Kapitel 19
Früh am Morgen schlenderte Draco langsam durch die dunklen Korridore. Nachdem er links abgebogen war und den breiten Gang etwa zur Mitte entlang geschritten war, blieb er plötzlich wie angewurzelt stehen und seine Augen richteten sich auf die Tür, vor der er stand. Aber er machte nicht die geringsten Anstalten die Tür zu öffnen. Er seufzte und dachte wieder darüber nach, was er sagen sollte. Er hatte die letzte Nacht nicht gerade gut geschlafen. Der schlimme Streit, den er gestern mit Harry gehabt hatte, hatte ihn nicht zu Ruhe kommen lassen.
Nachdem er Harrys Zimmer verlassen hatte, war er in die Halle gestürmt, um seinen Vater zu suchen. Schließlich hatte er ihn auf der einen Treppe, die in die Kerker führte, gefunden, wo er in ein Gespräch mit Avery vertieft gewesen war.
Sein Vater war ein wenig argwöhnisch gewesen, als dieser sein erhitztes Gesicht bemerkt hatte, aber Draco hatte einfach gesagt, dass er zu schnell die Treppe hinuntergelaufen war und hatte erzählt, dass Harry Kopfschmerzen bekommen hatte, sodass er und Caro früher als sonst hatten gehen müssen.
Glücklicherweise hatte sein Vater ihm Glauben geschenkt. Zu Hause war er dann in sein Zimmer gegangen und hatte über seinen Streit mit Harry nachgedacht, während er sich darüber gewundert hatte, dass Caro überhaupt nichts gesagt hatte. Sonst war es gar nicht ihre Art zu schweigen.
Erst war er fuchsteufelswild gewesen, dann hatte er sich verraten gefühlt und schließlich enttäuscht und traurig. Er konnte seinen besten Freund nicht verstehen. Er konnte es immer noch nicht, aber er hatte eingesehen, dass er kein Recht dazu gehabt hatte diese eine Bemerkung über Harrys Eltern zu machen.
Plötzlich fragte er sich, wie er reagiert hätte, wäre er an Harrys Stelle gewesen. Hätte er seine Eltern nicht auch in gleicher Weise verteidigt, gleichgültig gegenüber der Tatsache, dass sie auf der falschen Seite gewesen waren? Der silberblonde Junge schüttelte leicht seinen Kopf. Er wusste es nicht, aber es wäre möglich. Er streckte seine Hand aus, aber ließ sie schnell wieder fallen. Er hatte immer noch keine Ahnung, was er sagen sollte.
Leise fluchend, dass nichts Nützliches ihm in den Kopf schoss, wusste er nur, dass er wollte, dass Harry wieder sein Freund war. Dann, wütend auf sich selber, weil er so ein Feigling war, hob er erneut seine Hand, aber plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Harry fiel ihm buchstäblich in die Arme.
„ Draco? Was machst du hier? Ich wollte gerade zu dir nach Hause gehen."
„ Ich wollte…Harry, ich wollte mich nur entschuldigen. Ich meine…"
„ Schon gut, Draco. Komm rein. Ich wollte mich auch entschuldigen, ich hätte nicht so schreien sollen und sagen, dass ich dich hier nie wieder sehen will. Ich habe das nicht so gemeint."
„ Nein, Harry. Du hattest jedes Recht so wütend zu sein. Es war meine Schuld und…"
„ Draco, es ist okay. Vergessen wir das Ganze."
Draco fühlte, wie eine ungeheure Erleichterung ihn überflutete. Er hatte nicht gedacht, dass es so einfach werden würde. Als er ins Zimmer trat, blieb er mit einem Male überrascht stehen.
„ Caro? Was machst du denn hier?"
„ Hi, Draco. Weißt du, Harry und ich haben gestern noch ein wenig geredet und wir…wir sind auf dem Sofa eingeschlafen. Und da uns niemand aufgeweckt hat, bin ich immer noch hier. Nell hat uns gerade Frühstück gebracht. Willst du auch etwas essen?"
Draco nickte, da er ziemlich hungrig war. Er war vorhin zu nervös gewesen, um beim Frühstück auch nur irgendetwas hinunter zubekommen. Harry und Draco setzten sich zu Caro an den Tisch und Harry rief Nell, um ihr zu sagen, sie solle für Draco noch ein weiteres Gedeck bringen. Die kleine Elfe war dank Rainbows Magie wieder völlig hergestellt und als Harry heute Morgen entdeckt hatte, dass es Nell gut ging, war ihm ein Stein von der Seele gefallen.
„ Du bist ja richtig ausgehungert, Draco.", bemerkte Caro belustigt, als sie zusah, wie er ziemlich hastig ein Brötchen in sich hineinstopfte.
Harry blickte zu seinem Freund und schämte sich auf ein Mal, dass er gestern an Draco gezweifelt hatte und wirklich gedacht hatte, er könne ihn verraten. Unglaublich froh, dass sie sich wieder vertragen hatten, griff er ebenfalls munter zu einem Brötchen und zog Diamond aus seinem Ärmel. Die kleine Schlange zischte etwas und begann sich durch die verschiedenen Sachen, die auf dem Tisch standen, zu schlängeln.
Harry zischelte zurück. Draco schauderte leicht und hörte für einen Moment mit dem Kauen auf. Obwohl er diese Gespräche zwischen Harry und seiner Schlange schon oft gehört hatte, war es doch immer wieder aufs Neue etwas unheimlich, zu hören, wie Harry zischelte. Diamond war mittlerweile an Caros Teller angekommen und begann dort, die, von einem Brötchen heruntergefallene, Marmelade aufzuessen. Caro starrte auf das kleine Reptil und fragte verblüfft:
„ Seit wann essen Schlangen Marmelade?" Das dunkelhaarige Mädchen, obwohl sie Schlangen immer noch nicht sehr mochte, hatte sich seitdem sie Harry kannte, langsam an Diamond gewöhnt und hatte mittlerweile keine Angst mehr vor Harrys Haustier.
„ Sie mag nicht jede Marmelade, nur Himbeermarmelade. Das ist praktisch ihr Lieblingsessen. Wenn ihr öfter mit mir frühstücken würdet, würdet ihr das wissen.", erklärte Harry und als er Dracos und Caros Gesichter sah, begann er zu lachen. Wenig später fielen seine beiden Freunde mit ein, während Diamond sich nicht im Geringsten daran störte und weiter an ihrer Marmelade knabberte. Alle drei waren glücklich und erleichtert, dass sie sich wieder vertragen hatten, doch keiner von ihnen konnte den Streit ganz vergessen.
Der Dunkle Lord saß an seinem Schreibtisch und war gerade damit beschäftigt über Harry nachzudenken. Die Erkenntnis, dass Harry einen wertlosen Hauselfen in sein Herz geschlossen hatte, erschreckte ihn. So ein Verhalten war einfach nicht richtig für seinen Erben. Harry sollte kalt sein, gnadenlos und er sollte keine Skrupel haben einen wertlosen Hauselfen zu töten. Was hatte er nur falsch gemacht?
Er hatte natürlich bemerkt, dass Harry die Spinnen ziemlich widerwillig getötet hatte, aber er hatte dem keine große Beachtung geschenkt. Aber als Harry sich gestern geweigert hatte, diese unselige Hauselfe zu foltern und es dann nur auf Grund seiner Drohung getan hatte, war ihm bewusst geworden, dass da etwas sehr im Argen lag. Wie konnte er Harry nur in einen echten Todesser verwandeln? Wenn Harry weiter so zögerlich und widerwillig gegen das Foltern und Töten eingestellt war, würde er nie ein gefürchteter Schwarzer Zauberer werden. Er dachte an den Augenblick zurück, wo er Harry hatte zwingen wollen, die Hauselfe zu töten und der Junge sich doch tatsächlich geweigert hatte.
Als er in Harrys smaragdgrüne Augen geblickt hatte, hatte er diese Mischung aus Ablehnung, Furcht, Verletzlichkeit und diese beinahe hoffnungslose Verzweiflung bemerkt. Er hatte so einen ähnlichen Ausdruck schon viele Male in den Augen seiner zahlreichen Gefangenen gesehen, kurz bevor er sie dann gefoltert und ihren Geist gebrochen oder sie getötet hatte. Er hatte gewusst, dass, wenn er Harry dazu zwingen würde, dieser ihn hassen würde. Deswegen hatte er nicht darauf bestanden, dass Harry die Hauselfe tötete. Auf gar keinen Fall wollte er natürlich, dass der Junge anfing ihn zu hassen, weder hatte er Harry verletzen wollen, als dieser ihn angefleht hatte, ihn nicht zu zwingen.
Der Dunkle Lord schüttelte seinen Kopf. Es erschreckte ihn, wie er sich so an Harry gewöhnt hatte, dass der Junge in der Lage war, seine Befehle zu verweigern. Als er den Jungen damals mitgenommen hatte, wäre ihm nie der Gedanke gekommen, dass er sich an ihn gewöhnen könnte. Wenigstens konnte er stolz darüber sein, dass Harry versucht hatte, seine Angst zu ignorieren und dass er magisch so mächtig und talentiert war.
Wenn nicht seine Widerwilligkeit zu foltern und zu töten gewesen wäre, wäre alles geradezu perfekt gewesen.
Aber wie konnte er Harry beibringen sich an der Anwendung Unverzeihlicher Flüche zu erfreuen? Er wusste es nicht und erkannte, dass er eigentlich nichts Wichtiges über Harry wusste. Er hatte noch nicht einmal die leiseste Ahnung was für Hobbys der Junge hatte. Bedauernd sah er ein, dass er jedes Mal, wenn er Zeit mit Harry verbracht hatte, ein Lehrer gewesen war.
Er hatte jedes Mal versucht ihm Magie und Parselmagie beizubringen oder er hatte über die Zaubererwelt gesprochen und über ihre Feinde. Doch niemals hatten sie über persönliche Dinge gesprochen. Abgesehen das eine Mal, wo Harry zu ihm gekommen war und nach seiner Mutter gefragt hatte. Bis heute wusste er nicht, warum Harry plötzlich so interessiert gewesen war, die Identität seiner Mutter herauszufinden. Ein klopfendes Geräusch gegen sein Fenster unterbrach seine Gedanken. .
Es war eine Eule mit einem Brief, der ihn informierte, dass einiger seiner Todesser, die er vor Jahren nach Frankreich geschickt hatte, heute Nachmittag nach Großbritannien zurückkehren und ihm Bericht erstatten würden. Harry würde natürlich wieder daran teilnehmen. Vielleicht sollten auch seine Freunde….Ja, warum eigentlich nicht. Schließlich mussten auch Lucius' Sohn und Bellatrix' Tochter lernen, wie man regierte. Irgendwann würden sie an Harrys Seite stehen und ihm helfen über die Welt zu herrschen.
Der Dunkle Lord wiegte nachdenklich seinen Kopf. Vielleicht gab es doch einen Weg Harry die Unverzeihlichen Flüche schmackhaft zu machen. Es konnte nicht schaden, wenn er es auf diese Weise versuchen würde.
In der Zwischenzeit beschäftigten sich die Gedanken von Albus Dumbledore mit dem gleichen Jungen wie sein Erzfeind Voldemort. Er bedauerte es, dass Severus es nicht geschafft hatte, den Jungen zu entführen. Andererseits fragte er sich, ob es nicht doch besser war, dass die Entführung fehlgeschlagen war. Sonst hätten sie den Jungen hier gefangen halten müssen und das hätte bestimmt nicht dazu beigetragen, dass er sich ihrer Seite anschloss. Albus fiel plötzlich auf, dass er noch nicht einmal den Namen des Kindes kannte. Es war ein wenig merkwürdig für ihn, sich über jemanden so viele Gedanken zu machen, den er noch nie in seinem Leben gesehen hatte.
Seit der schwarzhaarige Junge, in dem Kampf ein halbes Jahr zuvor, aufgetaucht war, hatte er über ihn nachgedacht und seit gestern, wo er erfahren hatte wer er war, hatten seine Gedanken ihm keine Ruhe mehr gelassen. Irgendwie hatte er das sichere Gefühl, dass dieses Kind den Wendepunkt in diesem schrecklichen Krieg bringen würde. Dass er darüber entscheiden würde, ob die Dunkelheit oder das Licht siegen würde.
Albus seufzte. Die Zukunft sah im Moment ziemlich trostlos und hoffnungslos aus. Er bezweifelte, dass ein Kind der Dunkelheit jemals zur Lichtseite wechseln würde. Die einzige Hoffnung war nun, dass Severus es schaffte, den Jungen zu beeinflussen und ihn eventuell auf die richtige Seite zu ziehen.
Wer hätte gedacht, dass Tom Vater werden würde? Er konnte es sich nicht vorstellen, dass Tom jemals mit seinem Sohn gespielt hatte. Die Vorstellung, wie Riddle mit einem Baby auf dem Boden herumtollte, war lächerlich. Er fragte sich, ob sein ehemaliger Schüler überhaupt fähig war, irgendwelche Gefühle für seinen Sohn zu haben. Dass er damals am Kampfplatz erschienen war, sprach dafür. Wenn das tatsächlich der Fall war, dann hatte Tom wohl einen ziemlichen Fortschritt gemacht und zum ersten Mal menschliche Züge gezeigt, wenn er denn nun wirklich irgendwelche Gefühle für seinen Sohn übrig hatte. Wer wohl die Mutter des Kindes war?
Bestimmt irgendeine treue Todesserin. Zum Fenster sehend, seufzte Albus. Ihm gefiel es überhaupt nicht, dass, wie es jetzt aussah, ein zehnjähriger Junge über die Zukunft der Welt entscheiden würde. Doch er wusste auch, dass er nichts dagegen tun konnte. Er war nicht mächtig genug um Tom zu besiegen und sein ehemaliger Schüler war nicht stark genug um ihn zu besiegen. Sodass es seit Jahren eine Pattsituation gab.
Wehmütig und traurig dachte er an James und Lily Potter zurück. Wenn diese beiden noch am Leben gewesen wären, dann hätten sie es zu dritt vielleicht schaffen können, Voldemort zu besiegen. Auf ein Mal überwältigte ihn die Trauer, die ihn seit Jahren immer wieder befiel. Warum nur hatte er es nicht verhindern können? Warum hatte er Lily und James und den kleinen Harry nicht beschützen können? Wieder sah er sich vor dem zerstörten Haus stehen und entsetzt auf die Ruinen blicken. Er legte seine Arme auf den Tisch und vergrub seinen Kopf darin, als die Traurigkeit und die Schuldgefühle ihn überrollten.
Harry runzelte die Stirn und starrte auf das Buch, das aufgeschlagen vor ihm lag. Er konnte sich heute irgendwie nicht konzentrieren. Nachdem sie zusammen Frühstück gegessen hatten, waren sie zu ihrem Klassenraum gegangen, wo Bella sie schon erwartet hatte und sie gleich mit Aufgaben überhäuft hatte. Kurz darauf hatte sie das Zimmer verlassen. Seit einiger Zeit kam es immer häufiger vor, dass Bella oder Dracos Eltern sie alleine ließen, nachdem sie ihnen Aufgaben gegeben hatten. Harry sah hoch und murmelte:
„ Ich habe keine Lust mehr."
„ Meinst du ich nicht, Harry? Wäre es nicht schön, wenn wir jetzt Quidditch spielen könnten? Es ist gerade so schönes Wetter.", sagte Caro und blickte sehnsüchtig aus dem Fenster.
„ Wir haben seit Ewigkeiten kein Quidditch mehr gespielt. ", bemerkte Draco säuerlich.
„ Wir lernen nur noch!"
„ Oder werden in irgendwelche Kämpfe verwickelt." fügte Harry hinzu.
„ Hey, wir könnten…" Bevor Caro ihren Satz jedoch zu Ende bringen konnte, öffnete sich die Tür und ihre Mutter kam zurück und die drei Freunde machten sich mit resignierter Miene wieder über ihre Aufgaben her.
Drei ermüdende Stunden später entließ Bella sie. Vorher teilte sie ihnen noch mit, dass nachmittags eine Todesser Versammlung stattfinden würde und sie alle drei daran teilnehmen würden. Während Draco aufgeregt war und sich zu freuen schien, dass er endlich an einer Versammlung teilnehmen würde, war Harry wenig begeistert und er fragte sich, ob er nun jeden Tag an irgendeinem Treffen teilnehmen würde müssen. Hoffentlich nicht. Dann stieg in ihm ein furchtbarer Gedanke auf. Würde er nachher foltern müssen?
Für einen kurzen Moment spürte er, wie Panik ihn erfasste, doch dann verdrängte er das Gefühl, während er sich seinen Kopf zu zerbrechen begann, was er eventuell tun könnte um dieses zu verhindern.
Nach einem leckeren Mittagessen und nachdem sie ihre Hausaufgaben ziemlich lustlos und nicht sehr gewissenhaft und Harry zusätzlich sehr nervös erledigt hatten, machten sie sich auf den Weg in die Halle. Auf halbem Wege stießen sie mit einem kleinen untersetzten Mann, der aus einem Seitengang herausgeschossen kam, zusammen. Der Fremde sah hoch und schnauzte sie an:
„ Könnt ihr nicht aufpassen wo ihr…" Doch plötzlich blieben seine Augen an Harry hängen und er brach ab. Ein erschreckter, fassungsloser Ausdruck trat in seine Augen, während er stotternd quiekte und bis zur Wand zurückwich.
„ Nein, das kann …kann nicht sein. James vergib mir, ich…wollte es doch nicht tun. Ich…"
Peter Pettigrew sank auf die Knie. Vor seinem inneren Auge sah er das Gesicht seines Freundes und hörte dessen Stimme:
"Mach dir keine Sorgen, Peter. Ich weiß, dass wir sicher sein werden. Ich werde dir ewig dankbar sein, dass du unser Geheimniswahrer geworden bist."
Er sah Lily, die ihn dankbar anlächelte und er sah Harry, das kleine fröhliche Baby, das er so oft auf dem Arm gehabt hatte.
Jahrelang hatte er es verdrängt, hatte nicht daran denken wollen, dass er seine besten Freunde verraten hatte und sie so dem Tod ausgeliefert hatte. Jahrelang hatte er sich immer wieder gesagt, dass er keine andere Wahl gehabt hatte, dass es die einzige Möglichkeit gewesen war, um sein Leben zu retten. Doch nun überrollten ihn die Schuldgefühle, die seit dem Tag, an dem er seine Freunde verraten hatte, tief in ihn vergraben waren und brachen aus ihm hervor.
„ Wer zum Teufel sind Sie!", die scharfe Stimme riss ihn in die Wirklichkeit zurück und erschreckt blickte er hoch.
Dem silberblonden Jungen, der gesprochen hatte, schenkte er keine Beachtung. Sein Blich war starr auf den anderen Jungen fixiert und erst jetzt erkannte er langsam, dass es überhaupt nicht James war. Als er die smaragdgrünen Augen registrierte, begriff er, wen er da vor sich hatte. Doch das konnte nicht sein. Aber es war die einzige Schlussfolgerung und Peter wusste, dass es die richtige war. Er sah James so ähnlich und dann auch wieder nicht, da er auch gleichzeitig Lily ähnlich sah. Er hatte Lilys Augen.
Plötzlich spürte er, wie ihn Panik überkam und er konnte nur einen klaren Gedanken fassen. Er wollte weg. so weit wie möglich. Er konnte es nicht ertragen, Harry weiter anzusehen. Der Schock, den er erlitten hatte, als er Harry gesehen hatte, war zu viel für ihn gewesen. Er begann sich zu konzentrieren und dankte Gott, dass er in der Lage war, sich auch unter Stress zu verwandeln.
Mittlerweile war Harry, der den Fremden von Anfang an bekannt gefunden hatte, endlich eingefallen, woher er diesen Mann kannte. Er hatte ihn auf den Bildern in seinem Fotoalbum gesehen, zusammen mit seinen Eltern. Als der Mann sich plötzlich zu verändern begann, schrie Caro überrascht auf. Harry hatte unterdessen schnell begriffen, was der Mann vorhatte. Dass er sich in letzter Zeit so intensiv mit Animagi beschäftigt hatte, hatte das sichergestellt und so gelang es ihm, gerade noch rechtzeitig, den Mann, der nun eine große dunkelbraune Ratte war, mit einem Schockzauber bewegungsunfähig zu machen.
Caro starrte auf die Ratte und sah auf.
„ Er ist ein Animagus? Aber was sollte das Ganze eigentlich? Er war ja völlig durchgeknallt."
„ Meine Eltern kannten ihn. Er war auf einigen Fotos. Findet ihr es nicht ein wenig merkwürdig, dass meine Eltern einen Todesser kannten? Und dann sein Verhalten. Er sah so aus, als ob er einen Geist gesehen hätte."
„ Und was machen wir jetzt mit ihm? Wir können ihn nicht einfach hier liegen lassen, oder?", fragte Draco, der nachdenklich auf die Ratte blickte.
„ Nein. Ich denke, wir nehmen ihn mit. Ich will mit ihm sprechen Er kann mir etwas über meine Eltern erzählen.
Ich will wissen, warum er sie kannte. Und was er nicht tun wollte."
„ Da es so aussah, als wolle er so schnell wie möglich fort von hier, glaube ich nicht gerade, dass er dir deine Fragen beantworten wird.", meinte Draco.
„ Na ja, vielleicht könnten wir Veritaserum benutzen. Dann wüssten wir auch gleich, ob er die Wahrheit sagt, oder nicht.", sagte Harry.
„ Veritaserum? Wie zum Teufel sollen wir Veritaserum bekommen?"
„ Ich weiß nicht. Aber es wäre wahrscheinlich die beste Möglichkeit. Wir können ja nach der Versammlung überlegen, wie wir an den Zaubertrank kommen."
Nachdem Harry das gesagt hatte, bückte er sich, ergriff die Ratte und steckte sie in eine der Taschen von seinem Umhang. Minuten später hatten die drei Freunde die Halle betreten und kurz darauf saß Harry auf seinem Thron und Caro und Draco hatten sich neben ihn gestellt. Der Dunkle Lord drehte seinen Kopf zu Harry und sagte:
„ Du wirst alles beobachten, Harry. Je mehr du beobachtest, desto mehr kannst du lernen. Das Treffen gestern war nur dazu da, dich vorzustellen. Also achte auf alles."
Harry nickte und sah zu, wie die Halle sich langsam, aber stetig mit Todessern füllte. Harry schaute sich um und bemerkte, dass viele der anwesenden Leute ihm neugierige prüfende Blicke zuwarfen. Doch jedes Mal, wenn sein Blick sich mit einem Todesser kreuzte, würde dieser sofort seine Augen abwenden.
Dann traten ein paar Todesser nach vorn und nach einem kurzen Nicken des Dunklen Lords begann ein großer braunhaariger Mann über die gegenwärtige Situation in Frankreich zu sprechen. Der Mann sprach ziemlich schnell und mit einem seltsamen Akzent, sodass Harry Schwierigkeiten hatte, alles zu verstehen. Aber er erfuhr, dass sich in Frankreich, die von Voldemort zerstört geglaubten Widerstandsgruppen wieder neu formiert hatten und dass es nicht gelungen war, diese zu vernichten.
„ Ihr habt es nicht geschafft? Und warum nicht?", fragte der Dunkle Lord in einem eiskalten Ton.
„ Ich… weiß es nicht, My Lord."
„ Du solltest es wissen. Du solltest immer den Grund für dein Versagen kennen."
Voldemort hob seinen Zauberstab und verfluchte den Mann mit dem Cruciatus- Fluch. Der bedauernswerte Mann fiel zu Boden und bäumte sich schreiend auf. Harry begann sich grauenhaft zu fühlen und wusste mit plötzlicher Einsicht, dass er es hasste und es ihn erschreckte und er begriff, dass er nicht zusehen wollte, wie Menschen gefoltert oder getötet wurden. Dass er diesen Mann nicht persönlich kannte, änderte nichts daran. Harrys Hände klammerten sich um die Lehne, während er eindringlich betete, dass sein Adoptivvater von ihm nicht verlangen würde, diesen Mann zu foltern.
Obwohl er sich gestern versprochen hatte, dass er über einen Weg nachdenken würde, wie er solche Situationen vermeiden konnte und vorhin ausgiebig darüber nachgedacht hatte, begriff er nun, dass es nichts gab, was er tun würde können. Wenn sein Adoptivvater es von ihm fordern würde, dann konnte er sich nicht vor all den Todessern einfach weigern. Er erinnerte sich sehr gut daran, wie oft der Dunkle Lord ihm eingetrichtert hatte, dass er niemals irgendeine Schwäche vor seinen Anhängern zeigen dürfte.
Sich zu weigern, wenn er mit seinem Adoptivvater alleine war, mochte noch angehen, aber wenn er es hier in der Öffentlichkeit tat, würde ihm das der Dunkle Lord garantiert nicht durchgehen lassen. Der schreiende Todesser erinnerte ihn plötzlich an den Mann, der ihm seinen Zauberstab verkauft hatte und dessen Tod ihm unzählige Albträume beschert hatte, als er noch kleiner gewesen war. Er wusste immer noch nicht den Grund, warum sein Adoptivvater ihn damals ermordet hatte, aber er wusste, dass der alte Mann nichts getan hatte, außer, dass er sich geweigert hatte, seinem Adoptivvater das erste Mal zu antworten.
Vielleicht war das auch der Grund für den Mord gewesen. Dann wanderten seine Gedanken zu Mr. Fortescue, während er sich krampfhaft bemühte, die Schreie nicht zu hören. Er fragte sich, ob der Eisverkäufer immer noch am Leben war. Er hoffte es, obwohl nun wohl niemand mehr sein köstliches Eis kaufte.
Inzwischen hatte der Dunkle Lord endlich den Fluch aufgehoben.
„ So, vielleicht können wir nun darüber nachdenken, was wir tun können um diese Widerstandsgruppe zu vernichten. Als erstes…" Der Dunkle Lord brach ab und seine Augen wanderten über die versammelten Menschen vor ihm.
„ Wo ist Pettigrew? Wenn ich mich recht entsinne, habe ich ihn vor Jahren zu euch nach Frankreich geschickt, nicht wahr?", fragte er und musterte den Anführer der französischen Todesser, der sich mittlerweile vom Boden erhoben hatte.
„ Ja, My Lord …und er ist mit uns zurückgekehrt, aber… ich weiß nicht, wo er gerade ist.", stammelte der Mann zögerlich und seine Stimme zitterte, als ob er jeden Augenblick einen weiteren Fluch erwartet würde.
„ Dann ist es etwas seltsam, dass er nicht gekommen ist, nicht wahr?
Vielleicht solltest du jemanden schicken, der ihn sucht? So dumm wie er ist, kann es sicher leicht passieren, dass er sich im Schloss verläuft. Es wäre wirklich schade, wenn er verloren gehen würde, wo er in der Vergangenheit doch so nützlich gewesen war."
Harry bemerkte, wie der Blick seines Adoptivvaters ihn kurz streifte und er begriff, dass die Ratte in seiner Tasche dieser Pettigrew sein musste und seine Neugierde was dieser Mann mit seinen Eltern zu tun hatte, wuchs beinahe ins Unermessliche. Aber warum hatte dann nichts über Pettigrew in der Zeitung gestanden? Und bei was war er so nützlich gewesen? Harry seufzte und wünschte sich, dass er die Antwort wissen würde.
Der Rest des Treffens beschäftigte sich mit dem Finden von taktischen Strategien, wie man diese französische Widerstandsgruppe zerstören konnte. Obwohl sich Harry bemühte aufmerksam zuzuhören, verstand er nicht gerade viel und ziemlich schnell verlor er jegliches Interesse. Schließlich war die Versammlung zu Ende und die Todesser begannen die Halle, nachdem sie sich vor dem Dunklen Lord verneigt hatten, zu verlassen.
Harry seufzte ungemein erleichtert, dass er nicht dazu aufgefordert worden war, den Mann zu foltern und dass sonst nichts Schlimmes mehr passiert war. Erst jetzt merkte er, dass er sich völlig verkrampft hatte. Er stand auf und wollte ebenfalls gehen, da er so schnell wie möglich die Halle verlassen wollte, wurde aber von seinem Adoptivvater zurückgehalten.
„ Harry, ich möchte noch kurz mit dir sprechen. Draco, Carolina, ihr könnt auch bleiben. Das betrifft euch auch. Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass es sinnvoll und für euch lehrreich sein würde in den Folterkammern anwesend zu sein. So werdet ihr langsam lernen, wie man Menschen am effektivsten foltern kann. Und ihr beide, Draco und Carolina, werdet die Unverzeihlichen Flüche lernen. Es ist, glaube ich, langsam Zeit für euch. Aber nun will ich alleine mit meinem Sohn sprechen. Ihr zwei könnt Harry in seinen Räumen erwarten."
Nachdem seine zwei Freunde die Halle verlassen hatten, schlug sein Adoptivvater vor in den Park zu gehen. Harry folgte ihm, während er über das nachdachte, was der Dunkle Lord gerade gesagt hatte. Er wusste mit hundertprozentiger Sicherheit, dass er nicht im Geringsten lernen wollte, wie man Menschen am besten verletzte und er wollte sicherlich nicht dabei zusehen.
„ Ich werde nach Frankreich gehen, Harry, und dort ungefähr zwei Wochen bleiben um die Widerstandsgruppe ein für alle Mal zu vernichten. Diese Leute haben meine Geduld nun wirklich erschöpft. Auf diese Weise wird es schneller gehen. Wenn ich es meinen Todessern überlasse, wird es zu lange dauern oder wohlmöglich gar nicht gelingen. Manchmal glaube ich wirklich von lauter Unfähigen umgeben zu sein. Wenn ich wieder komme, werde ich dir und deinen Freunden beibringen, wie man ein gefürchteter Schwarzer Magier wird und wie man die Menschen foltert, tötet und beherrscht.
Ich habe dein Zögern diese Hauselfe zu foltern übrigens bemerkt Harry, aber glaube mir, du wirst dich daran gewöhnen. Du musst nur mehr üben. Dann wird alles gut werden. Außerdem werde ich darauf achten, dass wir mehr Zeit miteinander verbringen. Harry, ich habe eingesehen, dass ich dich zu sehr vernachlässigt habe und dass ich zu viele Male nicht da war. Aber wir werden alles nachholen."
Harry, der neben seinen Adoptivvater ging, fühlte wie Verzweiflung in ihm emporstieg und irgendwie hatte er das Gefühl, dass er keine Luft mehr bekommen würde.
„ Muss ich wirklich foltern und töten?", flüsterte Harry beinahe unhörbar.
Der Dunkle Lord blieb stehen und sah ihn an.
„ Mach dir keine Sorgen, Harry. Wie ich schon sagte, brauchst du nur mehr Übung. Und in vier oder fünf Jahren, wenn ich dir alles beigebracht habe, was du wissen musst, wirst du mir helfen die ganze Welt zu regieren. Dann werden wir auch jeden zerstören, der es auch nur wagt, Widerstand gegen uns zu leisten. Unglücklicherweise gibt es immer noch zu viele Gruppen von törichten Leuten, die glauben, dass es besser sei, mich zu bekämpfen. Sogar hier, in Großbritannien und hier ist die mächtigste und schlimmste Widerstandsgruppe mit diesem Narren Dumbledore als Anführer. Aber wenn du alt genug bist und wenn du all deine Macht entwickelt hast, werden wir unbesiegbar sein und wir werden Hogwarts erobern und es dem Erdboden gleichmachen und jeden töten, der es gewagt hat Zuflucht in Hogwarts zu suchen."
Harry hörte das Frohlocken in der Stimme seines Adoptivvaters und schauderte. Sich vorzustellen welche Rolle er bei diesem Plan spielen sollte, behagte ihm überhaupt nicht und er wusste, dass nichts auf der Welt ihn jemals dazu bringen würde es zu genießen Nell zu foltern oder irgendein anderes Lebewesen, auch wenn er tausend Mal bei Folterungen zuschaute.
„ My Lord, vergebt mir die Störung, aber wir haben es endlich geschafft die Gefangenen zum Sprechen zu bringen."
Obwohl Harry nicht die leiseste Ahnung hatte, wovon der Todesser sprach, der ihn mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen anstarrte, verstand sein Adoptivvater offensichtlich sofort.
„ Ja, ich komme, Zabini. Harry, wir werden unser Gespräch weiterführen, wenn ich zurückkehre. Ich komme später noch ein Mal vorbei um dir auf Wiedersehen zu sagen."
Harry konnte nur nicken, während der Dunkle Lord sich umdrehte und in der Begleitung Zabinis, der sie unterbrochen hatte, zum Schloss zurückging.
Einen Moment stand Harry völlig bewegungslos dar, aber dann machte er sich ebenfalls auf zum Schloss zurück zu gehen, während seine Gedanken anfingen durch seinen Kopf zu rasen. Er schlenderte zu einer der Bänke, die im Park standen und setzte sich. Seine Augen richteten sich auf das gewaltige Schloss, das sich vor ihm emporhob. Sein Zuhause. Plötzlich fühlte er sich völlig alleingelassen von der Welt und eine tiefe Verzweiflung überkam ihn. Er fühlte sich gefangen, gefangen zwischen einer Zukunft, die er nicht so recht wollte und einer Vergangenheit, an die er sich nicht erinnern konnte.
Was hätten seine Eltern wohl gesagt, wenn sie ihn jetzt als Erbe Voldemorts sehen könnten? Harry seufzte und fragte sich, warum er das Foltern so grauenhaft scheußlich fand, dass schon alleine die Vorstellung genügte um ihn davor abzuschrecken, ganz zu Schweigen vom Töten. Er wusste nicht, ob er jemals in der Lage sein würde, irgendjemanden zu töten. Wieder drängte sich das Bild des Zauberstabverkäufers in seine Gedanken. Er hatte seit etwa drei Jahren keinen Albtraum mehr von ihm gehabt, aber es konnte doch nicht sein, das dieses Geschehen, das er als kleines Kind miterlebt hatte ihn so traumatisiert hatte, dass er jetzt nicht in der Lage irgendwen zu foltern oder zu töten, oder? Selbst bei den Spinnen hatte er sich grauenhaft gefühlt und es regelrecht gehasst. Wie er sich bei Nell gefühlt hatte, daran wollte er lieber nicht denken.
Während es immer dunkler und kälter wurde, saß der schwarzhaarige Junge auf der Bank und starrte auf das Schloss ohne es wirklich zu sehen, während er an seine Zukunft dachte, die sein Adoptivvater schon für ihn verplant hatte und bei der er überhaupt kein Mitspracherecht hatte. Irgendwann fühlte er eine ungeheure Wut in sich aufsteigen, Zorn und Ärger, darüber, dass er so hilflos zu sein schien. Es war sein Leben, nicht wahr?
Er war der Erbe Voldemorts und kein kleines Kind mehr. Wenn er es geschafft hatte, die Wahrheit über seine Eltern herauszufinden und es ihm gelungen war, die Auroren in dem Kampf zu besiegen, dann konnte er doch bestimmt eine Lösung zu seinem Problem finden und sein Leben in seine eigene Hand nehmen. Er wollte im Moment weder foltern noch töten, noch wollte er zu irgendetwas gezwungen werden und er wollte in naher Zukunft auch keine Entscheidung treffen auf welcher Seite er war.
Aber warum musste er es eigentlich? Er war noch nicht bereit dazu und plötzlich wusste er, was er zu tun hatte. Schon Monate zuvor, als er herausgefunden hatte, wer seine richtigen Eltern waren, hatte er es erwogen. Aber damals hatte er Nell noch nicht gefoltert, sodass er nun wirklich darüber nachzudenken begann und je mehr er darüber nachdachte, desto besser gefiel ihm dieser Gedanke. Von nun an würde er sein Schicksal selbst in die Hand nehmen und selbst darüber bestimmen was er tun würde. Irgendwann später würde er sich auch entscheiden. Aber nur wenn er bereit war. Er stand auf und bemerkte erst jetzt wie kalt ihm war. Mit neu gefasster Zuversicht lief er zum Schloss zurück.
Als er in sein Zimmer trat, fand er Caro und Draco in seinen Sesseln sitzen und Schach spielen. Sie sahen ihm mit neugierigen Gesichtern entgegen und Draco fragte:
„ Wo warst du nur so lange? Wir warten schon eine Ewigkeit."
Harry setzte sich ebenfalls und begann ihnen von dem Gespräch zwischen ihm und seinem Adoptivvater zu berichten. Nachdem er geendet hatte, fügte er hinzu:
„ Ich werde das Schloss verlassen. Wahrscheinlich für eine ziemlich lange Zeit."
„Was?"
Draco starrte ihn ungläubig an, aber Caro hatte einen nachdenklichen Ausdruck auf ihrem Gesicht.
„ Das ist doch nicht dein Erst, Harry, oder?", fragte Draco.
„ Doch. Ist es. Draco."
„ Aber warum!"
„ Weil ich momentan einfach nicht lernen will, wie man am effektivsten foltert und tötet. Ich könnte Nell nicht noch einmal foltern, wenn mein Adoptivvater es wieder von mir verlangen würde und ich habe Angst vor den nächsten Todesser Treffen. Was, wenn ich dann irgendwen töten soll? Außerdem brauche ich Zeit um mir zu überlegen was ich will."
„ Harry, dann werde ich mit dir kommen. Ich habe ein bisschen über unser Gespräch gestern nachgedacht und ich habe vorhin mit Nell gesprochen, als sie uns den Tee gebracht hat – für dich ist übrigens auch eine Tasse da – und ich habe gemerkt, dass ich sie doch ganz gern habe und ihr nie wehtun würde wollen. Sodass ich mich wahrscheinlich auch weigern würde, sie zu foltern, wenn ich müsste. Ich glaube, du hast mich ganz schön verändert, Harry, weißt du das? Bevor ich dich kannte, wäre es mir nie im Traum eingefallen, nett zu einer Hauselfe zu sein. Abgesehen davon würde mich meine Mutter sowieso nicht vermissen. Und du brauchst jemanden, der auf dich aufpasst." Bei dem letzten Satz lächelte Caro scherzhaft.
Harry sah Caro verblüfft an. Als er seinen Entschluss gefasst hatte, hatte er gar nicht daran gedacht, dass seine Freunde mitkommen könnten. Er wollte etwas sagen, aber Draco war schneller:
„ Seid ihr völlig verrückt geworden? Ihr könnt doch nicht einfach das Schloss verlassen! Wo wollt ihr denn hingehen? Außerdem würde der Dunkle Lord euch doch bestimmt sofort finden!"
Harrys Gesicht wurde düster.
„ Ja, vielleicht. Aber wir könnten es immerhin versuchen, nicht wahr? Ich dachte daran nach Godric's Hollow zu gehen. Er weiß nicht, dass wir schon einmal dort waren und diesen Platz kennen. Also glaube ich eigentlich nicht, dass uns dort irgendwer finden wird."
„ Godric's Hollow? Das ist doch eine totale Ruine, Harry!", rief Caro aus.
„ Ich weiß, aber wir könnten doch versuchen es wieder aufzubauen. Schließlich sind wir Zauberer. Also sollten wir so etwas doch eigentlich schaffen. Wir könnten erst einmal alles mitnehmen und das einzige Problem wäre später das Essen zu besorgen. Wir könnten uns selber unterrichten und wir könnten endlich selber entscheiden was wir tun wollten und Quidditch spielen, wann immer wir Lust dazu haben."
Caro nickte leicht:
„ Es könnte klappen."
„ Ihr wollt wirklich weggehen?", fragte Draco, während er fassungslos von Harry zu Caro schaute.
Harry sah seinen silberblonden Freund an und seufzte.
„ Ja, Draco, ich denke schon. Ich kann nicht…ich will so eine Zukunft einfach nicht. Jedenfalls jetzt nicht. Vielleicht ändere ich meine Meinung noch. Aber was wirklich zählt ist, dass ich es alleine entscheiden will.
Ich will nicht dazu gezwungen werden zu foltern und zu töten, wenn ich es nicht will. Außerdem finde ich es falsch, dass die Todesser Unschuldige umbringen oder Kinder, die sich nicht verteidigen können. Wenn ich das in Zukunft tun müsste, ich könnte das nicht, Draco. Selbst wenn es wahr ist, dass die Muggels und die Muggelgeborenen, im Gegensatz zu uns, minderwertig sind, würde es doch nicht gleich bedeuten, dass wir sie alle umbringen müssen, oder? Meine Mutter war auch eine Muggelgeborene. Soll das jetzt bedeuten, dass du besser bist, als ich, weil deine Eltern beide reinblütig sind? Draco, würdest du wirklich töten, wenn du keinen richtigen Grund dazu hättest? Nur so aus Spaß?"
Draco spürte wie Zorn in ihm emporstieg, aber er schwieg, da er nicht gerade ihre Versöhnung gefährden wollte und schon wieder einen Streit vom Zaun brechen wollte. Harry, der ihn beobachtete, fügte hinzu:
„ Denk einmal nicht daran was du gelernt hast oder dein Vater dir gesagt hast. Würdest du zum Beispiel ein Kind töten, nur weil es ein Muggle ist?"
„ Ja, ich glaube schon.", sagte er schließlich zögerlich, während er zum ersten Mal in seinem Leben begann über diese Fragen nachzudenken.
Dass Muggles minderwertig waren, davon war er immer noch überzeugt, aber auf der anderen Hand, hatte Harry auch Recht. Es war wohl nicht zwingend notwendig, kleine Kinder umzubringen. Es fiel ihm schwer, dieses zuzugeben, sein Vater hatte ihm immer genau das Gegenteil eingetrichtert. Er erinnerte sich noch gut daran, dass sein Papa ihm, als er noch klein gewesen war, ein Spielzeug mitgebracht hatte und ihm erzählt hatte, wie er eine Muggelfamilie umgebracht hatten. Sein Vater hatte ihm das Spielzeug als eine Art Trophäe gegeben und erst jetzt, Jahre später, fragte er sich, ob es wirklich notwendig gewesen war, dieses fremde Kind, das wenn es damals überlebt hätte, genauso alt wir er gewesen wäre, zu töten.
Draco schüttelte verwirrt seinen Kopf, er wollte solche Gedanken nicht haben und er wollte auch nicht darüber nachdenken.
„ Also seid ihr jetzt auf der Licht Seite?", fragte Draco leise.
Caro hob eine Augenbraue und schüttelte energisch den Kopf.
„ Um Himmels Willen, Draco, natürlich nicht. Dazu finde ich schwarze Magie viel zu interessant.
Außerdem werde ich mich an den Mördern meines Papas rächen. Sie werden dafür bezahlen, was sie meinem Papa angetan haben, selbst wenn es Dumbledore höchstpersönlich gewesen ist. Eines Tages werde ich es herausfinden, wer es war und dann werde ich mich rächen!"
Harry unterdessen schwieg, während er hoffte, dass seine Freunde ihn nicht fragen würden, auf welcher Seite er war, da er keine Antwort hätte geben können. Stattdessen sah er Draco an:
„ Draco, bitte komm mit uns." Aber noch bevor er dieses sagte, wusste er, dass es umsonst war.
„ Ich? Nein, ich könnte meine Eltern niemals verlassen.", sagte Draco leise.
„ Würdest du sonst mit uns kommen, wenn deine Eltern nicht da wären?"
„ Ich weiß es nicht."
„ Möchtest du immer noch ein Todesser werden?" fragte Harry.
„ Ich denke schon."
„ Warum?"
Draco schaute zu Harry und machte den Mund auf um ihn gleich darauf wieder zu schließen. Ein verwirrter Ausdruck schlich sich in Dracos Augen. Für ihn war es immer selbstverständlich gewesen, dass er eines Tages ein Todesser werden würde. Er hatte nie darüber nachgedacht, ob er es wollte oder über das warum.
„ Ich weiß nicht. Es ist das richtige? Um Macht zu erlangen?"
„Weißt du, dass sich das nicht gerade überzeugend anhört? Aber wenn es nur Macht ist besteht für dich gar keine Notwendigkeit ein Todesser zu werden, Draco. Macht können wir auch ohne meinen Adoptivvater bekommen."
„ Wie das? Außerdem, Harry, du weißt überhaupt noch nicht ob es klappen wird. Was, wenn der Dunkle Lord dich schnappt und dich zurückbringt?"
Harry zuckte mit den Achseln und sagte selbstsicherer, als er sich fühlte.
„ Aber es wäre doch auf jeden Fall ein Abenteuer, Draco. Außerdem denke nur daran, wie oft wir Quidditch spielen könnten."
„ Komm mit uns, Draco." fügte auch Caro hinzu.
Draco schüttelte zögernd den Kopf.
Eine Zeit lang schwiegen sie und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Harry setzte sich schließlich auf um nach einem Keks zu greifen, und spürte plötzlich ein seltsames Gewicht in seiner Tasche und erinnerte sich auf einmal an die Ratte, die er völlig vergessen hatte. Er griff in seine Tasche, zog die Ratte heraus und legte sie auf den Tisch.
„ Was machen wir denn nun mit ihm?", fragte Caro.
„ Wir werden ihn mitnehmen. Irgendwie müssen wir an Veritaserum kommen. Ist es wirklich so schwer zu brauen?" Harry stand auf und ging zu einem Bücherregal, wo er nach einiger Suche ein großes schweres Buch heraushob. Er blätterte die Seiten beinahe zum Ende um und begann zu lesen.
„ Ach du meine Güte, wir würden einen Monat dazu brauchen, es zuzubereiten. Außerdem wird es wahrscheinlich wirklich ziemlich schwierig werden."
Harry seufzte enttäuscht. Es sah so aus, als ob sie irgendwie einen anderen Weg finden würden müssten, um an den Zaubertrank zu kommen. Er setzte sich wieder hin und vertiefte sich in das Buch, während Caro und Draco ihr Schachspiel wieder aufnahmen. Den Rest des Abends sprach keiner mehr von ihnen über Harrys und Caros Plan das Schloss zu verlassen.
