Kapitel 6:

By TeeKay

Darcy bemerkte den fast kühlen Ton in Lizzies Stimme nicht – dafür war er zu müde, und zu erschöpft – und sehnte sich zu sehr nach ihrer Nähe. Er zog sie einfach in seine Arme, grub sein Gesicht in ihre weichen Locken und genoss es, die Bilder der letzten Tage einfach zu vergessen.

Lizzie konnte nicht anders als langsam ihre Vorbehalte abbröckeln zu lassen und die Umarmung zu erwidern, den Geruch in seinem Hemd tief einzuatmen und einfach froh zu sein, dass er da war.

Als sie sich lösten, schaute sie forschend in sein Gesicht, um zu sehen, ob er ihr nicht von seiner Reise erzählen wollte.

Doch Fitzwilliam hatte absolut keine Lust, über London zu sprechen. Stattdessen nahm er sie bei der Hand, ging in die Bibliothek, ließ sich auf den Diwan fallen und zog Lizzy zu sich, so dass sie auch auf dem Diwan saß und Darcy sie im liegen betrachten konnte. Er fragte sie nach ihrer Zeit in Pemberley, erkundigte sich nach den Veränderungen, die sie vorhatte – und bald waren die beiden in ein angeregtes Gespräch über die Pläne Lizzies verwickelt. Trotz allem war sie ja die Herrin des Hauses, und ein praktischer Mensch – so dass sie sich mit Begeisterung an den Plänen beteiligte und ihre Sorgen so erst einmal vergaß.

Sie merkten erst, wie lange sie so da gesessen und sich unterhalten hatten, als Joseph, einer der Diener, an die Tür klopfte und förmlich das Abendessen ankündigte.

Lizzy war etwas entsetzt darüber, dass sie sich weder umgekleidet hatte, noch darüber nachgedacht hatte, was ihr Ehemann alles nach der langen Reise von London eigentlich nötig hatte – frische Kleidung, eine warme Mahlzeit, ein heißes Bad.

Darcy grinste in sich hinein, als er die Sorge seiner Frau sah – sie konnte nicht wissen, dass sie ihm das gegeben hatte, was er am Nötigsten gehabt hatte –ihre Gegenwart, ihre Hoffnungen, ihre ganze Frische und Begeisterung. In den Tagen in London hatte er mehr alte, verkalkte Beamten und verblichene Damen gesehen, als ihm lieb war. Er hatte viel Papierkram erledigen müssen, und obwohl sein Sekretär und auch sein Verwalter das meiste hatten schon vorher bearbeiten und vorbereiten können, hatte es an ihm gelegen, viele der Verhandlungen und formellen Besuchen zu erledigen. Sie hatten versucht, die Verwandte der betroffenen Familien ausfindig zu machen – doch viele waren selbst arm oder einfach nicht willig, zu helfen. Für die Weisenkinder hatte er versucht, passende Heime und Internate zu finden und es sich auch nicht nehmen lassen, selbst die Institutionen zu inspizieren - die Kinder sollten wenigstens nach dem Schock des Verlustes nicht auch noch unter einem diktatorischen Schulleiter leiden müssen. Doch jetzt schob er die Erinnerungen an die Arbeit in eine dunkle Ecke seines Gehirns und ging Arm in Arm mit seiner Frau zum Esszimmer.

Lizzy war glücklich. Ihr William war wieder da, in sie verliebt, gut gelaunt und locker, wie sie ihn kennen gelernt hatte in den Wochen ihrer Verlobung – wenn sie mit Jane und Bingley über die Felder spazierten, oder in ihren kleinen Eskapaden zur Bibliothek in Netherfield. Sie genossen das Abendessen, und er erzählte ihr Spukgeschichten über Pemberley Castle, den alten Ruinen, die im nördlichen Wald Pemberleys standen und seinen Vorfahren gehört hatten.

Dann betrat Joseph den Raum.

„Sir, sollen wir Brandy in den Salon bringen lassen und den Kamin anzünden?" Darcy schaute Lizzy auf einmal ganz eigentümlich an, seine Augen bekamen einen tiefen, leidenschaftlichen Ausdruck.

„Nein, Joseph. Ich glaube, ich bin zu müde von der Reise, um jetzt noch lange im Salon zu sitzen. Ich denke, ich gehe gleich in mein Schlafgemach."

Als Lizzy die Anspielung ihres Ehemannes hörte, kam der ganze Schmerz der heutigen Entdeckung wie eine Lawine auf sie herunter. Und auf einmal fühlte sie sich bei dem Gedanken, heute Nacht das Bett mit ihm zu teilen, ganz unbehaglich – denn jetzt war da der Schatten, die Erinnerung einer anderen, die, wenn auch nicht vor der Welt, doch im Verborgenen Lizzies Platz eingenommen hatte. Sie war jetzt nur noch die zweite.

Ohne viel zu Überlegen sagte sie deshalb:

„Aber Joseph, Sie können das Feuer in meinem Büro neu schüren lassen, und sagen Sie doch bitte Mrs. Reynolds bescheit, dass ich einige dringende Sachen zu besprechen habe und sie mich dort treffen soll."

Darcy schaute seine Frau überrascht an. Hatte sie denn nicht verstanden, dass er eigentlich überhaupt nicht müde war, aber gern so schnell wie möglich mit ihr zusammen sein wollte? Er wartete, bis Joseph den Raum verlassen hatte, drückte ihre Hand und meinte:

„Aber Liz, muss dass den heute Abend noch sein? Ich dachte..." er brach ab und wusste einfach nicht, wie er sie darum bitten sollte, mit ihm nach oben zu gehen.

Elisabeth lächelte freundlich, strich ihm leicht über die Wange. „Aber Schatz, du bist doch müde von der Reise und willst sicherlich ausruhen. Da würde ich mit meinem Geplapper nur stören. Und ich muss eben noch Dinge erledigen, die bis morgen nicht warten können". Den gleichen Tonfall hatte sie bei ihrem Vater benutzt, wenn sie ihm nicht sagen wollte, was sie gerade am denken war.

„Du würdest mich nicht stören." Darcy fühlte sich ein bisschen enttäuscht über Lizzys offenbare Begriffsstutzigkeit.

„Oh doch, das würde ich. Außerdem willst du doch sicherlich baden, vor dem schlafen gehen..."

Er grinste. „Das hat dich letztes Mal aber nicht aufgehalten..."

Lizzie schaute aus dem Fenster, ihre Stimme hatte fast einen traurigen Unterton.

„Manchmal tun Frauen eben Sachen, die sie besser lassen sollten. Manchmal lieben Frauen eben zu sehr, um das Richtige zu tun."

Darcy schaute seine Frau erstaunt an. Was war eigentlich mit ihr los? Sie verhielt sich ja völlig komisch. Doch bevor er sie fragen konnte, kam der Diener wieder rein, um abzudecken.

Er ging wirklich gleich nach dem Abendessen baden und sich fertig machen, während Lizzy einige Dinge des Haushaltes mit Mrs. Reynolds klärte, und dabei auch die Veränderungen in den Zimmern, die sie mit William besprochen hatte, erklärte.

Natürlich war das alles nicht dringend. Aber Mrs. Reynolds stellte keine Fragen, und Lizzy machte Gebrauch von ihrer Position als Dame des Hauses, die ihren Angestellten keine Rechenschaft schuldig war. Danach saß sie noch einige Zeit in ihrem Büro und versuchte einen Brief an Jane zu schreiben, während sie sich einbildete, fest vorgenommen zu haben, ihn noch an diesem Tag zu beenden.

Trotzdem stand nach einer Stunde nicht mehr als „Meine liebe Jane" auf dem Papier.

Sie schaute auf die Uhr und sah, dass es Zeit war, ins Bett zu gehen. Leise schimpfte sie über die ganzen Anstandsregeln, die Schlafuhrzeiten und Tagesabläufe festlegten. Sie schlich leise die Treppen hinauf, schlüpfte in ihr Zimmer und machte sich ohne Bettys Hilfe, die sie schon vorher weggeschickt hatte, fertig. Dann schlüpfte sie unter die Decken und kniff die Augen fest zu. Vielleicht würde er ja denken, dass sie schon am Schlafen war. Vielleicht war er ja selbst schon am schlafen...

Lizzies Hoffnungen in dieser Richtung wurden kurzerhand durch ein leises Klopfen an die Verbindungstür zu seinem Schlafgemach zerstört. Sie antwortete nicht. Sie hörte, wie die Tür sich leise öffnete.

„Liz?"

Keine Antwort.

Darcy kam leise hinein. Seine Frau schien fest zu schlafen. Warum hatte sie ihm nicht gesagt, dass sie da war? Warum hatte sie nicht einmal nach ihm geschaut, um gute Nacht zu sagen? Er schaute auf ihre Verhüllte Gestalt.

Lizzy spürte seine Gegenwart. Sie zwang sich, langsam und ruhig zu atmen, so dass er ihr kleines Schauspiel nicht durchschaute. Sie wartete darauf, dass er das Zimmer einfach wieder verließ. Doch stattdessen spürte sie auf einmal, wie sich die Matratze senkte – er kam zu ihr! Sie fühlte, wie er ganz sachte näher an sie rückte, bis sie seine Körperwärme spüren konnte. Dann legte er den Arm um sie, ganz vorsichtig, als wolle er sie nicht wecken, küsste ihre Haare, flüsterte leise „Ich liebe dich" und wurde ruhig. Scheinbar war er doch müde von seiner Reise gewesen, denn schon kurz danach konnte sie seinen ruhigen, regelmäßigen Atemzüge hören.

Für Elisabeth kam der Schlaf viel, viel später.