19.Kapitel: Verräter

Ohne Erfolg kamen Harry, Andariel, Fides, Prudertia, Temperantia, Justitia, Neville und George am Morgen wieder nach Hogwarts zurück. Sie gingen in den Raum, in dem sie auch Fortitudo erwarteten.

Aber er war leer. Alle gingen sich schlafen legen, nur Harry und Temperantia blieben noch wach um auf ihn zu warten.

Sie setzten sich auf eine der Bänke, die sich an der Seite der Halle befanden. Temperantia lehnte sich an ihm an und legte ihren Kopf auf seine Schulter. Harry strich ihr über das Haar.

„Warum meinst du, sind die Todsünden nicht aufgetaucht?" fragte Temperantia leise.

„Ich weiß nicht. Vielleicht haben sie es sich anders überlegt. Wer weiß?" antwortete er genau so leise.

Dann trat eine angenehme Stille ein. Es war einfach nur still und die Beiden saßen zusammen auf dieser Bank. Harry legte einen Arm um ihre Schulter und zog sie an sich ran. Ihr Kopf fiel sanft auf seine Brust. Ihre Augen schlossen sich und sie atmete ruhig.

Doch Harry durchbrach die Stille: „Darf ich dich was fragen?"

Ihre Augen waren immer noch geschlossen und seufzend antwortete sie: „Das hast du doch eben schon getan." Sie lächelte.

Harry war etwas verwirrt. Doch sie fuhr fort: „Ja. Du kannst mich ruhig alles fragen, was du wissen möchtest, sofern ich das beantworten kann und ich werde es dir dann beantworten."

„Nun gut", begann Harry langsam. „Ich habe dir doch erzählt, dass ich dich und deine Schwester im Trau gesehen habe."

„Ja?" antwortete sie schlaftrunken.

„Ich habe gesehen, wie ihr bei einem Schrein gewesen seid und da etwas rausgeholt habt. Was war das und was habt ihr damit im Schlimmstenfall vor?"

Ruckartig sprang Temperantia auf und wich vor ihm zurück. Sie starrte ihn mit einem entgeisterten Blick an.

„Das kann ich dir nicht sagen." sagte sie mit einer solchen Bestimmtheit, dass Harry überlegte nicht weiter nach zu fragen.

„Du sagtest, ich könnte dich alles fragen und es mir auch beantworten."

„Aber das geht nicht. Es geht dich nichts an! Das ist eine Sache zwischen meiner Schwester und mir! Das hat nichts mit dir zu tun!" schrie sie ihn an und bevor er noch etwas sagen konnte wannte sie sich um um zu gehen.

Harry aber sprang auf und holte sie schneller ein als ihr lieb war. Er umarmte sie von hinten und legte seinen Kopf neben den ihren. Sie konnte sich nicht wehren, denn auf diese Geschwindigkeit war sie nicht eingestellt gewesen, sie war zu überrascht. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr und dann etwas lauter: „Es tut mir Leid. Ich hätte dich nicht danach fragen sollen. Leider bin ich etwas zu neugierig."

„Und das entschuldigt alles? Du warst etwas zu neugierig." Temperantia klang sehr zornig.

„Es tut mir wirklich, aufrichtig Leid. Ich wollte dir nicht weh tun."

„Mir nicht weh tun?" schrie sie ihn an und riss sich aus seiner Umarmung. Tränen stiegen ihr in die Augen. „Du hast keine Ahnung wie weh es mir tut einfach nur daran zu denken, dass ich..." Ihr viel plötzlich auf, dass sie sich fast verraten hätte. Sie hielt den Mund und sah zur Seite. Die Tränen fingen an ihr über das Gesicht zu laufen. Sie schlug die Hände vors Gesicht und fing an Hemmungslos zu weinen und zu schluchzen.

Harry kam langsam auf sie zu und nahm sie erneut in den Arm. Er drückte sie ganz fest an sich und tröstete sie. Temperantia klammerte sich an ihn und da brach alles aus ihr heraus. All der Schmerz, die Qualen und die Trauer, die sie in den letzten Wochen erdulden musste, fanden jetzt plötzlich ihren Weg und brachen aus.

Er nahm sie auf den Arm und ging wieder zu der Bank. Sie fing an Dinge zu reden, die er nicht verstand, in einer Sprache, die er nicht sprechen konnte. Doch hörte er zwischendurch Wörter ganz deutlich in seiner Sprache, die sich immer wieder wiederholten: Er ist ein Verräter.

George betrat am Mittag die Halle, in der sich Harry und Temperantia befanden.

Als er sah, dass die Beiden Arm in Arm eingeschlafen waren, musste er einfach Lächeln. Dann sah er auf den Boden in der Mitte der Halle. Dort war ein Kreuz in den Boden eingemeißelt.

Er beugte sich herab und strich mit der Hand über das Kreuz. Durch die Berührung schien er etwas zu verstehen. Er beschwor einen leichten und scharfen Wind herauf, der ihm in den arm schnitt. Das Blut tropfte auf das Kreuz und als es gefüllt war wurde der ganze Raum dunkel und es schien als sein George in einer anderen Welt gelandet. Vor ihm erschien eine gleißend helle Kugel, die ihn blendete.

In der Kugel aber erschien das Gesicht einer Frau. Ihr Antlitz war schön und alles war so hell. Ihr Haar war golden und ihre Augen waren tief blau, wie das tiefe Meer. Die Augen stachen geradezu heraus, so dunkel waren sie.

„Wer bist du?" fragte George, so wie es wohl jeder tun würde.

„Mein Name ist Chishikiel. Meine Aufgabe ist es die Vergangenheit in mir zu speichern und somit bin ich diejenige, die man alles fragen kann. Und bevor du fragst: Wir sind hier in dem Nichts, dem Ort an dem nichts ist und nie etwas sein wird. Man kann sich hier nur für kurze Zeit aufhalten, da man sonst dem Nichts anheim fällt und in es übergeht. Somit ist es auch der perfekte Raum für geheime Treffen."

Alles um George herum war dunkel und so etwas wie dunkle Nebelschwaden schlangen sich um seine Beine. Es war einfach nur leer und unausgefüllt.

„Ich habe Fragen." begann George aufs neue.

„Dir seien die Antworten gewährt. Du hast dein Blut geopfert damit steht dir die Tür zur Weisheit offen."

„Ich will die Wahrheit hören."

„Natürlich. Aber alles, was ich dir erzählen kann ist die Realität. Die Wahrheit musst du dir selbst aus der Realität erschließen. Denn die Wahrheit ist, sowie auch das Glück, für jeden etwas anderes."

George verstand diese Aussage nicht so ganz und fragte nach.

„Nun, es ist ganz einfach. Nehmen wir einen Kampf zwischen GUTEN und BÖSEN Kriegern. Der GUTE denkt, dass er den BÖSEN bekämpft. Aber der GUTE kann aus der Sicht des BÖSEN der BÖSE sein, weil er sich selbst für den GUTEN hält. Noch ein Beispiel: Wir sehen und hören Nachrichten. Aber das, was wir vermittelt bekommen ist nur Realität. Es sind Fakten. Man hat nicht die Möglichkeit die Opfer selbst zu fragen und das Leid oder auch das Glück selbst zu sehen. Man kann sich keine Wahrheit bilden."

„Und was hat das mit dem Glück auf sich?"

„Auch das Glück ist für jeden Menschen anders. Was für den einen das größte Glück bedeutet, ist für den anderen das größte Unglück, das eintreten kann. So individuell die Menschen sind, so individuell sind auch die Wünsche und die Gefühle, weshalb ein Mensch auch einen anderen nie vollkommen verstehen und es kein 'alle' geben kann."

Jetzt hatte er es verstanden. Aber deshalb war er nicht gekommen.

„Ich habe meine Zweifel an Kamiras."

„Und das zurecht."

„Betrügt er uns?"

„Ja und Nein."

„Was heißt das?"

„Kamiras kann nichts dafür. Er hat auch eine dunkle Seite und diese hat die Oberhand gewonnen. Er kämpft gegen sich selbst. Eigentlich will er euch nichts böses tun, aber die dunkle Seite will die Reform."

„Was ist aus Fortitudo geworden?"

„Er ist tot. Er wurde von Kamiras zu den Klippen von Großbritannien geschickt wo die Todsünden zuschlagen wollten. Er stand einer Übermacht gegenüber. Acedia hat ihm jedoch einen schnellen Tod gewährt."

„Ich wusste es. Was können wir jetzt machen?"

„Nun, das bleibt euch überlassen, einen Rat dazu kann ich dir nicht erteilen. Aber wenn alles so geschieht, wie ich es erwarte, dann werden 6 von euch überleben. Wir sollten uns jetzt trennen. Das Nichts hat bereits angefangen dein Blut zu fressen."

„Ich danke dir dafür, dass du mir etwas weiter geholfen hast."

„Das war doch selbstverständlich. Fred ist in dir, das weiß ich. Aber du bist ein anderer. Dein Herz hast du bereits an eine andere verschenkt. Ich war damals die ominöse Frau, die er getroffen und die er geliebt hatte."

„Ja. Er hatte mir von dir erzählt, aber..."

Sie schüttelte den Kopf.

„Ich habe ihn geliebt, aber du musst jetzt gehen. Wenn alles gut läuft, sehen wir uns wieder."

George wandte sich um, da rief sie ihm noch etwas nach: „Einen Rat habe ich noch: Vergiss es nicht. Wer auf den Tod gefasst ist, der ist stark. Dagegen gewinnen kann nur, wer um die Kostbarkeit des Lebens weiß."

Das Licht verschwand und alles um George herum wurde schwarz. Ein Schmerz durchzuckte seinen Körper.

Bewusstlos schlug er auf dem Boden der Halle, neben dem Kreuz, auf. Das Blut war verschwunden und seine Wunden schlossen sich endlich.

Harry, der nur so getan hatte, als ob er schlief, sah George an.

Sanft legte er Temperantia zur Seite und stand auf. Seine Schritte hallten in der Halle wieder.

Neben George kniete er sich hin und besah sich ihn.

Schon schlug George seine Augen auf und sah direkt in Harry's.

Harry verzog keine Mine und fragte: „Und, was hat sie dir erzählt? Wer ist es?"

George staunte nicht schlecht. Woher wusste er das? Wie konnte er das wissen? Hatte er nicht vorhin noch geschlafen? Er sah Harry misstrauisch an.

Der aber lächelte und sagte er freut: „Dein Misstrauen ist unberechtigt. Ich würde euch nie verraten. Allein schon aus dem Grund, dass sich hier das Wichtigste für mich befindet." Er sah hinüber zu Temperantia. „Es würde also keinen Sinn machen, wenn ich mich gegen euch stellen würde. Und Andariel schließt sich aus Prinzip niemandem wirklich an. Sie ist unabhängig. Außerdem ist sie darauf bedacht, dass alles im Gleichgewicht bleibt. Partei zu ergreifen ist nicht ihre Art. Damit bleiben noch 6 Person übrig, von denen ich aus eigener Erfahrung 5 ausschließen kann. Bleibt nur noch einer und das ist Kamiras. Richtig?"

Überwältigt von seiner Erklärung antwortete George überrascht: „Ja, das ist richtig."

Harry stand auf: „Siehst du. Es ist alles in Ordnung."

Harry reichte George die Hand um ihm aufzuhelfen. George verstand die Geste und ergriff sie. Er richtete sich auf.

„Was wird aus ihr? Du kannst sie doch schlecht hier liegen lassen."

„Das stimmt." Harry erhob seine Hand und sofort verschwand Temperantia. Sie tauchte fast zur Selben Zeit im Zimmer von Hermine auf und fiel auf eines der freien Betten. Die Decke wurde zurück geschoben und nachdem Inaer in dem Bett lag schob sie sich über sie bis zum Hals.

Harry und George gingen auf direktem Wege zu den Räumlichkeiten von Kamiras.

Harry öffnete langsam die Tür. Er war schon einmal in diesem Raum gewesen. In seinem fünften Schuljahr hatte er hier Unterricht gegeben. Doch damals hatte der Raum der Wünsche vollkommen anders ausgesehen. Jetzt wirkte er dunkel und leer. In der Mitte des Raumes waren Vorhänge angebracht und sie waren aufgezogen. Hinter ihnen im Halbschatten saß Kamiras auf dem Boden. Man konnte sein Gesicht nicht sehen.

„Ah, ihr zwei. Was ist euer anliegen?" fragte Kamiras aus den Schatten.

Die Beiden warfen sich kurz einen Blick zu. Dann ging George auf ihn zu. Bei den Vorhängen blieb er stehen und kniete nieder, so, dass er Kamiras genau sehen und beobachten konnte. Dann sagte er mit einem leicht drohenen Ton in der Stimme: „Wir wollten nur wissen, dass wenn du die Zukunft sehen kannst, wie viele und vor allem wer von uns überleben wird."

Kamiras schien über die Frage überrascht. Doch schnell antwortete er: „Ihr werdet überleben. Wenn wir so weiter machen, werden alle Tugenden am Leben bleiben."

„Und was ist mit meinen Geschwistern?" fragte er noch sehr gelassen.

„Nun wenn wir alles richtig machen, werden wir sie retten können."

„Das sind zu viele." flüsterte Harry, der nun auch auf Kamiras zuging wie George zuvor.

Georges Fäuste begannen sich zu ballen. Harry sah, wie er mit aller größter Mühe seine Wut zu unterdrücken versuchte. Dabei begann seine Faust zu zittern.

Um einen Wutausbruch zu vermeiden fragte Harry: „Was ist aus Fortitudo geworden?"

„Fortitudo konnte sich retten. Derzeit versteckt er sich und wartet auf seine Heilung."

„Und wo?"

„In einem Berg. Wenn ihr wollt kann ich euch dorthin lotsen."

„Und wie kommt es, dass du uns davon noch nicht gesagt hast?" fragte George mit zittriger Stimme.

„Ich habe Neville losgeschickt um ihn zu holen." sagte Kamiras immer noch gelassen.

George konnte sich nicht mehr zurück halten. Er stand auf und schrie ihm entgegen: „Was? Du hast ihn dort hin geschickt? Wahrscheinlich sitzten dort die Todsünden und warten nur auf ihn. Wo zur Hölle sind diese Berge?"

George stand jetzt direkt vor Kamiras und hielt ihn am Kragen fest. „Die Highlands. Ums genau zu machen: Der Ben Nevis."

Abrupt ließ George ihn los und er schlug unsanft auf dem Boden auf. George rannte geradezu los. Harry aber hielt ihn am Arm fest und zwar so fest, dass er nicht weiter gehen konnte. Harry zischte ihm bedrohlich zu: „Lass mich das machen. Er ist ein Freund von mir. Pass du auf ihn auf!" Kaum hatte er das gesagt war er auch schon verschwunden.

„Da habt ihr es also doch bemerkt. Lobenswert. Habe wohl doch nicht gut genug gespielt." raunte Kamiras, dessen Blick nun auf Georg ruhte. „Und was willst du jetzt machen? Willst du mich töten?"

George drehte sich langsam um. „Das weiß ich noch nicht. Noch wäge ich ab zwischen vom Wind langsam zerschnippeln und von Blitzen, die dich elektrisieren."

Kamiras lachte. „Auch in so einer Situation hast du noch Galgenhumor. Du kannst einfach nicht aus deiner Haut. Also, was hast du jetzt vor?"

George ging erzürnt und mit schnellen Schritten auf ihn zu. „Ich werde den echten Kamiras zurück holen!"