Kapitel 3:
By TeeKay
Spät wurde an diesem Morgen in Pemberley gefrühstückt.
Elisabeth saß vor der Frisierkommode, ihr Kammermädchen schwirrte um sie herum, um ihre Haare zu ordnen.
Lizzy hatte die junge Frau, die sich als Betty vorstellte, etwas unsicher beobachtet. Sie war vielleicht zwei Jahre älter als Lizzy, beherrschte aber schon das für Diener eigene Unsichtbarsein: lächelte nett aber verriet mit keiner Miene, was sie dachte. Lizzy hatte nie ihre eigene Zofe gehabt, geschweige denn eine so kompetent aussehende, stille junge Frau.
Sie dachte darüber nach, was es bedeuten müsste, sein ganzes Leben jemanden zu Diensten zu stehen, die schlimmsten Launen und das mürrische Verhalten einer Herrin auszuhalten – und dabei nicht einmal wirklich beachtet zu werden.
Im nächsten Moment erinnerte Elisabeth sich wieder daran, dass es ja so was wie Stände gab – und dass das doch irgendwie auch eine Ordnung hatte. So hatte man es ihr beigebracht.
Trotzdem entschloss sie sich, dass sie Betty gut behandeln wollte – und nie anfangen würde, im Haus hinter ihr her zu schreien – zu genau konnte sie sich noch an Mutters hysterischem „Hiiiiiiiiiill" erinnern. Sie unterdrückte ein Grinsen an den Gedanken, wie die gutmütige, pummelige Hill durch die Eingangshalle hüpfte, um ihre Herrin wieder aus tiefster Agonie zu helfen – und sei es dadurch, dass sie bestätigte, wie die ganze Welt sich offenbar gegen Mrs. Bennets Nerven verschworen hatte.
Bei dem Gedanken an ihre Mutter kam ihr das Gespräch mit Fitzwilliam – ihrem William (wie schön das klang) – früh am Morgen in den Sinn; Und alles, was mit Reden dann herzlich wenig zu tun gehabt hatte.
Oder doch – sie hatten gesprochen. Doch nicht durch hohle Worte, sondern mit einer Sprache, die so selbstverständlich leidenschaftlich war, dass sie wunderbar unmissverständlich war – eine Sprache, die sie schon oft in Williams Augen hat erahnen können, in seinen Küssen das erste Mal gehört – und jetzt anfing, zu verstehen.
Ja, sie waren nur am Anfang von einem langen, wundersamen Gespräch – dass, wie sie hoffte, ihr ganzes Leben durchdauern würde. Der Gedanke daran, wie viel vor ihr lag – wie viel Glück, und Freude – jagte ihr einen wohligen Schauer durch den Körper.
Sie war Mrs. Darcy – und SEINE Liz.
Elisabeth zuckte zusammen, als sie Bettys Stimme vernahm.
„Ich bin fertig, Mrs. Darcy – gefällt es ihnen so? Ich dachte, Ihnen würde eine lockere Frisur besser stehen als diese strengen, die dieses Jahr in Mode sind..." Elizabeth schaute in den Spiegel – es war perfekt, wunderbar. William würde sich freuen – William! Hatte er nicht gesagt, dass er auf sie warten würde und sie deswegen schnell machen sollte? Sie hatte so viele Gedanken im Kopf gehabt, dass sie es vergessen hatte! Na, wenn das mal kein schlechter Anfang war.
Sie stand hastig auf, warf einen letzten Blick in den Spiegel und öffnete die Tür. Und wirklich, da stand er, ungeduldig auf den Fersen wippend, die Hände auf dem Rücken verschränkt, als wüsste er nicht, was er mit ihnen machen sollte. Er stand mit dem Rücken zur Tür, einem Portrait zugewandt, dass an der Wand hing, und bemerkte deswegen auch nicht wie sich seine Frau leise an ihn heranschlich, sondern zuckte nur schnell zusammen, als er zwei kleine Hände und zarte Arme fühlte, die sich um ihn schlangen.
„Tut mir leid, dass du so lange warten musstest, Liebster".
Darcy drehte sich um, und das neckische Glitzern in Lizzies Augen empfand er definitiv als Entschädigung genug für jede Verspätung. Er küsste ihre Nasenspitze, wobei sie kichernd errötete, nahm ihre Hand, drückte sie leicht, legte sie auf seinen Arm und leitete seine Mrs. Darcy durchs Haus.
Lizzie war zwar schon einmal in Pemberley gewesen, doch jetzt musste sie es einfach ganz neu in sich aufnehmen, mit den Augen der Dame des Hauses. Jedes Bild erweckte ihr Interesse, jedes Möbelstück wollte genauer betrachtet werden. Dass aber der Mann an ihrer Seite wenig Lust verspürte, gerade jetzt eine Hausführung zu machen, war ihr klar. Sie machte sich aber in Gedanken einen Merkzettel, möglichst bald mit Stift und Heft durch das Haus zu gehen, und in jedem Raum aufzuschreiben, was es gab und was zu verändern sei. Fitzwilliam hatte ihr schon während der Verlobung erklärt, dass sie jedes Zimmer neu einrichten und verändern könne, bis natürlich auf seine eigenen Gemächer oder traditionelle Einrichtungen wie die Ahnengalerie.
Doch Pemberley hatte in den letzten Jahrzehnten immer gute Hausherrin gehabt, Frauen mit Verstand und Geschmack, so dass Lizzy nicht allzu viel verändern müsste. Doch schon jetzt bemerkte sie, dass die lange Abwesenheit einer weiblichen Hand trotz allem vielen Räumen mit der Zeit eine etwas altmodische, bedrückend dunkle Atmosphäre hinterlassen hatte. „Das Haus sieht gepflegt, aber nicht bewohnt aus." Dachte sie. Die Möbel standen zwar korrekt, aber nicht so, wie sie in einem lebenden, atmenden Haus stehen würden.
„So, Liebes, hier sind wir – der Frühstückraum. Ich habe ihn ganz neu einrichten lassen, für dich – und hab mir immer vorgestellt, wie es sein würde, wenn wir ihn zum ersten Mal zusammen betreten." Lizzy zuckte leicht zusammen, als William sie ansprach – so versunken in ihre Gedanken war sie gewesen, bis sie den hellen, freundlichen Raum betraten. Der sah ganz anders aus als die anderen Räume im Haus – es herrschten hauptsächlich helle, warme Gelb- und Rottöne, und der kleine, runde Frühstücktisch stand in einem Erker aus Glas, so dass man den See und die sanften Hügel Derbyshires sehen konnte.
„Oh, William, es ist – wunderbar. Dankeschön." Darcy genoss es, wie Lizzy sich von seinem Arm löste, im Raum herumging, sich die kleinen aus dunkelroten Holz geschnitzten Figuren anschaute, die als Deco auf einem Schränkchen standen. „Die hat mein Vater aus Indien mitgebracht – Er war als junger Mann für einige Zeit dort." „Sie sind wunderschön". Lizzy stellte sie wieder hin, und ging langsam weiter, bis sie am Fenster stand und die Landschaft betrachtete, die im Schein der Morgensonne noch wie verzaubert glitzerte. Mr. Darcy betrachtete die feine Silhouette der Frau, die er liebte, vor dem Land, das er liebte. „So muss es sein. Sie gehört hierhin." Er ließ dieses Bild in seine Seele sickern, so dass er es für immer in sich aufbewahren konnte.
In diesem Moment wurden sie gestört. Ein ungeduldiges Klopfen an der Tür ließ Elisabeth sich schnell umdrehen und zerstörte den Zauber des Augenblicks. Irritiert öffnete Darcy die Tür.
„Was?" war die unfreundliche Frage.
Sein Verwalter stand, leicht eingeschüchtert, vor ihm.
„Sir, wir haben ein Problem." Darcy öffnete den Mund, um eine unfreundliche Abfuhr zu erteilen, stoppte sich aber, als er merkte, wie aufgeregt sein Verwalter eigentlich war. Bleich und verschwitzt stand er dort, seine Hände zitterten leicht und tiefe Ringe lagen unter seinen Augen. Mit einem entschuldigenden Blick auf Lizzy schloss er die Tür hinter sich und ließ sie im Raum allein.
Doch Elisabeth war nicht beleidigt – dafür war sie zu zufrieden mit sich, mit ihm, mit Pemeberley und der Welt. Dieser Raum war perfekt – so wie sie ein Frühstückszimmer erträumt hätte, wäre es ihr je in den Sinn gekommen, einmal sich den Luxus von verschiedenen Speisezimmern gönnen zu können.
Darcy kam wieder herein, lud sie zum Sitzen ein, und sie setzten sich an den Frühstücktisch. Lizzy beobachtete ihren Mann genau. Irgendwas stimmte nicht, dass spürte sie sofort. Den gleichen Blick hatte sie bei ihm gesehen, als – ja, als sie ihm damals in Lambton von Lydias Dummheit erzählt hatte. Er lächelte sie zwar an, aber seine Augen schienen durch sie hindurchzuschauen.
„Was, ist, William?"
„Nichts, nichts." Er drückte ihre Hand. „Iss nur weiter. Wollen wir heute mal durch die Felder fahren?"
Lizzy schaute ihn durchdringend an. „William, liebst du mich?"
Verwirrt blickte er auf. „Ja, natürlich. Wieso..."
„Warum vertraust du mir dann nicht? Ich sehe doch, dass irgendwas falsch ist. Sag mir lieber gleich, was los ist. Ich bin kein Kind mehr, und wir hatten uns doch versprochen, immer ehrlich zueinander zu sein..."
Darcy seufzte. Er liebte Lizzies schnelle Aufnahmefähigkeit, aber sie würde ihm unter Garantie auch noch Probleme bereiten, wenn es Sachen gab, die er ihr nicht unbedingt mitteilen wollte.
„Es ist wirklich nichts, du stellst dir was..."
„William, sei ehrlich."
„OK, ok... ich wollte dir nicht gleich an unserem ersten Tag zusammen schlechte Nachrichten überbringen... das hatte ich mir nicht so gedacht..."
„Sag schon. Was ist los?"
„Es gab einen ernsten Vorfall in einer der Farmen, die zu Pemberley gehören, einen Brand. Zwei Familien sind ums Leben gekommen, überlebt haben nur zwei Kinder, die in der Nacht zufällig im Stall geschlafen haben, um bei der Geburt eines Kälbchens eventuell Hilfe zu holen."
Fassungslos starrte Lizzy ihren Mann an, und versuchte zu verstehen, was er ihr gerade gesagt hatte. Seine Augen waren trüb vor Kummer. Sie fühlte, wie es ihr schwarz vor den Augen wurde. Zwei Familien, tot! Nicht umsonst sah William so besorgt aus.
„Und was wirst du jetzt tun?"
„Eigentlich müsste ich jetzt dorthin reiten und einiges klären – zum Beispiel was mit den Kindern passieren soll oder mit den Feldern – usw. Doch ich denke, dass kann diesmal auch mein Verwalter übernehmen..."
Lizzy merkte sofort, dass er sich schwer tat, seine Verantwortung aufzugeben. ‚Dass ich ihn je für herzlos habe halten können...' dachte sie.
„Fitzwilliam, ich weiß, dass du hier bleiben willst um meinetwegen. Aber ich denke, dass unter diesen Umständen selbst so eine glückliche Braut wie ich" sie lächelte ihn mit ihrem spezial-Lizzy-Lächeln an „auf ihren Bräutigam verzichten kann. Und denk daran, wir werden in zwei Wochen sowieso auf den Kontinent fahren, zu unserer Hochzeitsreise. Da werden wir genug Zeit füreinander haben."
„Aber... es kann sein, dass ich eins oder zwei Tage dort bleiben muss, vielleicht werde ich sogar nach London reisen müssen, um einiges zu klären..."
Lizzy schaute ihren Mann liebevoll an: „Wir beide sind so glücklich – wir haben uns, und dieses wunderschöne Zuhause – und diese Menschen haben nichts mehr. Nicht einmal ihr Leben. Findest du nicht, dass der Preis, den wir bezahlen, gar nicht so hoch ist? Geh, Fitzwilliam."
Er schaute sie an, und nickte entschlossen.
„OK. Danke, Elizabeth – du hast es mir wirklich leicht gemacht, das Richtige zu tun. Ich werde gleich in einer Stunde losfahren."
Darcy stand vor seinem Pferd, sein Diener würde seinen Koffer packen und ihn mit der Kutsche nachreisen lassen. Er schaute Lizzy an.
„Es tut mir leid, dich einen Tag nach unserer Hochzeit verlassen zu müssen." Lizzy lächelte verkrampft. Sie hätte es sich nicht gedacht, aber ihr fiel es viel schwerer, ihn gehen zu sehen, als sie es sich vorgestellt hatte.
„Mach schon dass du wegkommst, Mr. Darcy. Sonst hast du gleich noch eine heulende Frau hier stehen." Er lachte, zog sie an sich und küsste sie sanft. „Ich werde dich vermissen. Besonders – heut Nacht" flüsterte sie zitternd. Er blickte ihr in die Augen, voll Liebe. Dann ließ er sie los und schwang sich auf das Pferd. „Mach's gut, Mrs. Darcy! Ich hoffe, du langweilst dich nicht zu sehr, ohne jemanden, den du ärgern kannst oder dessen Charakter du studieren möchtest!" Sie lachte bei dem Hinweis an ihren ersten gemeinsamen Tanz, noch in Netherfield. „Keine Sorge, Mr. Darcy – Ich habe ja Pemberley zu erforschen. Ich muss ja mal hinter alle die Geheimnisse dieses Hauses kommen" – Er lachte und gab seinem Pferd die Sporen. Sie rief ihm noch nach: „und die der Familie, die sie bewohnt hat!"
Lizzy konnte nicht ahnen, wie wahr ihre Worte werden würden.
