Kapitel 13
Juni 1988
Es war kurz nach Sonnenaufgang, als Alison ein kleines Mädchen zur Welt brachte. Bewundernd betrachtete sie ihre neugeborene Tochter. Sie hatte wunderschöne blaue Augen und schwarze Löckchen. Alison fand, dass ihr Baby das schönste war, das je geboren worden war. Die letzten Stunden waren schmerzvoll gewesen, doch in dem Augenblick, in dem Poppy ihr das Kind gereicht hatte, waren alle Qualen vollkommen vergessen gewesen, solches Glück hatte sie jäh verspürt. Alison hauchte Lizzie – nach endlosem Überlegen hatten sich Alison und Severus für den Namen Elizabeth entschieden, doch da der Name ihr zu lang war, beschloss sie kurzerhand ihre Tochter Lizzie zu nennen – einen Kuss auf das winzige Näschen und lehnte sich vorsichtig in die Kissen zurück.
Ihr Kind im Arm haltend, musste sie unvermittelt an ihre Eltern denken und ihr stiegen Tränen in die Augen. Wie sehr wünschte sie, ihre Eltern hätten Lizzies Geburt noch erleben können. Ein leises Geräusch ließ sie zur Tür blicken.
Severus trat mit unbeweglichem Gesichtsausdruck ins Zimmer und Alison seufzte. Wie schön es doch hätte sein können, wenn sie ihre Heirat nicht verheimlichen müssten. Dann hätte sich Severus nicht wie ein Dieb in den Krankenflügel schleichen müssen, immer vorsichtig, dass niemand ihr Geheimnis entdeckte. Dabei hatte sie die letzten Monate schon gefürchtet, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis jemand herausfand, dass Severus und sie ein Paar waren. Sobald es offensichtlich geworden war, dass sie ein Kind erwartete, hatte sie Anlass zu wilden Spekulationen gegeben. Besonders ihre Schüler waren neugierig gewesen und sie hatte nicht nur einmal das Gefühl gehabt, dass ihr nachspioniert wurde.
Zusätzlich zu dem alltäglichen Stress war es ihr irgendwann zu viel geworden, sodass sie seit April nicht mehr unterrichtet hatte und sie vermisste es sehr, aber sie war nicht mehr in der Lage dazu gewesen. Severus setzte sich vorsichtig auf das Bett und als sein Blick auf das kleine Bündel fiel, das in Alisons Armen ruhte, hielt er den Atem an.
„Sie hat genau deine Haarfarbe. Hier, halte sie."
Sie reichte ihm das Baby und musste beinahe lachen, als sie sah, auf welche Weise er seine Tochter hielt und sein Gesichtsausdruck war wirklich köstlich. Er hielt sie so behutsam, dass man meinen könnte, er würde etwas hoch Explosives im Arm halten.
„ Meine Tochter." Er sagte dieses mit einer Stimme, die klang, als ob er es nicht glauben konnte.
Alison lachte leise. Es schien so, dass Männer sich immer etwas komisch aufführten, wenn sie Vater wurden. Vor zwei Wochen hatte Charlotte einen Jungen bekommen und Sirius hatte den ganzen Tag durch Hogwarts getanzt. Erschöpft und glücklich betrachtete sie ihren Ehemann und ihre neugeborene Tochter, die ihre Eltern schläfrig anblinzelte.
Wenige Stunden später kam Hermione zu dem Schluss, dass Lizzie zwar niedlich war, aber, dass Jamie viel süßer war. Jamie, der sich gerade in Charlottes Armen befand, krauste seine Nase und Hermione musste lachen, als das Gesicht des Babys für einen Augenblick völlig verknittert aussah. Da Hermione jedoch langsam den Eindruck bekam, dass der Besuch schon zu lange gedauert hatte und sie sowieso überflüssig war, wartete sie eine Gesprächspause ab und fragte Charlotte, ob sie zum Quidditchfeld gehen dürfe, wo sie ihre Freunde vermutete.
Nachdem sie sich von Alison Lennox verabschiedet hatte, trat sie auf den Korridor heraus. Als sie die Treppe hinuntergegangen war, blickte sie zu den abzweigenden Fluren und zögerte. Obwohl sie schon einige Monate in Hogwarts lebte, bereitete ihr es immer noch Schwierigkeiten sich in dem großen weitläufigen Schloss zurechtzufinden.
Dass Hermione von Sirius und Charlotte adoptiert worden war, war ein Glück für die kleine Waise gewesen. Die neue Welt, in die sie so jäh hinein versetzt worden war, war aufregend genug gewesen, um sie von dem Grauen, das sie erlebt hatte, einigermaßen abzulenken, sodass sie tagsüber kaum Gelegenheit hatte an die Geschehnisse zu denken, sie sie allein zurückgelassen hatten. Des Nachts jedoch weinte sie bitterlich, erlebte in Alpträumen die letzen Augenblicke ihrer Eltern und vermisste sie verzweifelt, während sie sich an Charlotte klammerte und in ihrer tröstenden Umarmung irgendwann einschlief.
Hermione, die schließlich den richtigen Weg gefunden hatte, trat ins Freie und machte sich auf zum Quidditchfeld, um ihre Freunde zu treffen, die dort bestimmt Quidditch spielten.
In den ersten Tagen, die sie in Hogwarts verbracht hatte, hatte sie sich ziemlich abweisend verhalten, aber Ron Weasley, Neville Longbottom und vor allem Rons Schwester Ginny, die ein Jahr jünger war als sie, hatten nicht lockergelassen. So hatte Hermione schließlich Freundschaft mit ihnen geschlossen und seitdem streiften sie durch Hogwarts oder spielten Quidditch, während Charlie, Rons älterer Bruder ihnen zuschaute und aufpasste.
Beim Quidditch spielen, hatte sie auch gemerkt, dass sie eine Hexe war. Es war völlig unbeabsichtigt gewesen, aber sie hatte ‚auf ' zu einem Besen gesagt und er war ihr in die Hand gesprungen. Sie wusste überhaupt nicht, warum sie das getan hatte, vielleicht weil sie traurig gewesen war, dass sie nicht mitspielen konnte. Sogar Ginny konnte – nachdem Charlie es ihr vor zwei Monaten beigebracht hatte – fliegen. Nur sie war am Boden zurückgeblieben.
Es war ein großer Schock für sie gewesen, dieses herauszufinden. Sie hatte sich schuldig gefühlt eine Hexe zu sein, während ihre Eltern von Zauberern umgebracht worden waren. Charlotte hatte sie getröstet und ihr versichert, dass sie sich nicht schuldig fühlen musste, doch nichtsdestotrotz verließen sie die Schuldgefühle nie, genauso wenig wie der Hass, der sie erfüllte, sooft sie an ihre Eltern und deren Mörder dachte. Als ihre winkenden Freunde in Sicht kamen, lächelte sie und verdrängte ihre Erinnerungen, die sie gnadenlos zu verfolgen schienen.
Es war früher Nachmittag, als Harry, Draco und Caro versuchten aus dem Schloss zu schleichen. Es wurde wieder ein wichtiges Todesser Treffen –nur für den Inneren Kreis – abgehalten, sodass sie annehmen konnten, dass sie in den nächsten Stunden von niemanden vermisst wurden und deswegen auch niemand nach ihnen suchen würde.
Sie hatten vor in die Winkelgasse zu gehen, oder besser gesagt, sie wollten fliegen. Da sie noch nicht in der Lage waren zu apparieren, war Fliegen der einfachste und schnellste Weg für sie. Sobald Harry seinen Freunden von seinem Plan erzählt hatte, waren sie begeistert gewesen und hatten es ebenfalls kaum erwarten können bis sich endlich eine gute Gelegenheit ergeben würde. Die Kerker erreichten sie glücklicherweise ohne Schwierigkeiten und nachdem sie ungefähr eine Viertelstunde durch einen schmalen und langen Gang gegangen waren, zwängten sich durch einen engen Spalt, der einen tiefen breiten Riss durch das alte Gemäuer zog und betraten den Wald. Dort stiegen sie auf ihre Besen und erhoben sich in die Lüfte.
In der riesigen Bücherei des Schlosses hatte Harry eine Karte von Großbritannien gefunden. Arreton's Castle war jedoch nicht darauf verzeichnet gewesen, sodass Draco und Caro, durch vorsichtige Fragen die ungefähre Richtung in der die Winkelgasse lag, hatten herausfanden müssen.
Beiden war es gelungen die Informationen zu bekommen ohne, dass ihre Eltern argwöhnisch geworden wären und so erreichten sie schließlich problemlos die Winkelgasse. Sie stiegen von ihren Besen und begannen die Straße entlang zu gehen. Außer ihnen waren nur wenige Menschen unterwegs. Fast alle warfen ihnen neugierige und seltsame Blicke zu. Drei Kinder zu sehen, die ohne Begleitung durch die Winkelgasse gingen, war nicht gerade ein alltäglicher Anblick, jedenfalls zu diesen Zeiten.
Während Draco und Caro in die vielen Läden schauten, begann Harry zu realisieren wie gefährlich ihr Ausflug tatsächlich werden konnte. Was, wenn sie der Phönixorden gefangen nehmen würde?
Er würde sich zwar verteidigen können, aber gegen eine ganze Gruppe von erwachsenen Zauberern hatte er keine Chance und Draco und Caro konnten eine ganze Menge weniger als er. Allerdings war es nun zu spät sich den Kopf zu zerbrechen, was passieren könnte.
Harry begann sich auch umzuschauen und bald hatte er seine Befürchtungen vergessen, so sehr war er in Anspruch genommen, die vielen interessanten Dinge in den Fenstern zu betrachten. Caro, die stehen geblieben war, deutete in ein Fenster, wo in einem Käfig eine kleine Schneeeule saß und fragte:
„Seht mal die Eule, ist die nicht süß?"
Draco verdrehte die Augen, riss sich widerwillig von dem Anblick eines Rennbesens los und ging zu Caro zurück.
„Du kannst sie dir ja kaufen." schlug er vor.
„ Ich habe gar nicht so viel Geld mit. Das würde höchstens für ein Eis reichen. Wir könnten zu Florean Fortescue gehen und Eis essen. Mein Papa hat mir einmal erzählt, dass es dort das beste Eis der Welt gibt."
„Gute Idee", sagte Harry, dem es mittlerweile ziemlich heiß geworden war und gegen eine kleine Abkühlung nichts einzuwenden hatte. Auch Draco war einverstanden und so schlenderten sie zur Eisdiele, die sie relativ leicht fanden, während ihre Blicke an den Fenstern vorbei glitten
„Hoffentlich hat Fortescue überhaupt auf.", meinte Caro, als die verlassenen Tischchen sah, die auf dem Platz vor der Eisdiele standen.
„Lasst uns nachsehen.", sagte Harry.
Zu ihrer großen Freude war Florean Fortescue tatsächlich da. Der kleine Mann entpuppte sich als äußerst freundlich und verkaufte ihnen herrlich große Eisbecher.
„ Wo sind eure Eltern? Ihr solltet nicht allein in der Winkelgasse unterwegs sein. Es ist zu gefährlich. Man weiß nie, wann diese verdammten Todesser wieder angreifen.", sagte er mit einem besorgten Gesichtsausdruck, während er um sich blickte, als ob er jede Sekunde mit einem Angriff rechnen würde.
Harry erkannte, dass der Mann wahrscheinlich nicht mehr so freundlich zu ihnen wäre, wüsste er, wer sie wirklich waren. Für Harry war es das erste Mal, dass er jemanden traf, der kein Anhänger seine Vaters war,abgesehen von dem alten Zauberer, der ihm seinen Zauberstab verkauft hatte. Harry fand Florean Fortescue jedoch überhaupt nicht böse und teuflisch, wie er es nach seines Vaters Ausführungen eigentlich sollte, er fand ihn im Gegenteil vielmehr richtig nett.
„Unsere Eltern werden uns gleich abholen.", antwortete Harry und lächelte ihm beruhigend zu, während er sein Schokoladeneis schleckte.
Caro und Draco starrten ihn unterdessen an, als ob er seinen Verstand verloren hätte. Der Eisdielenbesitzer nickte und fragte nach ihren Namen.
„Das sind Caro und Draco und ich bin Harry."
„Ich freu mich, euch kennen zu lernen. In der letzten Zeit war es ziemlich einsam hier. Seit der Krieg angefangen hat, kommen nur wenige hier her. Aber es ist ja verständlich, nicht wahr? Wer will schon ein Eis essen, wenn Krieg ist?", fragte er, schaute sie traurig an und seufzte tief.
„ Das Eis ist übrigens einfach wunderbar. Das beste Eis, das ich je gegessen habe. Mein Papa hatte Recht.", versuchte Caro ihn aufzumuntern. Auf Floreans Gesicht erschien ein strahlendes Lächeln.
„ Wirklich? Danke schön. Wer ist dein Vater? Kenne ich ihn?"
Harry, Draco und Caro sahen sich an.
„Ich glaube nicht." sagte Caro zögerlich.
Florean Fortescue wollte gerade etwas erwidern, als eine ohrenbetäubende Explosion sie alle erschrocken zusammenzucken ließ. Draco fiel beinahe vom Stuhl und Harry verschluckte sich, während er gleichzeitig versuchte nach seinem Zauberstab zu greifen.
„Ein Angriff! Schnell, lauft weg!", schrie Florean, schwang herum und verschwand in seinem kleinen Häuschen.
Caro ließ ihren Löffel mit klirrendem Geräusch in den Becher fallen.
„ Ich glaube wir sollten auch lieber verschwinden.", sagte sie. Ihr Gesicht war weiß.
Von fern erklangen laute Schreie, als sie so schnell sie konnten in die entgegengesetzte Richtung liefen.
Einige Ecken weiter lehnten sich schwer gegen eine Hauswand.
„Ich glaube, es wäre am besten, wenn wir zurückkehren.", brachte Harry mühsam hervor. Caro und Draco nickten nur. Hoch oben am Himmel fliegend, blickte Harry nach unten. Außer Rauch konnte er jedoch nichts erkennen. Eine Weile schwiegen sie. Dann bemerkte Draco:
„Das Eis war viel besser, als dass, welches ich zu Hause esse."
„ Schade, dass wir es nicht aufessen konnten. Weshalb mussten sie auch gerade heute kämpfen?" fragte Harry, während er einen Schlenker flog.
„Weil die wertlosen Muggels und Zauberer, die nicht auf unserer Seite sind, getötet werden müssen." sagte Draco.
Harry schwieg. Das war genau dasselbe, was sein Vater immer sagte. Aber war es richtig? Florean Fortescue war freundlich und nett gewesen und überhaupt nicht gemein oder schrecklich. Er wusste es nicht, er würde irgendwann darüber nachdenken. Caro unterbrach seine Gedanken.
„ Wir müssen unbedingt noch einmal in die Winkelgasse gehen. Ich möchte mir die Eule kaufen. Sie war so süß."
Harry lächelte.
„ Sobald sich wider eine passende Gelegenheit ergibt, Caro.", meinte Harry und flog übermütig einen Looping. Als er den Schrecken über die Explosion überwunden hatte, fand er es sogar aufregend. Es war ein Abenteuer gewesen. Kurz darauf manövrierten sie ihre Besen zwischen den Bäumen hindurch und landeten im Wald.
Kaum hatte er seine Füße auf den Boden gesetzt, spürte Harry wie ihn eine grauenvolle Kälte umfing. Er hatte gerade noch Zeit einen Dementor vor sich auftauchen zu sehen, als er fiel. Er schien zu schweben und plötzlich sah er eine junge Frau, mit dunkelrotem langem Haar. Sie war wunderschön und hatte smaragdgrüne Augen. Sie schrie irgendetwas, während ihre Augen verzweifelt jemanden ansahen, den er nicht sehen konnte.
Eine Stimme, die aus weiter Ferne zu kommen schien, erklang.
„Nicht Harry! Bitte nicht, Harry!"
Die Kälte nahm ab und er hörte andere stimmen. Erst undeutlich, dann lauter.
„Harry, wach auf!"
„Harry!"
Langsam öffnete er die Augen und starrte hinauf in die besorgten Gesichter von Caro und Draco, die sich über ihn beugten. Er schaute sich um und erkannte, dass er im Geheimgang auf dem Boden lag.
„ Um Himmels Willen, alles in Ordnung, Harry? Hast du uns erschreckt. Was zum Teufel hatte der Dementor im Wald zu suchen?" fragte Caro schwankend.
„Ich weiß nicht. Was ist passiert?" Harrys Stimme zitterte.
„Der Dementor kam und du bist umgefallen. Da wir nicht so genau wussten, wie wir dieses Ding bekämpfen sollten, haben wir dich in den Geheimgang geschleift Wir dachten, es wäre am besten, so schnell wie möglich zu verschwinden. Du bist ganz schön schwer, weißt du das? Grässliche Biester. Mir ist total kalt.", erwiderte Draco und schauderte.
Harry nickte und stand auf. Ihm war total schlecht.
„Du bist ja ganz weiß im Gesicht. Komm, wir bringen dich zu deinen Räumen." sagte Caro.
Sie wollte seinen Arm fassen, doch wich sofort zurück, als sie Diamond bemerkte, die ihren Kopf aus seinem Ärmel gestreckt hatte.
„Sie wird mich nicht beißen, oder?" fragte Caro.
Harry schüttelte den Kopf, zu mehr war er nicht in der Lage. Caro sah ihn zweifelnd an, aber ergriff dann doch seinen Arm und stützte ihn. Harry fühlte sich schwindelig, doch mit Caros und Dracos Hilfe schaffte er es schließlich zu seinen Räumen. Dort angekommen, ließen sie sich erschöpft in die weichen Sessel sinken. Harry war froh, sich hinsetzten zu können.
„ Das war vielleicht ein Tag." sagte Caro, während sie sich mit der Hand über die Stirn fuhr.
„Ja, aber es war toll, nicht wahr? Außer den Dementor zu treffen. Darauf hätte ich gut verzichten können. Was hatte der eigentlich im Wald zu suchen? Dementoren bewachen doch das Schloss. Also was wollte er
dort?", fragte Draco mit hochgezogener Augenbraue.
„Vielleicht hat er sich ja verlaufen." schlug Caro vor.
Ein Klopfen unterbrach sie und einen Augenblick später tauchte Bellatrix Lestrange in der Tür auf. „Entschuldigt die Störung, My Lord. Carolina, komm, wir gehen nach Hause und Draco, deine Eltern warten auch."
Sie verabschiedeten sich und kurz darauf war Harry allein. Seltsamerweise verspürte er Erleichterung darüber, dass seine Freunde gegangen waren. Doch er wollte in Ruhe darüber nachdenken, was passiert war. Wer war diese Frau gewesen? War es seine Mutter gewesen? Bestimmt. Sie hatte fast genau dieselbe Augenfarbe gehabt, wie er. Harry lehnte sich in seinen Sessel zurück, zog seine Knie zu sich heran und umfasste sie mit seinen Armen. Ihm war immer noch kalt, aber ihm war nicht mehr so schlecht wie vorhin.
Seit er sechs Jahre alt gewesen war und Caro ihn nach seiner Mutter gefragt hatte, hatte er über sie nachgedacht und sich gefragt, was mit ihr geschehen war. Er wusste noch nicht einmal ihren Namen. Es gab in Zusammenhang mit seiner Mama ein Geheimnis, er war überzeugt davon. Eines, das er nicht kannte. Harry hatte auch noch nie irgendwelche Bilder von ihr im Schloss gesehen. Sein Vater hatte seine Mama noch nie erwähnt oder über sie gesprochen und Harry hatte ihn auch nie nach ihr gefragt. Warum eigentlich nicht? Harry konnte den Grund dafür nicht genau benennen, aber er hatte sich irgendwie nie so richtig getraut. Er hatte sich vor der Reaktion seines Vaters gefürchtet.
„ Ich habe Euch etwas zu essen gebracht, My Lord."
Harry schreckte in seinem Sessel hoch. Er hatte überhaupt nicht gemerkt, dass Nell ins Zimmer getreten war.
„Danke, Nell."
Während er geistesabwesend aß, fiel ihm plötzlich etwas ein. Zu Nell blickend, sagte er:
„Nell, erzähle mir, wie es war, als ich geboren wurde."
Die Hauselfe starrte ihn an, und dann erzählte sie ihm etwas, was er überhaupt nicht erwartet hatte. Es beantwortete seine Fragen in keinster Weise, im Gegenteil, nun hatte er eine Menge mehr. Also hatte ihn sein Vater eines Tages zu Nell gebracht. Wo er vor her gewesen war oder wer seine Mama war, wusste Nell auch nicht.
Hatte sein Vater ihn seiner Mutter weggenommen? Harry wusste nicht, was er denken sollte. Jäh entschloss er sich, doch seinen Vater zu fragen. Er wollte die Wahrheit wissen. Er stand auf und trat aus seinem Zimmer. Nachdem er zwei dunkle Korridore entlang gegangen war, erreichte er endlich das Arbeitszimmer seines Vaters.
Tief Luft holend, klopfte er und trat ein. Sein Vater, der an seinem Schreibtisch saß, sah hoch.
„Entschuldige, dass ich dich störe, Vater. Aber ich wollte…ich wollte fragen, was mit meiner Mutter passiert ist.", sprudelte es aus ihm hervor, bevor er seinen Mut verlor.
Sein Vater warf ihm einen scharfen und durchdringenden Blick zu.
„Sie starb bei deiner Geburt. Nun geh zurück auf dein Zimmer. Ich habe in Kürze eine wichtige Versammlung."
„ Aber wie hieß sie?", versuchte Harry einen erneuten Anlauf.
„Hast du mich nicht gehört, Harry?" Sein Ton war nun gefährlich leise.
Harry nickte:
„Doch, tut mir leid. Gute Nacht."
Er drehte sich um und verließ den Raum, während seine Gedanken sich überschlugen. Warum hatte sein Vater ihn angelogen? Es passte nicht mit dem zusammen, was Nell ihm erzählt hatte und was er gesehen hatte, als er mit dem Dementor zusammengetroffen war.
Als er wieder in seinem Zimmer war, sank er in seinen gemütlichen Sessel und dachte nach. Hatte sein Vater ihn wirklich entführt? War seine Mama vielleicht noch am Leben?
Verzweifelt seufzend, fragte er sich, wie er nur die Wahrheit herausfinden sollte.
Während Harry an die gegenüberliegende Wand starrte, ohne sie zu sehen und seinen Gedanken nachhing, kam Rainbow zu ihm geflogen. Sein Phönix begann leise zu singen. Harry hob seine Hand und fing an, Rainbow über die weichen Federn zu streicheln.
Es wurde spät und irgendwann schlief Harry in seinem Sessel ein. Er träumte von der rothaarigen Frau und einem Dementor, der ihn verfolgte und ihm die Seele aussaugen wollte.
Nachdem Harry sein Arbeitszimmer verlassen hatte, richtete der Dunkel Lord seinen Blick auf die Tür. Warum interessierte sich der Junge so plötzlich für seine Mutter? Er hatte jedoch nicht vor Harry jemals die Wahrheit über seine Herkunft mitzuteilen. Harry würde niemals erfahren, dass er ein Potter war.
Sich zurücklehnend dachte Voldemort daran, dass Harry bald seinen achten Geburtstag haben würde. Es war langsam Zeit, dass er die Unverzeihlichen Flüche lernte, besonders den Imperius- Fluch. Als sein Erbe musste Harry jederzeit in der Lage sein gegen den Fluch zu kämpfen. Die anderen beiden Flüche waren natürlich auch wichtig. In Zukunft würde er dem Unterricht mehr Zeit widmen. Lächelnd griff der Dunkle Lord zu seiner Teetasse.
Zurzeit lief alles genauso wie er es wollte und zufrieden nahm er einen Schluck von seinem heißen Tee. Die Jahre, seit er die Potters getötet und ihren Sohn mitgenommen hatte, waren sehr erfolgreich gewesen. Nun musste er nur noch diese lästigen Widerstandsgruppen vernichtet, dann würde er wirklich der mächtigste Zauberer der Welt sein. Vor allem musste der Phönixorden, der seine Pläne zu seinem maßlosen Ärger immer wieder durchkreuzte, beseitigt werden.Warum es ihm bis jetzt nicht gelungen war, war ihm ein Rätsel.
Er vermutete, dass der Grund dafür dieser alte Narr Dumbledore war. Wenn der Orden seinen Anführer verlor, würde es wohl kein großes Problem mehr darstellen den Orden zu vernichten. Irgendwie musste er ihn aus dem Weg schaffen. Die Frage war nur wie er das anstellen sollte? Er nahm sich vor, dass er darüber nachdenken würde, sobald er Zeit dazu haben würde. Der Dunkle Lord stand auf und machte sich auf den Weg in die große Halle des Schlosses, wo er in Kürze eine Versammlung für all seine Anhänger abhalten würde.
