So, liebe Leute, hier kommt Kapitel 3. Und jetzt geht's langsam richtig los... Viel Spaß!


Es war schon spät als sie endlich die Schlucht erreichten, die sie zum Krater des Berges führte. Die Sonne war bereits untergegangen und das Rot, in das sie die Felsen rings um sie herum getaucht hatte, war einem fahlen Grau gewichen. Mit ihr war auch die Hitze des Tages verschwunden und statt ihrer stieg nun kalter Nebel aus dem Boden, der auch das letzte bisschen Wärme aus Stein, Mensch und Tier vertrieb.


Seraphin fror nicht. Das Einzige, das ihr Empfinden beherrschte war eine alles übermannende Müdigkeit, die sie mit aller Härte an den anstrengenden Ritt erinnerte und daran, dass sie seit dreizehn Sonnenläufen nicht mehr in einem Bett geschlafen hatte.


Sie erlaubte wenigstens ihrem Geist der Müdigkeit nachzugeben und in einer Art Dämmerzustand zu verweilen, während ihr Körper wach blieb um sich auf dem Pferd zu halten. Es war eine Art Abmachung, die diese beiden sehr essentiellen Teile ihres Selbst miteinander getroffen hatten und es funktionierte erstaunlich gut.


Auf diese Weise konnte zumindest ihr Geist sich ein Stück weit erholen, wenn auch nicht in dem Maße wie ein erquickender Schlaf es getan hätte. Aber es reichte um ihr Denken und Empfinden von der Welt zu trennen und einige sehr seltsame Bilder vor ihrem inneren Auge entstehen zu lassen, wie es einem in Träumen oft passierte. Der Unterschied war nur, dass sie sie als solche erkannte und sich nicht in sie hineinziehen ließ.


Aber dann spürte sie etwas. Es war nicht mehr als eine Ahnung, die aber rasch zu einem deutlichen Flüstern wurde.


Es ist etwas passiert.


Der Gedanke kreiste in ihrem Kopf, drehte sich dort wie in einem Strudel, so dass sie sich fast völlig in ihm verlor.


Es ist etwas passiert es ist etwas passiert es ist etwas passiert es ist...


Es ist etwas passiert.

Jophiel hatte nicht laut gesprochen, aber es für Seraphin klang es wie ein Donnerschlag und sie schreckte hoch. Jophiel hatte sein Pferd zum Stehen gebracht.


Es ist etwas passiert. wiederholte er. Er schaute sie an.


Und Seraphin wusste, dass es nicht nur eine Ahnung gewesen war.


flüsterte Seraphin.


Sie gab ihrem Pferd die Sporen.

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Sie galoppierte über die Brücke, die Hufe klapperten metallisch auf den Steinen. Es war bereits dunkel, aber da es Vollmond war, konnte sie im weißen Mondlicht doch das Gröbste erkennen.


Seraphin war allein, Jophiel hatte sie weit hinter sich gelassen und es würde wohl noch eine Weile dauern bis er sie eingeholt hatte. Sie war schon immer die schnellere Reiterin gewesen, und auch die waghalsigere. Jophiel war wohl vernünftiger gewesen als sie und hatte sein Pferd nicht so halsbrecherisch über den Felsboden gehetzt, auch wenn er wie sie nach Hause kommen wollte um endlich Gewissheit zu haben.


Mit einem Ruck brachte Seraphin ihre Stute zum Stehen und noch bevor das Pferd ganz zum Halten gekommen war, war Seraphin schon abgesprungen und stürmte die Stufen hinauf. Schwer atmend kam sie oben an, wollte hinein stürmen, hielt aber plötzlich inne. Es brannte kein Licht in den Fenstern. Alles war still.


Das Tor war offen, aber das war es immer und es wunderte sie nicht. Heute hatte sie allerdings das Gefühl, dass es so nicht richtig war, dass es geschlossen sein sollte um das Innere zu beschützen.


Zögernd trat sie ein. Es war so still in dem Gebäude, dass Seraphin ihren eigenen, vom Treppenlaufen noch schnell gehenden Atem hören konnte. Nur vereinzelt spendeten einige, schon fast heruntergebrannte Kerzen spärliches Licht, so dass Seraphin sich an der Wand den Gang entlang tasten musste. Nirgends war jemand zu sehen. Alles wirkte wie tot. Wo waren sie nur alle? Vater, Ophaniel, ihre Geschwister?


Der Saal fiel ihr ein. Wenn überhaupt jemand hier war, dann dort. Als sie den Raum erreichte, stellte sie fest, dass auch hier kaum Licht war, aber es brannten mehr Kerzen als im Rest des Hauses, so dass sie sich nun nicht mehr nur auf ihren Tastsinn verlassen musste. Von den Wänden des Saales hallten ihre Schritte wieder und ihr fiel zum ersten Mal auf, dass der Raum so gross war um ein Echo zu erzeugen. Aber vielleicht lag es nur daran, dass er verlassen und leer war. Das war er sonst nie.


Mitten im Saal stand ein Stuhl, so offensichtlich platziert, dass Seraphin sich verwundert fragte, wer ihn so, so falsch, dahingestellt hatte. Als sie näher trat, erkannte sie im flackernden Licht der Kerzen eine in sich zusammengesunkene Gestalt auf dem Stuhl.


Seraphin hatte ihn durchaus erkannt, aber sie zögerte. War er tot? Warum antwortet er ihr nicht?


Da hob die Gestalt den Kopf. Tränen schimmerten in ihren Augen. Es war ihr Vater. Und er war es nicht.

flüsterte er. Meine Tochter. Meine einzige Tochter. Meine letzte Tochter.


Seraphin wäre beinahe ein paar Schritte zurückgewichen. Sie war nicht seine einzige Tochter. Sie hatte noch zwei Schwestern. Und das war nicht ihr Vater! Das war ein alter, gebrochener, schwacher Mann, nicht ihr Vater! Ihr Vater war nicht schwach, war es nie gewesen. Jedenfalls hatte sie ihn nie so erlebt. Niemand hatte ihn, ihren Vater, Gabriel, je schwach gesehen. Was war nur geschehen?


Sie eilte auf ihn zu und kniete sich vor ihm hin, ergriff seine Hand. Was ist passiert? Wo sind die anderen?


Ihr Vater antwortet nicht, schien sie gar nicht gehört zu haben Sie sind fort. antwortete er nach einem Seraphin ewig erscheinenden Augenblick . Alle. Sie sind alle fort.

Es ist vorbei.


Was ist vorbei? Seraphin suchte in seinen Augen verzweifelt nach einer Antwort, konnte dort aber nichts als Trauer finden. Und Schmerz. So antworte doch! Sie drückte sein Hand fester, als könne sie auf diese Weise eine Antwort aus ihm herauspressen.

Mit einem Mal schien Gabriel nicht mehr so gebrechlich und richtete sich in seinem Stuhl auf. Es ist vorbei. sagte er fest. Endgültig. Die Zeit unseres Volkes ist vorbei. Sein Blick fiel auf Seraphin herunter, die immer noch vor ihm kniete.


Wir müssen nun auch diese Welt verlassen.

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Seraphin saß auf ihrem Bett. Tränen liefen über ihr Gesicht, aber sie spürte keinen Schmerz. Sie spürte nichts. Gar nichts. Der Gedanke, dass fast alle tot waren, die sie liebte, rief bei ihr keinerlei Empfindung hervor. Sie fühlte sich schon beinahe selbst wie tot. Selbst die Vorstellung, dass sie einen ebenso grausamen und qualvollen Tod sterben würde wie die anderen auch, berührte sie nicht.


Tod durch Krankheit. Es hatte drei Sonnenläufe, nachdem Serpahin und Jophiel aufgebrochen waren begonnen. Innerhalb von Tagen, Stunden waren mehr als die Hälfte von ihrem Volk einen namenlosen Tod gestorben bis nur noch sehr wenige übrig waren, von denen ein Großteil in die Berge floh, weil sie hofften sich so zu retten. Es war eine trügerische Hoffnung, denn die meisten waren zu diesem Zeitpunkt schon krank, ohne dass sie es wussten.


Tod durch Seuche! Noch nie war ein Angehöriger ihres Volkes einen so erbärmlichen Tod gestorben. Sie, die einst unsterblich waren, sie, die einst zu den mächtigsten Völkern Mittelerdes gehört hatten, starben nun an einer Seuche! Wut erfüllte sie mit einem Mal und leicht triumphierend stellte sie fest, dass nicht alles in ihr tot war, dass sie wenigstens noch in der Lage war, Zorn zu empfinden . Sie hob den Kopf. Nein, sie war noch nicht tot. Und sie würde alles tun, um das zu verhindern. Sie würde auch alles tun, um die anderen, die noch übrig geblieben waren, vor solch einem Tod zu bewahren. Wo immer sie jetzt auch waren.


Nur, was konnte sie überhaupt tun? Sie überlegte angestrengt, als sich auf einmal die Tür öffnete und ihr Vater eintrat. Er hatte nicht geklopft.


Wie geht es dir? fragte er und zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Seraphin den Eindruck, dass er ehrlich um sie besorgt war.

Sie versuchte zu lächeln. Es geht mir gut. Wenn man das so sagen kann ohne zu vergessen, dass ich wohl bald sterben werde. Sie schaute ihn an. Vater, was sollen wir nur tun?

Er setzte sich neben sie auf das Bett. Den Tod akzeptieren und ihm tapfer entgegensehen, mein Kind.


Seraphin hasste es, wenn er sie so nannte. Sonst nichts? fragte sie mit einem leicht ärgerlichen Unterton, der nicht nur daher rührte, dass er sie sein Kind genannt hatte. Sonst willst du nichts tun?

Die Augen ihres Vaters wurden schmal. Wir können nichts tun. sagte er in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete, aber Seraphin ignorierte ihn.


Oh, doch das können wir. sagte sie, während sie das ihr sehr bekannte Gefühl spürte, wenn sich der Zorn langsam in einem ausbreitet bis er einen dann irgendwann ganz beherrschte. Noch hatte sie die Kontrolle. Fragte sich nur, wie lange noch.


Wenn der Tod kommt, dann soll man ihn akzeptieren.

Aber wir können es noch verhindern. Seraphin war aufgestanden. Der Wille sich zu beherrschen wurde schwächer. Der Gedanke hier tatenlos rumzusitzen und auf den Tod zu warten, und dann noch auf den Tod in solch einer Form, war ihr unerträglich.


Das können wir nicht. Wir sind machtlos. widersprach ihr Vater, aber Seraphin schrie schon, als er nur anfing das Wort auszusprechen.


WIR SIND NICHT MACHTLOS!


Stille breitet sich zwischen ihnen aus. Seraphins Zorn verflog so schnell, wie er sie in Besitz genommen hatte. Mit einem Mal fühlte sie sich sehr müde.


Wir waren einmal nicht machtlos. sagte Seraphin leise und ließ den Kopf hängen. Machtlos drückte im Monet allerdings genau aus, wie sie sich fühlte.

Gabriel nickte. Er war ruhig geblieben. Äußerlich auf jeden Fall, aber Seraphin wusste genau, wie sehr er es missbilligte, wenn sie ihren Emotionen freien Lauf ließ.

Ja, aber das ist lange her, meine Tochter.

Ja, lange her. murmelte Seraphin, als ihr etwas einfiel. Sie schaute auf.

Es gibt jemanden, der vielleicht einen Ausweg weiß. Sie ist alt. Sie hat viel gesehen. Sie weiß viel.


Jetzt sprang auch ihr Vater auf; seinen Ärger konnte er nun nicht mehr verbergen. Du wirst nicht zu ihr gehen. befahl er, mit jedem Wort lauter werdend. Sie ist eine Hexe.

Sie ist eine von uns.

Sie war eine von uns. Eine Hexe gehört nicht zu uns.


Er fing an unruhig auf und ab zu gehen. Ich werde nicht zulassen, dass du zu ihr gehst um dann auch irgendwo allein in den Bergen an der Krankheit zu sterben. Er schüttelte den Kopf. Nein, du wirst hier bleiben. Er setzte sein Wanderung durch Seraphins Zimmer fort, stoppte und fuhr zu Seraphin herum.

Du wirst hier bleiben! wiederholte er noch einmal, nun beinahe drohend.

Seraphin senkte den Blick. Ja, Vater. sagte sie.


Gabriel runzelte die Stirn und schien überrascht, dass sie so kampflos aufgab. Er kannte seine Tochter zu gut. Das war nicht ihre Art. Prüfend schaute er sie an, aber sein Zweifel währte nur kurz. Du bist doch vernünftiger als ich dachte. meinte er. Er ahnte nicht, wie falsch er damit lag!


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Ein kühler Wind wehte durch das Fenster und Seraphin atmete tief ein. Der Mond beleuchtete die verlassene Stadt, die Luft war kalt und verwandelte ihren Atem in eine weiße, nebelige Wolke, die aus ihrem Zimmer in den schwarzen Nachthimmel strömte. Es leuchteten keine Sterne, nur der Mond hing als eine silberne Scheibe über der schlafenden Szenerie.


Sie wusste, was sie zu tun hatte. Und dennoch... Es fiel ihr schwer. Wer wusste, ob sie jemals zurückkehren würde, ob sie das alles jemals wiedersehen würde. Es war der einzige Ort hier, der schön war und den sie mit ganzem Herzen liebte. Die filigranen, zerbrechlich wirkenden Bauten mit ihren schlanken Türmen, die weißen Steine, die im Mondlicht leuchteten.


Und sie würde höchstwahrscheinlich nicht an diesem Ort sterben, wenn sie ihr Vorhaben in die Tat umsetzte. Sie würde wohl tatsächlich einsam in den Bergen sterben, wie es ihr Vater es hatte verhindern wollen. Im Grunde war ihr dieser Gedanke auch zuwider, aber andererseits... Hier zu warten, war noch viel schlimmer. Gabriel hätte jetzt gesagt, dass es ihr an Tapferkeit mangele, dass sie Angst vor dem Tod habe, und möglicherweise war das auch der Fall. Aber sie schämte sich dessen nicht.


Sie wandte sich ab. Denk nicht daran, was mir dir passieren könnte. sagte sie leise zu sich. Es ist nicht wichtig, was du warst. Es ist nur wichtig, was du getan hast.


Und ob du etwas getan hast. fügte sie hinzu.


Unter dem Fenster stand eine Holztruhe. Seraphin öffnete sie und begann zu packen. Viel brauchte sie nicht; sie würde ja wahrscheinlich nicht lange unterwegs sein. Wild wühlte sie in ihren Sachen und warf wahllos einen Mantel, einen Dolch und einiges mehr hinter sich, als sie plötzlich inne hielt. Am untersten Boden der Truhe funkelte ihr etwas entgegen. Ihr Schwert! Sie hatte es schon sehr lange nicht mehr hervorgeholt. Seit dem Tag als Jophiel zu ihr gesagt hatte, dass er ihr nichts mehr beibringen könne. Seraphin musste lächeln, als sie daran dachte. Es hatte nicht gestimmt. Sie hätte durchaus noch etwas lernen können, aber Jophiel wollte wohl nicht das Risiko eingehen, irgendwann von seiner Schwester geschlagen zu werden. Was aber wahrscheinlich nie passiert wäre, so oder so. Jophiel war im Schwertkampf unschlagbar.


Seraphin zog das Schwert aus der Scheide. Das Metall der geschwungenen Klinge schimmerte schwach im fahlen Licht des Mondes und ließ die feinen Schriftzeichen auf ihm erkennen. Sie erzählten die Geschichte ihre Volkes. Und die ihre.


Die Geschichten sollten noch nicht enden. Nicht hier.

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Leise war sie zum Stall hinuntergegangen, leise hatte die ihr Pferd gesattelt. Sie fühlte sich fast wie eine Verräterin, so wie sie sich davon schlich. Erst als sie die Brücke überquert hatte kam ihr in den Sinn, dass es nicht mehr viele gab, die sie hätten hören können.


Sie hoffte, dass es nicht noch weniger sein würden, wenn sie zurückkehrte. Falls sie zurückkehrte.


Als sie im Sattel saß, drehte sich noch einmal um. Ein einziges, letztes Mal. Dann ritt sie davon.


Na, was sagt ihr? Gefällt's euch? Hab mir echt Mühe gegeben und ich hoffe, es ist mir gelungen, ein bisschen von dem, wie ich mir die Charaktere vorstelle und ein bisschen Stimmung rüber zu bringen. Schreibt mir eure Meinung, d.h. im Klartext: REVIEWS!!! BITTE!!!!!!