderen auch, müde. Sie hatte schon länger nicht geschlafen und das
bisschen Ruhe, das sie fand, war nicht ausreichend gewesen.
„Das soll heißen, dass ich nicht in der Lage bin, die Macht eines Schläfers zu vernichten, solange
dieser nicht vollends Herr über diese Macht ist!" Nereus wusste nicht, wie er es erklären sollte,
ohne dabei zu hart zu klingen. Er wusste, dass ihnen allen etwas an ihren Wächter des Lichts
lag, auch wenn die Gefühle Chris gegenüber manchmal etwas anders vermuten ließen.
Er blickte in die fragenden Augen der Anwesenden und seufzte.
„Ich weiß, dass keiner den Gedanken aussprechen möchte, doch ihr müsst dieser Tatsache
ins Auge blicken!"
„Moment! Weißt du,was du uns gerade damit gesagt hast?" Paige war wütend und schockiert.
Sie konnte nicht fassen, dass Nereus das ernst meine.
„Wie hast du dir das vorgestellt?" frage Piper trocken.
„Ich kann euch diese Sache leider nicht abnehmen. Es muss schon einer von euch sein!"
Nereus ging einen Schritt zurück und drehte sich wieder zu den andern. Er wollte ihnen
etwas mehr Abstand lassen. Zum Nachdenken. Jeder blickte auf dem Boden und dachte
nach. Nereus konnte das nicht ernst meinen. Piper sah zur Tür, als Phoebe herein trat.
Phoebe sah die betrübten Blicke ihrer Schwestern und den ihres Schwagers.

„Ok, was ist hier los?"
„Wo ist Chris?" frage Piper stattdessen. „Er ist unten! Ich wollte ihm ein wenig Ruhe gönnen und
ich denke, er wird wohl gerade den Kühlschrank plündern. Immerhin hat er schon seit einer
Weile nichts mehr gegessen und man kann nicht behaupten, dass ihm so eine Crash-Diät gut
tun würde!" Phoebe sah immer noch alle fragend an.
„Also, was ist hier los?" Phoebe kam näher und sah dabei jeden durchdringend an. Sie erkannte
die Sorge und die Angst in den Augen eines jeden. „Ich werde es machen!" Piper rieb sich
die Stirn und setzte sich auf das Sofa.
„Was machen?" Phoebe war inzwischen schon etwas ungehalten, da sie immer noch keine
Antwort auf ihre Frage erhielt.
„Hallo? Leute? Was ist hier los? Waswirst du machen?" Piper sah Phoebe traurig an, doch sie
reagierte nicht. Sie konnte selbst noch nicht fassen, was sie eben sagte. Sie richtete ihre
Aufmerksamkeit wieder Nereus zu.
„Gibt es eine Möglichkeit ihn zu …!" Piper konnte nicht aussprechen, was sie dachte, denn
Nereus unterbrach sie.
„Ja, doch es ist riskant, das wisst ihr!" Nereus sah zu Leo der ihm still zunickte.
„Ich werde es versuchen!" sagte Leo schließlich und legte eine Hand auf Pipers Schultern.
„Hey! Ich will verdammt noch mal wissen, was hier los ist!" schrie Phoebe, die einfach nicht verstehen
konnte, was hier gesprochen wurde. Piper sah sie wieder traurig an, als sie sprach
„Nereus wird die Macht Sebulons aus Kaja verbannen und vernichten, doch
das kann er nur, wenn sie alleine Herr über diese Macht ist!" Piper wollte fortfahren, doch
wurde von Phoebe unterbrochen
„Aber Chris teilt sich doch die Macht mit Kaja!" Phoebe stockte der Atem. Sie konnte nicht
glauben, was ihr durch den Kopf ging.
„Nein, das meint ihr nicht ernst!" Phoebe sah erschrocken in die Runde, doch keiner machte
Anstalten sie von ihrem Gedanken abzubringen.
„Es besteht eine Chance, dass er überlebt, Phoebe! Wenn wir den richtigen Zeitpunkt abwarten,
bis die Macht von Chris in Kaja eingedrungen ist, dann werde ich ihn heilen!" sagte Leo und
versuchte Phoebe mit sanfter Stimme zu beruhigen.
„Heilen? Wie? Ihr sprecht davon Chris zu töten!" Phoebe stiegen Tränen in die Augen. Gab
es keine andere Möglichkeit, als diese? Als ob Nereus ihre stille Frage hören konnte, sagte
er „Phoebe, es gibt keine andere Möglichkeit! Nur dadurch wird die Macht wieder zu Kaja
zurückkehren. Wenn wir alles genau durchdenken und planen, dann ist die
Wahrscheinlichkeit, dass Leo ihn retten kann, recht groß!"

Wie groß konnte diese Wahrscheinlichkeit sein? Dachte sich Phoebe. Immerhin mussten sie warten,
bis die Macht vollends aus ihm verschwunden war. Wie lange konnte dies dauern?
Bis er zu schwach war? Bis er seinen letzten Atemzug tat? Leo war nicht in der Lage Tote
wieder zu erwecken. Phoebe musste sich setzten. Sie fiel neben Piper auf das Sofa und sah sie
mit offenem Mund an.
„Gibt es keine andere Möglichkeit?" fragte Phoebe leise und sah Nereus flehend an, doch
dieser schüttelte nur leicht den Kopf. Phoebe musste schlucken. Sie sah wieder zu Piper,
die etwas blass im Gesicht war.
„Ich werde es tun!" sagte Phoebe schließlich. Sollte sie sich doch nicht geirrt haben und
Chris tatsächlich Pipers und Leos Sohn sein, so wollte sie nicht, dass Piper es war, die ihren
Sohn dieses Schicksal zukommen ließ. Was wäre, wenn Piper eines Tages erfuhr, dass Chris
ihr Sohn war und mit der Tatsache leben musste, dass sie ihn getötet hatte? Das konnte Phoebe
nicht zulassen. Lieber wollte sie selbst mit dieser Tat leben, als dass sie dies Piper überließ.
Außerdem bestand immer noch die Möglichkeit, dass Leo in der Lage war ihn zu retten!

Phoebe sah ihrer Schwester tief in die Augen und sah, dass auch Piper Tränen in den Augen hatte.
„Nein, Phoebe! Das kann ich dir nicht zumuten. Ich bin die Älteste, ich werde es tun!" Phoebe
wusste nicht, was sie sagen sollte. In einer anderen Situation hätte sie ihrer Schwester zugestimmt,
ihr zumindest ihrewiderwillige Zustimmung gegeben, doch diesmal konnte sie nicht.
„Bitte Piper! Lass mich es tun!" Piper sah ihre Schwester verwirrt an. Warum war sie so
versessen darauf, diese Aufgabe auf sich zu nehmen? Auch Paige war über Phoebes
Einsatz überrascht.
„Phoebe?" frage Paige vorsichtig. „Warum willst du das freiwillig auf dich nehmen?"
Paige schüttelte fragend den Kopf und setzte sich ebenfalls zu ihren Schwestern auf das Sofa.
Phoebe blickte kurz zu Boden, als sie sprach „Ich weiß es nicht! Ich glaube, die Tatsache, dass ich
nun schon ein paar mal, wenn auch nur kurz, Chris Gefühle empfangen konnte, macht es mir
vielleicht leichter, dies zu tun. Nein, leichter ist nicht das richtige Wort! Mehr glaube ich, dass
es leichter für Chris sein wird, wenn jemand weiß, wie er sich fühlt. Wenn jemand teilt, was
er durchlebt. Ich habe meine Gabe nicht umsonst bekommen! Wie, wenn nicht hier könnte
ich sie sinnvoll einsetzen?" Phoebe sah ihre Schwestern besorgt an. Sie wusste nicht, ob
ihre Schwestern das, was sie sagte, verstanden. Sie verstand es selber nicht, doch sie
musste um alles in der Welt versuchen Piper von ihrem Vorhaben abzuhalten, egal, ob das,
was sie eben sagte absolut keinen Sinn ergab. Sie sah die verwirrten Blicke in den Augen
ihrer Schwestern.

„Ich glaube, ich weiß, was du meinst!" sagte Piper und sah Phoebe liebevoll an.
Tatsächlich? Tust du? Phoebe war erstaunt. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass irgendjemand
auch nur irgendwas verstand, was sie eben von sich gab.
„In Ordnung!" sagte Phoebe und strich Piper über den Rücken.
„Wann … Wie … ich meine, was passiert nun?" fragte Phoebe Nereus, der die ganze Zeit
über schwieg, sich nicht rührte. Nereus sah kurz hinauf auf die Decke, eher er sprach.
„Wir brauchen zuerst Kaja. Wir können nicht riskieren, dass sie die gesamte Macht erhält,
ohne dass wir sie in unserem …Gewahrsam haben. Erst dann können wir die Macht auf
Kaja übertragen!"
„Warum brauchenwir diese zweite Urne? Warum ist diese so notwendig, wenn sie doch
vergraben wurde und bis jetzt noch keiner sie gefunden hat?" frage Piper schließlich. Sie hielt
die Hand von Phoebe, um ihr den Trost wieder zu geben, den sie ihr gespendet hatte. Sie wusste,
dass die Entscheidung ihr nicht leicht gefallen war. Niemandem war sie leicht gefallen.
„Warumkönnen wir sie nicht dort belassen, wo sie nun schon seit mehr als 450 Jahren ruht?"
Leo setzte sich auf die Lehne des Sofas, denn wo anders wäre kein Platz mehr für ihn gewesen.
Tarik hingegen stand immer noch abseits und beobachtete das Geschehen still. Er spürte
keine Veranlassung sich zu Wort zu melden. Er hatte alles gesagt, was zu sagen war. Seine
Anwesenheit war im Grunde nicht mehr erforderlich gewesen, doch er wollte nicht
zurückkehren, ehe dies alles vorbei war.

„Ich kann die Macht von Sebulon vernichten, ohne die Urne Yales jemals wieder in Händen
zu halten!" sagte Nereus schließlich „Doch die Gefahr, dass sich eines Tages jemand auch dessen
Kräfte bemächtigen möchte, ist immer gegeben. Die traurige Tatsache, dass Sebulons Macht
befreit wurde, gibt mir die Möglichkeit auch die Macht Yales für immer zu vernichten!"
„Aber kannst du das nicht auch, wenn dies alles vorbei ist? Ich meine, wir brauchen die Urne
doch auch erst nachher suchen und du kannst sie dann vernichten!" Paige fand es etwas seltsam,
dass Nereus nach all den Jahren, Jahrhunderten, auch die Macht Yales suchen wollte.
Nereus warf Paige einen betrübten Blick zu.
„Ich habe die Mächte zwar in die Urnen verbannt, jedoch war es nie vorgesehen, dass sie jemals
wieder befreit werden würden. Wir wussten damals nicht, dass ein Schläfer einen Nachkommen zeugte.
Ich bin nicht in der Lage die Macht aus der Urne heraus zu vernichten. Nur in der Lage die Macht
in einem Schläfer zu vernichten. Deshalb brauchen wir die zweite Urne. Bevor wir die Macht aus
Kaja vernichten, werde wir Yales Macht befreien und sie zur gleichen Zeit für immer vernichten!
Sollte Yales Macht jemals befreit werden, wenn es keinen Schläfer mehr gibt, so würde sie sich auf
Immer auf die Suche machen und sich irgendwann eines Unschuldigen bemächtigen. Auch wenn diese
Macht vom Guten geleitet wird, so wären die Folgen unvorhersehbar. Das Risiko können wir
nicht eingehen!"

Keiner der Anwesenden sprach ein Wort. Phoebe rang mit ihren Händen. Wie sollte sie Chris dies
alles erklären? Sie wollte die Erklärung von Chris nicht glauben. Etwas stimmte nicht und er verriet
mal wieder nicht, was es war.
„In Ordnung! Das heißt, wir brauchen erst einmal Kaja!" sagte Paige schließlich und unterbrach
die unangenehme Stille auf dem Dachboden des Halliwell-Manors.
„Was ist mit Kaja?" alle Anwesenden sahen zu der Tür, als Chris erschien. Phoebe schloss die
Augen und schluckte. Sie musste wieder an diese Vision denken und an den Blick des kleinen Jungens.
Ihr Herz wurde schwer. Wer bist du? Sie dachte angestrengt nach, als sie ihre Augen wieder öffnete
und Chris ansah.
„Wir müssen reden, Chris!" kam es fast gleichzeitig aus Piper und Phoebe.