May20: Ja, Neshem bleibt noch eine Weile rätselhaft. Im nächsten Kapitel geht es um seine Tochter und auch ein bisschen wieder um Boro und Avra.

Darklayka: Huhu! Ich beeile mich extra mit einem Update wegen dir. Ich hoffe, du bleibst mir auch weiter treu und reviewst.

An die anderen Leser: Mittlerweile sind es fast 20 Leute, die mich in ihren „stats" als Lieblingsautorin stehen haben. Mögt ihr mich wirklich? Dann schreibt doch bitte mal ein Review. /bettel/

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Kapitel 18: Ancalime

Boromirs Truppe durchquerte ungehindert das Grenzland Harondor. Immer wieder begegneten ihnen Haradrim-Krieger, welche die Täler dieses Landes streng bewachten. Zum Glück nahm niemand Notiz von der kleinen „Kaufmann-Karawane", die Richtung Bar-Mikkath zog. Boromir wurde immer ungeduldiger, weil man überhaupt keine Spuren mehr von der Truppe fand, die Faramir verschleppt hatte.

„Und wenn sie ihn nicht nach Bar-Mikkath gebracht haben, sondern irgendwo anders hin?" fragte er eines Abends Avra bedrückt, als sie in einem kleinen Tal lagerten.

„Sie wären strohdumm, wenn sie ihn nicht verkaufen würden", erklärte Avra mit sicherer Stimme.

Es war nicht einfach für sie, den anderen immer wieder Mut zu machen. Sie selbst verlor allmählich auch die Hoffnung. Es war nur die innige, tiefe Liebe zu Faramir, die sie unerbittlich vorantrieb.

Madril setzte sich zu Boromir und Avra, die gerade Dörrobst und Brot aßen. Längst hatten alle Soldaten erkannt, bei wem es sich um Boromirs heimlichen Gefährten handelte. Anfangs waren sie alle etwas skeptisch gewesen, von einer Frau, noch dazu aus dem Volk des Feindes, angeführt zu werden, aber inzwischen hatten sie sich damit abgefunden. Denn nur sie kannte sich in diesen Gefilden aus. Madril, der von Natur aus ein misstrauischer Mann war, beobachtete Avra stets mit einem Stirnerunzeln. Aber es war ihm natürlich nicht entgangen, dass Faramir diese Frau geliebt hatte, und der junge Heermeister täuschte sich aufgrund seiner Gabe selten in den Herzen der Menschen.

„Wie geht es weiter, wenn wir Bar-Mikkath erreicht haben?" wollte Madril wissen. „Wir sind schließlich keine Kaufleute. Man wird uns schnell auf die Schliche kommen."

„Das überlasst nur mir", sagte Avra rasch. „Ich habe eine Möglichkeit, euch in Bar-Mikkath unterzubringen. Das Haus könnte so eine Art Stützpunkt für uns werden, von welchem wir aus Faramir weitersuchen können."

„Hast du dort wohl Verwandte?" fragte Boromir zweifelnd.

Avras Verwandte würden sicher nicht begeistert sein, wenn das Mädchen sich mit einer Truppe gondorianischer Krieger bei ihnen einquartierte.

„Mein Vater hat dort ein Haus gekauft", erklärte Avra eifrig. „Meines Erachtens müsste dieses Haus zur Zeit leerstehen. Dort können wir wohnen."

„Gut", nickte Madril nachdenklich. „Hauptsache, es erfährt möglichst niemand von uns."

§

Mit finsterer Miene ging Neshem wieder zum Wohngebäude zurück. Er war sehr enttäuscht von Faramirs Verhalten, obwohl er sich eingestehen musste, dass der junge Mann sich eigentlich gar nicht anders verhalten konnte.

Ancalime trat ihrem Vater in den Weg.

„Wo hast du Faromir hingebracht?" fragte sie ernst.

„Faramir", verbesserte Neshem sie und nahm seine turbanartige Kopfbedeckung ab. „Ich habe ihn in den Südturm gebracht."

„Doch nicht etwa in das dunkle Loch im Keller!" rief Ancalime empört aus. „Das hat er nicht verdient."

Neshem legte jetzt sanft seine Hände auf die Schultern seiner Tochter und versuchte zu lächeln.

„Ancalime, Kind, so höre mir doch zu: Faramir ist nicht Asaghal, auch wenn er ihm zum Verwechseln ähnlich sieht. Mir wurde gesagt, dass Faramir ein großer und erfahrener Krieger aus Gondor ist. Er hat viele der unsrigen im Krieg getötet."

In Ancalimes Augen traten jetzt Tränen. Sie wollte das alles nicht hören.

„Du weißt, wie sehr ich Asaghal geliebt habe. Er war für mich mehr als nur mein Stiefbruder. Asaghal war so sanft und gütig. Und ich spüre, dass dieser Faramir mit ihm seelenverwandt ist."

„Du lässt dich von seinem Äußeren täuschen, genau wie ich", seufzte Neshem bedrückt. „Bereits in Bar-Mikkath hat Faramir versucht, mich zu überlisten. Er ist ein scharfsinniger, kriegerischer Mann und er wird immer wieder versuchen zu fliehen."

„Dann lass mich mit ihm reden", bat Ancalime. „Ich bin eine Frau."

Neshems Augen wurden jetzt ganz dunkel: Ancalime war sein einziges Kind. Er wollte sie nicht unnötig einer Gefahr aussetzen. Faramir würde vielleicht nicht zögern, sie zu töten, um fliehen zu können. Er musste mit allem rechnen. Doch er kannte auch den entschlossenen Blick seiner Tochter. Er konnte ihr fast nie einen Wunsch abschlagen.

„Dann nimm wenigstens zwei bewaffnete Männer mit, Tochter", sagte er leise.

Faramir staunte nicht schlecht, als nach so kurzer Zeit die Falltür wieder geöffnet wurde. Er hatte damit gerechnet, den restlichen Tag in dieser Dunkelheit verbringen zu müssen. Noch mehr staunte er, als er das junge Mädchen erblickte, das Avra so ähnlich sah. Sie kniete sich an den Rand des Loches, um mit Faramir besser sprechen zu können. Die beiden Männer hinter ihr waren kampfbereit. Zunächst sprach Ancalime nicht, sondern betrachtete den jungen Gondorianer forschend.

„Ich bin Ancalime", sagte sie schließlich auf Sindarin. „Die Tochter von Fürst Neshem. Mein Vater hatte einen bestimmten Grund, Euch zu kaufen, Faramir von Gondor."

„Woher könnt Ihr die Sprache der Elben?" wollte Faramir wissen. „Ich bin überrascht darüber, dass so viele Haradrim die Sprache der Gelehrten Gondors sprechen."

„Wir haben hier viele Sklaven aus Gondor", erwiderte Ancalime kühl. „Was macht Ihr mit gefangenen Haradrim?"

„Wie dürfen nach dem Gesetz keine Feinde gefangen nehmen", erklärte Faramir sachlich. „Wir müssen sie töten."

„Ihr tötet nicht gerne, Faramir, oder?" hakte Ancalime nach.

Diese Frage verwirrte den jungen Gondorianer ein wenig.

„Woher wollt Ihr das wissen?" gab er vorsichtig zurück. „Ich befinde mich seit vielen Jahren praktisch ununterbrochen auf Feldzügen."

„Ich besitze die Gabe, in den Herzen der Menschen zu lesen", erklärte das Mädchen lächelnd.

Faramir war erstaunt dies zu hören.

„Das können nur Menschen, in deren Adern fast rein das Blut von Numenór fließt", sagte er streng.

„Meine Mutter stammte aus Pelargir", fuhr Ancalime leise fort. „Sie war die Tochter eines Edelmannes."

Faramir verschränkte die Arme und er betrachtete das Mädchen mißtrauisch.

„Hat Euer Vater Euere Mutter wohl auch auf dem Markt von Bar-Mikkath gekauft?" fragte er spöttisch.

Ancalimes Augen blitzen jetzt zornig auf.

„Hütet Euere Zunge, sonst lasse ich sie Euch abschneiden", sagte sie mit leise drohender Stimme. „Mein Vater hat meine Mutter aus den Händen grausamer Sklavenhändler gerettet. Er nahm sie mit hierher und verliebte sich schließlich in sie. Und meine Mutter wiederum in ihn. Sie verspürte nie wieder den Wunsch, nach Gondor zurückzukehren. Leider verstarb sie vor einigen Jahren an einer heimtückischen Krankheit."

„Und wer oder was ist Asaghal?" wollte Faramir wissen.

„Ich bin hier diejenige, die Fragen stellt", erklärte Ancalime stolz und erhob sich.

Faramir ärgerte sich über sich selbst: es wäre wohl besser gewesen, diese Frage nicht zu stellen. So wie es aussah, würde sie ihn jetzt in diesem Loch zurücklassen.

„Was wollt Ihr eigentlich von mir?" fragte er rasch.

Ancalime verschränkte die Arme und runzelte die Stirn: tja, was wollten sie und ihr Vater eigentlich von diesem Faramir? In einem Anflug von Sentimentalität hatte Neshem offensichtlichen diesen rothaarigen Mann aus Gondor gekauft, der ein Feind Harads war.

„Ihr werdet hier warten, bis mein Vater über Euer Los entschieden hat", sagte sie streng.

Dann wurde die Falltür wieder zugeschlagen und Faramir saß wieder im Dunkeln.

§

Ancalime aber lief zu ihrem Vater zurück. Dieser saß bedrückt im Speisesaal des Hauses und stocherte in seinem Abendessen herum. Als er seine Tochter erblickte, schob er den Teller weg und wandte sich ihr zu.

„Er ist so anders als Asaghal", sagte Ancalime den Tränen nahe. „Aber ich fühle, dass er kein schlechter Mensch ist. Er ist ein stolzer Gondorianer, von fast reinem numenórischen Geblüt. Wir sollten ihn eigentlich freilassen. Er gehört nicht hierher."

Neshem wurde jetzt ungehalten. Er stand auf und lief in dem Raum aufgeregt auf und ab.

„Ich habe ein halbes Vermögen für Faramir gezahlt. Wenn wir ihn nicht für unsere Familie gewinnen können, dann muß er eben auf dem Felde arbeiten. Und zwar solange, bis sein Wille gebrochen ist. Zuallererst muß er sowieso im Tempel gereinigt werden und das Ritual über sich ergehen lassen."

Ancalime presste die Lippen zusammen und nickte. Neshem bot seiner Tochter etwas von den Speisen an, doch sie schüttelte den Kopf. Sie hatten keinen Hunger. Rasch lief sie hinauf in ihr Schlafgemach. An der Wand des hellen Gemaches hing ein großes Gemälde eines jungen Mannes mit rotblonden Haaren und blauen Augen. Ancalime betrachtete das Bild schweigend, dann fing sie an zu schluchzen.

„Oh, mein geliebter Asaghal, warum musstest du sterben?"