„Nicht schlecht!" Paige warf ihrer Schwester einen bewundernden Blick zu.
„Ich mochte ihn nicht! Ich mochte ihn von Anfang an nicht! Jetzt weiß ich auch warum!"
Phoebe rieb sich die Knöchel ihrer Hand als sich Lucian wieder zuwandte.
„Was ist damals genau geschehen?" Lucian hob eine Augenbraue.
„Nur weil du dies eben getan hast, heißt das noch lange nicht, dass ich euch vertraue,
dass ich euch helfen werde!"
„Klar!" Phoebe schürzte ihre Lippen und faltete ihre Hände. „Falls es dir entgangen sein sollte,
du hast nicht viele Möglichkeiten! Sieh dich um!" sie deutete auf das Energiefeld, dass
sich um Lucian befand.
„Wie glaubst du, dass du dein Ziel erreichen wirst, wenn du hier fest sitzt?"
„Vernichtet ihn, dann habt ihr einProblem weniger!" Phoebe sah verwundert zu Kaja.
„Zu dir kommen wir auch noch! Nur Geduld!" sagte sie schließlich mit einem aufgesetzten Lächeln.
„Also … wir wissen vondeinem Schwur, den du Sebulon geleistet hast! Was wir nun von
dir wissen wollen ist, wie du diesen brechen willst. Aber in erster Linie wollen wir wissen,
ob es eine andere Möglichkeit gibt, Chris aus dieser Misere zu ziehen!" Lucian kniff die
Augen zusammen und sah Phoebe abschätzend an.
„Nein!" sagte er schließlich und wandte sich von ihr ab.
„Gott, ich hasse solche Tage!" Phoebe lächelte immer noch gezwungen. Sie war sich sicher,
dass Lucian sie anlog.
„Gibt es eine Möglichkeit? Ja oder Nein?"
„Es gibt keine Möglichkeit!" schrie Lucian und betonte dabei jedes Wort einzeln.

Chris ließ die Schultern hängen und presste dieLippen zusammen. Langsam ging er ans andere
Ende des Dachbodens. Phoebe schrakangesichts der Lautstärke Lucians zurück.
„Schon gut!" Phoebe ging zu Paige.
„So wird das nichts! Du bist dran!" flüsterte sie.
„Ich?"
„Ja, du!"
„Aber …!" Phoebe schob ihre Schwester vor.
„Na schön!" Paige verzog das Gesicht, als sie widerwillig zu Lucian ging.
„Wenn wir keine andere Möglichkeit haben, dann weißt du sicher auch unseren nächsten
Schritt und was die Folge daraus sein wird!" Paige machte eine Handbewegung und deutete
auf Nereus.
„Nereus wird in weiterer Folge die Macht in Kaja vernichten und du wirst auf immer das
bleiben, was du bist! Freunde dich mit diesem Gedanken an. Eine andere Wahl hast du
nicht, denn wir meinen es ernst. Wir meinen es immer ernst! Denk darüber nach!"
Paige stemmte ihre Hände in die Hüfte und sah Lucian durchdringend an. Sie hoffte, dass
auch ihm klar werden würde, wie wenig Chancen auf Erfolg er hat, würden die Schwestern
ihrenPlan ohne seine Hilfe durchführen. Lucian sagte kein Wort. Er dachte nach, ging die
Worte immer und immer wieder im Kopf durch. Sie hatte Recht, auch wenn ihm diese Tatsache
nicht gefiel. Wenn er erfolgreich sein wollte, so hatte er keine andere Möglichkeit, als ihnen
zu helfen. Doch konnten auch sie ihm helfen? Er dachte schon daran, sie zu hintergehen,
ihnen vorzuspielen, er würde ihnen helfen, nur um dann zu Cian zurückzukehren. Er wusste
nicht, was er tun sollte. Er musste herausfinden, ob es das Risiko wert war zu bleiben.

„Angenommen ich helfe euch, wie wollt ihr mir dann helfen?" Lucian sah in die Runde.
„Das gilt es herauszufinden! Du musst uns schon mehr erzählen, uns an deinem Plan teilhaben
lassen!" Phoebe sah zu Chris und schenkte ihm ein zuversichtliches Lächeln, doch sah die
Zweifel in seinen Augen. Er ging langsam zu Kaja und blieb neben ihr stehen. Phoebe sah,
dass er ihr etwas flüsterte, doch konnte nichts verstehen, bemerkte lediglich den traurigen
Blick, den sie ihm zuwarf.
„Also, was ist jetzt?" Phoebe drehte sich wieder zu Lucian.
„Ich sollte mit Nadir die beiden Urnen finden und …!"
„Nadir?" Lucian blickte Paige genervt an.
„Der Dämon, der vorhin von ihr vernichtete wurde!" er deutete auf Kaja. „Kann ich jetzt weiter
erzählen?"
„Oh, klar, entschuldige!"
„Wir sollten sie finden und Cian - der Dämon, der vorhin mit der Urne aus dem Zimmer
verschwand - bringen!" Paige blieb der mürrische Unterton, der ihr galt, nicht verborgen.
„Nadir fand die Urne Sebulons, ich hingegen kam mit leeren Händen. Cian will beide Mächte
für sich beanspruchen, das ist sein Ziel. Mein Ziel ist es, ihn zu töten, wenn er im Besitz der
Macht Sebulons ist, um den Schwur zu brechen!" Paige und Phoebe wechselten einen
fragenden Blick.
„Aber wenn es darum geht ihn zu töten … also, wenn er die Macht hat … warum hast du
dann nicht bereits Kaja getötet? Sie hat die Macht ja in sich? Entschuldige!" Phoebe wandte
sich mit einer beschwichtigenden Handbewegung an Kaja.
„Oh, schon in Ordnung!" Kaja lächelte müde. Im Moment war sie ausnahmsweise
wieder eigener Herr über ihre Sinne, aber das ewige hin und her zerrte sehr an ihrem
Nervenkostüm.
„Weil dies den Schwur nicht gebrochen hätte!" Lucian sprach weiter.
"Ichmuss ihn in jenem Moment töten, in dem die Macht auf ihn übergeht. Der Zeitpunkt ist sehr
wichtig!"
„Warum?" Phoebe kam ihrer Schwester mit dieser Frage zuvor.
„Wenn die Machtden Körper wechselt, dann ist sie für einen kurzen Augenblick so stark,
als wäre es Sebulon selbst, der vor einem steht. Nur wenn ich Sebulon töte breche ich den Schwur.
Es gab noch eine zweite Möglichkeit. Sebulon selbst hätte mich von dem Schwur entbinden
müssen, doch da Sebulon nicht mehr lebt, bleibt mir nur dies!" Phoebe und Paige dachten
angestrengt nach. Sie hatten gehofft Lucian würde ihnen etwas anderes erzählen, etwas, worin
sie eine Chance sahen allen zu helfen, doch was Lucian erzählte, ließ nicht viele Möglichkeiten
übrig. Phoebe sah zu Kaja.
„Kann nicht sie den Schwur lösen? Immerhin trägt sie die Macht von Sebulon in sich, vielleicht
kann sie dich von ihm entbinden?" Lucian sah eine Weile Kaja an und schüttelte dann den Kopf.
„Nein!"
„Ich würde es versuchen! Ich würde es tun!" Kaja hätte alles getan, um endlich wieder sie selbst
sein zu können. Sie würde Lucian ohne zu zögern helfen, wenn dies bedeutete, dass sie diesen
Alptraum für immer hinter sich lassen könnte.
„Sie könnte schon, doch wir haben ein Problem. Wenn die Macht über sie herrscht, dann
wird sie nicht gewillt sein den Schwur zu brechen und wenn die Macht für kurze Zeit ruht, so
wie jetzt offenbar, ist sie dazu nicht in der Lage!" Phoebe kratzte sich am Hinterkopf. Es war
alles ziemlich verzwickt.

„Wie ist das nun mit Chris?" fragte sie vorsichtig. Einige Zeit war es ruhig, doch dann schüttelte
Lucian langsam den Kopf. Phoebe schloss enttäuscht die Augen. Wie gerne hätte sie von Lucian
gehört, dass er zuvor gelogen hat, dass sie eine andere Möglichkeit hatten, Chris von der Macht
zu befreien, als jene, die Nereus für ihn vorgesehenhatte. Der Gedanke daran ließ sie innerlich
zusammenkrampfen. Sie wollte es nicht tun, doch jetzt, wo sie wusste, wer Chris wirklich war,
fiel ihr die Sache noch schwerer. Sie hörte, wie die Tür zum Dachboden auf ging. Piper kam
herein und schloss die Türe wieder hinter sich. Sie kam auf ihre Schwestern zu und sah dabei von
Lucian zu Kaja und dann auf Chris, der schweigend bei Kaja stand.
„Ok, was haben wir heraus gefunden?" fragte sie schlicht und sah ihr Schwestern an
. „Lucian will Cian töten, damit er den Schwur brechen kann, wobei es eigentlich Sebulon ist,
den er töten will. Kaja hingegen könnte den Schwur brechen, wenn sie wollte, aber sie will
nicht, zumindest nicht immer und Chris … tja, da hat sich nichts geändert!" Piper sah Phoebe
mit fragenden Augen an. Sie verstand kein Wort von dem, was ihr ihre Schwester zu erklären
versuchte.
„Ich bin bei ‚Lucian will wen auch immer töten' ausgestiegen!" Phoebe atmete tief ein und stieß
dann einen tiefen Seufzer aus.
„Ich werd es dir erklären!" sagte Paige schließlich und ging auf Piper zu. Phoebe rieb sich die
Schläfen, während sie angestrengt nachdachte. Sie brauchteneinen Plan, der alle mit einschloss,
Chris, Kaja und Lucian. In dieser Reihenfolge. Dein Leben für Chris', wenn es sein muss!
Phoebe sah Lucian durchdringend an.

„In Ordnung! Jetzt hab ich es auch verstanden!" Piper ging zum Buch der Schatten und
blätterte darin. Nicht, dass sie etwas Bestimmtest suchte, es beruhigte sie. Zumindest war
sie dieser Meinung. Sie schloss das Buch wieder und lehnte sich darauf. Sie dachte nach.
„Brauchen wir diese Urne?" fragte sie Nereus.
„Nein, nicht unbedingt, da wir Kaja haben! Die Urne schütz lediglich den Besitzer vor der Macht!
Wir brauchen jedoch die zweite Urne, wenn wir deren Macht ebenfalls vernichten wollen!"
„Das ist doch schon einmal ein Anfang!" Piper ging wieder zu ihren Schwestern.
„Wir müssen also nur die zweite Urne finden, dieMacht von Chris auf Kaja übertragen und diese
dann gemeinsam mit der zweiten Urne vernichten! Klingt doch eigentlich recht einfach!"
„Und was machen wir mit ihm?" Phoebe deutete vorsichtig auf Lucian. Piper folgte ihrem
Wink und sah dann ihre Schwester ernst an.
„Was soll mit ihm sein? Er ist ein Dämon und ganz ehrlich, auch wenn er vielleicht nicht
freiwillig einer ist, so setzte ich sicher nicht das Leben von Chris und Kaja aufs Spiel! Wenn…!"
„Aber …!" unterbrach sie Phoebe
„… nichts aber! Wenn Kaja ihn nicht von dem Schwur erlösen kann, so ist es leider sein Schicksal!
Wir werden das Risiko nicht eingehen und Cian die Möglichkeit geben an die Macht zu gelangen!
Es tut mir leid!" Pipers Stimme klang fest und bestimmend. Sie sah zu Lucian und drehte sich
dann wieder um. Es war ihr klar, dass Lucian auf seine eigene Art und Weise ein Unschuldiger war,
doch sie sah diese Sache etwas anders! Sie konnte sich nicht um jeden kümmern.
Nicht, wenn dabei das Leben zweier anderer auf dem Spiel standen. Und die Tatsache, dass
ein Dämon unschuldig sein sollte, wollte ihr nicht wirklich in den Kopf. Sie bemerkte die betrübten
Blicke ihrer Schwestern. Sie sah zu Lucian und ging langsam auf ihn zu.

„In Ordnung! Ich verspreche, wir werden alles nur Erdenkliche versuchen auch dir zu helfen!
Wir werden eine Möglichkeit finden! Das haben wir bis jetzt noch immer!" Sie sah ihn fest in
die Augen.
„Bleibt mir denn eine andere Wahl?" Obwohl es mehr eine Feststellung, als eine direkte Frage
war, schüttelte Piper dennoch den Kopf. Lucian wusste, dass er kaum eine andere Möglichkeit
hatte, solange er in diesem Energiefeld gefangen war. Er konnte nicht weg, nur warten.
„Gut! Da wir alle hier haben, sollten wir schleunigst diese Sache zu Ende bringen! Leo …!" schrie
Piper in den Raum.
„Leeoo …!" Obwohl es nur einen kurzen Augenblick dauerte, bis Leo erschien, warf Piper ihm
einen strafenden Blick zu.
„Ich … die Ältesten …!" Leo konnte nicht weitersprechen.
„Ich brauche keine Erklärung! Jetzt zumindest nicht!" Piper hob ihre Hand und unterbrach Leo's
Erklärungsversuche abrupt.
„Paige, Nereus und ich werden versuchen der zweiten Urne auf die Spur zu kommen, während ihr ...!"
Piper deutete auf Phoebe und Leo und sah dann zu Chris „…also, naja, ihr wisst schon!
Alles Weitere werden wir dann sehen!" Phoebe schluckte. Es war nun tatsächlich soweit.
Langsam drehte sie sich zu Nereus und ging auf ihn zu. Sie streckte ihre rechte Hand aus,
ohne ein weiteres Wort zu sagen.

Regungslos blieb sie stehen und beobachtete Nereus, wie er etwas murmelte und eine
Athame in seiner Hand erschien. Langsam überreichte er diese Phoebe und wich ihrem Blick
nicht aus. Phoebe sah ihn fragend in seine alten Augen, als wollten diese ihr etwas mitteilen,
doch sie drehte sich um und ging zurück zu Piper und Leo. Sie drehte die Athame in ihrer
Hand hin und her und betrachtete sie genau. Sie sah nicht anders aus, als alle, die sie bis
jetzt zu Gesicht bekommen hatte. Dann blickte sie auf und sah zu Chris. Sie ließ ihre
Schultern hängen und schenkte ihm ein zögerliches Lächeln. Das war ihr Neffe, ihr Neffe,
der noch nicht einmal geboren war, aber bereits durch ihre Hand den Tot finden würde. Sie
hoffte inständig, dass es nicht soweit kam, doch es war so widersprüchlich.
„Ähm …entschuldigt, wenn ich mich einmische, aber ich muss offen gestanden nicht alles sehen!"
hörte sie Paige vorsichtig sagen.
„Keine Sorge, Paige, wir werden hinunter gehen!"
„Nein!"ehe sich Phoebe zur Tür drehen konnte, hörte sie Nereus' Einwurf.
„Wie ‚Nein'?"
„Ihr werdet hier bleiben. Wenn Paige und Piper nicht bleiben wollen, so sollen sie sich wo anders
auf die Suche nach der zweiten Urne konzentrieren!" Ein jeder sah Nereus verständnislos an.
„Ichbleibe hier! Ihr könnt mich vielleicht noch brauchen und wenn ihr nach unten geht, dann …!"
sagte er schließlich leise.
„In Ordnung! Wir werden ins Wohnzimmer gehen! Paige, nimmalles, was wir brauchen könnten!"
Phoebe und Leo beobachteten, wie Piper und Paige sich kurz an Chris wandten und ihm ein
zuversichtliches Lächeln schenkten, ehe sie durch die Tür des Dachbodens gingen und
diese hinter sich schlossen.

„Das habt ihr doch nicht wirklich vor?" Kaja war aufgebracht.
„Es muss eine andere Möglichkeit geben!" wütend und voller Angst sah sie zu Leo und Phoebe,
doch es war Chris, der sich an sie wandte. Er senkte seinen Kopf, als er leise sprach.
„Es ist in Ordnung, Kaja! Es ist alles in Ordnung! Es wird alles gut!" er blickte ihr in die glasigen
Augen und sah die Sprachlosigkeit in ihnen. Ihre Lippen zitterten.
„Danke!" flüsterte sie kaum merklich. Chris sah sie traurig an.
„Danke für alles!" Tränen rannen ihr langsam über das Gesicht. Chris hob seine Hand und hielt inne.
Das Energiefeld ließ es nicht zu, dass er ihr über die Wangen strich.
„Und ich danke dir!" Chris lächelte. Langsam drehte er sich um und ging auf Phoebe und Leo zu.
Phoebe umklammerte immer noch die Athame und die Knöchel an ihrer Hand traten voller Anspannung
weiß hervor.
„Ok!" murmelte sie, um sich Mut zu machen. Sie stand vor Chris und sah an ihn herab.
Sie atmete mehrmals tief durch und stand immer wieder kurz davor bereit zu sein. Sie schloss
kurz die Augen und sah dann noch einmal zu Chris.

„Bist du bereit?" fragte sie. Chris streckte seine Arme leicht zur Seite, um ihr seine
Bereitschaft zu zeigen, doch schüttelte leicht seinen Kopf. Er war nicht bereit, doch hatte
keine andere Wahl. Er wusste es. Er sah das Zögern in Phoebes Augen und wollte ihr Mut
zusprechen, als sie ihm die Athame tief in die Brust rammte. Chris keuchte. Der Schmerz,
der sich in seinem Körper ausbreitete, war so stark, dass er den Schrei, der sich in seiner
Kehle formte, erstickte. Als Phoebe die Athame wieder aus seiner Brust zog, ließ er den
angehaltenen Atem entweichen und stöhnte. Er sah das Erschrecken in Phoebes Augen, als
er zurück taumelte. Leo fing ihn auf und versuchte ihn zu halten, während seine Beine
nachgaben. Langsam sackte er auf den Boden, die Augen vor Schmerz aufgerissen. Seiner
Kehle entrang kein Laut, nur ein Stöhnen, während er auf dem Boden lag. Der Schmerz wich
langsam einem tauben Gefühl, dass sich in seinem Körper ausbreitete und sein Atem wurde
flacher. Kälte machte sich breit und er versuchte krampfhaft die Augen offen zu halten. Er
sah an die Decke des Dachbodens und hörte, wie Phoebe leise schluchzte.

„Warum passiert nichts?" hörte er sie ängstlich fragen. Keiner gab eine Antwort.
„Leo!" Durch einenverschwommenen Blick sah er, wie Leo seine Hände über ihn hielt, doch
Nereus hielt ihn zurück. Er hatte den Kreis verlassen und legte seine Hand an Leo's Schultern.
„Es ist nochnicht soweit! Habt Geduld!" Leo zog seine Hände wieder zurück und musste ebenfalls
tatenlos zusehen, wie Chris' Kräfte immer mehr abnahmen. Müdigkeit machte sich in Chris
breit. Eine Müdigkeit gegen die er nur schwer ankam. Er versuchte gegen die nahende
Ohnmacht anzukämpfen, doch er war machtlos. Immer wieder hörte er Phoebe seinen
Namen sagen. Sie kniete neben ihm und hielt seine Hand. Sie schloss ihre Augen, als sie
den Schmerz und seine Angst spürte. Es schien ihr das Herz zu zerreißen, als sie spürte,
wie er den Kampf langsam aufgab.
„Chris! Bitte!" Doch Chris konnte nicht mehr.
„Warum passiert nichts?" Phoebe schrie Nereus an. Langsam schloss Chris seine Augen und hieß
die nahende Stille, die ihn von allem befreien würde, willkommen. Ein Wohlbefinden, wie er
es zuvor noch nie erlebt hatte, machte sich in seinem Körper breit.
„Vergiss nicht, Phoebe, vergiss nicht!" flüsterte er zu Phoebe und noch einmal atmete er aus,
ehe er sich diesem Gefühl endgültig hin gab. Ein schwarz leuchtendes Licht umgab Chris',
als die Macht Sebulons aus ihm wich und empor stieg. Sie schien einen kurzen Augenblick
über ihn zu schweben, ehe sie auf Kaja zusteuerte und in sie eindrang. Kaja stieß einen kurzen
erschreckten Schrei aus, als sie zu Boden sank. Sie keuchte und sah zu den anderen.
„Leo!" schrie Phoebe panisch, als sie wieder auf den reglosen Körper von Chris sah. Er atmete
nicht mehr. Sofort erstrahlte das goldene Licht, als Leo seine Hände über die Wunde an
Chris' Brust hielt. Erwartungsvoll blickte er auf ihn hinab, doch nichts geschah.
„Komm schon!" flüsterte Leo, doch seine Versuche blieben erfolglos.
„Nein, nein, nein!" Phoebe konnte nur noch dieses eine Wort sagen. Wieder und Immer wieder
wiederholte sie es in derHoffnung damit etwas zu ändern. Sie ließ ihrem Entsetzen und
Schmerz freien Lauf und Tränen rannen ihr die Wangen hinab.
„Leo, bitte!" krächzte ihre Stimme.
„Ich … ich …!" hörte sie Leo stottern.
„Was ist los, Nereus? Warum kann ich ihn nicht heilen?" schrie Leo, wandt aber seinen Blick
von Chris nicht ab.
„Ich habe euch gesagt, dass ich nicht weiß, wann essoweit ist? Es tut mir leid! Gebt nicht auf!"
„Gebt nicht auf?" Phoebe war wütend. Sie sprang auf die Beine und blieb dicht vor Nereus stehen.
„Das war deine Idee! Du hast gesagt, dass wir dies tun sollen! Also sorge auch dafür, dass er …!"
„Gebt nicht auf!" das war das einzige, was Nereus ihr erwiderte. Phoebe sah zu Leo, der immer
noch seine Hände über Chris hielt. Phoebe vernahm ein leises Schluchzen und drehte sich um.
Kaja kniete immer noch auf dem Boden und sah verzweifelt zu Chris, doch dieser bewegte
sich nicht mehr.

„Nichts!" Piper stand vom Sofa auf und ging einige Schritte. Was immer sie versuchten, sie
kamen zu keinem Ergebnis. Keine Spur der zweiten Urnen.
„Ich verstehe das nicht! Wir haben alle magischen Punkte, die wir kennen, berücksichtig,
doch kein Anhaltspunkt!" Paige lehnte sich zurück und seufzte. Wenn sie selbst nicht in der Lage
waren die Urne Yales zu finden, warum sollte es dann ein anderer? Warum ließen sie die Urne
nicht einfach, wo siewar? Es hatte über 400 Jahre gedauert, bis die Urne Sebulons gefunden wurde.
Sollte es noch einmal so lange dauern, so war es nicht ihr Problem. Im Grunde stellte sie nicht
annähernd so eine Gefahr dar. Vielleicht lag es auch an ihrer Konzentration. Nicht nur sie
selbst, sondern auch Piper waren mit ihren Gedanken ständig bei Phoebe und Chris. Paige
lehnte sich wieder vor.
„Glaubst du, dass alles gut geht? Sollen wir vielleicht …!"
„Nein! Ich bin mir sicher, dass wir früh genug erfahren, wie es verlaufen ist! Wir sollten uns
wirklich mehr konzentrieren!" Piper rieb sich den Nacken als sie schnelle Schritte auf den Treppen
hörte. Sie drehte sich um und sah, wie Phoebe die Stufen herunter hastete. An ihrem
Gesichtsausdruck erkannten sie schon, dass sie nichts Gutes zu berichten hatte.

„Was ist los? Was ist passiert?" Paige sprang vom Sofa auf und ging auf Phoebe zu, doch
diese blieb nicht stehen, sondern ging geradewegs zu dem kleinen Tisch, auf dem das Buch der
Schatten lag. Sie schlug es auf und blätterte darin.
„Was suchst du?" Piper sah ihre Schwester sorgenvoll an.
„Chris … er ist …!" Phoebe schluckte. Sie wusste nicht, ob sie etwas finden würde. Sie könnte
sich nicht erinnern jemals etwas im Buch der Schattengefunden zu haben, dass Chris in der
derzeitigen Situation helfen könnte. Derzeitige Situation. Phoebe schnaufte verächtlich bei dem
Gedanken.
„Leo kann ihm nicht helfen.Wenn wir nicht etwas unternehmen, dann …!" Piper und Paige
setzten sich zu Phoebe auf das Sofa, als sie einen Schrei vernahmen. Alle sahen erschrocken
nach oben und lauschten.

"Was …?" Piper war bereits wieder halb aufgestanden, ehe sie inne hielt und wartete. Ein
lauter Rums war zu hören. Ohne auf die anderen zu achten, hastete Piper die Treppen hoch
zum Dachboden, dicht gefolgt von ihren Schwestern. Als Piper die Tür zum Dachboden
aufstieß, sah sie, wie Cian mit Kaja verschwand. Piper hatte keine Möglichkeit mehr ihn
aufzuhalten. Leo lag in einer Ecke hinter Chris und stöhnte.
„Leo! Alles in Ordnung?" Leo rappelte sich auf. Er rieb sich den Kopf, mit dem er an der
Wand aufschlug und drehte sich zu Piper.
„Ja, alles in Ordnung! Mir fehlt nichts!"
„Was ist passiert?" fragte Paige und ihr Blick viel auf Chris, der regungslos auf dem Boden lag.
Sein Anblick ließ sie erschauern. Er lag da, friedlich, als würde er schlafen. Doch er schlief
nicht. Erschrocken legte sie ihre Hand auf den Mund.
„Was ist hier passiert?"
„Ich habe immer noch versucht Chris zu heilen, als Cian auftauchte! Ich hatte ihn nicht bemerkt.
Als Nereus mich warnte und ich mich umdrehte, da war es bereits zu spät!" Piper sah Leo noch
immer besorgt an.
„Schon gut, mir ist nichtspassiert! Doch er hatte Zeit genug um einen der Kristalle um Kaja
zu entfernen. Bevor er die Kristalle um Lucian entfernen konnte, wart ihr schon hier. Naja,
den Rest habt ihr eben gesehen!"
„Wieso hast du nichts unternommen?" fragte Phoebe wütend und richtete sich dabei an Nereus.
„Wie hätte ich helfen können? Ich habe keine aktive Kraft hier! Alles, was ich tun konnte war,
Leo zu warnen und das tat ich auch!" Phoebe presste ihre Lippen zusammen. Nereus hatte
Recht, das war ihr durchaus bewusst, doch jetzt hatten sie wieder ein Problem mehr.

„Was ist mit Chris?" Piper sah auf ihren Wächter des Lichts und ihr Blick wurde betrübt.
Leo schüttelte den Kopf.
„Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll!"
„He! Ichdenke wir haben jetzt ein größeres Problem, als den Wächter!" rief Lucian.
Er war aufgebracht. Die Tatsache, dass Cian nun Kaja hatte und er selbst hier fest saß,
machte ihn nervös.
„Es mag sein, dass ihr euch um ihn Sorgen macht, doch macht euch lieber Sorgen darüber,
was jetzt geschieht! Wenn Cian an die Macht gelangen sollte, dann habt ihr ein wesentlich
größeres Problem! Cian wird sich nicht so einfach von euch vernichten lassen! Ihr solltet
etwas unternehmen, oder wollt ihr eurem Wächter des Lichts folgen? Denkt lieber darüber
nach!" Alle sahen zu Lucian, doch keiner sagte etwas.
„Er hat Recht!" Piper drehte sich von Chris weg und sah ihre Schwestern an. Einige Zeit
dachte sie darüber nach, ehe sie sich wieder zu Lucian wandte.
„Hast du das Gefühl, dass er dir immer noch vertraut, dass er glaub, du wärst in Gefahr?"
„Ach bin ich leicht nicht in Gefahr? Er hat Kaja und bald die Macht von Sebulon! Ich
hingegen sitze hier fest, ohne eine Ahnung, was mit mir weiter geschieht, ohne Möglichkeit
meinen Plan durchzuführen? Wie nennt man das in eurer bescheidenen Welt?"
Der Sarkasmus in Lucians Stimme war nicht zu überhören. Er ließ seine Schultern hängen
und sah Piper durchdringend an.
„Ich denke ja! Warum?" sagte er schließlich.
„Du weißt doch, wo er sich aufhält, wohin er Kaja gebracht hat, richtig?"
Lucian nickte vorsichtig.
„Du wirst ihm folgen! Du wirst ihm glauben machen, dass du uns entkommen konntest und
du wirst uns zu ihm führen!" Lucian stieß ein Lachen aus.
„Ihr glaub doch nicht, dass das funktionieren wird? Cian würde mir niemals glauben, dass ich
plötzlich entkommen konnte!" Piper ging einige Schritte auf ihn zu. Ernst sah sie ihn an.
„Dann werden wir eine andere Möglichkeit finden! Dich hingegen werden wir so lange hier
behalten, bis alles vorbei ist! Dann wirst du niemals mehr die Gelegenheit haben dich von
dem Schwur zu lösen! Wie gefällt dir dieser Vorschlag?" Lucian kniff die Augen zusammen
und verzog den Mund. Oh wie er es hasste, dieser Hexe Recht zu geben.

Langsam bückte sich Piper und entfernte einen der Kristalle. Das Energiefeld um Lucian
brach zusammen und sofort trat er einen Schritt nach vor. Piper erhob sich wieder und sah
Lucian schief an.Den Kristall in ihren Händen ließ sie mehrmals von einer Hand in die andere
gleiten, ehe sie sich umdrehte und ihn zurück in die Holzkiste legte.
„Wir werden Cian aufhalten! Wir werden ihm Kaja nicht überlassen! Wenn alles gut geht,
dann bekommt jeder von uns das, was er möchte!"
„Wenn er Kaja nicht schon getötet hat!"
„Könnte das passieren? Ich meine, er will doch nur die Macht von ihr?" Phoebe hatte ihre
Arme verschränkt und blickte zu Piper und Lucian.
„Natürlich kann das passieren! Er hat zwar einen Weg gefunden, wie er an die Macht
kommt, doch keiner weiß, wie das Ende aussehen wird! Ich würde nicht unbedingt damit
rechnen, dass Kaja danach unbeschwert ihres Weges gehen wird können!" Phoebe rieb sich
ihre Hände und dachte nach.
„In Ordnung! Dann sollten wir uns auf den Weg machen! Wir haben keine Zeit zu verlieren!
Wir werden uns dort etwas überlegen! Zur Not improvisieren wir! Wäre nicht das erste Mal!"
Paige stimmte ihrer Schwester mit einem zuversichtlichen Nicken zu.
„In Ordnung! Leo, du …!" doch Piper brauchte den Satz nicht mehr zu beenden.
Mit einem zuversichtlichen Lächeln gab er ihr zu verstehen, dass er den Versuch Chris zu
retten nicht aufgeben wird. Er würde hier bleiben und alles daran setzen. Still sah er zu, wie
sich die Schwestern an den Händen fassten und Lucian Paige's Schulter ergriff. Als sie weg
waren kniete er sich wieder neben Chris und hielt seine Hände über ihn.

Die Vier erschienen in einer dunklen Ecke der Höhle und sahen sich um. Es dauerte einige
Zeit, bis sich ihre Augen einigermaßen an das Finster gewöhnten.
„Ok, wo sind wir?" flüsterte Phoebe und sah sich dabei weiterhin um.
„Wir sind in Cians Reich!" antwortete Lucian und blickte dabei regungslos den Gang entlang.
Sie befanden sich in einem Gangsystem, das selten benutzt wurde. Es war einfach da, doch
erfüllte keinen eigentlichen Zweck. Die Gänge führten nirgendwo hin. Eine jede Abzweigung
endete in einer Sackgasse. Lediglich ein Weg führte zu Cian. Lucian versuchte sich zu erinnern,
welcher Gang es war, welche Abzweigungen sie nehmen mussten. Er war zu selten hier gewesen,
um den Weg auf Anhieb zu finden.

„Folgt mir!" Lucian setzte sich in Bewegung und die Schwestern hefteten sich an seine Fersen.
„Entschuldige!" Kleine Steine knirschten als sie den Gangentlang gingen.
„Ups, Entschuldigung!" Lucian blieb stehen und verdrehte die Augen. Phoebe hatte noch immer
Schwierigkeiten sich in dem düsteren Licht zu orientieren, weshalb sie Lucian zu dicht an den
Fersen hing.
„Kommt nicht mehr vor! Versprochen!" Phoebe grinste verlegen, als Lucian seinen Weg fortsetzte.
Lucian hielt kurz inne, als er nach links in einen anderen Gang abbiegen wollte.
„Ähm, Entschuldige?" Lucian drehte sich um und ergriff Phoebe an den Schultern. Mit genervtem Blick
schob er sie einige Schritte zurück hinter Paige, ehe er sich wieder wortlos umdrehte und weiter ging.
"Gleich so eingeschnappt!" Phoebe schüttelte gespielt übertrieben mit dem Kopf.
Die Gänge, in die sie einbogen glichen sich so sehr, dass die Schwestern das Gefühl hatten, als
würden sie sich im Kreis bewegen.
„Warum sind wir nicht näher an Cian ran? Warum so weit weg?" fragte Paige vorsichtig und
blickte dabei immer wieder vorsichtig über die Schulter.
„Ihr wollt doch nicht, dass Cian von unserer Ankunft etwas mitbekommt? Ich weiß nicht, wo
genau er sich aufhält, deswegen wäre es zu riskant gewesen! Aber wenn ihr unbedingt wollt …!"
„Nein, nein! Schon gut!"
Langsam wurden die Gänge etwas heller und in der Ferne war leise Cians Stimme zu hören.