Kapitel 26
Zwei Stunden später lag Harry mit offenen Augen in seinem Bett und versuchte seine aufgewühlten Gedanken zu Ruhe zu bringen, doch scheiterte er kläglich. Seufzend drehte er sich herum und erinnerte sich an die Ereignisse des Tages und wunderte sich, warum er Ginny so bereitwillig ihre wahren Namen genannt hatte. Er wusste doch noch nicht einmal, ob er ihr vertrauen konnte. War es deswegen gewesen, weil er sich insgeheim wünschte, dass seine wahre Identität ans Licht kam? Wollte er, dass alle wussten, dass er Harry Potter war?
Er flüsterte seinen Namen leise vor sich her. Es klang so ungewohnt und irgendwie auch nicht richtig. Harry Potter, Harry Riddle, Harry Black. Wer von den dreien war er? Die Decke beiseite schlagend, zerrte er an den Vorhängen des Himmelbetts, kletterte hinaus und ging zum Fenster, wo er sich auf die Fensterbank setzte.
Ginny hatte Hermione bestimmt alles erzählt, was er ihr am See gesagt hatte und Hermione? Würde bald jeder im Schloss ihre wahren Namen kennen? Warum hatte auch gerade Caros Vater derjenige sein müssen, der Hermiones Vater umgebracht hatte? Kaum hatte er sich diese Frage gestellt, wanderten seine Gedanken wieder zu Caro. Zwar stellte sich für ihn die Frage nicht, ob er ihr helfen sollte oder nicht, für ihn war es selbstverständlich, aber es war ihm trotzdem unbehaglich zumute, wenn er an die möglichen Konsequenzen dachte. Was würde Caro tun, sollte sie tatsächlich herausfinden, wer es gewesen war und was würde er dann tun? Er wusste noch nicht einmal, wie Caro die Wahrheit herausfinden wollte.
Ihre Abzweigung hatte in einer Sackgasse geendet, aber Dracos Weg führte ihn in eine kleine Bibliothek und aufgeregt hatte er sofort nach ihnen gerufen. Ein Teil der Bücher, die sie dort fanden, waren sogar in Parsel geschrieben, wie Harry ehrfürchtig festgestellt hatte. Fasziniert hatte er sich umgesehen. Zwar besaß auch sein Adoptivvater Bücher in Parsel, aber längst nicht so viele, wie in dieser kleinen Bibliothek, in der Kammer des Schreckens, standen. Harry nahm sich vor, dass er so schnell wie möglich zu den Büchern zurückkehren würde.
Sie waren jetzt beinahe zwei Wochen hier in Hogwarts und Harry wusste, dass auch dieser Ort kein richtiges Zuhause für sie sein würde. Ihm war keinesfalls entgangen, mit welchen Blicken manche der Lehrer und vor allem Mitglieder des Phönixordens sie bedachten, wenn sie ihnen in den Gängen, in der großen Halle oder auf den weitläufigen Ländereien begegneten. Nicht alle waren über ihre Ankunft glücklich und Harry zweifelte nicht daran, dass der Orden im Bilde über ihre wahren Identitäten war.
Gähnend rutschte er von der Fensterbank hinunter. Ihm war kalt geworden. Zitternd tappte er zu seinem Bett hinüber, stolperte über ein auf dem Boden liegendes Hindernis und stieß schmerzhaft gegen einen harten Gegenstand, wahrend laut klirrend etwas zu Bruch ging. Fluchend ein Wort flüsternd, flammte seine Magie auf und er merkte, dass er gegen den Tisch gefallen war und dass ihre Wasserflasche hinuntergefallen war.
„Alles in Ordnung. Tut mir leid, dass ich dich aufgeweckt habe.", sagte er während er Nell anschaute, die ihn mit erschrockenen Augen schläfrig anstarrte. Er reparierte die zerbrochene Flasche und sah zu Draco hinüber, sich wundernd, warum er bei solch einem Lärm nicht ebenfalls aufgewacht war. Die Vorhänge waren offen und näher kommend, merkte er, dass sich Draco überhaupt nicht in seinem Bett befand. Blinzelnd stand er einen Augenblick ratlos dar.
War er so in Gedanken versunken gewesen, dass er noch nicht einmal gemerkt hatte, wie Draco das Zimmer verlassen hatte? Dann schlüpfte er in seine Schuhe, zog seinen Umhang über und machte sich auf die Suche nach Draco. Ohne genau zu wissen, wo er suchen sollte, streifte er durch das verlassene Schloss. In der großen Halle schließlich kam ihm Draco entgegen, eingehüllt in das sanfte Strahlen seines magischen Lichtes. .
„ Wo in aller Welt warst du?", wollte Harry wissen.
„ Du hast doch gesagt, dass das einzige was wir machen könnten, wäre die Briefe abzufangen.", antwortete Draco und wedelte mit einem Brief vor seinem Gesicht herum.
Als sie nebeneinander hergingen, fragte Harry.
„Wie hast du das gemacht?
Im Schein ihrer Lichter warf Darco ihm ein verschmitztes Lächeln zu.
„Nun ja, in den seltenen Momenten, wo es möglich war, habe ich es weiter versucht ein Animagus zu werden. Und gestern habe ich es endlich geschafft."
„Das ist ja toll! Warum hast du es uns nicht erzählt? In welches Tier verwandelst du dich?", fragte Harry aufgeregt.
„ Ich verwandle mich in ein…nun ja, ein Eichhörnchen. Aber meine Animagus Gestalt ist eigentlich doch ganz nützlich, wie ich festgestellt habe. Ich bin von Baum zu Baum gesprungen und nach einiger Übung hat es sogar richtig Spaß gemacht. Aber der Punkt ist, dass ich so durch die Schutzbanne kam und all die Zauber, die Dumbledore noch so errichtet hat, um sein Schloss zu schützen. Außerhalb des Schlosses habe ich dann gewartet und dann kam endlich unsere Eule. Sie hat mich auch erkannt, kam geradewegs zu mir geflogen."
„Natürlich habe ich mich vorher zurückverwandelt.", fügte Draco schnell hinzu, während Harry einen Lachanfall unterdrücken musste, als er sich Draco als Eichhörnchen vorstellte, das sich von Baum zu Baum hangelte und seufzte.
„Also wissen sie definitiv, wo wir sind."
„Ja."
„Was bezweckt Dumbledore eigentlich damit, dass er unsere Briefe abfängt? Er kann sie doch sowieso nicht lesen, sie sind ja alle verzaubert. Also was soll das?"
„Keine Ahnung, Draco."
Für eine Weile schwiegen sie. Die Treppe hinuntergehend, die zu ihrem Schlafsaal führte, sagte Harry:
„ Caro hat mich gebeten, ihr zu helfen, den Mörder ihres Vaters zu finden."
„ Wirst du ihr helfen?"
„ Du scheinst nicht gerade überrascht zu sein.", bemerkte Harry.
„ Nein, Caro hat so etwas schon angedeutet, als du bewusstlos warst."
Harry nickte düster und während er mit Draco den düsteren Korridor entlang eilte, wunderte er sich zum ersten Mal darüber, warum seine Freunde so bereitwillig mit ihm nach Hogwarts geflohen waren.
Als sie ihren Gemeinschaftsraum betraten, blieben beide überrascht stehen.
„Caro? Was machst du denn hier?"
Caro, die in eine Decke gekuschelt, nahe am Feuer saß, zuckte zusammen.
„Ich konnte nicht schlafen. Ihr wohl auch nicht, oder?"
Harry und Draco gingen zu den Sesseln und setzten sich. Caro hielt irgendetwas Silbernes in ihrer Hand und Harry wollte gerade fragen, was es war, als Draco sich zurücklehnte und Caro ansah.
„So, du hast also Harry gebeten, die bei der Suche nach dem Mörder deines Vaters zu helfen?"
„Draco, jetzt sei nicht beleidigt. Dich frage ich natürlich auch. Ich hab Harry nur zuerst gefragt, weil ich mir nicht sicher war, ob er mir helfen würde.", sagte Caro mit Verzeihung heischender Miene.
Harry rutschte unbehaglich nach hinten.
„Was hältst du da eigentlich in der Hand?", fragte er.
Die dunkelgrauen Augen blickten nach unten und Caro legte den Gegenstand auf den Tisch. Jetzt erst erkannte Harry, dass es ein winziges Schwert war. Während Caro sprach, wurde Harrys Gefühl der Resignation immer größer.
Die Chance, dass er Caro dazu bringen könnte, auf ihre Rache zu verzichten, war äußerst gering, erkannte er verzweifelt. Ihr Hass ging zu tief. Doch was sollte er tun, er konnte ihr nicht einfach sagen, dass er ihr nicht helfen würde. Nicht nachdem sie Nell die Freiheit geschenkt hatte, nicht nachdem sie Nell aus der Gewalt seines Adoptivvaters gerettet hatte und dafür gesorgt hatte, dass sie mit ihnen floh, nicht nachdem sie immer für ihn da gewesen war und ihn nie im Stich gelassen hatte.
Doch vorerst sollte Harry keine Zeit haben, sich weiter mit der Frage zu beschäftigen, was er dann tun würde. Die Schule bereitete ihm zwar keine Schwierigkeit, aber die Schulaufgaben wollten trotzdem gemacht werden. Des Weiteren hatte er Probleme mit seiner Animagus Form. Obwohl er sich in einen Phönix verwandeln konnte, vermochte er es bisher nicht die Verwandlung auch über einen längeren Zeitraum aufrecht zu halten. Dieses ärgerte Harry und dass Draco solche Probleme mit seiner Einhörnchen Gestalt nicht hatte, verschlechterte seine Laune zusätzlich. Caro indes schien überhaupt kein Talent zu haben und Peter war am Verzweifeln, sooft sie in der Kammer des Schreckens übten.
Doch Caro brachte es immer noch nicht fertig sich in ein Tier zu verwandeln, obwohl Harry versucht hatte ihr zu helfen. Auch hatte Harry es nicht geschafft, irgendwelche Fortschritte zu machen, die seine Magie ohne Zauberstab betrafen. Es war immer das Gleiche. Leichte Zauber, die nicht viel Macht verlangten, bereiteten ihm keine Schwierigkeiten, doch solche, die zur höheren Magie zählten, schaffte er nicht. Auch gelang es ihm nicht, sich wieder in den Zustand zu bringen, in dem er die Flüche an ihren Fenstern gebrochen hatte. Er erinnerte sich immer noch, wie er in diesem Augenblick seine Magie gefühlt hatte. Wahrscheinlich gelang das nur in Notfällen, dachte Harry wütend.
Noch dazu hatte es sich unter den Slytherins herumgesprochen, dass sie wahre Quidditch Talente waren und so hatten sie gar keine andere Wahl gehabt, als das Angebot zum Slytherin Team zu gehören, anzunehmen. Die Trainingsstunden machten Harry mehr Spaß, als er je zugeben würde und waren eine willkommene Abwechslung, doch Markus Flint, der Kapitän des Teams hatte es sich in den Kopf gesetzt unbedingt den Quidditchpokal zu gewinnen und setzte Trainingsstunde um Trainingstunde an, sodass sie im Endeffekt noch weniger Zeit hatten. Harry war es jedoch mehr als recht, dass es so war.
Caro hatte Peter gefragt, ob er wüsste, wo der Orden seine Papiere augbewahrte. Peter aber hatte nur den Kopf geschüttelt und gesagt, dass es viel zu lange her war, seit er zum Orden gehört hatte. Von ihm hatten sie nur erfahren, wo sich Dumbledores Büro befand, aber das hatte Harry seit seiner Unterredung mit dem Schulleiter schon gewusst und sollte sich herausstellen, dass alle Dokumente sich dort befanden, dann würde es wohl unmöglich sein, sie in die Finger zu bekommen. Caro war jedoch weit entfernt davon gewesen aufzugeben und so versuchte Diamond nun etwas herauszufinden. Für einen Moment hatte Harry erwogen Diamond nicht darum zu bitten. Aber er verstand Caro nur zu gut. Schließlich hatte auch er damals unter allen Umständen herausfinden wollen, wer seine Mutter war.
Peter hatte sich strikt geweigert sich ebenfalls auf die Suche zu begeben und Harry hatte seine Freunde nur mit Mühe davon abhalten können, Peter mit dem Imperius-Fluch zu belegen, als die Auseinadersetzung eskaliert war. Seit dem Streit versteckte sich Peter meistens irgendwo in der Kammer des Schreckens und als wäre die Situation nicht kompliziert genug, fürchtete Harry jedes Mal eine Katastrophe, wenn Caro und Hermione sich zufällig begegneten, obwohl das glücklicherweise nicht allzu oft der Fall war, da Caro in der dritten Klasse andere Stunden hatte, als sie.
Der Hass, der zwischen Caro und Hermione herrschte, erschreckte Harry. Auch Draco sprach nicht, sprach nicht mehr mit Hermione, Ginny und deren Freunden. Zur Harrys Überraschung waren ihre Identitäten immer noch ein Geheimnis. Weder Hermione noch Ginny hatten also ihr Geheimnis verraten, obwohl Harry vermutete, dass der Orden etwas damit zu tun hatte. So grüßten sich einzig Harry und Ginny, wenn sie sich in den Korridoren über den Weg liefen. Gelegentlich sprachen sie auch miteinander, wenn sie sich in der Bibliothek oder draußen am See trafen. Einmal fragte sie ihn, warum Caro sie auch zu hassen schien. Harry blickte von seinem Buch auf, das er sich vor wenigen Minuten geholt hatte und sagte:
„ Caros Vater wurde von Mitgliedern des Phönixordens umgebracht. Sie hat dies nie verwunden."
Ginny hielt seinem Blick stand, als sie nickte.
„ Es ist Wahnsinn. Dieser ganze Krieg. Meine Großeltern wurden von Todessern umgebracht. Eigentlich müsste ich dich hassen, nicht wahr? Wenn ich so wie Caro und Hermione denken würde, aber ich hasse dich nicht. Ich weiß, dass nicht du es warst, der meine Großeltern umgebracht hat. Ich habe Caro nie etwas getan und doch sieht sie mich jedes Mal voller Hass an, wenn ich ihr begegne."
Ginny senkte den Blick und stapelte einige Bücher aufeinander. Ihre Stimme war leise, als sie fragte:
„ Hermione hat mir erzählt, wer du wirklich bist. Hasst du den Dunklen Lord? Bist du deswegen geflohen?"
Harry schwieg, während er daran dachte, wie seltsam es doch war, dass ihm niemand sonst, diese Frage gestellt hatte, abgesehen von seinem Adoptivvater. Sogar Dumbledore hatte ihm diese Frage nicht gestellt, obwohl er sicherlich liebend gern die Antwort gewusst hätte und Sirius, Charlotte und die anderen Erwachsenen schienen, nachdem er sich geweigert hatte Sirius' Fragen zu beantworten, alles was mit seiner Vergangenheit zu tun hatten, mit größter Vorsicht zu behandeln Es war beinage so, als ob sie glaubten, je weniger sie über die vergangenen Jahre sprachen, desto möglicher war es, dass er sie vergessen würde.
Obwohl nur Dumbledore ihm den Eindruck vermittelt hatte, war Harry sich sicher, dass sie von ihm erwarteten, dass er eines Tages gegen den Dunklen Lord kämpfen würde, wohingegen Caro und Draco glaubten, dass er sich zwar der Dunklen Seite nicht anschließen würde, aber ganz bestimmt nicht gegen sie kämpfen würde.
„Nein, ich hasse ihn nicht. Ich wollte nicht foltern und töten. Deswegen bin ich geflohen. Aber hassen tue ich ihn nicht.", sagte er schließlich. Als er aufsah, merkte er zu seiner Verblüffung, dass Ginny lächelte.
„ Ich bin froh, dass du…"
„Ginny! Komm, sofort her!"
Harry wandte sich um und sah, dass es Ginnys Bruder gewesen war, der so laut gerufen hatte. An seiner Seite standen Neville und Hermione, die ihn alles andere als freundlich betrachteten. Ginny warf ihm einen Blick zu, sammelte ihre Bücher auf und ging zu ihren Freunden hinüber. Harry hörte noch, wie Ron Weasley zischte, mit einer Stimme, in der verständnislose Fassungslosigkeit mitschwang:
„ Er ist ein Todesser! Wie kannst du dich nur mit ihm unterhalten?"
Einen Augenblick erwog Harry sich einzumischen, doch glaubte er daran, dass Ginny sich auch alleine verteidigen konnte. Kopfschüttelnd sah er auf Ginnys leeren Platz. Es war seltsam, irgendwie hatte er immer öfter das beängstigende Gefühl, dass ihn dieses rothaarige Mädchen, das beinahe ein Jahr jünger war als er, ihn am besten zu verstehen schien. Harry, dem dies wie Verrat an Caro und Draco vorkam, stand auf und machte sich auf den Weg zur Kammer des Schreckens, während ihm durch den Kopf ging, dass es eigentlich unsinnig war jemanden zu hassen, nur weil er zu einer Gruppe gehörte, mit der man etwas Bestimmtes verband. Caro hasste, weil sie ihren Vater verloren hatte; Draco hasste, nun der Grund für Dracos Verhalten war Harry schleierhaft, zwar hatten seine Eltern ihm eingetrichtert all jene zu hassen, die nicht auf der Dunklen Seite standen, aber er war ebenfalls so erzogen worden; Hermione hasste, weil sie ihre Eltern verloren hatte und sprach wohl nur Sirius zuliebe mit ihm, wenn es unvermeidlich war und Sirius anwesend war, sonst richtete Hermione das Wort nie an ihn: Sirius und Remus hassten Peter, weil er sie verraten hatte und sein Adoptivvater hasste beinahe jeden.
Der Grund dafür war ebenfalls ein absolutes Rätsel für Harry. Tief in Gedanken schlenderte Harry den Korridor entlang. Eigentlich müssten Hermione und Caro sich doch gegenseitig verstehen, dachte er. Sie hatten schließlich beide ihre Väter verloren. Warum fragte sich Harry, war er nicht von solch einem Hass erfüllt? War es deswegen, weil derjenige, der seine Eltern auf dem Gewissen hatte sein Adoptivvater war und er seine leiblichen Eltern nie kennen gelernt hatte? Harry versuchte sich zu erinnern, wann er angefangen hatten die Überzeugungen seines Adoptivvaters in Frage zu stellen. War es gewesen, als er herausgefunden hatte, dass er ein Potter war? Harry schüttelte den Kopf. Nein, er hatte schon früher darüber nachgedacht. Nell, dachte er, er hatte Nell niemals als Sklavin gesehen und so war der erste Zweifel in ihm entstanden, ob das, was sein Adoptivvater ihm erzählte, richtig war. Harry ging durch das Porträt und verwandelte sich in einen Phönix.
Er hatte nicht die geringste Lust die Treppe hinunterzugehen. Mittlerweile hatte er es endlich geschafft und nun konnte er sich so lange in einen Phönix verwandeln, wie er wollte. In der Bibliothek angekommen, suchte er nach Büchern, die als Inhalt zauberstabslose Magie hatten. Ein kleines Buch herausziehend, fiel etwas heraus, als er die Seiten aufschlug. Neugierig bückte sich Harry. Es war ein Foto. Harry schnappte nach Luft. Im ersten Moment, dachte er, dass es seine Mutter wäre, doch dann sah er, dass die junge Frau, die ihm zuwinkte, bernsteinfarbene Augen hatte und auch ihre Gesichtszüge waren anders. Harry drehte das Foto um und las in verblasster Handschrift.
Triff mich heute in der Bibliothek. Um 10 Uhr.
Cathy
Harry wusste nicht weshalb, aber er legte das Bild in das Buch zurück und ließ es in einer seiner Taschen verschwinden. Während er weiter suchte, weilten seine Gedanken noch bei dem Foto und er fragte sich, wer das Mädchen wohl gewesen war.
Die Wochen vergingen und im November hatten sie ihr erstes Quidditch Spiel gegen Ravenclaw. Dank Harry, der als Sucher und Caro und Draco, die als Jäger spielten, gewannen sie mit 150 Punkten Vorsprung und stiegen über Nacht beträchtlich in der Achtung der anderen Slytherins. Während er mit Quidditch und Hausaufgaben beschäftigt war, fürchtete er fortlaufend, dass Diamond oder Caro und Draco, die in letzter Zeit versuchten den Ordensmitgliedern nachzuspionieren, herausfinden würden, wo sich das Archiv befand und bevor Harry es merkte, war Weihnachten.
Im Gegensatz zu Jamie, Lizzie und Remus Kinder, die sich freuten, fühlte sich Harry eher unwohl. Alison, die sich mit Lizzie zu ihnen gesellt hatte, starrte mit düsterer Miene auf den festlich geschmückten Weihnachtsbaum und jedes Mal, wenn Harrys Blick sie streifte, fühlte er Schuldgefühle in sich hochsteigen. Es war nicht deine Schuld, dass Snape zurückgegangen ist, sagte er sich streng.
Caro und Draco schienen sich ebenfalls fehl am Platz zu fühlen und Charlotte, die die Spannung bemerkte, gab sich zwar reichlich Mühe, aber so recht wollte auch ihr nicht gelingen, die Stimmung zu heben. Harry ertappte sich, dass er sich wünschte, dass Ginny auch mit ihnen feiern würde, statt mit ihrer Familie. Als Sirius einige Fotoalben herauskramte, war Harry froh, über die Ablenkung. Auch den Geschichten, die Sirius, mit einiger Unterstützung von Remus, zum Besten gab, lauschte Harry andächtig und spürte mit einem Mal heftige Zuneigung für seinen Paten und Remus, als sie voller Wärme von James und Lily Potter, seinen Eltern, sprachen. Ein Bild ansehend, runzelte Harry die Stirn. Es zeigte die Hochzeit seiner Eltern, seine Mutter in einem strahlend weißen Kleid stand Arm in Arm mit seinem Vater. Doch Harrys Blick blieb an dem Portal hängen, vor dem seine Eltern standen. Das Wappen, das über dem Tor angebracht war, erkannte er sofort. Es war das Bild, das auf seinem kleinen Kästchen abgebildet war, das er in Godric's Hollow gefunden hatte. Ein Meer von Flammen, das ein goldenes ‚P' umzüngelte.
„ Wo ist das?", fragte er und deutete auf das Bild.
„ Das war in Terley. Das Schloss der Potters, seit Jahrhunderten in ihrem Besitz. Lily und James kauften Godric's Hollow erst nach ihrer Hochzeit. Sie wollten ein kleines Häuschen und Lily verliebte sich augenblicklich in Godric's Hollow. Also zogen sie dort ein."
Harry nickte und während er langsam die Seite umblätterte, verweilten seine Gedanken noch bei der so eben erfahrenen Information.
Dank der kleinen Kinder wurde es letztendlich doch noch ein schönes Fest für Harry und er musste lächeln, als er sah, wie Lizzie in Dracos Armen eingeschlafen war. Die Kleine hatte seinen Freund ganz schön um den Finger gewickelt. Caro unterhielt sich mit Charlotte und Harry verspürte Erleichterung, dass Caro wenigstens Charlotte nicht mit Abneigung zu begegnen schien. Emily fütterte ihren Sohn, während Hermione mit Jamie und der kleinen Meggie herumalberte.
Sirius spielte mit Remus Schach und plötzlich fühlte sich Harry traurig und ausgeschlossen, was absurd war, aber ohne, dass er es wollte, musste er an seinen Adoptivvater denken, der jetzt in seinem düsteren Schloss saß. Harry wusste, dass er nicht feiern würde. Sie hatten niemals Weihnachten gefeiert und Harry verspürte eine seltsame Mischung aus Mitleid und Sehnsucht und stellte fest, dass er ihn vermisste. Er hat meine Eltern umgebracht, er hat Nell gefoltert und wollte mich zwingen zu foltern und töten, sagte sich Harry. Wieso hasste er ihn nicht? Das würde alles um so Vieles vereinfachen.Er sollte ihn hassen und doch hier war er und vermisste ihn!
Harry warf noch einen Blick auf die Anderen, dann stand er auf und ging aus dem Zimmer. Er kletterte einen der Türme hoch und schlenderte in der kalten Luft, auf einem der Wehrgänge entlang und merkte, dass es angefangen hatte zu schneien.
Die kalte Luft einatmend, seufzte er. Wie friedlich die Nacht doch war. Er lehnte sich gegen die Zinnen und starrte hinauf in den dunklen, schwarzen Himmel.
„ Fröhliche Weihnachten, Harry."
Harry wandte sich freudig um, Ginnys Stimme hätte er überall erkannt. Sie trug eine Kapuze, doch im Mondlicht konnte er trotzdem erkennen, dass sie ihn anlächelte.
„ Ist der Schnee nicht schön?", flüsterte sie und Harry blickte auf ihre Handfläche. Im fahlen Mondlicht glitzerten sie Schneeflocken und Harry hatte eine Idee. Seinen Zauberstab zur Hand nehmend, begann er zu wispern und während Ginny ihn erstaunt betrachtete, fügten sich die Schneeflocken zusammen und strahlendweiß glitzernd ringelten sie sich um Ginnys Handgelenk.
„Oh, Harry, das ist wunderschön!" sagte Ginny und sah auf das Armband hinunter.
„Danke, aber ich habe nichts für dich."
Harry schüttelte den Kopf.
„Das macht doch nichts."
Kaum hatte er zu Ende gesprochen, landete Rainbow grazil auf der Schlossmauer. Harry hob eine Hand und streichelte über die schwarzen Federn.
„ Da bist du ja wieder."
Ginny, die erschrocken zurück gewichen war, als sein Phönix so unerwartet angeflogen gekommen war, trat wieder näher und streckte ebenfalls ihre Hand aus, während Rainbow leise trillerte.
