Total überrumpelt hielt er die ohnmächtige Frau immer noch fest. Er musterte sie. Sie war verletzt, musste eine längere Strecke gelaufen oder sogar gerannt sein. Ihr Gesicht kam ihm vage bekannt vor, er hatte sie schon einmal gesehen. In seinem Kopf hallte die Stimme seiner Frau wider: „Darf ich dir meine Schwester Andromeda vorstellen? Ich muss etwas wichtiges mit ihr besprechen, sie wird zum Tee bleiben."
Er hatte sich an diesem Tag im Kaminzimmer verkrochen, war nicht zum Tee erschienen. Als er das Kaminzimmer wieder verließ, war die Schwester seiner Frau bereits wieder gegangen.
Warum war sie hergekommen? Vermutlich hatte sie gehofft, Narcissa hier anzutreffen. Aber warum war sie verletzt? Er schüttelte verwirrt den Kopf. Sie würde hier bleiben können, bis seine Frau zurückkehrte. Vielleicht würde sie ein wenig Leben in dieses verdammte Haus bringen.

Sie lag auf dem Sofa im Wohnzimmer und verfolgte jede seiner Bewegungen mit den Augen. Sie war in drei dicke Wolldecken eingewickelt und zitterte trotzdem. Er hatte versucht, mit ihr zu reden, aber sie hatte ihn nur angesehen und kein Wort gesprochen.
Ihre Verletzungen waren nicht so schwer, wie er angenommen hatte, aber sie war vollkommen entkräftet. Ihr Körper war voller Schrammen und ihre Kleidung war schmutzig und zerrissen. Er hatte sie angezogen gebadet, ohne dass sie sich bewegt hätte. Wenn er sie nicht festgehalten hätte, wäre sie in der Badewanne ertrunken.
Er hörte ein Geräusch und drehte sich ruckartig um. Erschreckt von dieser Bewegung kauerte sie sich auf das Sofa und sah ihn mit Furcht - oder war es Entsetzen? – im Blick an. Er machte eine beruhigende Geste. Sie entspannte sich ein wenig, ließ ihn aber nicht aus den Augen. Blaugraue Augen voller Entsetzen und einem dunklen Wissen. Was hatte sie gesehen? Etwas Verbotenes? Hatte sie den Tod von Menschen gesehen, die ihr nahe standen? Das war keine Seltenheit in diesen Tagen, da Du-weißt-schon-wer auf dem Höhepunkt seiner Macht stand. Liebe war verboten und jeden Tag starben neue Menschen, die doch geliebt hatten. Wie praktisch, dass Narcissa und ihn nichts verband außer dem Wunsch der Eltern, die Familie reinblütig zu erhalten.
Er blickte aus dem Fenster. Dunkelheit senkte sich über die Wiesen, die Sonne war schon lange hinter den Bergen versunken. Die Nacht begann. Die Nacht, in der außer Todessern niemand sicher war, am allerwenigsten Frauen und Muggelgeborene. Sie hatte Glück, dass sie vor Einbruch der Nacht angekommen – konnte man das so sagen? – war.
Er sah durch die Tür, wie eine der Kerzen im Flur flackerte und verlosch. Seufzend verließ er das Zimmer, um sie wieder zu entzünden, als er ein dumpfes Geräusch hört und trappelnde Schritte, eoinen leisen Schmerzensschrei und einen weiteren dumpfen Laut. Als er sich wieder zum Sofa drehte, saß Andromeda davor auf dem Boden und hielt sich mit schmerzverzerrter Miene ihr Fußgelenk. Sie weinte und streckte die Hand nach ihm aus. Angst verschleierte ihren Blick. Langsam trat er auf sie zu und kniete sich neben sie.
„Du musst schlafen.", sagte er leise, aber bestimmt. Sie blickte voller Unverständnis auf ihren Knöchel.
„Er ist verstaucht. Das ist schmerzhaft, geht aber relativ schnell wieder vorbei.", beruhigte er sie. Eine Frage stellte sich in seinem Kopf: Wo sollte sie schlafen? Sie würde nicht im kalten Gästezimmer schlafen, soviel war sicher. Er seufzte wieder. Sie müsste wohl oder übel in Narcissas und seinem Zimmer schlafen. Und er im kalten Gästezimmer. Allein bei dem Gedanken stellten sich seine Nackenhaare auf. Aber sie war verletzt und sie gehörte zur Familie und wenn er etwas gelernt hatte, dann, dass die Familie über allem Anderen stand.
Nun, da die Frage mit der Nachtruhe geklärt war, hob er sie vorsichtig auf und trug sie die große, gewundene Treppe hinauf.

Sie hatte ihren Kopf an seine Schulter gelegt und schlief schon fast. Er zitterte unter ihrem Gewicht, sie war fast genauso groß wie er.
Die Schlafzimmertür war gegen die Kälte des Treppenhauses geschlossen. Er drückte die Klinke voller Anstrengung mit dem Ellbogen hinunter und warf sie danach mit einem sachten Fußtritt ins Schloss.

Andromeda war nun nicht mehr schläfrig, voller Angst blickte sie auf das Bett und fühlte die Arme, die sie umschlungen hielten. Was würde er mit ihr anstellen? Sie hatte von ihrer Schwester zwar nichts Schlechtes über ihn gehört, aber Gutes war auch nicht dabei gewesen. Vielleicht würde er sie vergewaltigen? Oder er würde sie quälen, so wie....
Sie durfte nicht daran denken, denn der bloße Gedanke daran ließ sie unkontrolliert zittern und ihre Augen wurden wieder feucht. Sie schluchzte lautlos und spürte kaum, wie er sie auf das Bett legte. Sie bemerkte verschwommen, dass sie noch immer die zerfetzte Kleidung trug, in der sie hergekommen war.
Dann würde es wenigstens nichts ausmachen, wenn er die Bluse und den dünnen Stoff der Seidenhose vollkommen zerriss, wenn er über sie herfiel. Panik überrollte sie und sie glaubte, nicht atmen zu können. Schützend legte sie die Arme um sich und starrte ihn trotzig an.
Doch er wandte sich ab und begann, in den Schubladen eines riesigen Schrankes zu wühlen, der eine gesamte Wand des Schlafzimmers bedeckte.
„Narcissa hat leider ihre gesamte Kleidung mitgenommen, als sie abgereist ist, aber ich bin überzeugt davon, dass dir das hier auch passen wird." Mit diesen Worten zog er ein weißes Hemd aus einer der Schubladen und legte es auf das Bett. Sie bemerkte flüchtig, dass es ihr wahrscheinlich als Nachthemd passen würde. Er stand auf und ging wieder zum Bett. Ihre Panik, die fast verschwunden war, kehrte wieder zurück und ertränkte sie in einem dunklen Sog von Verzweiflung. Sie spürte eine warme Hand auf ihrer Schulter und schloss entsetzt die Augen. Sofort wurde die Hand wieder weggenommen. Sie hielt die Augen geschlossen, wollte nicht wissen, was er tat. Zu ihrem Erstaunen hörte sie eine Stimme, die ihr eine Gute Nacht wünschte und das Klicken einer Türklinke. Die Tür schlug zu und sie war allein. Immer noch vor Angst zitternd streifte sie die kaputte Bluse ab, zog die zerrissene Seidenhose aus und schlüpfte in das Hemd. Es schmiegte sich, aufgewärmt durch die angenehme Temperatur des Raumes an ihre Haut.
Ein leises Knarzen ließ sie vor Angst erneut unkontrolliert zittern. Sie blickte auf einen losen Fensterladen und dahinter – Nacht. Bodenlose Schwäre, die ihr Auge nicht durchdringen konnte und unter deren Schleier grausame Dinge getan wurden.
Die Bettdecke schützend um sich gewickelt ignorierte sie ihr schmerzendes Fußgelenk und floh aus dem Zimmer.

Das Gästezimmer wurde nie geheizt, da sowieso kaum Leute hier übernachteten. Er zitterte vor Kälte und schlüpfte schnell unter die wärmende Decke des luxuriösen Bettes.
Ein Geräusch an der Tür ließ ihn aufschauen. Die Türklinke wurde heruntergedrückt und die Tür langsam aufgeschoben. Langsam, ganz langsam, als fürchtete derjenige, etwas Furchtbares zu sehen. Ein Fuß schob sich durch den Türspalt, ein zweiter folgte – und bald stand Andromeda im Zimmer. Sie hatte die Bettdecke um sich gewickelt wie ein kleines Kind, die Enden hielt sie vor der Brust krampfhaft fest. Die blaugrauen Augen blickten ihn hilfesuchend an.
„Ist dir kalt?", fragte er. Keine Reaktion.
„Hast du Hunger?" Nicht einmal ein Zucken der Wimpern verriet ihm, ob sie seine Worte überhaupt wahrnahm.
„Bist du durstig?" Wieder nichts.
„Hast du Angst? Fürchtest du dich im Dunkeln?" Ihre Hände zitterten. Sie hörte schon förmlich sein höhnisches Lachen.
"Und jetzt willst du hier schlafen?" Erschöpft schloss sie die Augen. Besorgt stand er auf, hielt ihre Schultern fest. Wie konnte sie nur so leichtsinnig sein, mit ihrem verletzten Fuß zu laufen? Er schüttelte den Kopf.
„Leg dich hin." Er deutete auf das Gästebett, sie ließ sich zögernd darauf nieder.
„Vor mir hast du auch Angst?", fragte er. Das erstaunte Zucken ihrer Wimpern gab ihm Antwort. „Was ist passiert, dass du dich immer und überall und vor jedem fürchtest?", fragte er, ohne allerdings eine Antwort zu erwarten. Er würde sowieso keine bekommen.
„Dobby!", rief er und kurz darauf stolperte ein zerzauster Hauself ins Zimmer und verbeugte sich tief.
„Ja Sir, was wünschen Sir?", fragte er eilig.
„Eine Wollsocke und eine Schere. Und Verbandszeug. Beeil dich!", schnauzte Lucius und spürte, wie Andromeda hinter ihm erschrocken durch seinen Tonfall zusammenzuckte.
Dobby verbeugte sich wieder tief und murmelte „Sofort Sir!", bevor er davonhuschte.

Sorgsam schnitt Lucius die Spitze der Socke ab und zog sie über Andromedas bereits nach allen Regeln der Kunst verbundenen Fuß, um das Gelenk zu wärmen.
Sie blickte ihn dankbar an und gähnte lautlos. Sie tat sowieso alles lautlos. Er hatte nicht einmal ein geräuschbegleitetes Seufzen von ihr gehört, geschweige denn einen Schmerzenschrei.
Müde kroch er in das kalte Bett. Ein warmer Körper schmiegte sich vertrauensvoll an seinen Rücken und ein Gesicht legte sich an seine Schulter. Andromeda versank in einen lautlosen Erschöpfungsschlaf.

äääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääää

Ja, ich weiß, Lucius ist etwas sehr verunstaltet... Aber diese Fic spielt vor der Handlung der Harry-Potter-Bände und ich hoffe, dass mir niemand diese Sünde verübeln wird...
Und wieder eine herzliche Einladung zum Review! lach
Bis zum nächsten Chap!
Silberflügel