Kapitel 4:

Sobald Fitzwilliam von Pemberley weg geritten war, spürte Lizzie eine innere Unruhe, der beizukommen, ihr mehr als nur schwer fiel. Sie entschloss sich aber nicht ihrer Enttäuschung nachzugeben, sondern etwas Nützliches zu tun. So lange Fitzwilliam weg war, konnte sie sich ja mit dem Haus vertraut machen und einige Änderungen vornehmen, wo sie sie für nötig hielt. Sie ließ sich von Mrs. Reynolds durch das Haus führen und notierte sich Veränderungen, die sie durchführen wollte. Noch bevor sie das ganze Haus gesehen hatte, wurde es Abend und sehr erschöpft sank sie schon relativ früh am Abend ins Bett. Hier konnte sie die Sehnsucht, die sie nach ihrem Verlobten hatte, nicht mehr unterdrücken. Ihr fehlte die Wärme ihres Ehemanns neben sich, als sie verzweifelt versuchte einzuschlafen. Sie drehte sich hin und her, doch keine Lage brachte den erwünschten Schlaf. Schließlich beschloss Lizzie sich ein Buch zu holen, das sie lesen konnte, wenn sie schon nicht schlafen würde. Doch statt dem Weg zur Bibliothek fand sie den Weg in ein anderes Schlafzimmer, das aber nicht im Gästetrakt lag. Das musste also Georgianas Schlafzimmer sein, dachte sie und entfernte sich bald darauf wieder aus dem Zimmer. Es wäre ihr unangenehm gewesen Georgianas Privatsphäre zu verletzen, selbst wenn sich Georgiana derzeit bei ihrer Tante und ihrem Onkel auf Matlock aufhielt.

Wieder zurück in ihrem eigenen Schlafzimmer suchte sie nach einem eigenen Buch, da sie keine Lust verspürte erneut im Dunkeln nach der Bibliothek zu suchen. Doch trotz eifrigem Suchen fand sie nicht das Buch, welches sie jetzt gerne gelesen hätte.

Das Heulen des Windes ließ sie aufblicken. Trotz der Dunkelheit konnte sie sehen, wie ein Sturm aufzog. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Lizzie hatte zwar nie zuvor Angst vor Stürmen oder sonstigen Naturgewalten gehabt, aber hier in diesem fremden Haus ohne ihren Gatten führte der Sturm dazu, dass Furcht sie überkam. Sie hoffte, dass Fitzwilliam zu dieser Stunde nicht mehr draußen unterwegs. Sie redete sich zwar ein, dass er viel zu umsichtig war, um bei diesem Wetter noch unterwegs zu sein, aber auf der anderen Seite konnte sie verstehen, dass sein Wunsch, bald wieder bei ihr zu sein ihn unvernünftig handeln lassen könnte. Nachdem sie ein paar Minuten lang mit bangen Gedanken das Treiben des Sturmes aus ihrem Fenster beobachtet hatte, beschloss sie aber nicht weiter solch trübsinnige Gedanken in ihrem Kopf herumzuwälzen und legte sich erneut ins Bett, diesmal mit der festen Entschlossenheit auch einzuschlafen. Aber es wollte ihr einfach nicht gelingen. Auch dort verschwanden ihre Ängste nicht, mit jedem erneuten Geräusch schrak Lizzie auf. Schließlich gab sie alle Bemühungen um Selbstbeherrschung auf und weinte leise Tränen des Heimwehs, der Sehnsucht nach und der Sorge um ihren Gatten.

Doch als Lizzie am nächsten Morgen von vorwitzigen Sonnenstrahlen begrüßt wurde, begannen die Ängste der Nacht sich zu verflüchtigen und in Lizzie erwachte wieder ihr unbändiger Tatendrang. Zwar kam ihr kurz der Gedanke, wie schön es wäre, diesen wunderschönen Sonnenaufgang mit Fitzwilliam zusammen zu erleben, aber dann erinnerte sie sich daran, dass andere Menschen ihre ganze Familie verloren hatten, und die Dankbarkeit dafür, dass es ihr so gut ging, ließ auch das letzte bisschen Enttäuschung verschwinden.

Sie sprang geradezu aus dem Bett, um noch vor dem Frühstück einen Spaziergang zu machen und nach dem Frühstück machte sie da weiter, wo sie am letzten Tag aufgehört hatte und schaute sich auch noch den Teil von Pemberley an, den sie bei ihrer gestrigen Hausführung noch nicht gesehen hatte. Ihr kamen so viele großartige Ideen, wie man Pemberley noch einladender und wohnlicher gestalten könnte, dass sie richtig ungeduldig war, diese endlich mit Fitzwilliam besprechen zu können. Als Lizzie an diesem Abend ins Bett fiel, fühlte sie sich schon weniger fremd in diesem Haus und war vollständig zufrieden mit sich.

Nur eine Sache wollte ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen: Sie wunderte sich nämlich, dass das Schlafzimmer Georgianas, das Mrs. Reynolds ihr heute gezeigt hatte, nicht da lag, wo sie es von letzter Nacht in Erinnerung gehabt hatte. Aber da sie sich ja auch noch nicht so gut in ihrem neuen Zuhause auskannte, war dies nichts, was ihr hätte den Schlaf rauben können. Und so schlief sie in dieser Nacht trotz der Abwesenheit ihres Gatten sehr gut.

Am nächsten Morgen schien wieder die Sonne, so dass Lizzie trotz der Kälte fast den ganzen Tag draußen war. Denn nachdem sie sich nun im Haus zumindest ein bisschen besser auskannte, hielt sie es nur für angebracht, sich auch mit der äußeren Umgebung ihres neuen Zuhauses vertraut zu machen. Und wenn Lizzie schon das Haus beeindruckt hatte, so war sie von dem Garten und den Wäldern drum herum schlichtweg hin und weg. Schon im Sommer hatte sie diese bestaunt und auch wenn es jetzt Winter war und alles zugeschneit war, konnte man die Pracht der Natur, die sich im Frühjahr immer wieder neu entfaltete, erahnen. Und die hohen Tannen und die riesigen Eichen waren auch zu dieser Jahreszeit eindrucksvoll. Durch den Schnee wirkte der Wald um Pemberley sogar wie ein verwunschener Wald aus irgendeinem Rätsel und Lizzie hätte sich nicht gewundert, wenn hinter der einen oder anderen Biegungen plötzlich Zwerge, Trolle oder andere Zauberwesen aufgetaucht wären.

Doch als sie zu dem Teich kam, aus dessen Richtung ihr Fitzwilliam bei ihrem allerersten Treffen auf Pemberley entgegengekommen war, waren ihre Gedanken mit etwas anderem beschäftigt als mit Fabelwesen. Sie erinnerte sich daran, wie er klatschnass vor ihr gestanden hatte und sie im ersten Moment geglaubt hatte, ihre Fantasie spiele ihr einen dummen Streich. Dann hatte die Person vor ihr angefangen zu reden und damit kam auch die Erkenntnis, das Mr. Darcy tatsächlich vor ihr stand. Oh, wie peinlich war es ihr gewesen, sein Grundstück betreten zu haben, und wie schwer war es ihr gefallen, nicht auf sein weißes Shirt zu starren, das mehr preisgab als es verbarg. Bei dem Gedanken an ihren Gatten klitschnass in einem weißen Shirt musste Lizzie lächeln. Heute wäre es ihr nicht mehr peinlich ihn in diesem Aufzug zu sehen, nein, der Gedanke an eine eventuelle Wiederholung dieser Begegnung amüsierte sie und weckte in ihr erneut die Sehnsucht nach ihrem Ehemann. Sie hatten bisher viel zu wenig Zeit miteinander verbracht und obwohl sie wusste, dass er gebraucht wurde und dass sie ja noch ein ganzes Leben Zeit füreinander haben würde, erschien es ihr falsch so kurz nach ihrer Hochzeit getrennt von ihrem Ehemann zu sein.

Während Lizzie sich langsam wieder auf den Weg zurück zum Haus machte und sich versuchte, damit abzufinden, dass sie wieder einen Abend ganz allein verbringen würde, war ihr Ehemann schon auf Pemberley angekommen. Als er hörte, dass seine Frau gerade einen Spaziergang machte, hatte Darcy sich entschlossen, ihr entgegen zu gehen. Doch noch bevor er das Haus verlassen konnte, um sie zu suchen, betrat sie es und so wurde die Suche für ihn unnötig. "William", rief Lizzie überrascht aus, als sie ihn sah. Sie hielt inne und blickte ihn für ein paar Sekunden mit großen Augen. Dann aber kam Leben in sie: Sie lief ihrem Ehemann entgegen und fiel ihm um den Hals. "William, ich habe dich so vermisst", flüsterte sie in sein Ohr.

Fitzwilliam hielt seine Lizzie für ein paar Minuten nur fest. Die letzten Tage waren nicht leicht gewesen und nach all dem Leid und Elend, was er gesehen hatte, tat es ihm gut, seine junge Ehefrau wohlbehalten wieder in den Armen zu halten. Doch dann wurde ihm bewusst, dass er aufgrund des langen Ritts gut ein warmes Bad benötigen könnte, und er löste sich sanft aus der Umarmung seiner Gattin. "Lizzie, ich glaube, ich sollte erst mal ein Bad nehmen, bevor wir uns länger unterhalten. Mir ist etwas kalt."

"Oh, natürlich", erwiderte Lizzie, "du solltest dich wirklich erst mal aufwärmen. Schließlich sollst du mir nicht noch krank werden." Fitzwilliam Darcy lächelte angesichts ihrer Fürsorge und verabschiedete sich kurz, um in seinem Zimmer ein Bad zu nehmen.

Lizzie folgte ihm bald, um ihre nassen Schuhe zu wechseln und ihr Haar zurecht zu machen. Als sie damit fertig war, lauschte sie an der Zwischentür, wieweit ihr Ehemann mit seinem Bad war. Dieser schickte gerade erst seinen Kammerdiener weg, um in Ruhe zu baden. Lizzie dachte einen Moment darüber nach, was eine richtige Lady in einer solchen Situation tun würde und tat dann das Gegenteil davon. Sie öffnete leise die Zwischentür zum Zimmer von Fitzwilliam und schlüpfte hinein. Es roch nach Seife und die Fenster waren vom Wasserdampf beschlagen. Lizzie beobachtete ihren Gatten, der mit dem Rücken zu ihr in der Badewanne lag, eine Weile, dann jedoch hielt sie es nicht länger aus und schlich sich von hinten an ihn heran. Sie nahm den Schwamm und die Seife, den Darcys Kammerdiener liegengelassen hatte und seifte seinen Rücken ein. Darcy, der zuerst glaubte, dass es sein Kammerdiener sei, der ihn einseifte, ließ alles ohne Widerspruch über sich ergehen. Erst als er bemerkte, dass die Hände, die sanft seinen Rücken massierten, viel kleiner waren als die seines Kammerdieners, wurde er stutzig und wandte sich um.

"Elisabeth?", fragte er verblüfft, als er erkannte, wer seinen Rücken eingeseift hatte. "Ja", entgegnete Lizzie etwas kleinlaut, um dann schnell hinzuzufügen: "Ich konnte einfach nicht länger warten mit dir zusammen zu sein." Doch anstatt ihr böse zu sein, lächelte Darcy nur: "So, so, und deshalb schleichst du dich in fremde Schlafzimmer." "Ja", erwiderte Lizzie lachend, "aber nur in das Schlafzimmer meines Ehemannes."

"Na, dann bin ich ja beruhigt", bemerkte Darcy trocken. "Was denkst du denn von mir?", wollte Lizzie gespielt empört wissen. "Dass du die hübscheste, intelligenteste und impertinenteste Frau auf dieser Welt bist", antwortete er ihr, während er sie, soweit es in dieser Position möglich war, in seine Arme nahm. Lizzie barg ihren Kopf an seiner Schulter, während er ihr durch das Haar strich. Sie schwiegen beide, glücklich über die Nähe des anderen. Dann brach Darcy die Stille: "Lizzie, ich muss wegen dem Brand noch mal nach London fahren, am besten gleich morgen früh." Er wartete auf ihre Reaktion, aber sie schwieg.

Schließlich fuhr er fort: "Ich weiß, du bist enttäuscht, aber es ist meine Aufgabe, mich darum zu kümmern. Ich hoffe, du verstehst das." "Natürlich", entgegnete Lizzie, "ich will doch auch, dass du alles nur irgendmögliche tust, um diesen armen Kindern zu helfen. Wie schrecklich seine ganze Familie zu verlieren." "Nicht nur den Kindern muss geholfen werden", verbesserte sie ihr Ehemann. Er hielt einen Moment inne, bevor er weiter sprach: "Viele der Helfer sind bei den Rettungsaktionen zu Schaden gekommen, manche von ihnen sind sogar gestorben. Natürlich brauchen auch diese Familien Hilfe."

Lizzie nickte nur, so betroffen war sie von dem Unglück, das anscheinend so viele Familien betraf. Eine Träne rann ihr über das Gesicht, als sie daran dachte, wie schwer es für sie wäre, wenn ihrer Familie so ein Unglück widerfahren würde.

Fitzwilliam spürte die traurige Stimmung, in der sich seine Gattin befand, wusste aber nichts, was ihre Stimmung aufheitern könnte. Er selbst konnte dieses Unglück auch nicht begreifen und wusste auch nichts, womit er Lizzie hätte beruhigen können. Es war eine dieser Katastrophen, die man einfach nicht verstand und wo man sich immer fragen würde, warum sie geschehen waren.

Doch obwohl Darcy sah, wie sehr Lizzie die schlechten Nachrichten, die er ihr weitergab, berührten, gab es noch eine weitere schlechte Nachricht, die sie wissen musste. Er schluckte, bevor er es ihr schließlich sagte: "Lizzie, es ist noch was anderes... wir müssen unsere Hochzeitsreise verschieben." Wieder kam erst keine Antwort, dann aber meinte Lizzie enttäuscht, aber nicht verärgert: "Das ist kein Problem, William, wichtig ist nur, dass diesen Menschen geholfen wird." William atmete erleichtert auf. Wie Lizzie diese Nachricht aufnehmen würde, hatte ihn am meisten beschäftigt. Und nun war sie sogar so selbstlos, sich nicht einmal darüber zu beschweren. Darcy konnte nicht anders als sie zu bewundern. Ihm selbst war es schwer gefallen, die Tatsache zu akzeptieren, dass er die Flitterwochen mit seiner Ehefrau verschieben musste, und Lizzie fiel es so leicht, ihr eigenes Glück zum Wohle anderer zu opfern. "Danke, Lizzie", flüsterte er. Er blickte sie an und war berührt von den Tränen in ihren Augen. "Wir holen das nach, ich verspreche es dir, Lizzie. Es wird zwar nicht mehr in diesem Jahr möglich sein, denn dieser Brand wird meine Zeit mindestens noch drei bis vier Wochen in Beschlag nehmen und dann ist es schon Ende November und es würde sich nicht mehr lohnen auf den Kontinent zu reisen, wenn wir bis Weihnachten zurück sein wollen, aber im neuen Jahr holen wir das alles nach und dann verlängern wir unsere Reise so lange, wie du es wünschst. Bitte Lizzie, sei nicht traurig, mir fällt das doch auch nicht leicht."

"Ach, William", erwiderte Lizzie unter Tränen, "ich weine doch nicht wegen unseren Flitterwochen, mir tun nur die Menschen so leid, die von diesem Brand betroffen sind." Darcy war überwältigt von ihrer Anteilnahme am Schicksal anderer und konnte einfach nicht anders als seine Bewunderung für sie mit einem leidenschaftlichen Kuss auszudrücken. Es war schon längst Zeit zum Dinner, als sie Darcys Schlafzimmer wieder verließen.

Auch nach dem Essen zogen sie sich sehr früh in ihre Schlafgemächer zurück, um soviel Zeit wie möglich miteinander verbringen zu können. Sie versuchten beide den anderen ihre Unzufriedenheit und Frustration über die Tatsache, dass sie sich nun wieder mehrere Tage nicht sehen würden, nicht spüren zu lassen. Sie sprachen auch nicht noch einmal über das Feuer und seine Folgen und doch kam es beiden so vor, als würden sie sich gegenseitig in diesem Unglück Trost spenden, einen Trost, der keiner Worte bedurfte.

Am nächsten Morgen stahl Darcy sich im Morgengrauen leise aus dem Schlafzimmer. Er wusste natürlich, dass es Lizzie lieber wäre, ihn zu verabschieden, aber er wusste nicht, ob er tatsächlich seinem Vorsatz nach London zu reisen, treu bleiben könnte, wenn Lizzie ihn mit verschlafenen Augen anblickte. Er wusste, wie schwach er war, wenn es um sie ging, und war sich daher darüber im klaren, dass sich seine Reise, wenn sie ihn erst einmal zum Abschied küsste, auf jeden Fall um Stunden, wenn nicht sogar um einen halben oder ganzen Tag verzögern würde. So verließ er das Zimmer und Pemberley ohne sich von seiner Ehefrau zu verabschieden.

Lizzie wurde erst wach, als ihr Gatte das Zimmer schon verlassen hatte. Das Bett war noch warm an der Stelle, wo er gelegen hatte. Aber das war auch alles, was ihr von ihm blieb. Sie überlegte aufzustehen, um zu sehen, ob er noch da war. Aber er hatte offensichtlich nicht vorgehabt, sich von ihr zu verabschieden und ihm hinterherzulaufen, ging ihr gegen den Strich. Wenn er sich nicht von ihr verabschieden wollte, würde sie ihm auch nicht hinterherlaufen. So versuchte sie nur den Rest seiner Körperwärme in sich aufzunehmen, doch je mehr sie versuchte, sie zu spüren, desto schneller schwand sie dahin. Lizzie fröstelte und sie fühlte sich mit einem Mal schrecklich einsam. In diesem Moment kamen die Tränen, die sie vorher nicht gewagt hatte zu weinen. Tränen, die diesmal nicht einem anderen galten.