Darklayka: das mit Neshem wird zunächst nicht so ganz klar. Es bleibt erst mal im Dunkeln, was er überhaupt von Faramir will...

Khamul: Ist dir Neshem sympathisch?

Feael: Man sollte nicht vergessen, dass Neshem ein Haradrim ist, und somit Feind Gondors.

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Kapitel 16: Avras Trick

Boromirs Suchtrupp lagerte immer noch am Ufer des Poros. Man war sich nicht einig, wie man weiter vorgehen wollte. Boromir wäre am liebsten auf der Stelle weiter Richtung Harondor und Harad gezogen. Doch Madril, der alte, erfahrene Recke war dagegen. Er warnte Boromir vor den tückischen Schluchten Harondors. Auf Madril hörten viele Männer, weil er so erfahren war. Wütend zog sich schließlich Boromir wieder in sein Zelt zurück. Avra, die vor den Männern immer vermummt war oder die Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte, folgte ihm.

„Dieser Madril ist ein weiser Mann", sagte Avra ernst. „Ich habe dir ja auch schon von den Gefahren erzählt, die in Harondor auf euch lauern. Waldläufer Gondors sind ja sehr schnell zu erkennen. In Harad trägt niemand grüne Sachen."

„Dann müssen wir uns eben verkleiden", knurrte Boromir und stieß eine Schüssel mit Suppe jähzornig um. Avra nickte lächelnd.

„Das ist eine sehr gute Idee. Aber dazu brauchen wir Kleider wie die Haradrim. Wo kriegen wir schnell Stoffe her?"

„In Pelargir", murmelte Boromir und musste jetzt auch lächeln. „Ein Zweitagesritt von hier aus."

„Worauf warten wir noch?" fragte Avra unternehmungslustig.

Boromir lief rasch aus dem Zelt und verkündete seinen Männern, dass man umgehend nach Pelargir reiten werde. Erstaunt blickten sich die Krieger an. Boromir hatte vorerst nicht geplant, sein Vorgehen zu verraten. Madril runzelte die Stirn, sagte aber nichts.

§

Faramir wurde von Neshems Diener in ein kleines Haus am Stadtrand von Bar-Mikkath gebracht. Dort bekam er etwas zum anziehen und zum essen. Doch der junge Mann hatte vor allen Dingen Durst. Neshem beobachtete still, wie Faramir aß und trank, und sich schließlich anzog.

„Ich danke Euch, mein Herr", sagte der Gondorianer schließlich höflich.

Neshem fuhr jedoch fort, ihn aus seinen kohlschwarzen Augen zu beobachten.

„Wir werden bald aufbrechen in mein Fürstentum in Nah-Harad", erklärte der Haradrim schließlich mit leiser Stimme.

Faramirs Stimmung sank augenblicklich. Auch wenn dieser Neshem bis jetzt ein wahrer Wohltäter war im Vergleich zu seinen vorigen „Besitzern", so war ihm doch der Gedanke unerträglich, noch tiefer in das feindliche Land hineingebracht zu werden und somit noch weiter weg von Gondor. Erneut dachte der junge Mann an Flucht. Bisher machte niemand Anstalten, ihn irgendwie zu fesseln oder anzuketten.

Es war am frühen Nachmittag, als Neshem seine Leute zusammenrief. Offensichtlich war es jetzt soweit. Ein Diener, der ein einfaches Gewand trug und keine Waffen bei sich hatte, packte Faramir unsanft am Oberarm und führte ihn nach draußen, wo zahlreiche Pferde bereitstanden.

Die Pferde kamen dem jungen Gondorianer wie gerufen. Außerdem sah es gerade so aus, als ob niemand auf ihn besonders achtete. Jeder war mit sich selbst beschäftigt, auch Neshem, der gerade lächelnd auf seinen schwarzen Hengst zuging, ein besonders edles Tier.

Faramir atmete tief durch. Dann riß er sich von dem Diener mit einem groben Boxhieb los und schnappte sich einen Schimmel, der einen wunderschön gearbeiteten Sattel trug. Faramir saß auf und sprengte davon. Er hörte das Geschrei hinter sich. Doch er sah nur nach vorne. Er wollte heim, nach Gondor. Der Schimmel war ebenfalls ein sehr edles Pferd. Offensichtlich verstanden die Haradrim etwas von Pferdezucht. Faramir, der ein guter Reiter war, lenkte den Schimmel zielsicher durch das Gewühl in der Stadt. Wenn er erst am Hafen vom Umbar vorbei war, dann war es leicht, Bar-Mikkath zu verlassen. Unbarmherzig trieb er den Schimmel an. Faramir merkte aufgrund des Trubels in den Straßen nicht, dass ihm Neshem persönlich bereits dicht auf den Fersen war. Der Haradrim setzte eine kleine, hölzerne Pfeife an den Mund und ließ einen Pfiff ertönen. Daraufhin begann Faramirs Schimmel urplötzlich zu steigen. Der junge Gondorianer war darauf nicht vorbereitet und stürzte aus dem Sattel. Doch er rollte sich geschickt ab und war rasch wieder auf den Beinen. Kopflos setzte er seine Flucht zu Fuß fort. Doch Neshem war zu Pferd einfach schneller. Rasch holte er Faramir ein und zog ein großes Krummschwert aus dem Gürtel. Sein Gesicht war finster und um seine Mundwinkel zuckte es.

„Gib auf, Faramir!" sagte er zornig.

Der junge Mann musste sich ergeben. Jetzt kamen auch Neshems Diener angeritten und natürlich wurde er nun in Fesseln gelegt. Er wurde so zusammengeschnürt, dass er sich nicht rühren konnte.

„Warum nur hast du das getan?" fragte Neshem. Und zu Faramirs Überraschung klang seine Stimme todtraurig und nicht wütend.

§

Boromir, Avra und die Truppe erreichte Pelargir in einer Rekordzeit. Die Pferde waren zu Tode erschöpft und ihre Flanken zitterten, als sie endlich die große Hafenstadt am Anduin erreichten. Genau wie damals zeigte sich Avra sichtlich beeindruckt von den prächtigen Gebäuden, die noch aus der Zeit der Altvorderen-Könige stammten. Selbst Bar-Mikkath war im Vergleich zu Pelargir nur ein Dorf. Als Avra an Bar-Mikkath dachte, fuhr es ihr siedendheiß durch den Körper. Sicherlich hatte man Faramir dorthin gebracht. Dort konnte man ihn gut als Sklave verkaufen. Die fürchterlichste Demütigung für solch einen hochwohlgeborenen Mann, die man sich denken konnte! Er würde aufgrund seines – für die Haradrim – exotischen Aussehens viel Geld auf dem Markt einbringen. Avra erschauderte bei dem Gedanken. Faramir war viel zu stolz, um sich von den Haradrim versklaven zu lassen. Eher würde er sich töten lassen. Tränen traten ihr in die Augen.

Boromir führte seine Leute zum Palast des Stadtverwalters. Dort wollte man sich erst einmal ausruhen. Doch Avra hatte keine Ruhe. Sie wollte unbedingt zum Markt und dort Stoffe kaufen. Boromir selbst begleitete sie dorthin.

Der Markt von Pelargir war enorm groß: hunderte von Händler hatten dort ihre Stände. Das Angebot war riesig: Alles an Lebensmittel, was man sich vorstellen konnte, Waffen aller Art, Vieh, Pferde, kleinere Haustiere, Stoffe, fertiggenähte Kleidung, Schmuck, Holzspielzeug, Wolle, Haushaltsgeräte und unzählige Dinge mehr.

Da es mitten am Tag war, herrschte dort auch ein dichtes Treiben. Avra wusste jedoch genau, was sie wollte.

„Hoffentlich ist dein Geldbeutel auch groß genug, Boromir", meinte sie lächelnd.

„Mein Vater ist der reichste Mann von Gondor", prahlte Boromir stolz und deutete auf seinen Gürtel, wo ein prall gefüllter Ledersack hing.

Avra fing nun an zu kaufen: erst mehrere Ballen verschiedener Stoffe in schwarz und rot, dann Krummschwerter und zu Boromirs Verwunderung auch unnütze Sachen wie Schmuck und Tand.

„Was soll das?" zischte er ungeduldig. „Wozu brauchen wir diesen Kram?"

„Abwarten", meinte Avra gelassen und ging zu einem Mann hin, der Esel verkaufte.

Boromir kam sich inzwischen selbst wie ein Packesel vor, denn er durfte alles tragen.

„Das mit den Eseln ist eine gute Idee", meinte er zufrieden. „Die können dann den ganzen Plunder zum Palast tragen."

„Die Esel brauchen wir für unsere Reise nach Harad als Packtiere", erklärte Avra schmunzelnd. „Wir selbst werden auf Maultieren reiten."

Boromir riß vor Entsetzen die Augen weit auf.

„Das ist doch nicht dein Ernst! Der künftige Truchseß von Gondor setzt sich niemals auf ein Maultier!"

„Doch!" konterte Avra unbeirrt: sie kaufte sogleich vier Esel und fünfzehn Maultiere von einem Händler.

Boromir machte gute Miene zum bösen Spiel und schwieg: er musste innerlich zugeben, dass der Plan des Mädchens die einzige Möglichkeit war, Faramir in Harad ungehindert zu suchen.