Kapitel 11
April 1987
Obwohl die Halle festlich geschmückt war und fröhliches Gelächter zu ihm herüberhallte, war Severus' Gesichtsausdruck düster und so wollte der finster drein blickende Zauberer nicht so recht zu der ausgelassenen Gesellschaft passen. Severus Snape seufzte und fragte sich, warum er nur auf den Hochzeiten von Black und Lupin zugegen sein musste. Es war eine Überraschung für ihn gewesen, als er erfahren hatte, dass auch Sirius und Charlotte heiraten würden. Wenn man allerdings darüber nachdachte, dann hätte er dieses wohl vorhersehen können. Seit James Potter umgebracht worden war, standen sich Black und Lupin so nahe wie Brüder, sodass es wahrscheinlich nicht verwunderlich war, wenn sie zur gleichen Zeit heirateten und dann auch noch Schwestern, dachte Severus zynisch. Was sollte er nur hier?
Während er hier nutzlos seine Zeit verschwendete, hätte er Zaubertränke brauen können. Ungeduldig begann er sich einen Weg zu einem der Tische zu bahnen. Er wollte sich ein Butterbier holen und knirschte mit den Zähnen, als er sich durch eine Schar von Kindern zwängen musste. Sein Blick fiel auf die strahlenden Gesichter von Black und Lupin. Jäh fühlte er, wie bittere Eifersucht ihn packte. Es war einfach ungerecht, dass sie so glücklich waren. Für sie bestand keine Notwendigkeit ihre Heirat geheim zu halten und Charlotte und Emily, beide hinreißend aussehend, schäumten geradezu vor lauter Glück, während sich Alison immer noch nicht von ihrer Fehlgeburt erholt hatte. An seinem Butterbier nippend, schaute er umher. Nach einer Weile entdeckte er endlich Alison.
Sie unterhielt sich mir Mrs. Weasley. Alison lächelte, doch ihre Augen erreichte das Lächeln nicht. Severus aber freute sich auch über den kleinsten Fortschritt. Er war außer sich vor Sorge gewesen, als Alison ihre ganze Lebensfreude verloren hatte. All ihre Ausgelassenheit und Unbeschwertheit waren dahin gewesen und Severus hatte nicht gewusst, wie er Alison helfen sollte. Natürlich war er auch traurig über das Geschehene gewesen. Es hatte auf ihn jedoch nicht so eine große Auswirkung gehabt, wie auf Alison. Aber das Schlimmste waren ihre Blicke gewesen, als er zu den Todesser Versammlungen gegangen war. Sie waren so vorwurfsvoll gewesen, erinnerte Severus sich und ihre Liebe hatte sich zu Hass gewandelt. Vielleicht hatte sie auch gespürt, dass er eine gewisse Erleichterung gefühlt hatte.
Er hatte nicht gewollt, dass sein Kind in eine solche Zeit geboren werden würde. In eine Zeit des Krieges und des Grauens, in der es fast alltäglich passierte, dass Kinder ihre Eltern verloren und als Waisen zurückblieben. Erst der Tag, an dem er Alison weinend an einen Baum geklammert fand und er sie fest in seine Arme gezogen hatte, änderte sich ihre Beziehung zueinander und langsam hatte Alison aus ihrer schweren Depression herausgefunden. Alison wandte den Kopf, ihr Blick traf den seinen und in Severus stieg Hoffnung auf, dass eines Tages alles wieder gut werden würde. Ein heftiger Schmerz in seinem Arm ließ ihn zusammenzucken. Der Dunkle Lord rief ihn zu sich. Er starrte zu Alison herüber und berührte seinen Arm. Als sie verstehend nickte, drehte er sich brüsk um und verließ mit gemäßigten Schritten die Halle.
Harry kniff seine Augen zusammen und schirmte mit seiner Hand das blendende Licht der Sonnenstrahlen ab, als er den Horizont absuchte. Irgendwo musste der Schnatz ja sein und er wollte den kleinen goldenen Ball unbedingt vor Caro und Draco finden. Seitdem sie sich letztes Jahr kennen gelernt hatten, waren die beiden oft in den Park gekommen, wenn ihre Eltern zu einem Todesser Treffen gerufen worden waren. Als der Winter ins Land gezogen war, hatten sie im Schloss gespielt. Besonders gut konnte man Verstecken spielen. Es gab so viele geeignete Orte dafür. Sie waren schnell unzertrennliche Freunde geworden und jedes Mal, wenn sie gehen mussten, hoffte Harry, dass Caro und Draco bald wieder kommen würden und vermisste sie in der Zwischenzeit.
„Harry!" schrie Draco und Nell, die hinter ihm saß und ihre Ärmchen um seine Taille geschlungen hatte, schrie auf.
Harry riss seinen Kopf herum und sah wie ein Klatscher mit atemberaubender Geschwindigkeit auf ihn zuschoss.
Mit einem schnellen Sturzflug schaffte er es gerade noch ihm auszuweichen.
„ Cool, Harry, das war der beste Flug, den ich je gesehen habe!", rief Caro.
Harry richtete sich auf, wischte sich mit zitternder Hand über seine Stirn und erhob sich erneut in die Lüfte. Das kam davon, wenn man nicht aufpasste, dachte Harry. Nicht, dass es so schlimm gewesen wäre, wenn der Klatscher ihn getroffen hätte. Seit sie begonnen hatten Quidditch zu spielen, hatte jeder von ihnen schon mehr als eine Verletzung erlitten, was bei diesem Sport nichts Ungewöhnliches war. Vor einigen Wochen hatte er sich seinen Arm gebrochen. Glücklicherweise hatte Rainbow ihn geheilt. Für solche Sachen war sein Phönix einfach unersetzlich. Doch für einige Augenblicke war es ziemlich schmerzvoll gewesen und Harry schauderte, als er sich erinnerte. Erst Rainbows Erscheinen hatte ihn von seiner Qual erlöst.
Dank der heilenden Fähigkeit seines Phönixes hatte Bella jedenfalls nichts gemerkt und war nicht argwöhnisch geworden. Auch Caro und Draco hatte Rainbow oft genug helfen müssen. Harry hatte durch Zufall entdeckt, dass er fähig war Rainbow mit einem schrillen Schrei zu sich zu rufen. Jedes Mal, wenn er in so einer Weise schrie, würde Rainbow sofort zu ihm kommen. Aus diesem Grund war es nicht weiter schlimm, wenn Rainbow für eine Weile fort flog. Schließlich wusste Harry, dass Rainbow zu ihm zurückkehren würde und so seltsam es auch klang, es schien eine magische Verbindung zwischen ihnen zu bestehen. Dracos laute Stimme ließ ihn abrupt hochblicken.
„ Ja, ich hab getroffen." schrie Draco mit einem triumphierendem Gesichtsausdruck.
Da sie nur drei Spieler waren, hatten sie die Regeln für ihre Quidditch Spiele verändert. Jeder von ihnen musste so viele Tore erzielen, wie er konnte und weil sie kein Quidditch Feld besaßen, hatte jeder seinen eigenen Baum. Wenn der Spieler seinen traf, bekam er Punkte. Derjenige, der den Schnatz fing, beendete das Spiel und wer dann die meisten Punkte hatte, gewann. Natürlich mussten sie auch auf die Klatscher aufpassen. So hatte zwar jeder mehrere Positionen zu spielen, doch auf diese Weise machte es ihnen am meisten Spaß.
„ Harry! Draco! Lasst uns mal eine Pause machen!", schlug Caro vor und landete auf dem weichen Grass.
Die Jungen folgten und kurz darauf saßen sie auf einer Decke und aßen leckere Blaubeerkuchen.
Nell sorgte immer für kleine Köstlichkeiten. Am Anfang war Draco ziemlich gemein zu der kleinen Hauselfe gewesen, da er nicht gerade daran gewöhnt gewesen war, einen Hauself freundlich zu behandeln.
Nachdem Harry jedoch einmal wütend geworden war und Draco zurechtgewiesen hatte, hatte Draco sein Verhalten über die Monate langsam geändert. Harrys Zorn und seine smaragdgrünen Augen, die gefährlich geglitzert hatten und die kaum sichtbare goldene Aura, die ihn, wie es ausgesehen hatte, für einen kurzen Auenblick umgeben hatte, vergaß Draco nicht so schnell.
Caro nahm einen Schluck von ihrem kühlen Saft, strich sich eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht und meinte:
„ Dieses Mal werde ich gewinnen!"
„ Das werden wir ja sehen." entgegnete Harry und lächelte. Draco nickte bekräftigend und die Jungen warfen sich einen Blick zu.
Während Harry mit seinen Freunden Quidditch spielte, ahnte er nicht, dass die Todesser Versammlung eher endete als sonst üblich und der Dunkle Lord Bellatrix Lestrange beiseite gezogen hatte und ihr mitgeteilt hatte, dass er seinen Sohn zu sehen wünschte. Bella machte sich unverzüglich auf den Weg zu den Gemächern des jungen Lords.
Als sie die Tür allerdings öffnete, fand sie das Zimmer verlassen vor und von dem Jungen war weit und breit keine Spur zu sehen. Sie ging hinein und schaute in Harrys Schlafzimmer, doch auch dort war niemand. Unvermittelt schrie sie auf und wich zurück. Beinahe wäre sie auf Harrys Schlange getreten. Schaudernd wandte sie sich ab. Wie sie diese Kreaturen hasste! Es war schon schlimm genug Nagini, das Haustier des Dunklen Lords zu ertragen.
Sie verließ das Zimmer und fragte sich, wo der junge Lord nur hingegangen sein konnte. Kopfschüttelnd seufzte sie. Warum hatte sie nicht bemerkt, dass er gelernt hatte, seine Tür zu öffnen? Wo sollte sie als erstes suchen? Hoffend, dass er von niemandem entdeckt worden war, eilte sie den düsteren Korridor entlang.
Nachdem auch ihre Suche in der Bibliothek sich als erfolglos erwies, lief sie die Treppe hinunter zur großen Halle und stieß mit Lucius Malfoy zusammen, doch sie rief ihm nur eine abgehackte Entschuldigung zu und hastete weiter. Sie konnte sich die Ungehaltenheit ihres Gebieters nur allzu gut vorstellen, wenn er noch länger warten würde müssen.
Lucius Malfoy starrte Bella ziemlich irritiert nach, zuckte dann mit den Achseln und fuhr fort zusammen mit seiner Frau nach ihrem Sohn zu suchen. Warum musste sein Sohn nur die unglaubliche Fähigkeit haben, dauern zu verschwinden? Nun waren er und Narcissa wieder einmal gezwungen nach ihm und Carolina, die sie praktisch adoptiert hatten, zu suchen. Für ihn war es ein Rätsel, warum Bella es zugelassen hatte, dass sie schwanger geworden war, da sie sich so gut wie nie um ihre Tochter kümmerte.
Wahrscheinlich wegen Rodolphus, dachte Lucius. Seit Draco geboren worden war, hatte Bella sein Haus unzählige Male aufgesucht und hatte ihre Tochter für ziemlich lange Zeit einfach bei ihnen abgeladen, ohne sich darum zu kümmern, ob sie damit überhaupt einverstanden waren. Man konnte wirklich beinahe sagen, dass Narcissa Carolina erzogen hatte. Nur in den Zeiten, in denen Bellas Ehemann, Rodolphus Lestrange, von seinen geheimnisvollen Missionen nach Hause zurückkehrte, blieb Carolina bei ihren Eltern.
„Vielleicht sind sie in den Park gegangen.", überlegte Narcissa laut und trat auf die Terrasse. Lucius folgte und zusammen schritten sie über den Rasen. Als sie den Park erreichten, hörten sie fröhliches Gelächter. Mit weit ausholenden Schritten ging Lucius um die alten Bäume herum und sein Blick fiel auf drei Kinder, die auf einer Decke saßen.
„Draco! Was machst du da?"
Die Kinder wandten ruckartig ihre Köpfe zu ihm. Doch es schien so, als ob niemand von ihnen wusste, was er sagen sollte.
„ Papa, wir haben nur gespielt.", brach Draco schließlich das Schweigen.
Lucius Malfoy zog eine Augenbraue hoch und nickte in Richtung Harrys.
„Und wer ist das?" fragte er und musterte den schwarzhaarigen Jungen, den er nie zuvor gesehen hatte, dessen war er sich sicher. Welch seltsame Augen er hatte und die Narbe auf seiner Stirn glich einem Blitz. Bevor Harry jedoch auf Lucius' Frage antworten konnte, tauchte Bella zwischen den Bäumen auf. Ihre Wangen waren rot und offensichtlich war sie außer Atem. Nach Luft ringend, schaffte sie es zu sagen:
„My Lord, Gott sei Dank, ist Euch nichts passiert." Bella spürte wie Erleichterung sie durchströmte. Als sie Harry nirgends hatte finden können, hatte sie sich schon alles Mögliche ausgemalt was passiert sein könnte. Jetzt musste sie sich nur überlegen, was sie antworten sollte, warum es so lange gedauert hatte. Wenn Harry verschwunden wäre, wollte sie nicht wissen, was ihr Gebieter mit ihr gemacht hätte. Unvermittelt bemerkte sie Lucius und Narcissa, die sie und Harry mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck anstarrten. Auch ihre Tochter und Draco sah sie.
„ My Lord?", wiederholte Lucius mit seltsam klingender Stimme.
Bella seufzte. Nun war es also passiert. Sie wusste, dass der Dunkle Lord nicht gerade erfreut sein würde zu erfahren, dass das Geheimnis entdeckt worden war. Außerdem schien es, dass ausgerechnet ihre Tochter und Draco mit dem Sohn ihres Gebieters Freundschaft geschlossen hatten. Aber daran ließ sich wohl nichts mehr ändern.
„ Ja, Harry ist der Sohn und Erbe unseres Gebieters. Der Dunkle Lord hat allerdings befohlen, dass seine Identität Geheimnis bleibt."
Sich an Harry wenden, bat sie:
„ My Lord, würdet Ihr bitte zurück in Eure Zimmer gehen?"
Harry nickte und fragte:
„Können Caro und Draco mitkommen?"
Die schwarzhaarige Frau zögerte kurz, nickte dann aber:
„Natürlich, My Lord."
Während Nell geschwind die Decke zusammenrollen, machten sich die Kinder auf den Weg zurück zum Schloss.
„Warum hast du es uns nie erzählt?" fragte Draco, mit leicht respektvoller Stimme und starrte Harry mit großen Augen an.
Harry zuckte mit den Achseln, nicht wissen, ob er darüber froh sein sollte, dass seine Freunde nun Bescheid wussten.
„ Ich weiß es nicht, irgendwie habe ich nie daran gedacht."
„ Aber wir müssen dich nicht mit My Lord anreden, oder?", warf Caro ein.
„ Nein, natürlich nicht. Ich bin immer noch Harry für euch.", erwiderte er ziemlich scharf.
„ Es war ein Witz, Harry. Hey, ich habe eine Idee. Wäre es nicht wundervoll, wenn wir zusammen unterrichtet werden könnten?"
Harry blieb stehen und seine Augen leuchteten auf.
„ Das wäre ja großartig. Mit euch zusammen, würde der Unterricht bestimmt viel mehr Spaß machen"
Caro lächelte und schüttelte kurz darauf den Kopf.
„ Ich kann es nicht fassen, dass meine Mutter deine Lehrerin war und sie es mir nie erzählt hat."
„ Ja, ich denke mein Vater wird ziemlich wütend darüber sein, dass er von deiner Existenz nicht den leisesten Schimmer hatte. Er ist felsenfest davon überzeugt die rechte Hand des Dunklen Lord zu sein.", fügte Draco hinzu.
Inzwischen gingen auch die Erwachsenen zum Schloss zurück. Bella hatte Lucius und Narcissa alles erzählt, was sie wusste.
Draco hatte unterdessen mit seiner Vermutung Recht behalten. Sein Vater war wütend. Sehr. Bella hatte es gewusst, aber er nicht? Hatte sein Gebieter ihm nicht vertraut?
Ein Sohn und Erbe! Er konnte es nicht glauben. Als er jäh begriff, was dieses bedeuten würde, runzelte er unwillig seine Stirn. Dieses Kind, mit den strahlendgrünen Augen, würde eines Tages die rechte Hand seines Gebieters sein und in weiter Zukunft – sehr wahrscheinlich – auch sein zukünftiger Gebieter!
Er musste darüber nachdenken, äußerst gründlich und das so bald wie möglich.
