14.Kapitel : Träume
Das ganz Hogwarts von der Panik befallen wurde, davon bekam Harry, wie von so vielem anderen auch, nichts mit. Er träumte. Und in seinem Traum fand er und sah er ständig Dinge, von denen er nie etwas hätte erfahren dürfen.
Schnell nachdem er eingeschlafen war hatte er heraus finden können, dass er in seinen Träumen antworten auf all seine Fragen finden konnte. Er träumte nämlich nicht nur Dinge aus seinem Leben, er konnte plötzlich die gesamte Vergangenheit erträumen. Er konnte alles sehen und alles erfahren, was ihm früher versagt gewesen war.
Zeit gab es in dieser Welt nicht. Sie war auch voll kommen überflüssig, ganz besonders dann, wenn man in der Zeit umherreisen konnte, wie man wollte.
Harry wusste nicht, ob er noch lebte und immer noch schlief, oder ob er schon tot war. Es war ihm auch gleichgültig geworden.
Aber trotz alledem vermisste er Inaer.
Hier in diese Welt konnte sie nicht eindringen, ihn nicht treffen. Das schmerzte sehr. Und noch etwas war unverständlicherweise nicht möglich: Alles was mit ihm zu tun hatte konnte er nicht aufrufen.
Vieles von dem, was er sah, kam auch einfach so über ihn. Langsam fing er aber an zu verstehen, was es mit diesem Krieg auf sich hatte.
Gerade zwang sich ihm eine weitere Vision auf:
Harry befand sich in einer Halle, einer großen Halle. Sie hatte große Ähnlichkeiten mit dem Innenraum einer gotischen Hallenkirche. Die Fenster, die er sah, erzählten eine eigene Geschichte, zumeist Bibelgeschichten, wie der Brudermord von Kain und Abel, der Sündenfall, die Kreuzigung Jesu und, was ihm ganz besonders auffiel, viele Bilder, die dem Buch der Offenbarung entsprangen, die Apokalyptischen Reiter, die Sieben geöffneten Siegel und ihr Folgen, die Frau mit dem Kind und der Drache mit den sieben Köpfen, zehn Hörnern und sieben Diademen. Alle Fensterbilder waren die dunkelsten Szenen, die sich in der Bibel befinden. Wenn dies eine Kirche war, so war es keine normale Kirche.
Nachdem Harry sich die Fenster angesehen hatte fiel sein Blick auf den Altar der Kirche. Um ihn standen sieben Personen. Da er zu weit entfernt war, um zu erkennen, wer das sei, ging er näher ran.
Mit jedem Schritt, der er näher kam, weiteten sich seine Augen immer weiter. Alle Personen, die dort standen kannte er.
Aber je näher er kam, um so mehr veränderten sie sich. Sie sahen nicht mehr so aus wie die, die er kennen gelernt hatte. Niemand, nicht einmal ihr eigenen Eltern hätten sie wiedererkannt und als er das Siegel hinter ihnen sah, wusste er, dass er den sieben Todsünden gegenüber stand.
Plötzlich wurde er aus dieser Welt heraus gerissen und landete in einer art Höhle. Es war sehr düster und sah schon älter aus. Am Ende der Höhle sah er so etwas wie einen Altar. Er ging auf diesen Altar zu und besah ihn sich genauer.
Der Altar sah aus wie ein Schrank mit einem Dach und war schon sehr heruntergekommen und vier alte, heilige und geweihte Stricke hingen von ihm herab. Da er hier keine feste Form hatte, sondern mehr wie ein Geist war, konnte er die Tür des alten Altars nicht öffnen, auch wenn es ihn sehr interessiert hätte.
Er sah sich weiter in der Höhle um. Direkt über dem Eingang sah er eine Wandmalerei. Darauf konnte er einen Menschen sehen, der irgendwie zweigeteilt war: Die eine Seite war dunkel, die andere hell, so als hätte diese Person zwei Seiten.
Durch den Eingang konnte er jemanden kommen hören. Harry staunte aber nicht schlecht als er sah, dass es zwei Personen waren. Noch mehr überrascht war er, als er erkannte, wer das war: Es waren Eriel und Inaer. Harry wurde rot als er Inaer erblickte, doch er wusste, dass sie ihn nicht sehen konnte.
Eriel und Inaer gingen auf diesen Altar zu und blieben davor stehen.
Inaer begann: „Sollen wir das wirklich machen?"
Eriel antwortete: „Ja. Oder fällt dir eine bessere Lösung ein?"
„Nein, aber muss es jetzt sein? Jetzt, wo wir uns gerade wiedergesehen haben?"
„Naja, wir können es ja erst Mal mitnehmen und dann benutzen, wenn wir wirklich keine andere Wahl mehr haben."
„Manchmal könnte ich denken, dass du die dunkle Seite bist Schwester."
Beide drehten sich zu der Wandmalerei um.
„Zwillinge haben eine Seele die gespalten wurde." sagte Eriel zu dem Bild.
„Aber nur wenige der Seelen werden in gut und böse aufgeteilt, so wie wir." fügte Inaer hinzu und lächelte ihre Schwester an.
Nun verstand Harry was mit der Trennung auf der Malerei gemeint war. Sie stand also für Zwillinge, deren Seele zu gut und böse gespalten wurde. Anscheinend wurde sie hier wieder zu einer Seele zusammen geführt. Dies war also ein Ort, an dem die Zwillinge wieder vereint wurden. Doch da stellte er sich die Frage, wie sie das bewerkstelligten.
Nun beobachte er wieder die Zwillinge. Er sah sie sich genauer an. Da bemerkte er, dass er schon hätte früher darauf kommen können: Inaers Haare, so schwarz wie die Nacht, tief wie die Finsternis und Eriels Haare, so hell wie der Tag, strahlend wie das Licht, unterschieden sich wie sonst nichts in der Welt.
Inaer und Eriel gingen nun auf den Altar zu.
„Wir müssen ihn gemeinsam öffnen." sprach Inaer leise und traurig, als wolle sie das nicht tun.
Beide griffen gleichzeitig an den Knauf und öffneten die Türen.
Harry, der das alles sehen wollte, kam aus einem unerfindlichen Grund nicht näher an sie heran. Er konnte sie nur noch von hinten sehen.
Inaer fasste in den Altar hinein und zog etwas heraus. Was es aber war konnte er nicht erkennen.
Inaer presste dieses etwas an ihr Herz und sagte bedrückt: „Ich bin die ältere von uns beiden. Aber, ich will das nicht tun."
„Ich hoffe auch, dass wir das nicht brauchen werden, aber für den Fall der Fälle." Eriel redete beruhigend auf ihre Schwester ein, nahm ihre Hand und fuhr fort: „Wir haben uns als kleine Kinder einmal versprochen, dass wir immer zusammen sein werden. Vor sieben Jahren ist mir klar geworden, dass wir so unser Versprechen nicht halten können. Nicht, wenn wir zwei Individuen sind."
„Du hast Recht, wie schon so oft, Eriel. Wenn wir es tun können wir für Immer und Immer zusammen bleiben. Wir können wieder eins werden."
'WAS?' schoss es Harry durch den Kopf. 'Wie meinen sie das mit EINS werden? Etwa so, wie auf dem Bild?'
„Lass uns dennoch versuchen alles ohne es zu beenden. Ich träume zwar seit dem Tag unserer Geburt davon, aber es muss ja nicht sein."
„Ich habe auch davon geträumt, aber ich will das nicht tun. Ich will das niemals tun. Ich will nicht!"
Harry verspürte wieder eine enorm starke Druckwelle, die ihn aus dieser Welt hinaus bugsierte und ihn auf einen schneebedeckten Berg brachte.
Es war kalt, der Schnee fiel und der Wind heulte. Er konnte das alles spüren, doch er wusste nicht, warum er plötzlich wieder die Fähigkeit hatte zu fühlen.
Sein Blick schweifte über die Berge und direkt vor sich konnte er durch den tanzenden Schnee eine Gestalt ausmachen, die reglos da stand.
Von seiner Neugierde gepackt ging er direkt auf diese Person zu. Er schüttelte sich dabei vor Kälte und das Vorankommen war sehr mühsam, da er durch tiefen Schnee waten musste. Je näher er der Person kam, um so deutlicher konnte er ihre Umrisse erkennen. Ihm wurde kälter, als er erkannte, dass die Person nur spärlich bekleidet war und anscheinend eine Frau. Ein leichtes Gewand in schwarz und weiß war zu erkennen, wie das einer Königin. Schuhe trug sie keine und stand direkt auf dem Schnee, sie versank nicht darin wie Harry. Sie hatte langes Haar, mit dem der Wind spielte und das silbern im Licht der Sonne glänzte. Obwohl sie anscheinend schon lange dort stand war ihre Haut so bleich wie der Mond.
Harry kam immer näher und sah ein Schwert, das sie vor sich aufgestellt hatte, das so reich beschmückt und lang war, dass es das Schwert eines Königs hätte sein können. Es sah aus wie eine der alten Runenklingen, denen geheime Mächte innen wohnten.
Er wusste nicht so recht, was er hier sollte, ansprechen konnte er sie ja doch nicht.
Da drehte sie sich um und sah ihm direkt in die Augen. Er blickte in tief graue Augen. Wenn er nicht gewusst hätte, dass niemand ihn sehen konnte, hätte er wirklich gedacht, dass sie ihn ansah. Aber das war nicht möglich.
Doch dann richtete sie das Wort an ihn: „Wie schön, dass du endlich meinem Ruf gefolgt bist und nun doch in meinem Reich angekommen bist."
Er erschrak so sehr, dass wenn er der Möglichkeit dazu gehabt hätte, nach hinten über gefallen wäre. Das geschah aber nicht, da er mittlerweile zu tief in dem Schnee steckte.
Vollkommen entgeistert rief er gegen den Wind an: „Was? Du kannst mich sehen?"
Ihre Antwort kam trocken, als wenn das selbstverständlich wäre: „Natürlich. Ich habe dich schließlich hier her gerufen und dich materialisiert, damit ich dir sagen kann, was du wissen musst."
Sie reichte ihm die Hand. „Aber erstmal sollten wir dich aus dem Schnee holen. Im Gegensatz zu mir spürst du nämlich die Kälte des Schnees."
Harry nahm die Hand dankend an, bezweifelte aber, dass dieses schwach wirkende Mädchen ihn da raus ziehen könnte. Doch er musste sich wieder einmal eines besseren belehren lassen. Ihm wurde fast schwindelig, bei der Geschwindigkeit mit der sie ihn aus dem Schnee zog. Und nun konnte er auf dem Schnee stehen.
„Danke." war seine Reaktion darauf. Ihm war immer noch kalt, aber ihm wurde langsam schon etwas wärmer, auch wenn es sich nur um maximal zwei Grad handeln konnte.
„Möchtest du alles über dich erfahren?" fragte die Frau ihn gleichgültig.
Harry dachte, er hätte sich verhört. Über sich erfahren? Alles? Endlich das erreichen, was ihm die ganze Zeit über verwehrt geblieben war? Das erfahren, was er wissen wollte? So antwortete er: „Natürlich! Ich möchte alles über das Rätsel meiner Herkunft erfahren. Aber bevor du mir das erzählst, möchte ich gerne wissen, von wem ich hier diese Information erhalte!"
Er erwartete ehrlich gesagt keine Antwort auf diese Frage. Doch als sie antwortete wurde er wieder eines besseren belehrt: „Meine Eltern hatten mir keinen Namen gegeben. Sie hatten nicht einmal die Möglichkeit dazu. Seit meiner Geburt bin ich auf diesem Berg. Dennoch ging eine Kunde von mir in alter Zeit durch das Land. Viele Namen haben sie mir gegeben. „Kaguya" und „Shirahime, die Schneeprinzessin" sind nur zwei von vielen. Die Zeit hat aber dazu beigetragen, dass ein Mann hier herkam, der mir dann den Namen Andariel gab. Diesen Namen gab er mir kurz bevor er starb. Nun liegt er hier erfroren unter dem Schnee im ewigen Eis. Dieser eine Name ist der, der mir am Besten von allen gefällt, da er direkt in meiner Gegenwart vergeben wurde." Sie machte eine Pause. Harry fand es nicht angebracht weitere Fragen zu stellen, auch wenn sie sich ihm aufzwangen.
Dann jedoch fragte sie: „Möchtest du die Geschichte meiner Eltern erfahren bevor du deine eigene erfährst?"
Harry konnte nicht anders. Er antwortete: „Ja."
Und Andariel begann die Geschichte ihrer Eltern.
