Kapitel 30
Caro kreischte auf, als Harry und Draco an ihr vorbeiliefen und sich in das strahlend blaue Wasser des Ozeans warfen. Ärgerlich den Kopf schüttelnd, ging sie langsam weiter und schließlich schaffte sie es auch in die Wellen einzutauchen. Das Wasser war kalt, doch sobald sie sich daran gewöhnt hatte, war es herrlich.
Sie legte sich auf den Rücken und ließ sich treiben. Am Himmel war nicht ein einziges Wölkchen zu sehen, bemerkte sie. Ohne Warnung wurde sie unter Wasser gezogen und wütend und prustend auftauchend, stürzte sie sich auf Draco, der grinsend versuchte davonzulaufen, von Harry aber aufgehalten wurde. Lachend blieben sie noch eine Weile im Wasser und machten sich dann auf zum Strand zurück zu schwimmen.
„ Wer als erster bei den Decken ist!", rief Draco und begann über den warmen Sand zu laufen. Caro ereichte ihr schattiges Plätzchen unter dem grellbunten Sonnenschirm zuerst. Sich ihr Handtuch schnappend, lächelte sie glücklich. Wie schön es hier doch war. Terley schien wirklich eine Welt für sich zu sein, dachte sie. Eine Welt ohne Probleme und Sorgen, ging es Caro durch den Kopf. Jedenfalls fast. Seit Peter letzten Oktober verschwunden war, konnten sie nicht mehr ihn schicken, um einzukaufen, wie sie es vorher meistens getan hatten, sondern mussten selbst ab und zu das Schloss verlassen.
Ausflüge, die Caro nie herbeisehnte. Die Gefahr war zu groß entdeckt zu werden. Bisher hatten sie Glück gehabt, doch Caro wusste, dass, sollten sie wieder mit Anhängern des Dunklen Lords zusammentreffen, sie wohl kaum darauf hoffen konnten, dass Harry sie ein weiteres Mal davon überzeugen konnte, er handele auf Anordnung seines Vaters, wie er es getan hatte, als sie Charlie Weasley gerettet hatten. An Charlie denkend, spürte sie eine gewisse Traurigkeit in sich aufsteigen. In den letzten Monaten hatte sie oft an ihn gedacht, etwas was sie sich nicht erklären konnte.
Er wollte schließlich Auror werden, dachte sie verächtlich oder vielleicht war er es mittlerweile schon. Als sie Harrys Lachen hörte, nickte sie zufrieden und setzte sich auf. Sie war so froh, dass Harry die unglückseligen Ereignisse endlich überwunden hatte, wie auch Peters Verschwinden. Auch Magie benützte er wieder, wenn auch ohne seinen Zauberstab, der ihm, wie er gesagt hatte, abhanden gekommen war. Als Harry festgestellt hatte, dass ihm auch schwierige und fortgeschrittene Zauber gelangen, war er völlig aus dem Häuschen gewesen.
Anscheinend hatte ihm die lange Zeit, in der er auf jegliche Magie verzichtet hatte, gut bekommen. Jedenfalls nahm Harry an, dass die Pause der Grund für seine plötzlichen Fortschritte war. Caro war sich da nicht ganz so sicher, aber wenn es Harry glücklich machte, würde sie bestimmt nicht über den genauen Grund nachdenken. In den vergangenen Monaten hatten sie alle ziemliche Fortschritte in den verschiedenen Zweigen der Magie gemacht. Zwar hatte sie es aufgegeben jemals ein Animagus zu werden, sie hatte wohl einfach kein Talent dazu, hatte sie es als Erste geschafft zu apparieren, während Harry immer noch kleinere Probleme damit hatte.
Caro gähnte schläfrig und die zusammengerollte Diamond ein wenig beiseite schiebend, streckte sie sich aus. Aber jetzt war alles wieder gut, dachte sie glücklich und wollte gerade versuchen, ein Nickerchen zu machen, als ein seltsamer Schrei sie zum Himmel hochblicken ließ. Blinzelnd sah sie Rainbow, Harrys, in der Sonne, leuchtend schimmernden Phönix, der im Sturzflug auf sie zugeschossen kam.
Harry stand auf und spürte eine leise Beunruhigung in ihm aufsteigen. Rainbow landete und als er Rainbow den Brief abnahm, erkannte er Ginnys Schrift. Er las das Geschriebene und blickte dann hoch, auf das Meer hinaus, das wie ein glitzernder Spiegel vor ihm lag, doch er sah es nicht.
Harrys Hände, die sich wie taub anfühlten, umklammerten den Brief. Für eine kleine Hauselfe war er zurückgekehrt nach Arreton Castle, hatte sich trotz seiner Angst vor den Konsequenzen seiner Flucht und der Reaktion seines Adoptivvaters nicht davon abhalten lassen Nell zu retten. In dem Augenblick, in dem er Ginnys Zeilen gelesen hatte, war ihm klar geworden, dass er gar keine andere Wahl hatte, als zurückzukehren und alles in seiner Macht stehende zu tun, um Jamie und Lizzie zu helfen.
Der Brief fiel zu Boden. Die Realität hatte ihn eingeholt. Es war ihm nicht mehr möglich vor einer Entscheidung davonzulaufen. Er wusste, dass er eine Seite wählen musste und erfüllt von widerstreitenden Gefühlen rang er sich endlich dazu durch es zu tun. Es ging nicht mehr um die Licht Seite oder die Dunkle Seite, nicht mehr um Dumbledores Seite oder die seines Adoptivvaters. Es ging um zwei kleine Kinder; um Jamie, der so begeistert von seiner Fähigkeit gewesen war mit Schlangen zu sprechen, um Lizzie, die mit ihren großen blauen Augen Draco dazu gebracht hatte, ihr eine Geschichte zu erzählen.
Harry schüttelte den Kopf. Weshalb hatte sein Adoptivvater die Kinder entführt? Doch er würde sie nicht töten, oder? So grausam konnte sein Adoptivvater nicht sein. Im nächsten Augenblick überfielen ihn Zweifel. Was wenn doch? Harry seufzte. Es hatte keinen Sinn darüber nachzudenken, was er tun würde.
Caro sah wie das Pergamentblatt grazil auf den Sand flatterte und setzte sich auf.
„Harry?", sagte sie zaghaft.
Schwerfällig drehte Harry sich um und Caro erstarrte, als sie sein Gesicht sah. Mit fremd klingender Stimme, sagte er:
„ Jamie und Lizzie wurden entführt."
„ Was?", entfuhr es Draco, der sich abrupt aufgesetzt hatte.
„ Sie wurden von Todessern entführt. Ginny hat geschrieben. Sie, Charlotte und Alison bitten uns ihnen zu helfen."
„ Aber weshalb? Was hat er mit ihnen vor?", murmelte Caro händeringend, fassungslos, dass sie einen winzigen Augenblick zuvor noch so glücklich gewesen war. Sie wusste, dass Harry zurückgehen würde und im gleichen Augenblick begriff sie, dass auch sie alles dransetzten würde, um den Kleinen zu helfen, eine Erkenntnis, die sie ziemlich überraschte. Dann jedoch hielt sie abrupt eine.
„Du willst ihnen verraten, wo der Geheimgang ist, nicht wahr? Weißt du was das bedeuten würde? Du würdest der Licht Seite den Weg zum Sieg zeigen!"
Dracos Augen weiteten sich.
„ Das kannst du nicht tun, Harry!"
Harry starrte sie verzweifelt an.
„Und was schlagt ihr vor, sollen wir tun? Sollen wir Charlotte und Alison schreiben, wir würden ihnen nicht helfen? Und Jamie und Lizzie, ist es euch egal was mit ihnen geschieht?"
„Aber meine Eltern…", flüsterte Draco. Im gleichen Augenblick jedoch, stand er auf.
„ Du hast Recht, Harry, wir müssen ihnen helfen. Lizzie, ich würde mir nie verzeihen, wenn sie gefoltert werden würde oder Schlimmeres, wie damals in den Kerkern…", sagte Draco und brach ab.
„Auch wenn es heißt, dass wir…"
„Verdammt, warum mussten sie das tun!", schrie er plötzlich.
„ Ich weiß es nicht.", sagte Harry düster.
Draco drehte sich zu Harry, trat einen Schritt auf ihn zu und sagte nach kurzem Zögern,
„ Meine Mutter würde uns bestimmt helfen, Harry."
„ Deine Mutter?", fragte Harry, verwirrt.
„ Sie würde meinen Adoptivvater sofort sagen, dass wir im Schloss sind.", fügte er hinzu und war erstaunt, zu sehen, wie Draco vehement den Kopf schüttelte.
„ Nein, dass würde sie nicht. Ich habe ihr doch die letzten Monate geschrieben, sie weiß wo wir sind."
Caro sprang auf. Sie konnte nicht fassen, was Draco gerade gesagt hatte.
„ Du hast ihr geschrieben, wo wir sind? Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?"
„Sie hat es nicht verraten! Wenn meine Mutter es dem Dunklen Lord gesagt hätte, hätte er längst vor unserer Tür gestanden. Außerdem spielt das ja wohl keine Rolle mehr, oder?"
„Nein, es spielt keine Rolle mehr, überhaupt keine mehr.", schnappte Caro and stürmte den Felsen hinauf.
Harry starrte ihr nach.
„Es ist schwer für sie. Für sie ist es Verrat an ihrem Vater."
„ Und für dich?" fragte Harry leise.
Draco erwiderte seinen Blick traurig:
„Für mich auch. Am Anfang ist Lizzie mir ziemlich auf die Nerven gegangen, aber mit der Zeit habe ich sie wie eine kleine Schwester lieb gewonnen. Ich liebe meine Eltern Harry und trotzdem, es ist nicht richtig was sie tun. Lizzie und Jamie haben nie jemanden etwas getan."
Während Draco sprach, erkannte Harry plötzlich, dass es auch ihm wie ein Verrat vorkam. Aber weshalb sollte es das, fragte Harry sich zornig. Bevor er jedoch weiter darüber nachdenken konnte, seufzte Draco und sagte:
„Meine Mutter könnte uns wirklich helfen. Sie weiß bestimmt, wo die Kinder sich befinden."
Obwohl Harry noch nicht gänzlich überzeugt war, nickte er.
„ Komm, wir dürfen keine Zeit verlieren."
Während sie zum Schloss hinauf liefen, Rainbow hinauf flog und Nell mit Diamond folgte, erfasste der Wind das pergamentene Blatt, hob es in die Lüfte und als es gegen einen der Felsen geweht wurde, fiel es zu Boden, wo es schließlich wieder liegen blieb. Eine Ratte huschte aus einer Felsspalte, hinauf auf den Sand und beäugte das weiße Blatt Papier.
Sie trafen sich in Hogsmeade, in der Nähe der Heulenden Hütte. Als Sirius Harry sah, traf ihn dessen Anblick mit unbeschreiblicher Wucht. Er hatte sich verändert seit sich das letzte Mal gesehen hatte. Harry war groß geworden. Es fehlte nicht mehr viel und Harry wäre genauso groß wie er. Sirius trat seinem Patenkind entgegen. Er musste es endlich wissen, musste es wissen, bevor sie sich alle in Gefahr begaben und ihr Leben aufs Spiel setzten.
„ Warst du es? Hast du Farle und Bill Weasley umgebracht?"
Bevor Harry antworten konnte, begann Caro zu sprechen:
„ Dieser Farle hat uns angegriffen. Wir mussten uns verteidigen. Wir wollten ihn nicht töten. Es war ein Unfall und Bill Weasley wurde von Peter umgebracht."
Sirius' Augenbrauen schnellten hoch.
„ Peter?", wiederholte er gedehnt.
„Ja, Peter Pettigrew. Er blieb zurück, als wir flohen. Er hat Bill Weasley getötet haben und das Dunkle Mal heraufbeschworen haben."
Sirius sah, wie Remus' Augen sich umwölkten. Verwirrt schüttelte Sirius seinen Kopf. Die Geschichte schien ihn um so vieles komplizierter, als er gestern noch gedacht hatte. Bevor er jedoch weiter darüber nachdenken konnte, sagte Harry.
„Sollten wir uns jetzt nicht auf den Weg machen?", und plötzlich wollte er Harry verbieten mitzukommen, genauso wie er es Hermione verboten hatte, doch er wusste, dass sie ohne Harry und seine Freunde nicht in das Schloss des Dunklen Lords gelangen würden. Eine stille Entschuldigung an James und Lily sendend, nickte er grimmig. Jamies Leben zu retten, hatte höchste Priorität. Alles andere war zweitrangig.
Meggie Lupin lugte vorsichtig hinter dem Tisch hervor und spähte zu Hermione und Ginny hinüber, die schweigend in ihren Sesseln saßen. Meggie wusste, dass Hermione und Ginny ihr nicht erlauben würden nach draußen zu gehen, aber Meggie wollte zu ihrer Mutter. Sie tappte zur Tür, reckte sich ein bisschen und öffnete die Tür. Flink hüpfte Meggie den Korridor entlang und lief dann die Treppe hinunter.
Weder Hermione noch Ginny bemerkten Meggies Verschwinden. Hermione schüttelte ihren Kopf und erhob sich ruckartig aus ihrem Sessel. Nervös ging sie im Zimmer umher. Sie machte sich solche Sorgen um Jamie, Sirius und Charlotte und Lizzie, setzte sie in Gedanken hinzu. Ihr kleiner Bruder befand sich in höchster Gefahr und sie war hier zu dieser nutzlosen Warterei verdammt. Sie musste ihnen doch helfen. Selbst wenn Sirius und Charlotte es ihr verboten hatten. Sollten die Anhänger Voldemorts sie entdecken, dann….Und wer weiß, ob sie Harry wirklich trauen konnten. Hermione blieb wie angewurzelt stehen und sah, die Hände ringend, zu Ginny.
„ Ich kann nicht tatenlos herumsitzen und nichts tun! Ich muss Jamie helfen. Und Sirius und Charlotte."
„Das ist doch viel zu gefährlich. Außerdem, wie willst du sie finden?", erklang Nevilles Stimme von der Tür her, wo er mit Ron aufgetaucht war.
Hermione blitzte ihn wütend an.
„Na und? Wo Voldemorts Schloss sich befindet ist ja schließlich kein Geheimnis. Wir können mit unseren Besen dort hinfliegen. Alles andere wird sich schon ergeben.", sagte Hermione und zu allem entschlossen, marschierte sie an Neville und Ron, die sie bestürzt ansahen vorbei aus dem Zimmer. Ginny, die mit einer Hand ihr Armband aus Schnee umklammerte, folgte.
„Das ist ja Wahnsinn…", murmelte Ron und lief seiner Schwester und Ginny hinterher. Als jeder seinen Besen geholt hatte, liefen sie den Korridor entlang.
„Hermione! Wie sollen wir denn durch die Schutzzauber kommen?", fragte Ginny und stieß augenblicklich mit ihrer Freundin zusammen, die abrupt stehen geblieben war.
„Meggie und Ian! Ich habe sie völlig vergessen!", rief sie aus, schwang herum und lief zurück.
Während der zweijährige Ian friedlich sein Mittagsschläfchen hielt, war von Meggie weit und breit nichts zu sehen. Hermione nahm Ian aus seinem Bettchen heraus und runzelte die Stirn.
„Ginny, wir brauchen diese Karte, Fred und Georges Karte!"
Bevor Ginny begriff, was Hermione meinte, eilte sie schon davon. Ron, der Hermiones Besen trug und Neville liefen hinterher. Sie fanden zwar Fred und George, doch erfuhren sie zu ihrer Enttäuschung, dass die Zwillinge die Karte nicht mehr hatten.
„ Ja, es war reichlich seltsam. Eines Tages kam Sirius zu uns und hat gesagt, der Orden brauche sie. Das war kurz nachdem Harry Black und seine Freunde hier aufgetaucht sind.", sagte Fred hasserfüllt.
Hermione fluchte und wenig später liefen sie über die Ländereien von Hogwarts. Ian hatten sie bei den verdutzten Zwillingen gelassen. Sich versichernd, dass Meggie im Schloss keinerlei Gefahr drohen würde, überschlugen sich Hermiones Gedanken einen Weg zu finden, wie sie die Schutzzauber verlassen konnten.
Währenddessen war auch Meggie vor der sanft schimmernden Wand, die Hogwarts von der Außenwelt abschnitt, zum Stehen gekommen, allerdings auf der anderen Seite des Schlosses. Ihre kleinen Hände gegen die Barriere drückend, versuchte sie hindurch zu gelangen. Es war jedoch vergeblich.
„ Meggie, was tust du denn hier?", sagte eine Stimme und Meggie drehte sich um.
Albus Dumbledore, der gerade dabei war einen Spaziergang zu machen um seine Gedanken zu klären, beugte sich hinunter und sah, dass Tränen über Meggies kleines Gesicht liefen.
„ Ich will zu Mama."
Der alte Zauberer wischte Meggie die Tränen fort und nahm sie bei der Hand.
„ Deine Mama ist im Schloss. Komm, gehen wir zu ihr."
Doch Meggie wollte nicht mitkommen.
„ Nein, das ist sie nicht. Sie sind weggegangen, zum Kämpfen, aber es dauert schon so lange."
Albus runzelte die Stirn. Das konnte nicht sein. Als er sich jedoch an das seltsame Verhalten von den Blacks, den Lupins und Alison bei der vor Kurzem stattgefundenen Ordensversammlung erinnerte, verstand er warum er den Eindruck gehabt hatte, dass diese sein Büro so schnell wie möglich verlassen wollten und nicht weiter mit ihm diskutiert hatten, noch versucht hatten ihn zu überreden, das Hauptquartier Voldemorts anzugreifen. Zutiefst beunruhigt, hob er Meggie hoch und eilte so schnell er konnte mit dem kleinen Mädchen zum Schloss zurück.
„ Draco! Endlich sehe ich dich wieder. Was machst du bloß für Sachen?"
Harry sah zu, wie Draco seine Mutter in die Arme schloss. Immer noch nicht wissend, ob es gut gewesen war, Narcissa über ihre Ankunft zu informieren oder nicht, verweilten seine Blicke auf Narcissa. Es mochte durchaus sein, dass Narcissas Liebe zu ihrem Sohn größer war, als ihre Loyalität zu ihrem Gebieter, im Gegensatz zu Lucius Malfoy und Bella, die niemals gegen die Interessen des Dunklen Lords handeln würden, war sich Harry sicher.
Da die Kerker zu weitläufig waren, dass es möglich gewesen wäre, sie nach den Kindern zu durchsuchen, würde Narcissa ihnen einen unschätzbaren Dienst erweisen, wenn sie ihnen den Aufenthaltsort der Kinder preisgeben würde. Das hatte Harry gleich erkannt, sodass er trotz seiner Zweifel Draco nachgegeben hatte. Die Frage war nur, ob sie es wirklich tun würde? Harrys Blick huschte zur Tür, während er versuchte seiner Angst und Nervosität Herr zu werden. Draco flüsterte immer noch eindringlich mit seiner Mutter. Endlich wandte sich Narcissa von Draco ab und schaute kurz in ihre Richtung und ging dann zur Tür. Draco lächelte:
„Kommt.", sagte er.
Mit jedem weiteren Schritt fühlte Harry, wie seine Angst zunahm. ‚Bitte,' flehte er inbrünstig,‚lass Jamie und Lizzie noch am Leben sein.' ‚Und lass uns niemanden in die Arme laufen.' Harry umfasste den Stein seiner Kette, die er seit dem Tag als sie aus Hogwarts geflohen war, stets trug und versuchte sich Mut zu machen.
Die Kerker wurden immer düsterer und endlich blieb Narcissa vor einer der Zellen stehen. Sie schwang ihren Zauberstab und die schwere Tür öffnete sich.
„ Die Kinder sind fort.", sagte Narcissa stirnrunzelnd, während Charlotte ein ersticktes Geräusch von sich gab.
„ Vielleicht…."
Markerschütternde Schreie hallten durch die Kerker. Charlotte und Alison begannen zu laufen. Sirius und Remus folgten.
„ Nein, kommt zurück!", rief Harry bevor er ebenfalls anfing zu laufen. Sein Herz hämmerte schmerzhaft. Als er hörte, wie Charlotte Jamies Namen schrie, wusste er, dass seine schlimmsten Befürchtungen sich bewahrheiten würden. Schlitternd erreichte er eine der größeren unterirdischen Hallen. Charlotte, Sirius, Remus, Emily und Alison kämpften mit Lucius, Bella, den Averetts und zwei anderen Todessern, die er nicht kannte.
Doch das Geräusch von nahenden Schritten, kündigte weitere Todesser an. Harrys Blick flackerte zu Lizzie und Jamie, die leblos auf dem Boden lagen. Ohne sich der Gefahr bewusst zu werden, stürmte Harry vorwärts, mitten durch die Kämpfenden hindurch. Auf die Knie fallend, hob er Lizzie hoch. Wunderbare Erleichterung durchflutete ihn, als er merkte, dass sie lebte und auch Jamie atmete. Sein Kopf ruckte hoch und er erstarrte. Charlotte, die es geschafft hatte ihren Gegner zu besiegen, wollte zu Jamie laufen, doch der Dunkle Lord schnitt ihr den Weg ab. Harry, der die Anwesenheit seines Adoptivvaters bis zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt nicht wahrgenommen hatte, sprang auf. Gleißendes grünes Licht raste auf Charlotte zu und Harry schrie auf:
„ Nein!"
Die schwarzhaarige Frau fiel zu Boden und der Blick des Dunklen Lords blieb an Harry hängen. Goldenes Licht umgab ihn. Augenblicklich erstarrte Voldemort. Jahre verschwanden. Verdrängte Erinnerungen stiegen in ihm hoch. Mit zwei Schritten war er bei Harry, ergriff ihn bei den Schultern. Warum er das tat, hätte er nicht zu sagen vermocht. Harry schreckte zurück und Voldemorts Augen flogen zu der Kette, die um Harrys Hals hing. Bis ins Innerste aufgewühlt, starrte er Harry an. Eine hasserfüllte Stimme ließ ihn loslassen und herumschnellen.
„ Du Bastard!"
Den blendenden grünen Lichtstrahl mühte er mit Leichtigkeit ab und schickte seinen Todesfluch hinterher.
Für einen Moment stand Harry wie gelähmt, als er das grüne Licht nun auf Sirius zurasen sah. Zwar gelang es seinem Paten dem tödlichen Fluch auszuweichen, doch stolperte er und fiel buchstäblich einem schwarz maskierten Todesser in die Arme. Harry wollte Sirius zu Hilfe kommen, doch er war nicht weit gekommen, als Schmerz in ihm zu explodieren schien. Nie zuvor gekannte Schmerzen stürmten auf ihn auf und brachen über ihm zusammen.
Minerva spürte wie Angst sie erfasste, als das große bedrohlich düster aussehende Schloss vor ihr auftauchte und der Wald sich lichtete. Sie hatten keine Zeit verschwendet, nachdem Albus herausgefunden hatten, dass Sirius, Charlotte, Remus, Emily und Alison zum Hauptquartier des Dunklen Lords aufgebrochen waren.
Mit mühsam beherrschter Wut hatte Albus den gesamten Orden sofort von der Situation in Kenntnis gesetzt und hatte sich unverzüglich mit allen Freiwilligen auf den Weg gemacht, jedenfalls nachdem die Mehrheit bestimmt hatte, ihren Kollegen zu Hilfe zu eilen. Anderenfalls hätte Albus sich wohl immer noch nicht dazu entschlossen, die Festung des Dunklen Lords anzugreifen, dachte Minerva kopfschüttelnd. Ihrer Meinung nach hätten sie gleich den Entschluss fassen sollen und nicht darauf warten, wie die verzweifelten Eltern es im Alleingang versuchten.
Während Albus die Schutzzauber untersuchte, fühlte sich Minervas Herz mit grenzenloser Sorge. Der friedliche Morgen kam ihr bereits so unglaublich fern vor. Vor ihren Augen sah sie Severus mit Jamie und Lizzie über den Rasen laufen, sah Sirius aufspringen und Alison seltsamerweise in die entgegengesetzte Richtung davonlaufen. Es hatte einen Augenblick gedauert bis sie begriffen hatten, was passiert war. Albus hatte sich natürlich die größten Vorwürfe gemacht, aber was hätten sie tun sollen, als sie Severus bewusstlos vor den Toren von Hogwarts gefunden hatten?
„Es ist hoffnungslos.", sagte Albus plötzlich und ließ seine Hände sinken.
Minerva starrte ihn ein, während ihr durch den Kopf ging, dass es doch einen Weg geben musste, schließlich waren Sirius, Charlotte, die Lupins und Alison ja auch irgendwie hineingelangt.
„ Ich werde euch den Weg zeigen."
Die Ordensmitglieder fuhren herum und Minerva meinte ein Gespenst vor sich zu sehen. Obwohl es beinahe dreizehn Jahre her war, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, erkannte sie Peter Pettigrew doch augenblicklich.
Unvermittelt ließen die Schmerzen nach und Harry rollte nach Luft schnappend zur Seite. Seine Augen tränten und sein Kopf und Körper taten weh.
„Harry.", sagte eine Stimme und er fühlte sich hochgehoben. Harry blinzelte und als er endlich wieder klarer sehen konnte, erkannte er, dass er sich in der Umarmung seines Adoptivvaters befand. Eine kalte Hand legte sich auf seine Stirn, Magie umhüllte ihn und langsam verschwanden die Nachwirkungen des Cruciatus-Fluches. Wie seltsam, dachte Harry benommen, es ist das erste Mal, dass er mich umarmt. Als ihm allerdings schlagartig wieder einfiel, was sich ereignet hatte und warum sie hierher gekommen waren, zuckte er zurück. In dem Augenblick ertönten Schreie.
Sein Adoptivvater löste sich von ihm und Harry rappelte sich auf. Remus, Sirius, Emily und Alison wurden gefangen gehalten, Harrys Aufmerksamkeit wurde jedoch schnell auf etwas anderes gelenkt. Scharlachrote Umhänge drängten sich in die steinerne Halle. Harrys Blick irrte umher und fiel auf Caro und Draco, die neben Lizzie und Jamie gekauert hatten. Harry schlüpfte zwischen den Kämpfenden hindurch und kaum war er sicher auf der anderen Seite angekommen, riss Caro ihn schluchzend in die Arme.
„ Oh, Harry, geht es dir gut? Wir hatten solche Angst um dich."
„ Ja. Caro, Draco, hört zu. Wir müssen Lizzie und Jamie hier rausschaffen. Schnell.", sagte er hastig und löste sich aus Caros Umarmung. Während Draco Lizzie hochhob, nahm Harry Jamie auf den Arm und deutete mit dem Kopf auf die gegenüberliegende Seite.
„ Dort, der Weg führt hinauf zur großen Halle."
Sie hielten sich eng an der Wand und Harry achtete darauf, dass ihn in dem Kampfgetümmel kein zweites Mal ein Fluch traf. Als sie die Treppe erreichten, warf Harry noch einen Blick zurück und erstarrte jäh. Rotes Haar flammte kurz auf, doch er war sich sicher.
„ Bring Jamie in Sicherheit.", flüsterte er und reichte den Kleinen Caro. Ohne ihre Reaktion abzuwarten, lief er zurück. Wie in aller Welt kam Ginny hierher? Doch er kam nicht weit. Ein Zauberer, mit scharlachrotem Umhang, stellte sich ihm in den Weg und Harry blieb nichts anderes übrig als zu kämpfen. Sehr schnell vergaß er jegliche Rücksicht, er wollte nur noch zu Ginny und sie außer Gefahr bringen. Schwarze Magie kann unter Umständen doch nützlich sein, dachte Harry, als sein Gegner zusammensackte. Es war eng in dem unterirdischem Gewölbe und die Gefahr groß, dass man von Flüchen getroffen wurde, die ursprünglich nicht für einen bestimmt waren. Harry drängte sich kämpfend durch die Menge.
Seine Sinne bis zum äußersten angespannt. Er hörte ein Sirren und instinktiv fuhr er herum, blockte den Fluch ab und schickte den nächstbesten Fluch der ihm einfiel. Erst da sah er, wen er vor sich hatte. Während sein brillant silbernes Licht auf seinen Adoptivvater zuraste, der seinen Zauberstab sinken ließ, traf sich Harrys Blick für einen winzigen Augenblick mit dem seines Adoptivvaters. Dann wurde der Dunkle Lord nach hinten geschleudert. Silbernes Feuer schien ihn zu verzehren. Als das Licht verblasste lag der Dunkle Lord bewegungslos am Boden. Harry spürte, wie die Kämpfenden erstarrten, spürte, wie jemand mit großen Schritten an ihm vorbeieilte.
Minerva ließ ihren Zauberstab sinken, während sie den Atem anhielt, als Albus sich über Voldemort beugte.
„Ist er tot?", fragte eine barsche Stimme und sie sah, wie Alastor Moody auf Albus zuhumpelte.
„ Nein. Nur bewusstlos.", gab Albus müde seufzend zur Antwort.
In dem Augenblick schienen die noch kampffähigen Todesser aus ihrer Erstarrung zu erwachen. Minerva jedoch trat zu Harry, der bewegungslos in der Mitte stand und legte einen Arm um seine Schultern. Minerva drückte ihn an sich, was Harry willenlos geschehen ließ. Wie hatten sie sie nur so blind sein können? fragte sich Minerva, die immer noch entsetzt über das war, was Peter ihnen zuvor erzählt hatte.
Voller Misstrauen hatten sie Peter nicht glauben wollen, dass er sie ins Schloss zu führen gedachte, doch da die Zeit immer enger wurde und sie keine Möglichkeit fanden in das Hauptquartier zu gelangen, hatten sie, trotz der Tatsache, dass sie alle nicht vergessen hatten, dass er es gewesen war, der Lily und James verraten hatte, schließlich zugestimmt. Auf dem Weg hatte Pettigrew ihnen erzählt, was sich damals im Archiv des Ordens abgespielt hatte und Minerva war bestürzt gewesen.
„Harry. Komm, lass uns gehen.", sagte sie und wollte ihn mit sich ziehen. Es war immer noch gefährlich, noch nicht alle Anhänger des Dunklen Lords besiegt.
Harry jedoch schüttelte ihren Arm ab und machte einen Satz nach vorn. Blitzschnell war er an Alastors Seite und schlug seine Hand beiseite. Das gleißend grüne Licht wurde gegen die Wand geschleudert.
„Nein.", sagte er leise.
„ Ich werde nicht zulassen, dass ihr ihn umbringt."
