Kapitel: Sonne und Mond
Seit ich meinen 16. Geburtstag feierte, liege in Ketten in diesem Gefängnis. Seit diesem Tag bin ich ein Monster. Genau an diesem Tag sind meine Augen rubinrot geworden. Alle haben mich geächtet, mich Monster oder Dämon genannt. So kam ich hier her. Hier war es immer dunkel. Man verwehrte mir die Sonne. Ich wusste nicht, wie lange ich schon hier war. Ich hatte aufgehört zu zählen, wie oft der Mond schon voll gewesen war. Den Mond, ja, ihn durfte ich sehen, doch niemals die Sonne. Das Licht des Mondes war das Einzige, was mir geblieben war. Deshalb sehnte ich jedes Mal die Nacht herbei. Jahre saß ich mit Sicherheit schon hier drin, denn mein schwarzes Haar war sehr lang geworden.
Jedes Mal, wenn jemand herunter kam wurden mir die Fesseln abgenommen und jedes Mal schmerzten meine Handgelenke aufs neue.
Sie riefen mich immer nur mit Rotaugen, nicht mit meinem Namen, Ithill.
Aus irgendeinem Grund leuchteten meine Augen im Dunkeln. So wussten sie immer, dass ich noch da war und man hätte es gesehen, wenn ich ausgebrochen wäre. Aber aus welchem Grund hätte ich das tun sollen. So schlief ich am tage und betrachtete den Mond des Nachts so lange ich konnte.
Doch an dem heutigen Tage war alles irgendwie anders...
Draußen, vor meiner Zelle, vernahm ich das Geräusch eines Kampfes. War ein Krieg ausgebrochen?
Aber es konnte mir ja egal sein. Raus kam ich hier sowieso nicht.
Da hörte ich es bereits: Die Türen der Kerker wurden aufgebrochen. Doch die Insassen wurden nicht befreit. Nein, das wäre ja was neues gewesen. Sie wurden alle von ihrem Leiden befreit und dem heiligen Vater übergeben. Ich hörte nur Schreie.
Nun wurde auch meine Tür geöffnet. Ein Mann betrat mit schnellen Schritten das Verließ, mein Verließ. Wenn der Tod mein Schicksal sein sollte, dann wäre es gut gewesen.
Doch vorher wollte ich gerne meinen Mörder sehen, ihm in die Augen blicken, denn dann wäre mir der Tod gewiss gewesen. Dann hätte ich das hier endlich hinter mir gehabt.
So drehte ich meinen Kopf ihm zu. Er sah meine Augen und erstarrte. Doch auch ich erstarrte, denn auch seine Augen leuchteten. Genau wie meine, nur dass seine Augen gelb waren.
Trotz allem zog er sein Schwert und er würde den streich ausführen. So schloss ich meine Augen, da ich dies nicht mitbekommen wollte.
Ich wartete, doch es geschah nichts.
Nun öffnete ich meine Augen wieder und da erblickte ich etwas, das ich nicht glauben konnte: Er zerschnitt die Fesseln, die mich an diesen Ort ketteten.
Kaum als er sie durchtrennt hatte ergriff er meine Hand und zog mich zu ihm hoch. Er zog mich hinter sich er, durch die Schlacht, nach Draußen.
Als wir das Gebäude verließen schien die Sonne vom Himmel herab. Doch obwohl ich so lange in der Dunkelheit war, blendete sie mich nicht. All die Zeit hatte ich sie nicht gesehen und doch sah ich jetzt alles. Die ganze Grausamkeit des Krieges, wie die Menschen sich gegenseitig vernichteten.
Der Mann jedoch zog mich weiter hinter sich her. Nun konnte ich seine Haare erkennen: sie waren hellbraun und kurz geschnitten. Er schien mir noch jung zu sein.
Er zog mich einfach weiter hinter sich her, ohne erbarmen weiter, immer weiter, heraus aus der Schlacht, heraus aus der Stadt und hinein in ein Zelt, das seines zu sein schien.
Wir waren wohl am Ziel angekommen. Doch auch jetzt hielt er noch meine Hand. Nun sah er mich auch an und mir wurde richtig warm ums Herz.
„Mein Name ist Zufirel," sagte er nun mit einer weichen, dunklen Stimme. „Ich bin ein Krieger von Ellö, die gerade diese Stadt angreifen."
„Warum hast du mich gerettet?" fragte ich ihn sofort.
„Nun, ich hatte das Gefühl, dass du das Selbe Schicksal hast wie ich." antwortete er. „Deine Augen sind wie die meinen. Einfach nicht Normal." Er sah sich kurz um und sprach dann weiter: „Noch dazu denke ich, dass du dringend Schutz benötigst. Mit anderen Worten: Du sollst meine Frau werden!"
Mit diesen Worten ergriff er meine Hände. Das nannte man mit der Tür direkt ins Haus fallen. Nach kurzer Zeit war mir auch klar, was ich darauf antworten sollte. Zuerst dachte ich, dass ich ihn nur mögen würde, doch bald schon merkte ich, dass es damals mehr war als das. Die wohlige Wärme in seiner Nähe war der Beweis dafür, dass ich mich in ihn verliebt hatte. Buchstäblich die Liebe auf den ersten Blick.
Schon ein Jahr später gebar ich ihm ein Kind, ein Mädchen. Doch das sollte der Anfang vom Ende sein. Dieses Kind sah ich nie wieder, denn nach der Geburt verschwand es spurlos. Zeit zum trauern war mir aber nicht gegönnt. Dieses Land wurde angegriffen.
Ich kam aus dem Haus heraus und was ich sah, war schlimmer als der Tod: Ich wurde Zeuge, wie Zufirel erstochen wurde.
Nun war mir alles egal. Ich rannte schreiend zu ihm rüber, doch mit dem Schrei geschah noch etwas: Zufirel erhob sich wieder, doch er hatte sich verändert. Sein Haar war nun lang und schwarz wie die Nacht. Seine Augen waren von normalem Gelb zu Gold geworden.
Der Himmel über uns wurde schwarz. Blitze rasten herab. Plötzlich stand alles in Flammen. Alles konzentrierte sich auf Zufirel. Die Schlacht, die gerade im Gange war, war verstummt.
Ein Schmerz durchzuckte plötzlich meinen Kopf und eine Art Sperre wurde aufgehoben. Erinnerungen schossen durch meine Gedanken.
Jetzt erinnerte ich mich an alles: Mein Name war nicht Ithill, sondern Lilith. Sein Name war nicht Zufirel, sondern Luzifer.
An diesem Tag der Erkenntnis zerstörten wir die Sonne und den Mond.
Gottes Zorn war ohne Grenzen. Er bemerkte nun, dass unser beider Macht zusammen das Universum hätte zerstören können.
Diese Erde brannte. Die Hitze war unglaublich und über all Berge von Toten.
So erschuf Gott eine zweite Erde. Dort leben nun die Menschen, die einst hier lebten. Dieser Planet mit seinen Flammen ist seit diesem Tag bekannt als Hölle.
Luzifer und ich wurden verbannt, damit unsere Kräfte nie mehr zueinander finden können.
Luzifer, der Lichtbringer, der Mann wurde zur Sonne.
Ich, Lilith, die Dämonenbraut, die Frau wurde zum Mond.
Wir werden nie wieder vereint sein.
Von hier oben allerdings haben wir unsere Frucht, unsere Tochter gefunden. Sie wird ewig leben. Und Gott, der Blinde, hat unser namenloses Kind nicht bemerkt, das die Finsternis und das Licht in sich trägt. Dort oben, in der Kälte, auf dem schneebedeckten Berg.
