Kapitel 22
31. 10 1991
Mit zitternden Händen zündete Sirius Black die kleine Kerze an und stellte sie auf das Grab, während die eisige Kälte ihn umbarmherzig frösteln ließ. Einen Augenblick flackerte die winzige Flamme heftig, dann ging sie aus. Sirius fluchte und holte seinen Zauberstab hervor. Diesmal erlosch die Kerze nicht. Traurig blickte er auf das silberne Feuerzeug, das er immer noch in der linken Hand hielt. Lily hatte es ihm vor langer Zeit gegeben. Obwohl es nun genau zehn Jahre her war, dass James, Lily und Harry ermordet worden waren, fühlte er immer noch diesen tiefen Schmerz des Verlustes und der Trauer, wenn er an sie dachte.
Zwar hatte er einigermaßen gelernt damit umzugehen, aber manchmal vermisste er sie so stark, dass es ihm die Kehle zuschnürte und auch seine Schuldgefühle waren über die Jahre nicht weniger geworden. Was hauptsächlich daran liegen mochte, dass er sich einfach nicht vergeben konnte, dass er damals James überredet hatte, Peter als Geheimniswahrer zu nehmen. Er hob den Kopf und sah in den grauen Himmel hinauf. Erst jetzt bemerkte er, dass es angefangen hatte zu schneien. Er blinzelte, sah wieder den Grabstein an und seufzte. Wie jedes Mal, wenn er hierher kam, flüsterte er:
„ Verzeiht mir."
Als die Erinnerungen drohten ihn zu überwältigen, wandte er sich brüsk ab und ging den schmalen Weg zurück. An dem kleinen Tor blieb er jedoch plötzlich stehen. Er wusste, dass Godric's Hollow nur ein paar Kilometer von hier entfernt war und auf einmal verspürte er den Wusch den Ort wieder zusehen, wo sie vor so vielen Jahren so unglaublich glücklich gewesen waren und wo er so oft seine Zeit verbracht hatte. Einen Augenblick zögerte er noch, aber dann, bevor er es sich anders überlegen konnte, apparierte er.
Harry starrte geistesabwesend auf die langsam fallenden Schneeflocken, die den Park und die Bäume nach und nach in eine bezaubernde weiße Landschaft verwandelten. Wie sehr wünschte er sich doch draußen zu sein, die kalte eisige Luft zu spüren und durch den Schnee zu laufen, während der Wind in sein Gesicht blies. Seit sie vor eineinhalb Jahren gezwungen worden waren, zurückzukehren, hatten sie das Schloss nicht mehr verlassen. Obwohl sie in Magie unterrichtet wurden und alles beinahe so war, wie vor ihrem Weglaufen, gab es doch einen kleinen Unterschied.
Sie wurden gefangen gehalten, er und seine Freunde. Sie konnten die Zauber an der Tür nicht brechen und wenn sie zu ihren Klassenräumen gingen, wurden sie von Lucius oder Bella begleitet. Der Dunkle Lord kam oft und spielte Schach mit ihm, brachte ihm Magie bei oder redete einfach mit ihm. Besonders dieses Verhalten wunderte und beunruhigte Harry zutiefst. Es machte ihn verrückt nicht zu wissen, was sein Adoptivvater plante. Sein Verhalten war einfach merkwürdig und völlig untypisch. Er hatte ihn nicht gezwungen zu foltern oder zu töten, ja er hatte mit keinem Wort erwähnt, dass er bei irgendwelchen Foltersitzungen teilnehmen sollte, oder, dass er überhaupt töten und foltern lernen sollte.
Das verstand Harry nun gar nicht. Als er sich daran erinnerte, wie wütend sein Adoptivvater gewesen war, als er den Imperius- Fluch nicht schnell genug gelernt hatte und als er sich geweigert hatte, Nell zu foltern und zu töten, war es noch unerklärlicher. Außerdem hatte er noch nicht einmal, an einer einzigen Todesser Versammlung teilgenommen, seit sie zurückgekehrt waren. Aber sein Adoptivvater war nicht der einzige, der sich ziemlich seltsam benahm, Bella und Dracos Eltern taten es ebenfalls. Draco hatte den größten Schock seines Lebens bekommen und er hatte sich wochenlang nicht beruhigen können. als sein Vater sich verhalten hatte, als ob nichts geschehen wäre und er weder geschimpft, noch ihn bestraft hatte.
Seine Freunde hatten allerdings auch nicht die geringste Ahnung, was das alles bedeuten könnte. Es war so, als ob sie mit Samthandschuhen angefasst wurden und natürlich wurden sie den ganzen Tag bewacht. Außerdem hatte Harry sehr schnell bemerkt, dass die Erwachsenen ihnen nur Bücher gegeben hatten, in denen die mächtigeren und vor allem die Flüche, die wirklich zu der schwärzesten Magie zählten, nicht enthalten waren. Harry hatte den starken Verdacht, dass die Erwachsenen nicht wollten, dass sie den Zauberspruch fanden, der die Flüche an ihren Türen brechen würde. Er vermutete, dass es sich um einen nicht so bekannten Fluch handelte.
Was allerdings auch merkwürdig war, dass Caro und Draco nun nicht mehr nach Hause gingen, wie sie es immer getan hatten, bevor sie weggerannt waren, sondern mit ihm hier wohnten. Harry schüttelte seinen Kopf, als er sich zum tausendsten Male fragte, was der Dunkle Lord mit ihnen vorhatte. Nell versorgte sie und wie Harry schnell herausgefunden hatte, hatte der Dunkle Lord tatsächlich die Wahrheit gesagt, als er ihm versichert hatte, dass er der kleinen Hauselfe nichts angetan hatte.
Harry seufzte traurig. Er wünschte sich so sehr, zurück in Godric's Hollow zu sein. Diese eine Woche voller Freiheit war einfach traumhaft gewesen. Dort hatten sie selbst entscheiden können, was sie taten. Aber Harry war entschlossen wieder einen Weg zu finden, wie er das Schloss, das nur noch ein Gefängnis für ihn war, verlassen konnte. Er wollte dieser unsicheren Zukunft, die ihm schlaflose Nächte bereitete, entfliehen. Er wusste, dass sein Adoptivvater etwas plante, er konnte es jedes Mal fühlen, wenn sein Adoptivvater ihn mit diesem seltsamen prüfenden Blicken betrachtete.
Der einzige Haken an der Sache war, dass er immer noch keinen Weg gefunden hatte, wie er das Problem mit Nell lösen würde können. Er hatte nicht die geringste Absicht Nell hier zu lassen. Des Weiteren musste er einen Fluchtweg finden. Er drehte sich herum und sein Blick fiel auf die Holzkiste, die in einem Regal stand. Sie hatten es geschafft, Peter vor den Erwachsenen zu verstecken. Obwohl es wahrscheinlich nicht besonders bequem für ihn gewesen war, in den letzten Monaten die meiste Zeit dort zu verbringen, war er zumindest am Leben und so lange, wie er dort blieb, in Sicherheit.
Während er auf den hölzernen Käfig starrte, hielt er plötzlich seine Luft an. War er denn von allen guten Geistern verlassen, dass es ihm nicht früher eingefallen war? Da bemühte er sich seit eineinhalb Jahren ein Animagus zu werden und machte keinerlei Fortschritte und dabei hätte Peter ihm und seinen Freunden die ganze Zeit zeigen können, wie man es anstellen musste, um sich in ein Tier zu verwandeln. Und vielleicht würde dieses ihnen sogar helfen zu fliehen. Außerdem könnte Peter ihnen auch noch auf andere Weise nützen, wie er auf einmal erkannte. Sein Blick richtete sich wieder auf die monoton fallenden Schneeflocken und seine Gedanken begannen sich zu überschlagen, als ein Plan Gestalt annahm und obwohl es immer noch ein reichlich vager Gedanken war, war es doch das erste Mal seit Monaten, dass er wieder Hoffnung schöpfte einen Weg zu finden.
Sirius taumelte und fiel auf die Knie. Sein ganzer Körper schmerzte. Benommen hob er den Kopf und sah, dass er sich auf dem Friedhof befand. Was war bloß geschehen? Er war gegen irgendeine Barriere geschleudert worden. Aber wie war das möglich? Wackelig stand er auf und rieb sich die Stirn. Er hatte enormes Glück gehabt, dass er sich nicht zersplintert hatte. Er wusste, dass so etwas nur passierte, wenn der Zielort mit Schutzzaubern versehen war, aber die Zauber, die Godric's Hollow einmal umgeben hatten, waren doch vor zehn Jahren zerstört worden, oder?
Irgendetwas stimmte da nicht und er würde herausfinden, was es war. Er holte tief Luft und dieses Mal apparierte er ein Stück vom Haus entfernt. Auf der menschenleeren Straße stehend, starrte er auf die hohen Bäume, die den Blick auf das Haus versperrten. Er merkte rasch, dass Godric's Hollow tatsächlich von Schutzbannen umgeben war. Er hob seinen Zauberstab und eine knappe Stunde später gelang es ihm endlich hindurchzugehen.
Als Sirius Black den Garten betrat, blieb er wie angewurzelt stehen. Schwindel überkam ihm und schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen. Ungläubig starrte er auf das Haus, das nicht im mindestens zerstört war. Nein, das konnte nicht sein. Wer in alles in der Welt hatte das getan? Er taumelte, während er versuchte zu begreifen, was geschehen war. Seinen Zauberstab fest umklammernd, ging er langsam zu Tür und öffnete sie. Im Lichte seines Zauberstabes trat er ein und sah sich vorsichtig um. Auf dem Fußboden lag eine dünne Staubschicht. Es schien so, dass seit längerer Zeit niemand mehr hier gewesen war.
Aber wer hatte Godric's Hollow wieder aufgebaut? Es hätte unmöglich sein sollen. Auf Zehenspitzen tappte er in Richtung des Wohnzimmers. Dann lehnte er sich gegen den Türbogen und schauderte, während sein Herz ihm bis zum Hals schlug. Er konnte es vor sich sehen. James und Lily, die auf dem dicken, weichen Teppich saßen und zusahen, wie der kleine Harry seine ersten Gehversuche machte. James und Lily, die kurz nach ihrer Heirat im Kerzenlicht tanzten.
In diesem Zimmer hatten sie ihm erzählt, dass sie ein Kind erwarteten und hier hatten sie ihn gefragt, ob er Harrys Pate werden wollte. Seine Augen brannten, als er ins Zimmer ging. Er trat auf etwas und hörte ein klirrendes Geräusch. Als er hinunter sah, bemerkte er einen Fotorahmen. Er bückte sich, hob es hoch. und sah es an. Er keuchte auf und alles begann sich um ihn zu drehen. Er torkelte zu dem Sofa und ließ sich fallen, während er wie gebannt auf das Foto starrte. Das war doch nicht möglich. Das konnte nicht sein. Aber dann hielt er den Atem an, als ihm bewusst wurde, dass es möglich wäre. Schließlich hatten sie Harrys Körper in den Ruinen von Godric's Hollow nie gefunden. Konnte es wirklich wahr sein, dass sein Patensohn am Leben war?
Er starrte auf das Foto. Der schwarzhaarige Junge mit den strahlenden smaragdgrünen Augen stand in der Mitte und er sah James so ähnlich, dass er sich einfach nicht irren konnte. Außerdem hatte er Lilys smaragdgrüne Augen. Sein Blick fiel auf die zwei Kinder, die neben Harry standen. Auf seiner rechten Seite stand ein schwarzhaariges Mädchen. Links von ihm war ein silberblonder Junge abgebildet, der beinahe wie eine jüngere Ausgabe von Lucius Malfoy aussah. Sirius nickte leicht. Er erinnerte sich noch gut an Lucius Malfoy. Er war ein Sechsklässler gewesen, als er sein erstes Jahr in Hogwarts angefangen hatte und er hatte diesen arroganten Jungen von Anfang an nicht ausstehen können. Aber was hatte Harry mit Malfoys Sohn zu schaffen? Wo war er jetzt? Was war vor zehn Jahren eigentlich mit Harry passiert?
Als er sich an ein, lange zurückliegendes, Ordentreffen erinnerte, schlug er sich gegen die Stirn. Er war ja so blind. Als die einzelnen Teile sich zusammenfügten, stöhnte er entsetzt auf. Voldemort hatte Harry mitgenommen. Deswegen waren sie nicht in der Lage gewesen, seinen Körper zu finden. Deswegen starrte ihn Harry aus diesem Foto hier an, zusammen mit Lucius Sohn und Bellatrix' Lestranges Tochter. Gequält schloss er seine Augen. Harry war Voldemorts Erbe. Ironischer konnte es nicht sein.
Aber wenn Harry hier gewesen war, wusste er dann, wer er war? Wusste er, dass Voldemort seine Eltern ermordet hatte? So viele Fragen schwirrten ihm im Kopf umher, nichtsdestotrotz fühlte er sich, als ob er auf einer Wolke schweben würde. Harry lebte! Sein kleiner Patensohn war am Leben! Von einem Ohr zum anderen grinsend presste er das Foto an sich, als ob es sein größter Schatz war. Langsam stand er auf. Konnte es sein, dass Harry hierher zurückkehren würde? Er musste Harry irgendwie eine Nachricht schicken, er musste Harry treffen.
Er musste jedoch sicherstellen, dass Harry sie wirklich bekam. Vielleicht könnte Snape…Als er an Snape dachte, weiteten sich seine Augen. Snape musste es wissen! Er hatte ihn gesehen, hatte sogar versucht Harry zu entführen. Damals hatte er seinen alten Feind ausgelacht, aber nun wurde ihm mit schmerzlicher Intensität bewusst, dass er alles hergegeben hätte, wenn Severus es damals geschafft hätte, seinen Patensohn zu entführen. Warum zum Teufel hatte er ihnen nicht erzählt, dass der Sohn des Dunklen Lords Harry war?
Oder war er wirklich so unglaublich blind, dass er es nicht gesehen hatte? Kopfschüttelnd stand er auf und begann die anderen Räume zu durchsuchen. Vielleicht hatte Harry ja noch etwas liegenlassen. Als er nichts weiter fand, trat er in den Garten und starrte den Halbmond an, der mittlerweile am Himmel erschienen war.
„ Ich schwöre, dass ich Harry nach Hause bringen werde, James, Lily. Ich bringe Harry in Sicherheit. Ich werd' mich um ihn kümmern, Lily. Macht euch keine Sorgen, ich werde niemals zulassen, dass Harry Voldemort folgt!"
Zur gleichen Zeit saß Hermione in der Großen Halle von Hogwarts, spähte zum Lehrertisch hinüber und fragte sich, wo Sirius wohl steckte. Das Halloween Fest hatte schon vor einer halben Stunde angefangen und er war immer noch nicht aufgetaucht. Mit den Achseln zuckend, widmete sie sich wieder ihrer leckeren Schokoladentorte, während sie ihre Blicke über die kunstvoll dekorierte Halle schweifen ließ. Die gegenwärtigen Schulsprecher hatten, trotz allem, was außerhalb Hogwarts geschah, allen eine kleine Freude machen wollen und hatten so kurzerhand eine richtige Halloween Party organisiert.
Als ihr Blick auf Professor Snape fiel, seufzte sie. Wenn er Zaubertränke unterrichtete, hasste sie dieses Fach, was wohl daran liegen mochte, dass er nur die Slytherins einigermaßen anständig behandelte. Da der sprechende Hut sie nach Gryffindor gesteckt hatte, war er besonders gemein zu ihr, Ron und Neville, die auch im selben Haus gelandet waren. Aber wenn Professor Lennox unterrichtete, liebte Hermione Zaubertränke. Es war wirklich ausgesprochen schade, dass Alison nicht immer unterrichtete. Wie Alison es schaffte, sich mit Snape zu unterhalten, war Hermione wirklich ein Rätsel.
Plötzlich merkte sie, dass Remus sich mühselig erhob. Er flüsterte Emily etwas zu und humpelte durch die Halle. Der dumpfe Laut seines Stockes hallte durch die Halle. Hermione sah ihm nach und zuckte zusammen. Sie hatte sich immer noch nicht an seinen Anblick gewöhnt. Die Verletzung, die Remus sich vor eineinhalb Jahren in einem der Schlachten, in der er Seite an Seite mit der französischen Widerstandsbewegung gekämpft hatte, zugezogen hatte, würde nie mehr verheilen.
Seitdem unterrichtete er Verteidigung gegen die dunklen Künste alleine und teilte sie sich nicht mehr mit Sirius, Charlotte und Emily. Traurig schüttelte sie den Kopf. Dass er nicht mehr kämpfen konnte, hatte ihn schwer getroffen. Die einzige, die es seit damals schaffte ein Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern, war die kleine Meggie. Wo wollte er nur hin und wo war Sirius?
Remus Lupin starrte blinzeln auf seinen Freund, der ihn völlig außer Atem und mit leuchtenden Augen gerade beinahe umgerannt hätte und ihm mitgeteilt hatte, dass Harry am Leben sei.
„ Was?", fragte er
„ Ich war in Godric's Hollow, Remus! Und im Haus fand ich ein Foto. Sieh es dir an!"
Sirius hielt es ihm hin und Remus, der immer noch nicht das Geringste verstand, nahm es. Als er es betrachtete, hielt er den Atem an.
„ Es ist wahr, Remus. Harry ist am Leben. Voldemort hat ihn damals mitgenommen. Wir müssen unbedingt etwas unternehmen!"
Remus lehnte sich an die Wand, er fühlte sich schwindelig. Wenig später sah er erst auf Sirius:
„ Wir müssen es Albus sagen.", sagte er mit bebender Stimme, während er es immer noch nicht fassen konnte, was er gerade erfahren hatte. Wieder blickte er auf das Foto. Es konnte einfach kein Zufall sein. Er sah James zu ähnlich. Auf Remus' Gesicht bereitete sich ein strahlendes Lächeln aus. Einen Augenblick später machten sie die beiden Freunde auf den Weg in die Große Halle und Sirius begann Remus ausführlicher zu erzählen, was sich an diesem Abend ereignet hatte.
Charlotte Black griff fahrig nach ihrem Glas und machte sich über Sirius Sorgen. Hoffentlich war ihm nichts passiert. Jedes Mal wenn er alleine unterwegs war, hatte sie fürchterliche Angst, dass er Todessern in die Hände fallen könnte. Aber Sirius hatte ihre Begleitung nicht gewollt. Wie immer wenn er den Friedhof aufsuchte, wollte er alleine sein. Den Kopf schüttelnd sah sie zu ihrer Schwester und fragte:
„Warum können sie eigentlich nicht zusammen gehen? Zu zweit ist es wenigstens etwas sicherer."
Emily zuckte die Achseln.
„Sie wollen wohl mit ihrer Trauer alleine sein. Remus gibt sich immer noch die Schuld am Tode seiner Freunde. Mach dir keine Sorgen, Charlotte, es wird ihnen schon nichts passieren.", erwiderte sie müde und Charlotte bemerkte, wie erschöpft ihre Schwester aussah.
Als sie ihren Kopf zu ihrem Teller wandte, fiel ihr Blick auf zwei Gestalten, die geradewegs auf den Lehrertisch zusteuerten und lächelnd durchflutete sie Erleichterung, als sie Sirius und Remus erkannte. Sirius ging auf Albus zu, beugte sich zu ihm hinunter und ihm etwas zeigend, begann er zu sprechen,
Albus machte eine abrupte Handbewegung und sein Glas fiel um, dessen Inhalt das Tischtuch tränkte und Charlotte wurde immer neugieriger. Albus stand auf und rief die Schulsprecher zu sich. Nachdem er kurz mit ihnen gesprochen hatte, sah er die am Tisch Sitzenden an.
„In zehn Minuten findet eine Ordensversammlung statt.", verkündete er, drehte sich um und verließ den Saal, während Sirius zu Charlotte ging und ihr einen Kuss gab.
„Oh, Charlotte, ich könnte die ganze Welt umarmen.", murmelte er.
Lächelnd sah sie hinauf in seine Augen.
„ Weshalb? Was ist passiert?"
„ Du wirst es gleich erfahren.", antwortete er von einem Ohr zum anderen grinsend und hatte offensichtlich nicht vor ihre Neugierde zu stillen.
„ Papa!", rief der dreijährige Jamie aus seinem Kinderstühlchen und Sirius packte ihn und wirbelte ihn lachend herum. Dann drückte er ihn an sich und flüsterte:
„ Bald wirst du nicht nur eine große Schwester haben sondern auch noch einen großen Bruder, Jamie."
Charlotte blinzelte verständnislos und setzte gerade an Sirius zu fragen, was er mit dieser seltsamen Bemerkung meinte, als sie aus den Augenwinkeln bemerkte, wie ihre Schwester, die sich gerade vom Tisch erhoben hatte, schwankte.
„ Emily!"
Emily klammerte sich einen Moment an Charlotte und schüttelte den Kopf.
„ Ist schon gut, mir war nur ein wenig schwindelig."
„ Emily, Liebling, du solltest dich besser ausruhen. Komm.", sagte Remus besorgt, während er die kleine Meggie auf den Arm nahm.
Emily nickte und fragte, ihre Schwester ansehend:
„ Soll ich Jamie auch mitnehmen?"
Als Remus und Emily mit den beiden Kindern gegangen waren, seufzte Charlotte. Sie konnte wirklich nicht behaupten, dass ihr Leben langweilig war. Zu all ihren Sorgen und Befürchtungen musste sie sich jetzt auch noch um ihre Schwester Sorgen machen, deren Schwangerschaft ihr ziemlich zu schaffen machte. Als ihr Armband einen leisen Triller ertönen ließ, blickte sie zu Sirius hinüber.
„Wir sollten gehen."
Er nickte zustimmend und bald darauf verließen sie die Halle, während Charlottes Blick noch Hermione suchte und dem Mädchen kurz zuwinkte. Schweigend gingen sie die Korridore entlang und wenig später erreichten sie Albus' Büro, in dem sich schon eine Vielzahl der Ordensmitglieder versammelt hatte. Charlotte setzte sich neben Alison und fragte leise nach Severus.
„ Er wollte noch nach einem Zaubertrank schauen.", erwiderte sie, während sie ihre Augen himmelwärts drehte.
„ Weißt du was passiert ist? Als ich Lizzie gerade bei Emily abgeliefert habe, habe ich Remus kaum wieder erkannt. Seine Augen strahlten richtig."
Charlotte schüttelte bedauernd den Kopf.
„Nein, Sirius wollte es mir nicht sagen. Aber wenn er und Remus sich darüber so freuen, kann es zur Abwechslung nichts Schlechtes sein", meinte Charlotte und sah zu Albus herüber, der mit funkelnden Augen ein Foto betrachtete.
Remus, der gerade den Raum betreten hatte, winkte ihnen zu und Charlotte schenkte ihm ein Lächeln. Charlotte betrachtete Remus und musste zugeben, dass Alison Recht hatte. So glücklich hatte sie ihren Schwager seit Monaten nicht mehr gesehen. Als die Tür sich erneut öffnete und Severus, eingehüllt in seinem schwarzen Umhang, sichtbar wurde, sprang Sirius auf und packte den Neuankömmling am Kragen und schrie.
„ Warum hast du es uns nicht erzählt?"
„ Lass mich sofort los, Black. Ich habe nicht die leiseste Ahnung…"
„ Sirius, lass Severus los und setz dich. Wir wollen anfangen.", gebot Albus Dumbledore mit fester Stimme und Sirius, nachdem er Snape noch einen nicht gerade freundlichen Blick zugeworfen hatte, nahm widerwillig Platz.
Albus lächelte die Anwesenden an und sagte:
„ Ich habe die heutige Versammlung einberufen, da Sirius heute eine beinahe unfassbare Entdeckung gemacht hat. Sirius apparierte heute nach Godric's Hollow und zu seiner größten Verwunderung fand er dort dieses Foto."
Albus reichte es Minerva, die es nahm und kurze Zeit später einen Schrei ausstieß.
„ Albus! Das…" Sie starrte Albus an und als dieser strahlend nickte, sagte sie:
„Aber wie…? Ist er es wirklich?"
Das Foto wurde weitergereicht und als Charlotte es ansah, erkannte sie zwar augenblicklich den Jungen, aber sie verstand nicht, warum sich Sirius, Remus, Albus und Minerva so sehr über ein Foto von Voldemorts Sohn zu freuen schienen.
„Das ist Harry, Charlotte!", sagte Sirius und ihr fielen die Fotos der Potters ein. Verwirrt gab sie das Foto Alison, während sie in Sirius' lachendes Gesicht schaute. Als Severus das Bild in den Händen hielt, fragte der Anführer des Phönixordens mit einem Lächeln:
„ Das ist also Voldemorts Sohn, Severus?"
Dieser nickte verständnislos und Sirius schlug die Hand auf den Tisch.
„ Zum Donnerwetter, Snape! Hast du Tomaten auf den Augen? Das ist Harry, James' und Lilys Sohn! Voldemort muss ihn damals mitgenommen haben!"
Severus riss die Augen auf, während Minerva nach Luft schnappte.
„ Aber warum seid ihr so sicher, dass es nicht Voldemorts Sohn ist?", fragte Alison.
Sirius lehnte sich vor.
„ Weil jetzt alles einen Sinn macht! Wir haben Harry nie gefunden und er sieht genauso aus wie James, nur seine Augen sind Lilys. Das Alter stimmt auch. Eine so große Ähnlichkeit kann einfach kein Zufall sein.
Außerdem war Harry in Godric's Hollow und hat es wieder aufgebaut und nur ein Potter hätte das tun können. Also vermute ich, dass er weiß, wer er ist. Obwohl ich nicht verstehen kann, warum Voldemort es ihm gesagt haben soll. Jedenfalls müssen wir ihn unbedingt aus Voldemorts Klauen befreien."
„ Die Frage ist nur wie.", warf Albus ein und blickte in ein Meer vor ratlosen Gesichtern. Seine Stirn runzelnd, fuhr der Schulleiter von Hogwarts fort:
„ Abgesehen davon mache ich mir mehr Sorgen darüber, dass Severus die Kinder seit Monaten nicht mehr gesehen hat."
Sirius spürte, wie Angst in ihm aufstieg. Das hatte er völlig vergessen! Zwei Monate nachdem Snape ihnen mitgeteilt hatte, dass der schwarzhaarige Junge Voldemorts Sohn war, hatte Albus wissen wollen, ob er schon irgendwelche Fortschritte gemacht hatte den Jungen auf ihre Seite ziehen. Der Spion hatte die überraschende Antwort gegeben, dass er den Jungen seit Wochen nicht mehr gesehen hatte, auch die anderen Kinder nicht. Sirius erinnerte sich wieder. Damals hatte er sich zu sehr um Remus gesorgt, als dass er in den Ordensversammlungen aufmerksam hätte zuhören können.
„ Du hast ihn seit damals nicht mehr gesehen?", fragte er ungläubig.
Severus schüttelte mit säuerlicher Miene seinen Kopf.
„ Nein. Das letzte was ich von ihm gehört habe, war, als er mir einen Brief schickte und verlangte, ich solle ihm ein Fläschchen Veritaserum schicken. Das müsste jetzt allerdings ungefähr eineinhalb Jahre her sein."
„ Aber sie können sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben!", protestierte Sirius.
„ Anscheinend schon.", entgegnete Severus ungerührt.
„Und was sollen wir nun tun?"
Albus Dumbledore seufzte schwer.
„ Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht, Sirius."
