Da es immer wieder zu Fragen und Unstimmigkeiten bezüglich meiner Darstellung von Wills Charakter kommt und ich mir wohl mittlerweile so ziemlich jeden Will Turner – Fan bzw. Sympathisanten zum Feind gemacht habe, hier nun also: mein Blickwinkel bezüglich Will Turner... oder: Warum ist Will ein durchgeknallter Idiot?
Um das mal noch vorweg zu nehmen: Das ist nicht DER Will Turner schlechthin; will heißen: ich hab den Knaben bekanntlich nicht erfunden, er stammt nicht aus meiner Feder, sondern den hat jemand anderes verbrochen. Ich habe mir lediglich die Freiheit genommen, den Kerl mal unter die Lupe zu nehmen und zu interpretieren, wie er sich verhalten/entwickeln könnte, wenn man es denn so und so auslegt, was in seiner Vergangenheit alles vorfiel. Also: nur weil ich ihn so interpretiere, muss es nicht richtig sein und niemand soll jetzt diese Ansicht übernehmen, ich will es euch lediglich erklären, was ich mir dabei gedacht habe.
William Turner verlässt seine Frau und seinen kleinen Sohn, als dieser etwa 2 Jahre alt ist.-- Will wächst ohne Vater auf und ich bezweifle, dass er je einen wirklichen Grund für das Verschwinden seines Vaters bekommen hat
== Folge: die Ungewissheit und die Frage nach dem Warum quälen Will während seines gesamten jungen Lebens. während des gesamten Filmes redet Will nie von einer anderen Vaterfigur
-- Ich interpretiere hier, dass seine Mutter nicht neu geheiratet hat und es keinen Mann in Wills Kindheit gab, der ihm den Vater ersetzt hätte
== Psychologisch gesehen kommt es hier zu einem Konflikt, da Will nie die Möglichkeit hatte, die Rolle, die er als Erwachsener darzustellen hat (Mann und Vater) kennen zu lernen und zuzuordnen, ihm fehlt die männliche Bezugsperson. (schönen Gruß vom alten Freud!) Im Alter von etwa 14 Jahren verlässt Will seine Heimat und macht sich auf die Suche nach seinem Vater
-- 14 ist kein gutes Alter, um auf eigenen Beinen zu stehen, er muss vermutlich hart arbeiten, um auf ein Schiff zu kommen, der Gedanke an seinen Vater treibt ihn weiter
== Will hat eine schwere Kindheit und ist mit 14 bereits ein junger Erwachsener, was eindeutig zu früh ist. Er befindet sich auf einem Schiff, das von Piraten angegriffen wird und kommt dabei beinahe ums Leben
-- er verliert alles, was er bis dahin hatte und beinahe auch sein Leben
== schweres Kindheitstrauma. Will kommt nach Port Royal, beginnt die Lehre als Schmied, seine Leistungen werden nicht anerkannt und alles, was er schafft, wird dem besoffenen Mr. Brown zugeschrieben
-- schwerer Stand in der Gesellschaft, da er trotz harter Arbeit keine Anerkennung erhält, der Mensch strebt jedoch von seinem Wesen aus nach Anerkennung
== Hass auf Mr. Brown und Hass auf die Gesellschaft entwickeln sich mit der Zeit, Unzufriedenheit mit seinem Leben und zugleich die Gewissheit, nichts ändern zu können, arbeiten 8 Jahre lang in ihm. Will ist in die Tochter des Gouverneurs verliebt
-- Die Frau ist einige Nummern zu groß (Gesellschaftlicher Stand: Will hat keine Chance!). Da er keine Identifikationsmöglichkeit mit seiner Rolle als Mann hat (fehlender Vater), ist er unsicher und schüchtern, er sieht sie oft, kann sie aber doch nicht haben
== das Gefühl unfähig zu sein, welches ihm sein Stand in der Gesellschaft bereits suggeriert, wird noch verstärkt Er freundet sich - zweckmäßig - mit einem Piraten an
-- Wills Weltbild - Alle Piraten sind böse - Wird durch die Bekanntschaft mit Jack und das Betragen Norringtons zerstört und er muss lernen, dass es nicht nur gut und schlecht gibt
== Die Möglichkeit, sein Umfeld innerhalb seines Weltbildes einzuschätzen und sich rasch sein eigenes Bild von den Personen, die ihm begegnen zu machen, wird ihm im Alter von rund 22 Jahren genommen und er muss lernen, sich neu zu orientieren. Jack verschwindet wieder
-- Am ende des Filmes verschwindet Jack und Will steht wieder alleine (ja, er hat Elizabeth) die Vaterfigur, die der junge William in dem älteren und erfahreneren Jack Sparrow gefunden zu haben glaubte, ist nun plötzlich wieder weg
== Erneut steht Will ohne männliche Bezugsperson da und hat zugleich einen Freund (wie mir im Film scheint, auch noch den einzigen Freund) verloren.
Hier kann man nun in zwei
verschiedene Richtungen interpretieren:
1.) Positiv:
Will ist es gewohnt, auf sich gestellt zu sein und er kommt problemlos damit
zurecht, weiter kann man sagen, dass er einen starken Charakter hat. Wenn Will
ein Ziel hat, dann verfolgt er dieses unnachgiebig. (Diese Annahme beruht
darauf, dass er sich alleine auf den Weg macht, um seinen Vater zu finden und
darauf, dass er der einzige ist, der wirklich aktiv zur Rettung Elizabeths
schreitet)
2.) Negativ:
Will hatte einen schweren Start und allgemein hatte er es alles andere als
leicht, doch gerade deswegen ist er unsicher in allem was er tut. Die löbliche
Absicht, Elizabeth zu retten, könnte man entkräften, indem man hineinmischt,
dass er sich wenigstens dadurch endlich Anerkennung erhofft. Gerade weil er es
in seinem bisherigen Leben nicht leicht hatte, ist es unwahrscheinlich, dass er
sich zu einem selbstsicheren und starken Charakter entwickelt.
(unschwer zu erkennen, dass ich Interpretation Nummer 2 gewählt habe, oder?!)
Damit aber noch nicht genug, denn
hier beginnt nun meine persönliche Version der weiteren Geschehnisse:
-- Vorübergehend hat Will einen Platz in der Gesellschaft und es scheint, als hätte er zumindest ein Ziel erreicht
== Nach Jahren im Schatten, scheint Will nun endlich glücklich zu sein. Das Glück wird jäh zerstört, als Norrington sich einmischt und Will sowohl die Frau als auch den gesellschaftlichen Stand raubt (Alles beschrieben im Kapitel 2; Port Royal)
-- Will ist wütend auf sich selbst, weil er auf Norrington hereingefallen ist und weil er Jacks Vorschlag, mit ihm zu kommen abgelehnt hat, wütend auf Norrington, weil dieser so hinterhältig ist, er ist verzweifelt, weil er der gesamten Situation völlig ohnmächtig gegenübersteht
== Depressivität stellt sich ein, Will gibt am Ende auf. Schwere Psychische Belastung, zu der nun auch noch physische Belastung hinzukommt
-- physische Sanktionen, sobald Will in Elizabeths Nähe gesehen wird; Misshandlung durch Norringtons Männer und Norrington selbst, da Will als Dieb und wiederholter Verbrecher keinerlei Rechte mehr hat; der Knabe ist hoffnungslos unterernährt (war ja vorher schon nicht viel dran an ihm!)
== Psychischer Druck, körperlich Ausgezehrtheit...; Schmerz sowohl physisch als auch psychisch werden zu Wills ständigen Begleitern.
Gut, soweit mal zur Analyse. Ach ja.
Zusätzlich unterstelle ich Will noch, dass er ein wenig sauer auf Jack ist.
Warum ich das nun wieder behaupte? Jack stellt für Will meiner Meinung nach
nicht nur einen Freund, sondern auch einen Vater dar. Und dieser wichtige
Mensch ist gegangen. Will war auf sich gestellt und kam mit der Situation nicht
zurecht, doch der Mensch, von dem er sich Hilfe erwartet hatte, der Mensch, auf
dessen Eingreifen er insgeheim gehofft und vertraut hat, lässt sich 2 Jahre
Zeit, ehe er sich blicken lässt. Naja, wie würdet ihr euch da fühlen?
Enttäuscht, einsam, zurückgelassen und ein wenig wütend, denke ich mal.
Natürlich werdet ihr jetzt sagen: so wie das in der Story geschildert wurde,
war es ja wohl Wills eigene Entscheidung in Port Royal zu bleiben – war es auch
– aber nach allem, was geschehen ist, müsst ihr doch zugeben: so ganz Knigge in
der Birne kann der Knabe doch eigentlich nicht mehr sein, oder?!
G
R O ß E S . F A Z I T:
Zum Zeitpunkt meiner Geschichte mag Will etwa 24 Jahre alt sein, zumindest beträgt
sein kalendarisches Alter etwa 24 Jahre, in seiner Entwicklung siedle ich den
Knaben aber etwas weiter hinten an. Ich möchte nicht behaupten, dass er völlig
zurückgeblieben und ein kompletter Idiot ist, nein. Ich möchte nur aufzeigen,
dass Will noch viel zu lernen hat, er handelt und denkt manchmal noch wie ein
Jugendlicher oder ein Kind.
Des weiteren wäre Wills geistiger und emotionaler Zustand nach all diesen
Vorkommnissen, die ich in schöner Detailarbeit für euch noch einmal
herausgeschrieben habe (siehe oben) wohl als eher labil zu bezeichnen, als er
dann auch noch in einer Zelle im Bauch eines Schiffes hockt, auf dem Weg zum
Galgen, von einem Piraten als Mörder beschimpft wird und erkennt, dass er unter
- wenn auch reichlich verdrehten - Umständen auch mit für den Tod seines Vaters
verantwortlich gemacht werden könnte, klinkt er aus.
Hierbei handelt es sich schlicht und ergreifend um eine verdrehte Wahrnehmung der Tatsachen, hervorgerufen durch einen emotional labilen Zustand, der wiederum durch traumatische Ereignisse in der Vergangenheit verursacht wurde. (Boah, kann ich gestochen daherlabern! *g*)
Der Zustand ist jedoch
vorübergehend und Will befreit Jack dann, weil er erkennt, dass er Mist gebaut
hat. Weshalb er den Piraten jedoch fortschickt und ihm den Tod androht, sollte
Jack je zurückkommen, liegt ganz einfach daran, dass Will weitere Schmerzen
vermeiden möchte.
Was ich damit nun wieder meine?? Nun, es ist wohl eine Tatsache, dass die
Menschen, die man am meisten mag und die einem wirklich nahe stehen, auch
diejenigen sind, die einem am meisten verletzen können. Es ist weit schlimmer,
wenn ein Mensch stirbt, den man sehr gerne mag, als wenn ein Mensch stirbt, den
man halt irgendwann mal getroffen hat, jedoch nicht genauer kannte. Meistens sind
es auch die Menschen, die man liebt, die einen mit einigen groben Worten schwer
verletzen können, weil man sich das dann viel eher zu Herzen nimmt, als würde
einen jemand beleidigen, mit dem man sowieso nichts anfangen kann.
Die Erkenntnis, dass Nähe schmerzt, bringt Will nun also dazu, Nähe zu
vermeiden. Deshalb schickt er Jack fort (Elizabeth ist ja schon fort, da er sie
für tot hält).
Und um dem noch eben entgegenzuwirken: NEIN!! Das läuft nicht auf eine
Will/Jack - Slash-Story hinaus. Davon gibt es schon genügend. Die Beziehung
zwischen den beiden Männern ist Liebe in freundschaftlichen bis familiären
Sinne (hey, ich liebe meine Mum auch, bin deswegen aber nicht lesbisch,
oder?!), da Will in Jack eine Vaterfigur sieht und Jack sich um den "Welpen"
oder den "Junior" wie ich ihn hier bezeichne annimmt, also ihn in
gewisser Hinsicht auch als Sohn sieht.
Ich weiß, die Will Turner - Fans unter euch werden mich noch immer hassen, oder
jetzt erst recht, keine Ahnung. Dennoch hoffe ich, dass die Charakterisierung
und Handlungs- und Denkweise des jungen Mannes einigermaßen darstellen und
erklären konnte, also einigermaßen klarstellen konnte, dass ich nicht völlig
ohne nachzudenken einen ziemlich ungewohnten Will Turner herausgearbeitet habe,
sondern dahinter tatsächlich einige Überlegungen stecken.
So. Zu guter Letzt hoffe ich jetzt, ich habe euch nicht den Wind aus den Segeln genommen und ihr lest trotzdem noch weiter und findet die Angelegenheit immer noch spannend, wenn ich auch schon einige weitere Entwicklungen durchblitzen lassen musste, um meine Erklärungen abzurunden.
So. An dieser Stelle möchte ich gleich mal darum bitten, mich bitte mit weichen Dingen zu bewerfen und den Balken, an den ihr mich jetzt vielleicht knüpfen möchtet, vorher anzusägen. Ich habe schon einmal gesagt, dass das hier nicht richtig sein muss, es ist meine ganz eigen-persönlich-private Interpretation und keiner muss mich dafür lieben, aber hassen sollt ihr mich auch nicht. *snif* Gerne bin ich zu Kommentar-Austausch oder Mail-Diskussionen bereit, wenn ihr noch Fragen, Anmerkungen, Kommentare oder sonstiges habt.
Gut.... Damit höre ich nun aber endgültig auf, herumzulabern. Entschuldige mich dafür, dass es so viel zu lesen ist, doch habe ich wirklich versucht, mich kurz zu fassen (war halt noch nie meine Stärke!!) und verbleibe vorerst schweigend,
Eure Amancham
