Kapitel 5

Oktober 1984

Der kleine schwarzhaarige Junge starrte voller Staunen auf die vielen Läden in der Winkelgasse. Es war das erste Mal, dass Harry Arreton Castle verlassen hatte. Nie zuvor hatte er so viele Menschen an einem Ort gesehen, obwohl es in Wirklichkeit nur wenige waren und hatte nie zuvor so viele verschiedenartige seltsame Dinge gesehen. Die Beklommenheit, die er vor einer Weile gespürt hatte, als Bella auf ihn und sich selber einen Zauber gelegt, der ihr Aussehen veränderte und er begriffen hatte, dass Nell sie nicht begleiten durfte, war verflogen. Aufgeregt versuchte er alles zu erfassen, was sich vor seinen Blicken erstreckte. Als er ein Schaufenster entdeckte, in dem Besen ausgestellt waren, wollte er stehen bleiben, aber Bella, die seine Hand fest in ihrer hielt, zerrte ihn weiter. Harry stolperte neben ihr her und fragte:

„Kann ich mir die Besen anschauen?"

„Nicht heute, Harry.", erklang die kühle Stimme des Dunklen Lords, der sich notgedrungen unsichtbar gezaubert hatte. Schließlich wollte er auf keinen Fall einen Angriff des Ordens zu provozieren, wenn er sich nur in der Begleitung von Harry und Bella befand.

Harry, der die Anwesenheit seines Vaters völlig vergessen hatte, zuckte zusammen, als er dessen Stimme hörte.

Mittlerweile hatte er begriffen, dass der Mann mit den roten Augen, die er immer noch gruselig fand, sein Vater war; eine Erkenntnis, über die er sehr überrascht gewesen war.

Traurig warf Harry noch einen letzten Blick über seine Schulter, zurück zu dem Besengeschäft. Wie schade, dass er sich den Laden nicht anschauen konnte. Seine Traurigkeit währte allerdings nur kurz, da ihm wieder einfiel, dass er heute einen Zauberstab bekommen sollte. In den drei letzen Monaten hatte Bella ihm Lesen, Schreiben und ein bisschen Mathe beigebracht. Am liebsten mochte er Lesen und er konnte es bereits sehr gut. Seine Lehrerin war streng und nicht sehr geduldig. So war er nicht ganz sicher, ob er sie mochte. Harry verstand nicht, dass Bella sehr genau wusste, dass sie bestraft werden würde, wenn er keine Fortschritte machen würde.

‚ Ob Magie wohl auch interessant ist?', überlegte Harry und begann sich auf seinen Zauberstab zu freuen. Bald darauf erreichten sie endlich den Zauberstabladen und gingen hinein. Es dauerte einen Moment bis sich Harrys Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und er die vielen Regale erkannte, die randvoll mit länglichen schmalen Schachteln voll gepackt waren. Ein alter Mann schlurfte ihnen entgegen. Der Blick aus seinen hellen Augen war scharf und Harry rückte näher zu Bella, die im barschen Ton sagte:

„ Der Junge braucht einen Zauberstab."

Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter und schob ihn nach vorne. Der Mann zog eine Augenbraue hoch.

„ Aber er ist sehr jung. Ich bin mir nicht sicher, ob ein Zauberstab ihn wählen wird.", wandte er ein.

Bella richtete ihren Zauberstab auf Ollivander.

„Hör auf zu reden und zeige ihm Zauberstäbe.", befahl sie.

Die Augen Mr. Ollivanders verengten sich. Schließlich nickte er widerwillig, gab Harry einen Zauberstab und bat den Jungen ihn durch die Luft zu schwingen. Harry nahm den Zauberstab und tat, wie ihm geheißen, doch nichts passierte. Mr. Ollivander gab Harry Zauberstab nach Zauberstab und Harry probierte und probierte.

Dann, während Mr. Ollivander gerade nach mehr geeigneten Zauberstäben suchte, die sein Kunde noch nicht in der Hand gehalten hatte, schaute sich Harry in dem kleinen Laden um. Sein Blick fiel auf einen schwarzen Zauberstab, der, auf weißem Satin gebettet, in einer kleinen unscheinbaren Schachtel lag. Der Zauberstab besaß einen leichten Schimmer und Harry hatte das unheimliche Gefühl, dass dieser Zauberstab ihn rufen würde. Er ging zu dem Tischchen hinüber, streckte seine Hand aus und nahm ihn aus der Schachtel. Jäh fühlte er eine plötzliche Wärme in seinen Fingern und goldene Funken schossen aus dem Zauberstab hervor. Harry drehte sich glücklich um und sah, wie Mr. Ollivander, der, mit mehreren Schachteln im Arm, mittlerweile wieder ausgetaucht war, abrupt stehen blieb, ihn durchdringend anstarrte und so weiß wie ein Laken wurde.

„Das kann nicht sein. Das ist unmöglich. Dieser Zauberstab… wie seltsam." stammelte er.

„Was ist so seltsam?" fragte Voldemort, der plötzlich sichtbar geworden war. Ollivander zuckte zurück.

„Nichts, nichts wichtiges."

„Crucio."

Der alte Zauberer fiel schreiend zu Boden. Für einen kurzen Moment stand Harry völlig erstarrt da.

„Hör auf! Bitte hör auf, Vater!"

Voldemort hob den Fluch auf und fragte erneut. Mit einer Stimme voll von Hass, sprach Ollivander:

„ Der Zauberstab enthält die gleiche Phönixfeder wie Ihr Zauberstab."

Die Augen des Dunklen Lord weiteten sich. Also hatte er Recht mit seiner Vermutung gehabt. Das Potter Kind würde eines Tages sehr mächtig sein, wenn so ein Zauberstab ihn, im Alter von vier Jahren, wählte. Den alten Mann betrachtend, wusste er, dass es ratsam wäre ihn zu töten; bevor er wohlmöglich zu Dumbledore laufen konnte und ihm erzählte, dass ein kleines Kind in der Begleitung des Dunklen Lords von einem ungemein mächtigen Zauberstab erwählt worden war. Wer wusste schon zu welchen Schlussfolgerungen dieser alte Narr kommen würde? Für einen Moment erwog er den alten Mann mit einem Vergessenszauber zu belegen, aber dann entschied er sich dagegen. Schließlich konnte dieser gebrochen werden. Er wollte lieber kein Risiko eingehen.

„ Avada Kedavra." sagte er mit lauter Stimme. Ollivander fiel leblos zu Boden.

Voldemort drehte sich um, legte einen Finger unter Harrys Kinn und zwang das Kind ihn anzuschauen.

„ Er war wertlos. Das wichtigste in der Welt ist, Macht zu haben, mein Sohn. Diejenigen die stark genug sind danach zu trachten, werden die Welt beherrschen. Bald wirst du das lernen. Komm."

Er ließ Harry los und zauberte sich unsichtbar. Bella, die immer noch reichlich verblüfft über den Zauberstab war, der den Sohn ihres Herrn gewählt hatte, ergriff Harrys Hand. Sie verließen den Laden und Voldemort zauberte das Dunkle Mal in den Himmel. Dann apparierten sie nach Arreton Castle zurück. Dort angekommen, brachte Bella das Kind zu seinen Räumen und verließ es dort, ohne zu bemerken, welch ein Schock das Geschehene für das Kind gewesen war.

Harry, der ziemlich heftig zitterte, ließ sich zu Boden fallen. Das grüne Licht hatte er zuvor gesehen, in seinen Alpträumen. Aber er verstand nicht genau, was gerade passiert war. AlsNell ihn sah, schlug sie die Hände vor ihr Gesicht.

„My Lord, was ist Euch passiert?", rief sie aus.

Harry versuchte zu sprechen, doch kein Wort kam aus seinem Mund. Nell sah sein Zittern und sein weißes Gesicht und brachte ihn sofort zu Bett. Kurz darauf brachte sie ihm ein heißes Glass Kakao und half ihm es auszutrinken. Leise begann sie zu singen. Es dauerte lange, bis Harry aufhörte zu zittern und endlich einschlief. Nell saß die ganze Nacht neben seinem Bett und bewachte ihn. Sie würde sich morgen bestrafen. Wenn es ihren jungen Herrn nicht gestört hätte, hätte sie es jetzt getan. Sie hatte ihn im Stich gelassen. Sie war nicht da gewesen um ihn davor zu schützen, vor was immer auch passiert war. Sie war eine schlechte Hauselfe.


Mittlerweile standen einige Mitglieder des Phönixordens in Ollivanders Laden und Alastor Moody starrte auf den leblosen Körper. Warum hatten ihn die Todesser so plötzlich umgebracht? Zwar war es allgemein bekannt gewesen, dass Olivander gegen Voldemort und seine Anhänger war, aber nachdem sie Ollivander so lange am Leben gelassen hatten, machte es überhaupt keinen Sinn.