Kapitel 24

Harry warf Sirius einen Seitenblick zu und fragte sich, wann sein Pate endlich den Mut aufbringen würde, ihm zu sagen was auch immer ihm auf dem Herzen lag. Mittlerweile hatten sie schon den halben See umrundet, ohne, dass auch nur einer von ihnen ein Wort gesprochen hatte. Als er eine Bank erblickte, brach Harry das Schweigen und fragte, ob sie sich nicht eine Weile hinsetzen könnten. Der kurze Spaziergang hatte ihn angestrengt. Immer noch hatte er sich von seiner magischen Verausgabung nicht erholt, obwohl es ihm inzwischen erheblich besser ging, als gestern, wo er nicht in der Lage gewesen war, von seinem Bett aufzustehen.

„ Natürlich, Harry. Verzeih meine Gedankenlosigkeit."

Sirius bedachte ihn mit einem besorgten Blick.

„ Sollen wir zum Schloss zurückkehren? Du siehst blass aus."

„ Nein, es geht schon.", erwiderte Harry und setzte sich auf die kleine Bank.

„Weswegen wolltest du denn jetzt mit mir sprechen?", fragte er schließlich, da Sirius immer noch keine Anstalten zu machen schien, ihm den Grund zu verraten, warum er ihn um diesen Spaziergang gebeten hatte.

Er hörte, wie Sirius tief Luft holte und hoffte, dass sein Pate ihn nicht etwas fragen würde, was er nicht beantworten wollte.

„ Harry, es gibt da ein paar Dinge, die ich mir dir besprechen wollte. Aber es fällt mir schwer, da ich kaum weiß, wo ich beginnen soll. Warum bist du geflohen, Harry? Hat Voldemort dir in irgendeiner Weise wehgetan? Und was ist in den letzten Monaten geschehen? Warum hast du an keiner Todesser Versammlung mehr teilgenommen?"

Harry richtete seinen Blick auf das, im Sonnenlicht, glitzernde Wasser des Sees und dachte nach. Für einen Moment war er überrascht darüber gewesen, dass Sirius wusste, dass er bei keiner Todesser Versammlung mehr anwesend gewesen war, dann fiel ihm Snape ein. Der Spion hatte den Phönixorden wohl auf dem Laufenden gehalten. Aber Sirius den genauen Grund für seine Flucht zu erklären, hieße, ihm alles zu erzählen, was in all den Jahren geschehen war, seit der Dunkle Lord seine Eltern ermordet und ihn mitgenommen hatte. Das wollte er jedoch nicht. Dafür kannte er seinen Paten noch nicht gut genug. Der Gedanke Sirius im gleichen Maße zu vertrauen, wie seinen Freunden, bereitete ihm Unbehagen.

„ Ich möchte nicht darüber reden. Vielleicht später einmal.", murmelte er.

Sirius seufzte lautlos. Es schmerzte ihn zutiefst, dass Harry ihm offensichtlich nicht vertraute. Er hütete sich allerdings davor, Harry zu drängen. Er hatte noch nicht vergessen, welche Angst er ausgestanden hatte, als er geglaubt hatte, Harry mit seiner Frage sich in der Winkelgasse zu treffen verloren zu haben. Das Wichtigste war, dass Harry in Hogwarts war und mit der Zeit würde Harry hoffentlich lernen ihm zu vertrauen und ihm eines Tages erzählen wie seine Kindheit verlaufen war.

Sirius blickte Harry an und sagte mit unsicherer Stimme:

„ Harry, es tut mir so unendlich leid, dass ich damals nicht selber der Geheimniswahrer deiner Eltern geworden bin und so ihren Tod verschuldet habe. Ich wünschte, ich hätte eine andere Entscheidung getroffen. Dann wärst du mit deinen Eltern aufgewachsen und…"

Sirius brach ab und versuchte in den smaragdgrünen Augen zu lesen, doch er konnte es nicht.

„ Könnte ich meine Entscheidung rückgängig machen, würde ich es sofort tun, Harry, bitte glaub mir. Ich weiß nicht, ob du mir je verzeihen kannst…"

Harry sah den Schmerz in den Augen seines Paten und nickte. Wenn er nicht fähig war Voldemort dafür zu hassen, dass dieser seine Eltern getötet hatte und Peter dafür, dass er seine Eltern verraten hatte, wie sollte er dann Sirius hassen? Der Gedanke an Peter jedoch ließ ihn fragen:

„ Wenn du Peter Pettigrew begegnen würdest, was würdest du dann tun?"

Sirius starrte ihn überrascht an.

„ Was ich tun…ich würde ihn töten. Er hat deine Eltern verraten, er hat uns alle verraten.", entgegnete er ruhig und Harry sah, dass er es ernst meinte. Jäh erinnerte sich Harry an das, was Caro ihm einst gesagt hatte, als er sich mit Draco wegen seiner Eltern gestritten hatte.

‚ Dass auch die Mitglieder des Phönixordens folterten und töteten und dass bestimmt auch seine Eltern getötet hatten.' Aber wenn dem so war, was war dann der Unterschied zwischen Dumbledores Phönixorden und den Todessern seines Adoptivvaters? Sirius wusste nichts von Peter und wie es aussah, würde er seinem Paten auch nichts von Peters Existenz erzählen. Wenigstens vorerst nicht. Sirius' Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

„ Albus meinte übrigens, dass es das Beste wäre, dich als meinen Neffen auszugeben. Da du als tot giltst, würde es zu viele Fragen aufwirbeln, wenn du plötzlich, wie aus dem Nichts, auftauchst. Schließlich weiß nur ein Teil des Phönixordens über deine Existenz Bescheid. Außerdem würden wir damit ausschließen, dass Voldemort erfährt, dass du hier bist. Du wirst dich also als Harry Black ausgeben und sagen, dass deine Eltern vor kurzem umgebracht worden sind."

„ Was ist mit Caro und Draco?"

„ Nun, Caro können wir als meine Nichte ausgeben. Sie könnte sich mit Hermione ein Zimmer teilen. Jedenfalls solange bis die Schule wieder anfängt. Hermione ist meine Adoptivtochter. Du wirst sie bald kennen lernen. Was Draco anbetrifft, haben wir uns überlegt, dass er sich als Alisons Verwandten ausgeben kann. Alison unterrichtet Zaubertränke. Aber abgesehen davon hat sie blonde Harre und wenn wir Draco als meinen Verwandten ausgeben, würde das sicher auffallen. Und eure Anwesenheit soll sowenig wie möglich auffallen. In einer Woche werdet ihr dann euren Häusern zugeteilt und werdet ganz normal zur Schule gehen."

Für einen Augenblick fragte sich Harry, ob er wohl jemals seinen richtigen Namen benützen würde können. Also würde er auch in Hogwarts eine falsche Identität haben. Wie ironisch. Harrys Gedanken wanderten weiter zu seinem Adoptivvater. Inzwischen war ihr Verschwinden bestimmt bemerkt worden. Sicher war sein Adoptivvater wütend gewesen. Würde er vermuten, dass sie nach Hogwarts geflohen waren?

„ Komm, gehen wir zum Schloss zurück. Es ist an der Zeit, dass du alle kennen lernst. Außerdem müssen wir deinen Freunden noch sagen, dass sie sich auf keinen Fall mit ihren eigenen Namen vorstellen dürfen, wenn sie jemand danach fragt.", sagte Sirius und stand auf.

Harry folgte, während er seinen Gedanken nachhing. Er sah Schwierigkeiten voraus. Draco würde nicht gerade erfreut sein zu hören, dass man von ihm erwartete, sich als Verwandten der Zaubertranklehrerin auszugeben, wenn er sich überhaupt damit einverstanden erklären würde. Was Caro anbetraf, so glaubte er nicht, dass sie jemals sagen würde, dass ihre Eltern von, wie es Sirius gemeint hatte, Todessern getötet worden waren, wenn es sich in Wahrheit genau andersherum verhielt und ihr Vater vom Phönixorden ermordet worden war. Dazu kam noch, dass sie Peter versteckt halten müssten.

Bald würden sie unterrichtet werden, aber Harry wusste, dass seine Freunde und er den Hogwartsschülern um Längen voraus waren und es eher unwahrscheinlich sein würde, dass er den Unterrichtstoff der zweiten Klasse noch nicht beherrschte. Schlagartig begriff er außerdem, dass sein Pate und die anderen Erwachsenen es bestimmt nicht erlauben würden, wenn er einige seiner Bücher zur Hand nahm und Zaubersprüche lernte, die zur Schwarzen Magie zählten.

Schmerzhaft sehnte er sich nach Godric's Hollow zurück. Allerdings war die eine Woche wohl alles was er jemals an Freiheit bekommen würde, dachte Harry düster und spürte, wie Wut in ihm hoch kochte. Hier, in Hogwarts würde er genauso wenig entscheiden können, wie in seines Adoptivvaters Schloss. Sirius hatte ihn noch nicht einmal gefragt, ob er damit einverstanden war, sich als Sirius' Neffen auszugeben. Wie er diese Hilflosigkeit hasste. Mit Schaudern dachte er daran, wie er ohnmächtig geworden war, als er die Zauber an ihren Fenstern gebrochen hatte. Weshalb war das passiert? Was nützte es, dass er fähig war, ohne einen Zauberstab zu zaubern, wenn er gleich darauf sein Bewusstsein verlor?

Er hätte sich in dieser Zeit weder verteidigen können, noch hätte er überhaupt mitbekommen, was um ihm herum passierte. Er war schlicht und einfach völlig hilflos gewesen. Zwar hatte er Caro und Draco vertrauen können, aber was, wenn irgendetwas passiert wäre? Was, wenn es Caro nicht gelungen wäre, Nell aus Voldemorts Gewalt zu befreien? Letztendlich wären Caro und Draco ohne Nell geflüchtet, da die kleine Hauselfe ihnen nicht annähernd das bedeutete, wie ihm und er wäre absolut machtlos dagegen gewesen. Doch wie konnte er verhindern, dass er sich magisch verausgabte? In der Winkelgasse war es ihm passiert, obwohl er seinen Zauberstab benutzt hatte, damals waren die Nachwirkungen aber beileibe nicht so schlimm gewesen, wie jetzt. Er erinnerte sich an die Macht, die er gefüllt hatte.

Wenn es ihm gelingen würde, nur jeweils einen kleinen Teil zu benützen, dann könnte er es vielleicht vermeiden, in Bewusstlosigkeit zu versinken. Sein Adoptivvater hätte ihm vielleicht helfen können, aber wahrscheinlich hätte er ihm gleich darauf voller Vorfreude einen Plan präsentiert, wie sie gemeinsam die Welt erobern könnten. Voldemort wollte mich nur benutzen, er hatte es ja selbst so gesagt, dachte Harry und merkte plötzlich, dass dieser Gedanke ungemein schmerzte. Aber was sollte das? Er hatte doch fliehen wollen, warum also zerbrach er sich nun seinen Kopf über Voldemorts Gefühle ihm gegenüber?

Harry schüttelte energisch den Kopf, als er langsam begriff, dass er weggelaufen war, weil er nicht die Kraft gehabt hatte, sich seinem Adoptivvater entgegenzustellen. Erst seine Angst vor dem was Voldemort tun würde, hatte ihn dazu gebracht, die Zauber an seinen Fenstern zu durchbrechen. Sein Adoptivvater hätte sich bestimmt nicht eineinhalb Jahre einsperren lassen. Harry richtete seinen Blick auf das große Schloss und beschloss erst einmal abzuwarten. Irgendwie muss ich unter allen Umständen versuchen mein Problem mit meiner Magie zu lösen und dass so schnell wie möglich, schwor er sich, während er mit Sirius über das Gelände schritt.

Wenig später hatten sie das Zimmer erreicht, in dem Caro und Draco warteten. Nachdem Sirius Caro und Draco mitgeteilt hatte, was Albus Dumbledore am Besten hielt, sah Harry, wie sich in die Gesichter seiner beiden Freunde der Zorn schlich. Die unmerkliche Veränderung war von Sirius jedoch unbemerkt geblieben und während er ihr Schweigen als Zustimmung interpretierte und sie munter aufforderte, ihre Sachen einzupacken, starrte Harry Caro und Draco an, nickte leicht und formte mit seinen Lippen das Wörtchen später. Bald darauf führte Sirius sie einen breiten Korridor entlang. Er blieb an einer Tür stehen, öffnete sie und ließ sie eintreten. Es war ein großer, heller Raum und Harrys Blick fiel auf die junge Frau, die sich bei ihrem Eintritt augenblicklich aus einem Sessel erhoben hatte und ihnen nun entgegenkam. Sie hatte tiefblaue Augen, die ihn voller Wärme anblickten, als sie ihm die Hand gab.

„ Hallo, Harry. Ich bin Charlotte Black."

Sie musterte ihn und als sie hinzufügte:

„So sehen wir uns also wieder.", stieg eine Erinnerung in ihm hoch.


Er hatte Harry wider einmal unterschätzt, dachte der Dunkle Lord, während er in seinem Arbeitzimmer unruhig hin und her ging. Als er festgestellt hatte, dass es ihm nicht mehr möglich war, Harrys über alles geliebte Hauselfe zu sich zu rufen, war er einen Moment fassungslos gewesen. Immer noch war es ihm ein unerklärliches Rätsel, wie Harry dieses zustande gebracht hatte. Schließlich hatte er selbst darauf geachtet, dass Harry und seine Freunde keine Bücher in die Hände bekamen, in denen Zaubersprüche enthalten waren, die zur schwärzesten Magie gehörten.

Den Zauber, den Harry benutzt haben musste, um seine Hauselfe aus seiner Macht zu befreien und denjenigen Zauber, den er für Harrys Gemächer angewandt hatte, gehörten zwar nicht dazu, aber sie waren in keinen der Bücher enthalten gewesen, die Harry und seine Freunde bekommen hatten. Also wie hatte Harry es geschafft die Zauber an seinen Fenstern zu brechen und seine Hauselfe zu befreien? Sein Blick glitt zu seinem Fuß hinunter. Dass ihn die Ratte gebissen hatte, war kein Zufall gewesen und eigentlich gab es dafür nur eine plausible Erklärung. Er hatte Peters Verschwinden damals keine allzu große Bedeutung beigemessen. Nun würde er seine Nachlässigkeit bereuen.

Ihm wäre allerdings nie der Gedanke gekommen, Pettigrrew bei Harry zu vermuten. Welche Geheimnisse hatte der Junge noch vor ihm verborgen? Was ihn aber vor allen Dingen beschäftigte, war die Frage, wohin Harry mit seinen Freunden gegangen war. Nach Godric's Hollow waren die Kinder jedenfalls nicht zurückgekehrt. Auch hatten sie in den Besitztümern der Malfoys und Lestranges keine Zuflucht gesucht. Dass sie die Absicht hatten auf der Straße zu leben, kam ihm unwahrscheinlich vor. Blieb noch Pettigrews Anwesen, aber er bezweifelte, dass die Kinder ausgerechnet dorthin gegangen waren.

Als er Godric's Hollow aufgesucht hatte, war ihm keinesfalls entgangen, dass in letzter Zeit jemand die Schutzbanne, die Harry mit seinen Freunden damals um das Haus errichtet hatten, durchbrochen worden waren. Konnte es sein, dass Harry Kontakt mit den Freunden seiner Eltern aufgenommen hatte? Das würde zumindest erklären, wie Harry von den Zaubersprüchen erfahren hatte. War es möglich, dass er Zuflucht in Hogwarts gesucht hatte? Als er diese Möglichkeit in Betracht zog, spürte er wie weißglühende Wut ihn durchzuckte. Eigenartigerweise verspürte er aber auch einen brennenden Schmerz.


Hermione beobachtete, wie Harry und Carolina die Bibliothek abschätzend musterten. Draco unterdessen machte einen gelangweilten Eindruck. Als Hermione gestern erfahren hatte, das Sirius' Nichte und Neffe in Zukunft bei ihnen wohnen würde, war sie, im wahrsten Sinne des Wortes, sprachlos gewesen. Sie hatte nicht gewusste, dass Sirius noch Familie hatte. Allerdings war es ziemlich merkwürdig, dass Sirius niemals erwähnt hatte, dass er einen Bruder hatte. Hermione zuckte die Achseln. Vielleicht hatte Sirius sich ja mit seiner Familie zerstritten und deswegen nie von ihr gesprochen.

Obwohl sie vor Neugierde brannte, verkniff sie sich ihre Fragen. Erstens hatten Sirius und Charlotte sie darum gebeten, als sie sie gefragt hatten, ob sie mit ihren Freunden den drei Neuankömmlingen nicht das Schloss zeigen könnte und zweites vermutete sie, dass der Grund für das plötzliche Auftauchen von Harry, Carolina und Draco ein Todesser Angriff sein könnte. Alle drei waren bisher ziemlich wortkarg gewesen, aber es war verständlich, sollte ihre Vermutung zutreffend sein. Schließlich erinnerte sie sich genau, wie es gewesen war, als ihre ganze Welt über Nacht zusammengebrochen war.

Für einen kurzen Augenblick war sie wieder das kleine Mädchen, das halb von Sinnen vor Angst hinter einer großen Wanduhr hockte. Der Schmerz, als sich ihre Fingernägel in ihre Handflächen bohrten, brachte sie wieder zu sich. Sie hob den Kopf und ihr Blick traf sich mit hellgrauen Augen, die sie seltsam durchdringend anstarrten. Hermione wandte sich brüsk ab.

„ Wollen wir jetzt weitergehen?", fragte sie. Ihre Stimme hörte sich schrill an. Prompt warf Ginny ihr einen Blick zu. Hermione hatte das Gefühl zu ersticken. Sie brauchte Luft, sodass sie kurzerhand beschloss Carolina, Harry und Draco das Quidditchfeld zu zeigen. Für den restlichen Teil des Schlosses blieb morgen immer noch genügend Zeit.


Alison starrte auf das Buch in ihrer Hand und schluckte. Sie hatte die Seite nun bestimmt schon ein Dutzend Mal gelesen, ohne, dass sie auch nur ein Wort behalten hatte. Ihr Herz krampfte sich vor Angst zusammen. Immer noch war Severus nicht zurückgekehrt. Wenn es später wurde, schickte er ihr jedes Mal ein Briefchen per Eule. Es war natürlich nur eine leichte Beruhigung aber trotzdem, es war besser als nichts. Doch heute hatte keine Eule an ihr Fenster geklopft und ihr ein Briefchen gebracht. Alison legte das Buch beiseite, stand auf und ging leise zum Zimmer ihrer Tochter hinüber.

Sie hauchte Lizzie einen Kuss auf die Stirn und steckte die Decke fester Was sollte aus ihnen werden, sollte Severus nicht zurückkehren? Wieder in ihr Schlafzimmer zurückkehrend, begann sie über den Teppich zu wandern. Als sie nach unten blickte, lachte sie auf. Im Schein der magischen Kerzen konnte sie die Spuren erkennen, die ihre Wandrungen hinterlassen hatten. Jedes Mal, wenn der Dunkle Lord Severus zu sich rief, war sie ruhelos auf und ab gegangen. Wo blieb er nur? Es war schon weit nach Mitternacht. Alison starrte zum Fenster und fixierte es.

Plötzliche Wut auf Dumbledore loderte in ihr hoch. Er hatte von allen Befürchtungen nichts wissen wollen. Severus selbst hatte daran gezweifelt, ob er überzeugend lügen würde können, sollte er nach den Kindern gefragt werden. Denn deren Verschwinden musste der Grund sein, warum Severus noch nicht nach Hause gekommen war und ihr vor allem keine Nachricht geschickt hatte. ‚Bitte, bitte lass ihn zurückkommen!", betete sie eindringlich. Das endlose Warten war zermürbend, aber sie wusste, dass es zwecklos war, irgendetwas anderes versuchen zu wollen. Sie würde ohnehin nicht schlafen können. Schließlich kauerte sie sich in einen der Sessel, umfasste ihr Knie und richtete ihr Augen auf das Fenster.


Als Harry am nächsten Tag die Augen aufschlug, brauchte er einen Moment, um zu begreifen, was ihn geweckt hatte. Es war das Geräusch von kratzenden Krallen. Er drehte sich herum und blinzelte in Richtung der hölzernen Kiste, die auf einem der Regale stand. Seine Gedanken begannen sich wieder mit dem Problem zu beschäftigen, was sie in aller Welt mit Peter machen sollten; in die Hände von Sirius und dem Phönixorden sollte er jedenfalls nicht fallen. Er brauchte einen Ort, wo er nicht nur Peter , sondern auch seine Bücher, in denen schwarze Magie enthalten war, verstecken konnte; einen Ort, wo er mit seinen Freunden ungestört Zaubersprüche üben konnte und wo niemand sie finden würde. Schlagartig setzte er sich aufrecht. Natürlich, das war die perfekte Lösung. Er musste sich nur noch erinnern….

In dem Moment jedoch öffnete sich die Tür und riss ihn aus seinen Überlegungen. Nell tappte hinein und starrte ihn aus furchtsamen Augen, die in Tränen schwammen, an. Harrys Blick fiel auf den rosaroten Pullover und er begriff.

„ Du bist frei, Nell. Warum weinst du denn?"

„ Junger Herr ist nicht böse?", flüsterte sie.

Harry warf seine Decke beiseite, kniete sich auf den Fußboden und drückte die kleine Hauselfe fest an sich.

„ Oh, Nell. Warum sollte ich böse sein? Es ist großartig, dass du frei bist. Hätte ich es vermocht, ich hätte dir schon lange deine Freiheit gegeben; Nell. Hör auf zu weinen."

Als er leise Schritte hörte, hob er den Kopf und blickte in die dunklen Augen Caros. Er wusste, dass Caro es für ihn getan hatte. Behutsam ließ er Nell los, stand auf und ging ihr entgegen.

„ Danke, Caro. Das werde ich dir nie vergessen."

Caro lächelte und wollte etwas erwidern, doch eine muntere laute Stimme hinderte sie daran.

„ Ist das eine echte Schlange, Hermione?"

Gleich darauf ertönte ein erschreckter Aufschrei und Harry, der jäh merkte, dass Diamond sich, nicht wie sonst, um seinen Arm geringelt war, lief aus dem Zimmer. Hermione starrte mit blassem Gesicht auf den Boden. Einen Arm hatte sie um Jamie gelegt, der Diamond voller Neugierde betrachtete, in der Hand hielt Hermione ihren Zauberstab, den sie auf die kleine Schlange richtete. .

„ Nein! Hermione, nimm deinen Zauberstab weg. Diamond ist nicht gefährlich."

Zwar war seine Schlange äußerst giftig, aber Harry wusste, dass Diamond nie jemanden beißen würde. Es sei denn, er würde es ihr befehlen.

„ Hermione, was…"

Sirius und Charlotte waren an der Tür aufgetaucht. Harry kümmerte sich jedoch nicht darum, als er Diamond seinen Arm hinhielt.

„ Komm. Du wirst dich in Zukunft nicht mehr im Schloss herumtreiben. Es ist zu gefährlich. Hörst du?", zischelte er, während Diamond unter seinem Ärmel verschwand und sich um seinen Arm wand.

„ Selbstverständlich höre ich dich. Ich bin ja nicht taub.", kam seine leise Antwort.

Als er hochblickte, sah er, wie Sirius, Charlotte und Hermione ihn entgeistert und angstvoll anstarrten. Nur Jamie sah ihn immer noch mit einem neugierigen Ausdruck, vermischt mit Bewunderung, in seinen Augen an.

„ Das war so cool! Bringst du mir bei, so zu sprechen?", rief der kleine Junge aus.

Während des Frühstücks sah sich Harry gezwungen einem enttäuschten Vierjährigen zu erklären, warum es unmöglich für ihn war, Parsel zu lernen. Sirius hatte bisher geschwiegen und Harry fragte sich, was sein Pate in diesem Augenblick bloß dachte. Dass er Parsel gesprochen hatte, hatte er schon bereut, als er die Gesichter von Sirius, Charlotte und Hermione gesehen hatte. Aber niemals zuvor hatte Harry diese Gabe zu verstecken brauchen und die Gespräche mit Diamond waren seit langem so selbstverständlich für ihn, dass er es noch nicht einmal mehr bemerkte, wenn er Parsel sprach. Hier, in Hogwarts, würde es wohl allerdings besser sein, wenn er seine Gabe geheim hielt.

„ Jamie, es ist genug. Iss dein Frühstück. Harry, es ist nicht erlaubt eine Schlange in Hogwarts zu haben, deswegen…"

„ Ich werde sie nicht hergeben, Sirius.", unterbrach Harry seinen Paten kühl, der ahnte, worauf Sirius hinauswollte.

„ Onkel Sirius, Harry."

Interessant, dachte Harry, als er sah, wie Sirius' Blick nervös zu Hermione hinüberflackerte. Also wusste Hermione die Wahrheit nicht.

„ Es ist mit völlig egal, ob es erlaubt ist oder nicht. Ich werde Diamond nicht hergeben, Onkel Sirius.", wiederholte Harry fest.

„ Ist deine Schlange giftig?", mischte sich Charlotte unerwarteterweise ein.

„ Nein.", log Harry und sah Charlotte direkt ins Gesicht.

„ Kannst du mir versprechen, dass du deine Schlange nicht frei herumwandern lässt?", fragte sie weiter.

„ Ja.", antwortete Harry.

„ Dann darfst du sie behalten. Aber sei bitte vorsichtig, Harry. Wenn herauskommt, dass du ein Parselmund bist, könnte es Schwierigkeiten geben. Viele würden dich fürchten."

Sirius wollte etwas sagen, doch Charlottes Blick ließ ihn verstummen und Harry fragte sich, warum Charlotte ihm geholfen hatte, während er nachdenklich einen Schluck von seinem, immer noch, heißem Tee nahm.

Charlotte griff ebenfalls nach ihrer Tasse und ließ sie plötzlich laut klirrend wieder fallen.

„ Alison!", rief sie aus und Harry drehte sich um. Die Zaubertranklehrerin stand in der Tür, sie musste so leise hereingekommen sein, dass niemand sie gehört hatte. Ihr Gesicht war weiß, tiefe Schatten lagen unter ihren Augen.

„ Was ist passiert?", fragte Charlotte, die aufgestanden war.

„ Er ist nicht zurückgekommen.", flüsterte Alison und im nächsten Moment weinte sie in Charlottes Armen.

Sirius machte einen düsteren Eindruck, während Hermione einfach nur völlig verblüfft schaute, wie Harry bemerkte. Jamie dagegen sah erschrocken aus.

„ Weiß es Albus schon?"

Alison richtete sich auf und schüttelte den Kopf. Für einen Moment vermeinte Harry Hass in ihren Augen zu sehen.

„Dann sollten wir es ihm sagen. Hermione, passt du auf Jamie auf? Komm Alison, vielleicht wurde er nur aufgehalten."

„ Aufgehalten? Es hat noch nie so lange gedauert. Und wenn, schickte er mir ein Briefchen. Es ist etwas passiert, ich weiß es.", schluchzte Alison, ließ sich von Sirius jedoch hinausführen. .

Charlotte beruhigte Jamie, gab dem Kleinen einen Kuss und nachdem sie Hermione noch einige Anweisungen erteilt hatte, verließ auch sie das Zimmer.

Wenig später machten sich Harry und Caro, in Begleitung Hermiones, auf, zu Draco zugehen. Jamie, der seiner Mutter hoch und heilig hatte versprechen müssen, dass er niemanden etwas von der Schlange oder Harrys Talent in einer seltsamen zischelnden Sprache zu sprechen, hüpfte ausgelassen hinter ihnen her. Harry war reichlich skeptisch, ob auf Jamie Verlass war, aber irgendwie war es ihm momentan gleichgültig. Er war immer noch wütend, dass Sirius in Erwägung gezogen hatte, ihm Diamond wegzunehmen. Die Erinnerung an sein entsetztes Gesicht, als er Parsel gesprochen hatte, machte ihn nicht minder zornig.

„ Wir müssen noch Meggie und Ian abholen. Es ist nur ein kleiner Umweg.", sagte Hermione und führte sie einen brieten Korridor entlang.

Harry durchforstete sein Gedächtnis. Die Namen kamen ihm vage vertraut vor.

„ Remus' Kinder?", fragte er.

Hermione warf ihm einen erstaunten Blick zu.

„ Ja. Wir sollen die Kinder doch zu Ginnys Mutter bringen."

„ Kennt ihr Remus und Emily nicht?"

Harry versuchte schnell eine plausible Antwort zu finden, aber Caro kam ihm zuvor.

„ Wir sind ihnen nie begegnet. Für unsere Familie bestand leider eine zwingenden Notwendigkeit sich versteckt zu halten."

Caros Stimme hatte so abweisend und kalt geklungen, dass es nicht sehr wahrscheinlich schien, dass Hermione weiter fragen würde, dachte Harry und er behielt Recht. Für den Rest des Weges schwieg Hermione. Derweil beschäftigte sich Harry damit, sich die Strecke zu merken, die sie entlang gingen.

Remus begrüßte sie herzlich und schenkte Harry ein strahlendes Lächeln. Unwillkürlich stellte sich Harry die Frage, ob auch Remus von Rachegefühlen gegenüber Peter erfüllt war und ebenfalls die Absicht hatte ihn zu töten, sobald er ihm begegnete. Nachdem sie Meggie und Ian abgeholt hatten, begaben sie sich auf den Weg in die Kerker, die beeindruckend waren, aber nicht zu vergleichen waren mit denjenigen im Schloss des Dunklen Lords. In Alisons Gemächer fanden sie Draco vor, wie er mit ziemlich sauertöpfischem Gesicht einem kleinen schwarzgelocktem Wesen eine Geschichte vorlas. Erleichtert blickte er ihnen entgegen während Lizzie etwas enttäuscht aussah. .

Die kleinen Kinder wurden bei Molly Weasley, einer etwas dicklichen Frau, abgeliefert und Ginny, ihr Bruder und Neville, die Harry schon gestern kennen gelernt hatte, schlossen sich ihnen prompt an. Wirklich prima, dachte Harry, bis sich eine Gelegenheit ergab alleine mit seinen Freunden zu sein, würde es sich, wie es aussah, noch ein Weilchen hinziehen. Ron schlug vor Quidditch zu spielen. Da sie bereits zu siebt seien und es seiner Ansicht nach kein Problem darstellen würde, noch eine weitere Mannschaft zu organisieren, böte es sich ja geradezu an. Rons zwei Brüder, die sich als Fred und Georg vorstellten und sich wie ein Ei dem anderen glichen, trieben tatsächlich noch fünf andere Spieler auf. Harry, der zum ersten Mal richtig Quidditch spielte, begriff, was für ein gigantischer Unterschied das war. Er hätte niemals erwartet, dass es so einen Spaß machen könnte. Die Positionen wurden getauscht und Harry stellte fest, dass er als Hüter nicht das geringste Talent hatte.


Während Sirius seiner Frau und Alison nachschaute, versuchte er die Erinnerung, die sich ihm seit geraumer Zeit aufdrängte, beiseite zu schieben. Es gelang ihm jedoch nicht. Die Ordensversammlung hatte es wie zu erwarten nicht vermocht eine Entscheidung zu treffen, was in Hinblick auf Severus' nicht erfolgter Rückkehr zu unternehmen sei. Albus war zutiefst bekümmert gewesen, hatte jedoch gesagt, dass es für den Orden nicht die geringste Möglichkeit gebe Severus zu helfen.

Zwar hatte er den anderen Spionen des Ordens den Auftrag gegeben zu versuchen herauszufinden, was Severus geschehen war, aber da nur Severus dem Inneren Kreis des Dunklen Lords angehört hatte, war die Chance eher gering, dass sie etwas herausfinden würden. Severus' Schicksal war ihm ziemlich gleichgültig, aber er sorgte sich um Alison und um Lizzie, die Sirius längst in sein Herz geschlossen hatte. Nach einigem Suchen fand Sirius Harry, seine Freunde, Hermione und die Weasley Kinder auf dem Quidditchfeld.

Sirius sah ihnen zu und richtete seinen Blick schließlich auf Harry, der hoch oben offensichtlich Ausschau nach dem Schnatz hielt. Als er heute Morgen gehört hatte, wie Harry mit seiner Schlange gesprochen hatte, hatte er es nicht glauben wollen und immer noch war er nicht überzeugt, ob es richtig gewesen war, Harry zu erlauben, seine Schlange zu behalten. Es gab so vieles was er von Harry nicht wusste und Sirius wollte es sich nicht eingestehen, aber Harry war wie ein Fremder für ihn und plötzlich fragte er sich, ob Harry ihm je vertrauen würde und er je erfahren würde, was sich im Schloss des Dunklen Lords abgespielt hatte.

In dem Augenblick, in dem er Harrys Hauselfe gesehen hatte, die er gestern aus welchen Gründen auch immer übersehen haben müsste – wahrscheinlich hatte sie sich unsichtbar gezaubert, schließlich sollte man gute Hauselfen ja nicht sehen – hatte er sich darüber gewundert, ob es nicht diese Hauselfe gewesen war, für die Harry den Zauber gebraucht hatte. Es war sehr wahrscheinlich und Sirius lächelte unwillkürlich. Schon allein das zeigte, dass Harry kein Dunkler Zauberer war und offensichtlich hatte Voldemort keinen großen Einfluss auf Harry gehabt, dachte Sirius mit grimmiger Genugtuung. Sirius sah ihnen noch ein Weilchen zu und winkte Harry nach mehreren erfolglosen Versuchen schließlich herunter. In knappen Worten erzählte Sirius Harry von Severus Snape und tief Luft holend, stellte er kurz darauf die Frage, die ihn veranlasst hatte, nach Harry zu suchen.

Harry, der Sirius die vorherigen Minuten mit unbeweglichem Gesicht zu gehört hatte, starrte Sirius an. Das hatte er niemals geschrieben. Doch im selben Moment wurde ihm bewusst, dass er es hatte. Hin und her gerissen zwischen unterdrückter Wut und dem Gedanken an Snape, wusste er, dass er Sirius nicht verraten würde, wo der Geheimgang zu finden war. Er würde seinen Adoptivvater nicht verraten. Außerdem, Fliehen war eine Sache, Sirius zu erzählen, wo sich der Geheimgang befand eine andere. Seine Freunde würden ihm nie verzeihen, wenn er ihre Eltern dem Phönixorden auslieferte. Dann überlief es ihm kalt, als ihm schlagartig klar wurde, dass Snape seinem Adoptivvater höchstwahrscheinlich gesagt hatte, wo sie zu finden seien. Ausdruckslos sah er seinen Paten an:

„ Weshalb ist Snape zurückgegangen?"

Siirus seufzte schwer.

„ Albus hat gehofft, dass Severus es schafft sich aus eventuell auftretenden Schwierigkeiten hinauszumanövrieren. Er hat es in der Vergangenheit schon so oft geschafft. Außerdem ist er unser einziger Spion, der Mitglied in dem engsten Kreis von Voldemort ist. Du weißt ja nicht, wie schwierig es überhaupt ist. Spione unter die Todesser zu schleusen, sodass…"

„…sodass Dumbledore gedacht hat, Snape würde es auch diesmal schaffen.", beendete Harry Sirius Erklärung, während er über solch eine Dummheit nur den Kopf schütteln konnte. Wie dem auch sei, höchstwahrscheinlich war Snape längst tot. Harry zweifelte nicht daran, dass sein Adoptivvater Snape dazu gebracht hatte, ihm alle Informationen zu verraten. Harry vermutete, dass sein Adoptivvater gerade damit beschäftigt war einen Plan zu entwickeln, wie er ihn wieder zurück nach Arreton Castle verfrachten konnte. Es war allerdings seltsam, fiel Harry ein, dass noch nicht ein einziger Brief ihn oder seine Freunde erreicht hatte. Dracos Eltern und Bella hatten sicherlich auch schon den Aufenthaltsort ihrer Kinder erfahren. Bevor er jedoch weiter darüber nachdenken konnte, sagte Sirius:

„Bitte, Harry, erzähl es mir, wie ihr es damals in die Winkelgasse geschafft hat, ohne von irgendjemandem gesehen zu werden."

Harry blickte seinen Paten ungerührt an.

„ Es gibt keinen Geheimgang. Du hast meinen Brief falsch verstanden. Und ich wurde gesehen. Du hast vergessen, wer ich bin. Oder glaubst du, dass sich je ein Todesser mir in den Weg gestellt hätte?"

Harry sah, wie Sirius zusammenzuckte.

„ Kann ich jetzt wieder zurückgehen?", fragte er kurz darauf hinzu und ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um. Während Harry zum Quidditchfeld eilte, sagte er sich, dass es da Richtige gewesen war. Snape war tot und niemand würde ihm mehr helfen können. Wenn dem so war, warum war er dann so wütend? Kaum hatte sich Harry wieder zu seinen Freunden und den übrigen Quidditchspielern gesellt, vergaß er Snape und Sirius und dachte nur noch an das Spiel. Als sie sich gegen Abend erschöpft auf machten zum Schloss zugehen, diskutierten sie eifrig über verschiedene Strategien. Die Kluft zwischen den Neuankömmlingen und den Hogwarts Kindern schien vorerst verschwunden zu sein.


Einige Stunden später schlichen sich Harry, Caro und Draco, die sich unsichtbar gezaubert hatten zum See hinaus, der wie ein Spiegel im Mondlicht schimmerte und hier waren sie endlich ungestört.

„ Was hat dein Pate eigentlich von dir gewollt?", wollte Draco wissen, während er sich ans Ufer setzte. Harry erzählte es seinen Freunden und wie nicht anders zu erwarten, waren sie empört. Caro schüttelte ihren Kopf so heftig, dass ihre schwarzen Locken flogen.

„Mir gefällt es hier überhaupt nicht. Noch dazu muss ich sagen, dass ich Carolina Black heiße! Warum hast du gestern gewollt, dass wir schweigen, Harry? Ich hätte Black zu gern meine Meinung gesagt."

„ Wenn alle wüssten, wer wir sind, wären wir hier nicht willkommen, Caro.", entgegnete Harry.

„ Außerdem dachte ich, dass es dann länger dauern würde, bis mein Adoptivvater herausfindet, wo wir sind. Das hat sich ja jetzt erledigt."

„ Komisch nicht wahr? Wir haben noch nicht einen Brief bekommen.", meinte Draco und sah Harry und Caro an.

Harry nickte nachdenklich. Caro sprach schließlich aus, was sie alle dachten.

„Sie werden abgefangen."

„Was werden wir dagegen unternehmen?", fragte Draco zwischen dessen Augenbrauen sich eine steile Falte gebildet hatte. Nach einer Weile des Schweigens sagte Harry:

„ Das einzige was möglich wäre, ist wohl die Eulen abzufangen."

Draco schnaubte.

„ Na, toll."

Als sie sich wieder zurück ins Schloss schlichen hatten sie zwar keine Lösung gefunden, wie sie erreichen konnte, dass sie ihre Briefe bekamen, aber sie waren sich einig geworden, dass sie Hogwarts wieder verlassen würden, sobald einem von ihnen eine andere Möglichkeit einfiel, wo sie bleiben könnten.


Die nächsten Tage vergingen schnell und Harry, Caro und Draco verbrachten sie ausschließlich mit Quidditch spielen. Sie ließen sich von Hermione und ihren Freunden das Schloss zeigen und Harry lernte nicht nur seinen Paten und Charlotte näher kennen, sondern auch Remus und Emily, wie auch seine Patentante Minerva McGonagall. Auch mit Albus Dumbledore hatte er eine Zusammenkunft gehabt. Doch hatte Harry dem, sich freundlich gebenden alten Zauberer, augenblicklich solide Abneigung entgegengebracht. Nicht nur fing dieser ihre Briefe ab, er hatte auch Snape zurückgeschickt und dies konnte Harry nicht verzeihen.

Was vor allem daran lag, dass die Zaubertranklehrerin Alison Lennox, ihn aufgesucht hatte und ihm dafür gedankt hatte, dass er Snape damals nicht dem Dunklen Lord ausgeliefert hatte. Er hatte gespürt, dass die junge Frau Snape liebte und vermutete, dass Snape auch der Vater der kleinen Lizzie war. Mit Tränen in ihren meerblauen Augen hatte sie gefragt, ob er glaube, dass Severus vielleicht noch am Leben sei.

Als er stumm den Kopf geschüttelt hatte, hatte sie tapfer genickt. Doch was Harry berührte, war, dass Alison ihm nicht die Schuld gab. Schließlich war indirekt ihre Flucht daran schuld, dass Severus nicht zurückgekehrt war. Während er seinem Paten den Geheimgang hatte verschwiegen können, war es ihm in Gegenwart von Alison erheblich schwerer gefallen. Immer wieder sagte er sich, dass Snape längst nicht mehr am Leben war. Außerdem hatte er Snape bereits einmal das Leben gerettet und wenn Snape so dumm war zurückzugehen – er hätte sich schließlich auch weigern können – dann war es nicht sein Problem, oder? Eine kleine hartnäckige Stimme ließ sich allerdings nicht zum Schweigen bringen.

Was wenn Snape noch am Leben war und in irgendeiner Zelle auf Hilfe wartete? Doch das war ziemlich unwahrscheinlich, sagte sich Harry. Er hatte auch erkannt, wie ungeheuer wichtig es war, dass niemand von dem Geheimgang erfuhr. Sollte der Phönixorden davon erfahren, würden sie ungehindert ins Schloss gelangen können. So schwieg Harry, aber vergessen konnte er diese Angelegenheit nicht.

Abgesehen davon versuchte Dumbledore ihn doch tatsächlich auszufragen, wie es ihm bei Voldemort ergangen war und warum er plötzlich in Hogwarts aufgetaucht war. Während Sirius seinen Wunsch nichts über seine Vergangenheit zu erzählen anscheinend akzeptiert hatte, war Dumbledore nicht so beeindruckt davon gewesen und hatte ihm alles Mögliche über eine Pflicht erzählt, die er gegenüber seinen Eltern hatte, die ja gegen Voldemort gekämpft hatten.

Seine Eltern waren ebenfalls ein Punkt, den er Dumbledore nicht verzeihen konnte. Sirius hatte ihm erzählt, dass es allgemein bekannt gewesen war, dass ein Spion in den Rängen des Phönixordens sein Unwesen trieb und so fragte sich Harry, warum Dumbledore nicht alle Mitglieder mit Veritaserum befragt hatte. Wäre er der Anführer gewesen und ihm wären solche Gerüchte zugetragen worden, hätte er gehandelt. Auch sein Adoptivvater hätte es so gemacht, war sich Harry sicher. Dass Snape es geschafft hatte den Dunklen Lord zu täuschen, war schon durchaus bemerkenswert. Doch wer weiß, vielleicht wusste sein Adoptivvater ja von dessen Treue zu Dumbledore. Harry streichelte geistesabwesend seinen Phönix. Weshalb konnte sein Leben nicht einmal einfach sein? Musste alles immer so kompliziert sein?

Am Tag der Auswahlfeier wunderte sich Harry in welches Haus er kommen würde. Als es endlich Zeit wurde, die neuen Schüler in ihre Häuser einzuteilen, schaute Harry erwartungsvoll auf den sprechenden Hut. Obwohl, wenn man recht darüber nachdachte, fragte er sich, wozu die verschiedenen Häuser eigentlich gut waren. Bald würde sein Name ausgerufen werden.

Caro war bereits nach Slytherin gekommen, aber da sieein Jahr älter war, als er, hatte der Schulleiter beschlossen, dass Caro in die dritte Klasse gehen würde. Auch darüber hatten sich Harry, Caro und Draco aufgeregt, Dumbledore hatte sich allerdings durchgesetzt. Dann rief seine Patentante endlich seinen Namen. Es war immer noch ungewohnt für ihn als Harry Black durch die Gegend zu spazieren. Harry stand auf und setzte sich wenig später den Hut auf den Kopf und eine piepsige Stimme erhallte:

"So, Harry Potter, also hast auch du endlich den Weg nach Hogwarts gefunden. Aber wie ich sehe, hast du dich immer noch nicht entschieden. Doch solltest du dich bald entscheiden, auf welcher Seite du stehst. Das Schicksal hat oftmals die Fähigkeit zuzuschlagen, bevor man bereit ist. Der Tag wird kommen, junger Potter, an dem du dich entscheiden musst. Nun, in welches Haus soll ich dich stecken?"

‚Nach Slytherin.', dachte Harry.

„Hmm, du bist mutig und treu zu denen, die du liebst… interessant, ich sehe keinen Hass. Du willst keine Rache, aber dennoch… Ja, ich denke, ich weiß, in welches Haus du gehörst.", fuhr der Hut fort zu flüstern.

"Slytherin!", schrie er laut und während Harry langsam zu Caro hinüber ging, wünschte er sich, dass die Prophezeiung des Hutes nicht so Unheil verkündend überzeugend geklungen hätte.