Kapitel 8

September 1985

Während die Landschaft schnell an ihm vorbei glitt, saß Charlie Weasley im Hogwarts Zug und versuchte nicht allzu aufgeregt zu sein, dass heute sein erstes Schuljahr beginnen würde. Außer ihm war noch sein, zwei Jahre älterer, Bruder Bill im Abteil, der jedoch vor kurzem eingeschlafen war. Seufzend lehnte sich Charlie zurück in seinen Sitz. Er war erleichtert, dass der Sommer vorbei war. Traurig erinnerte er sich an den furchtbaren Tag, an dem er erfahren hatte, dass seine Großeltern von Todessern ermordet worden waren.

In der darauf folgenden Zeit hatten sie versucht mit dem Unglück fertig zu werden und während seine Mutter häufig in Tränen aufgelöst gewesen war, hatten Bill und er auf ihre jüngeren Geschwister aufpassen müssen. Besonders seine vierjährige Schwester Ginny hatte nicht verstanden was passiert war und Charlie hatte große Mühe gehabt sie abzulenken.

Charlie umklammerte seinen Zauberstab und dachte an seinen Schwur zurück. Er hatte sich geschworen, dass er, sobald er mit der Schule fertig sein würde, Auror werden würde und eines Tages gegen den Dunklen Lord kämpfen würde, genauso wie seine Eltern, die Mitglieder des Phönixordens waren. Der Orden war in der Zaubererwelt schon zur Legende geworden und die letzte große Hoffnung im Kampf gegen den Dunklen Lord und seine Anhänger.

Auch er würde in ferner Zukunft dem Orden beitreten, beschloss er und seinen Zauberstab betrachtend, erinnerte er sich daran, wie schwierig es gewesen war seine Schulsachen zu kaufen. Wegen der Gefahr hatten einige Mitglieder des Ordens ihn, Bill und seinen Vater begeleitet. Wie stolz er gewesen war, als er seinen ersten Zauberstab bekommen hatte, überreicht von Mr. Ollivanders Tochter, die seit dem Mord ihres Vaters den Zauberstabladen weiterführte. Sie war so nett gewesen und aus dem Fenster schauend, gähnte Charlie und kuschelte sich in seinen Sitz.


Als die Sonnenstrahlen begannen durch das Zimmer zu wandern, blinzelte Harry schläfrig, legte seinen Arm quer über seine Augen und zog seine Bettdecke über seinen Kopf. Er war noch so müde, aber da es ihm nicht mehr gelang einzuschlafen, setzte er sich schließlich auf und starrte zum Fenster hinüber. Letzte Nacht hatte er wieder einen seiner schrecklichen Alpträume gehabt. Wie immer war Nell sofort zu ihm gekommen und hatte ihn getröstet. Manchmal wünschte sich Harry, dass sein Vater und Bella ihn ebenfalls umarmen würden, doch sie taten es nie.

Seitdem er seinen Zauberstab gekauft hatte, träumte er oft von dem freundlichen alten Mann und dem grünen gleißenden Licht. Mittlerweile wusste er, dass es sich um den Todesfluch gehandelt hatte. Bella hatte ihm das noch nicht beigebracht, aber er hatte es selber gelesen. Er blätterte oftmals viel weiter in den Büchern, als er eigentlich sollte. Eine Weile später, als Harry fertig angezogen war und Frühstück gegessen hatte, ging er zur Tür und öffnete sie. Letzten Monat hatte er es endlich geschafft in einem der Bücher, die Bella ihm dagelassen hatte, den richtigen Zauber zu finden und war seitdem fähig die Tür alleine zu öffnen und war somit nicht mehr auf Nells Hilfe angewiesen. Außerdem machte es ihm Spaß zu zaubern. Als er sah, dass der Korridor verlassen war, tappte er leise hinaus. Nell folgte ihm.

Seit er Diamond gefunden hatte, war er oft im Schloss umher geschlichen. Es gab soviel zu entdecken und wenn er müde wurde das riesige Schloss zu erkunden, suchte er die große Bibliothek auf, nahm sich eines der unzähligen Bücher und machte es sich meistens unter dem Tisch bequem. So war es ihm schon oft gelungen, unentdeckt zu bleiben, als unerwarteterweise jemand die Bibliothek betreten hatte und war daher noch bei keinem seiner Streifzüge erwischt worden.

Da Bella ihm gestern gesagt hatte, dass sie heute verhindert sein würde und sie ihn somit nicht unterrichten würde können, wusste Harry, dass er sich so viel Zeit lassen konnte, wie er wollte und nicht darauf achten musste, rechtzeitig wieder zurück in seinem Zimmer zu sein. Bester Laune stieg er eine der Treppen hoch, die zu einem der Türme führte.

In einem verstaubten, kleinen Zimmer entdeckte er allerlei alten Plunder und hinter einer kaputten Kommode fand er einen Besen. Glücklich über seinen Fund nahm er den Besen, nachdem er ein paar Spinnenweben entfernt hatte, zu einem größeren Zimmer und versuchte zu fliegen.

Er wusste es sofort. Fliegen war einfach und er konnte es. Allerdings war in dem Zimmer nicht gerade viel Platz, sodass er kurz darauf landete und überlegte, wo er hingehen könnte. Sein erster Gedanke war in die große Halle zu gehen, aber dort war die Gefahr natürlich groß, dass ihn jemand entdecken könnte. Nell ansehend, fragte er die kleine Hauselfe, ob sie nicht einen geeigneten Ort zum Fliegen wisse.

Nach einem Augenblick des Überlegens schlug Nell den Park vor. Harry zögerte einen Moment. Doch er war noch nie im Park gewesen und seit er zum ersten Mal in den damals verschneiten Park geblickt hatte, hatte er sich gewünscht, einmal hinaus zu gehen. Bisher hatte er es jedoch nicht getan, aus Angst, dort jemandem in die Arme zu laufen. Im Schloss gab es viele Verstecke, die er im Notfall benutzen konnte, aber er wusste nicht, ob er auch im Park so gute Möglichkeiten vorfinden würde. Schließlich siegte seine Neugier und sein Wunsch seinen Besen richtig auszuprobieren und er ließ sich von Nell den Weg zeigen.

Kaum hatten sie den Park betreten, führte ihn Nell einen der schmalen Wege entlang, während Harry die Bäume bestaunte, die ihm nun um so Viel größer vorkamen, als er sie von seinem Fenster gesehen hatte. Wenig später flog er in der warmen Sonne. Ein nie gekanntes Gefühl der Freiheit schien ihn zu durchströmen, während er immer höher flog. Nell, die hinter ihm saß, hielt sich unterdessen verzweifelt an seiner Taille fest.

Harry lachte. Fliegen war einfach großartig. Bald wurde er mutiger und probierte sogar einen Sturzflug aus, der Nell laut aufschreien ließ. Nach einer Weile, als es begann dunkel zu werden, flog er zu Boden und schlenderte, immer noch freudestrahlend, langsam zum Schloss zurück. Er wusste, dass er den morgigen Tag kaum erwarten würde können. Seine Laune verdüsterte sich jedoch, als ihm einfiel, dass er erst am Nachmittag Zeit haben würde, um sich wieder in den Park zu schleichen und zu fliegen. Hoffentlich gab ihm Bella nicht zu viele Hausaufgaben auf.

Laute Stimmen schreckten ihn auf. Auch Nell hatte sie gehört. Ihre Augen weiteten sich furchtsam. Harrys Blick irrte umher und gerade rechtzeitig gelang es ihm, sich mit Nell hinter zwei Sträuchern zu verstecken, sodass die schwarzen Gestalten, die vorübergingen, sie nicht bemerkten. Erleichtert ließ Harry seinen angehaltenen Atem entweichen.

Er richtete sich auf und sah, wie die Anhänger seines Vaters zum Schloss gingen. Sich umsehend, vergewisserte er sich, dass niemand sonst in der Nähe war. Dann hob er seinen Besen vom Boden auf, flüsterte Nell zu, die ihre Hände vor ihre Augen geschlagen hatte, sie könnten jetzt gehen und setzte sich in Bewegung.

Er ergriff Nells Hand und lief über den Rasen. Außer Atem in seinen Gemächern ankommend, sank Harry erschöpft auf sein Bett, froh darüber, dass sein Ausflug in den Park unentdeckt geblieben war.Warum nur hatte sein Vater ihm verboten seine Zimmer zu verlassen? Er verstand es nicht.