Khamul: Denethor ist nicht ganz so herzlos, wie es wirkt. Sicher hat sein Herz geblutet, als Faramir so hart bestraft wurde. Ich denke auch, dass er sich als Herrscher unglaubwürdig gezeigt hätte, wenn er bei Faramir alle Hühneraugen zugedrückt hätte.

Feael: Dene musste das einfach tun. Wie schon gesagt, er hätte sonst unglaubwürdig gewirkt. Mit Faramir wollte er sozusagen ein abschreckendes Exempel statuieren. Mir tat Faramir sehr leid, als ich das mit den Peitschenhieben beschrieben habe. Da war mir wirklich nicht wohl dabei.

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Kapitel 8: Ein Niemand

Als Faramir das nächste Mal wieder zu sich kam, fand er sich bäuchlings liegend in einer halbdunklen Kammer liegend vor. Er lag auf einem einfachen Bettgestell, dessen Matratze aus hartem Stroh bestand. Langsam hob er den Kopf. Durch das halbgeöffnete Fenster drang Straßenlärm herein. Hufgetrappel, das Ächzen von Wagenräder und Stimmengewirr. Faramir ahnte jetzt, wo er sich befand: in jenem besagten Häuschen im ersten Festungsring unten. Sein Rücken brannte wie Feuer, trotzdem setzte er sich auf. Die heftigen Schmerzen trieben ihm das Wasser in die Augen. Leise fluchte er vor sich hin. Er konnte fühlen, dass er Verbände unter seinem Hemd trug. Vorsichtig versuchte er aufzustehen. Mit einem unterdrückten Schmerzensschrei sank er auf das Bett zurück.

Sogleich wurde die Tür zur Kammer aufgestoßen und Boromir tauchte mit einer Schale Wasser auf.

„Du bist doch nicht etwa aufgestanden, Kleiner?" fragte er verdattert und hätte fast das Wasser verschüttet.

„Warum nicht?" gab Faramir mit gepresster Stimme zurück. „Ich werde Vater schon zeigen, dass ich mich nicht von ein paar Peitschenhieben unterkriegen lasse."

Er versuchte erneut aufzustehen, doch die Schmerzen waren zu groß. Seufzend stellte Boromir die Wasserschale auf einen kleinen Tisch und setzte sich neben seinem Bruder auf das Bett und fuhr ihm mitleidig über die roten Locken.

„Das hier ist übrigens dein neues Zuhause", sagte Boromir nach einer Weile vorsichtig. „Zugegeben, es ist ein kleines Haus, aber vielleicht wird es dir hier gefallen. Ich werde mich um alles kümmern. Du wirst immer genug zu essen haben und jemand wird auch deine Wäsche waschen."

„Ich will nicht, dass du Ärger kriegst, Bruderherz", erwiderte Faramir kopfschüttelnd. „Ich kann mich selbst um alles kümmern. Ich werde schon nicht verhungern."

„Wie du willst", meinte Boromir seufzend. „Ich denke auch, dass ich nicht noch mehr Ärger mit Vater heraufbeschwören sollte."

„Wie geht es Avra?" fragte der jüngere Mann plötzlich mit belegter Stimme.

Boromir grinste schief.

„Ich soll dir schöne Grüße von ihr ausrichten. Sie vermisst dich natürlich. Wenn ich es irgendwie einrichten kann, werde ich sie demnächst zu dir bringen."

„Wenn das Vater merkt, kann es dir den Kopf kosten", stöhnte Faramir auf.

„Keine Bange, ich werde ihm dann sagen, dass du mich gezwungen hast, Avra zu dir zu bringen", erwiderte Boromir mit einem Augenzwinkern.

„Du bist unmöglich", meinte Faramir belustigt. „Aber was würde ich ohne dich tun!"

Der ältere der beiden Brüder erhob sich nun und seine Miene wurde ernst.

„Ich muß jetzt gehen: wenn ich nicht rechtzeitig zum Nachtmahl erscheine, wird Vater toben. Du kennst ihn ja. Später wird noch einmal der Heiler bei dir vorbeikommen und deine Wunden ansehen. Vielleicht muß er neue Salbe auftragen. Bleib schön liegen und mach keine Dummheiten, ja?"

§

Zwei Tage später war Faramir wieder einigermaßen auf den Beinen. Das kleine Haus im ersten Festungsring war wirklich spärlich eingerichtet. Die früheren Bewohner hatten wirklich alles, was nicht niet- und nagelfest war, mitgenommen. Im ersten Festungsring standen viele Häuser leer. Angesichts der drohenden Gefahr aus Mordor hatten viele Bewohner in den letzten Jahren die Stadt verlassen und hatten sich irgendwo im Hinterland neu niedergelassen. Natürlich hatte Faramir nicht viel Ahnung, wie man einen Haushalt führte: obwohl er lange als Waldläufer in der Wildnis gelebt hatte, konnte er kaum kochen, denn er hatte immer Männer um sich gehabt, die gute Kochkenntnisse hatten. Ebenso hatte Faramir noch nie Wäsche gewaschen. Als Sohn des Fürsten der Stadt hatte er das auch nicht nötig gehabt. Selbst in Henneth Annûn hatte er Untergebene gehabt, die das für ihn getan hatten.

Doch jetzt war alles anders: die Vorratskammer des kleinen Hauses war leer und Faramir knurrte der Magen. Nebenan lag eine Bäckerei und der Duft frischgebackenes Brotes drang durch das offene Fenster in das kleine Haus. Der junge Mann fragte sich, ob es noch eine schlimmere Folter gab. Boromir hatte sich seitdem nicht mehr blicken lassen. Vermutlich hatte er keine Gelegenheit, die Zitadelle zu verlassen. Mit frischer Kleidung sah es auch schlecht aus: seine Hemden waren alle infolge der Rückenwunden blutdurchtränkt. Faramir legte die Hemden auf einen Haufen. Es waren drei Stück. Mehr als diese und das Hemd, welches er gerade trug, besaß er nicht. Es war also höchste Zeit zu waschen. Faramir fragte sich nur wo und wie. Vermutlich gingen die Waschfrauen des ersten Zirkels alle zu einem bestimmten Brunnen. Faramir packte seine Hemden zu einem Bündel zusammen und verließ das Haus. Er hatte Glück: gerade in diesem Moment kam eine alte Frau mit einem Korb voll Schmutzwäsche vorbei.

„Seid gegrüßt, werte Dame!" rief Faramir ihr freundlich zu. „Könnt Ihr mir sagen, wo Ihr Euere Wäsche wascht?"

Die alte Frau kicherte vor sich hin: „werte Dame" hatte man sie schon seit Jahren nicht mehr genannt.

„Komm mit, Junge!" rief sie Faramir grinsend zu. „Ich zeige dir, in welchem Gebäude man wäscht. Du hast doch nicht etwa vor, deine Wäsche selbst zu waschen? Hast du keine Mutter oder Ehegattin?"

Der junge Mann wurde knallrot.

„Nein, habe ich nicht", meinte er verlegen. „Ist es Männern etwa verboten, in das Waschhaus zu gehen?"

„Nein, natürlich nicht", sagte die Alte kichernd. „Aber es selten, dass ein Mann dorthin geht."

Faramir folgte der Alten, die sich Iuliel nannte, widerstrebend. Das Waschhaus lag in der Nähe des Tores, das zum zweiten Festungsring führte. Irgendwo, von ganz weit oben, konnte Faramir den Klang der silbernen Trompeten hören, und ihm wurde plötzlich sehr schwermütig ums Herz. Er fragte sich, was gerade oben in der Zitadelle geschah.

„Jaja, die da oben wissen nicht, wie es uns da unten geht", murmelte Iuliel verbittert vor sich hin. „Wenn der Truchseß sich besser um seine Untertanen kümmern würde, dann wäre der erste Festungsring auch nicht so leer wie jetzt."

„Was sollte er denn nach Euerer Meinung besser machen?" fragte Faramir neugierig.

„Denethor verlangt zuviel Steuern", meinte die Alte abfällig. „Er und seine Söhne leben in Saus und Braus, aber wir zahlen uns zu Tode."

„Das tut mir leid", sagte Faramir bedauernd.

Die Alte lachte und schlug dem jungen Mann freundlich auf die Schulter.

„Du kannst ja nichts dafür. Du bist genauso ein armer Schlucker wie ich, scheint mir."

Dann betraten sie zusammen das Waschhaus. Drinnen standen zahlreiche Frauen in allen Altersgruppen zusammen an großen Waschbottichen und säuberten ihre Wäsche. Dabei lachten und schwatzten sie. Als sie Faramir bemerkten, verstummten sie augenblicklich und steckten schließlich tuschelnd die Köpfe zusammen. Der junge Mann hatte keine Ahnung, ob er von einigen Frauen erkannt worden war. Er ignorierte die Frauen und folgte Iuliel zu einem der Bottiche, worin sich dampfendheißes Wasser befand.

Eine beleibte Frau watschelte auf die beiden Neuankömmlinge zu und hielt die Hand auf.

„Ich kriege je einen Silberling von Euch", dröhnte sie mit einer heiseren Bassstimme.

Faramir wurde blaß: natürlich hatte er kein Geld. Woher denn auch? Er hatte noch nie in seinem Leben für etwas zahlen müssen. Iuliel zog zwei Silberlinge aus ihrer Schürzentasche hervor und drückte sie der dicken Frau in die Hand.

„Anariel, ich zahle für den jungen Mann mit."

Die dicke Frau humpelte zufrieden davon. Faramir atmete auf.

„Ich danke Euch, Iuliel. Ihr bekommt das Geld so bald wie möglich zurück."

Die Alte kicherte wieder.

„Schon gut, Jüngelchen. Hast du eigentlich auch einen Namen?"

„Far...Faron", stotterte Faramir schließlich verlegen und platzierte seine Schmutzwäsche vor dem Bottich.

Iuliel holte jetzt ein Stück Seife aus ihrer Schürzentasche hervor.

„Ich nehme an, so etwas hast du auch nicht, oder?"

Faramir schüttelte bedauernd den Kopf.

„Bisher hatte ich immer die Annehmlichkeit, dass mir die Wäsche gewaschen wurde, jetzt nicht mehr."

„Das erklärt einiges", meinte Iuliel trocken. „Schau mir zu, wie ich meine Wäsche reinige, damit du es lernst."

Faramir sah aufmerksam zu, wie die Alte ihre Wäsche mit der Seife bearbeitete. Immer wieder tauchte sie die Sachen ins heiße Wasser und prüfte nach, ob die Schmutzflecken weg waren. Sie beendete die Prozedur erst, als die Wäsche ganz sauber war.

„So, und jetzt bist du dran, Faron", forderte sie Faramir auf.

Dieser zögerte: seine Wäsche war voller Blut. Iuliel würde bestimmt Fragen stellen, wenn sie das sah.

„Na gut, ich schaue dir schon nicht über die Schulter", murmelte sie schließlich ungehalten. „Ich habe sowieso keine Zeit mehr. Mach's gut, Kleiner."

Sie nahm ihren Wäschekorb und verließ die Waschstube. Jetzt endlich säuberte Faramir seine Hemden. Er war froh, dass die anderen Frauen ihm dabei nicht zusahen.

§

Zufrieden betrachtete Faramir sein Werk. Er hatte die nassen Hemden an einem Seil aufgehängt, das er quer durch den großen Wohnraum gespannt hatte, Im Kamin knisterte ein wärmendes Feuer. Holz lag hier genug herum in dem Häuschen. Leider hatte er immer noch nichts zu essen. Er überlegte sich, wie er an Geld kommen sollte. Wenn er jetzt nur noch ein einfacher Waldläufer war, dann hatte er das Recht auf Sold. Er fragte sich, ob er hinauf zu Falborn laufen sollte, der für den Sold der Waldläufer zuständig war. Gerade, als er einen Umhang mit Kapuze ergriff, um fortzugehen, sah er durch das offen stehende Fenster zwei Reiter, die auf sein Haus zuritten. Faramir ließ überrascht den Umhang fallen.